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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nicht, wie König Max es in München hält; in Frankfurt schien er die Uniform ebensowenig wie das Fahren im Wagen leiden zu mögen, wenigstens zeigte er sich sehr häufig im Civilrock und zu Fuß auf der Straße. Wir wollen dabei das herbe Urtheil eines englischen Berichterstatters nicht unterschreiben, so viel hat jedoch auch uns scheinen wollen, daß König Max in Frankfurt zwar populär war, daß er aber dort auch hat populär sein wollen. Es ist möglich, daß diese Absicht von seiner Seite in aller Unbefangenheit gehegt wurde; gewiß ist, daß sie nicht von allen Seiten mit gleicher Unbefangenheit aufgenommen wurde. Wir unsererseits möchten uns hierbei für die erstere Annahme entscheiden, denn es liegt in dem Gesicht des Königs etwas Hastiges, Unruhiges, das den Schluß auf ein Gefallen am Außergewöhnlichen sehr wohl rechtfertigt.

Es ist sehr schwer, ein richtiges Bild von der äußeren Erscheinung des Königs Max mit der Feder allein zu zeichnen, denn der ganze Eindruck des Mannes ist ein ungewöhnlicher, ohne daß man sich mit dem bloßen Auge Rechenschaft davon zu geben vermag, worin eigentlich der Schlüssel für die einheitliche Auffassung dieser Physiognomie zu suchen ist. Die schlanke, ziemlich große, obwohl, nach der Haltung zu schließen, nicht allzu kräftige Gestalt tritt an Interesse ganz zurück vor dem charakteristischen Ausdruck des Gesichtes. In dem an sich fein geschnittenen Gesicht aber treten hauptsächlich drei Momente bestimmter hervor: eine breite und ziemlich hohe Stirn, deren Bau auf eine lebhafte Thätigkeit der Phantasie schließen läßt, ein Paar tief liegende, anscheinend dunkle Augen, deren scharfer Blick unter den starken schwarzen Augenbrauen die Gegenstände rasch überfliegt, und drittens ein vielleicht nur in nervöser Angegriffenheit beruhender Zug von unruhiger Beweglichkeit um die fest geschlossenen Lippen und die wenig vollen Wangen. Ein dünner, dunkler Schnurr- und Backenbart hebt sodann auf dem blassen Teint das Eigenthümliche des ganzen Gesichtsausdrucks nur noch stärker hervor. Man ist, wie schon gesagt, auch wenn man sich alle einzelnen Züge dieser ungewöhnlichen Physiognomie ganz genau vergegenwärtigt und sie prüfend überblickt, doch vollständig außer Stande hiernach ein Urtheil über das Gemüths- und Seelenleben des Königs abzugeben. Wenn man nach dem Urtheil des baierischen Volkes geht – und das sollte doch wohl eigentlich das entscheidende sein – so ist freilich die Antwort auf die Frage nach dem Charakter des Königs bald gegeben. Es sind nicht viele Fürsten in Deutschland, die sich einer gleich ungeheuchelten Popularität bei ihren Unterthanen erfreuen. „Der gute Könige Max“ sagt man in Baiern und hat vom baierischen Standpunkt aus gewiß ein Recht dazu. Im übrigen Deutschland freilich giebt es Leute, die von ihrem deutschen Standpunkt aus mit der Politik von König Max weniger einverstanden sind. Die Zukunft wird es lehren, ob ihre Klagen gerechtfertigt waren, denn erst mit dem Ausgang der jetzigen Zollvereinskrisis wird sich das Urtheil über die deutsche Politik des Königs von Baiern feststellen lassen.

Nicht ohne ein gewisses besonderes Interesse sah man in Frankfurt der Ankunft der beiden Großherzoge von Mecklenburg entgegen. Mecklenburg, das Land der Urjunker und lutherischen Normalpfaffen, das gelobte Land der Auswanderungsagenten, das Land, in dem das vierte Kind unehelich geboren wird, dies Conglomerat von rechtlosen Unterthanen und Privilegien, diese mittelalterliche Staatsruine – wie wohl der Fürst eines solchen Landes aussehen mag, fragte man sich in den Frankfurter Volkskreisen. Das Volk, dessen Phantasie sich nach den Nachrichten von den Abschlachtungen der Bauern, von der brüllenden Ritterschaft des Landtags, von dem Rostocker Hochverrathsproceß – der schamlosesten That der Reaction – ein ganz ungeheuerliches Bild von dem Lande Mecklenburg zusammengewoben hatte, war in seiner Naivetät natürlich nicht abgeneigt, sich nun auch unter der Persönlichkeit der Fürsten dieses Landes etwas Fremdartiges, noch nicht Dagewesenes vorzustellen, und schien einigermaßen verwundert, als es dem fast erblindeten Großherzog von Strelitz gegenüber nur Mitleid haben konnte und im Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin einen blonden, blühenden Mann mit einem frischen, schönen, wohlwollenden Gesicht vor sich sah. Auf ein prächtiges Pferdegespann hatte man sich wohl gespitzt und war bei aller Anerkennung von dessen Vorzüglichkeit nicht weiter davon überrascht; aber einen so normalen Menschen hatte man sich unter dem Großherzog Friedrich Franz durchaus nicht vorgestellt. Es liegt allerdings etwas sehr Bezeichnendes in diesem Contrast zwischen der Persönlichkeit des Großherzogs und der Vorstellung, die man sich in den Volkskreisen von ihm gebildet hatte. Diesem kräftigen Mann mit seiner gedrungenen, muskulösen Gestalt, mit den blauen sanften Augen, der fein gebogenen edlen Nase, dem schön geformten Schädel, dessen vollständige Kahlheit indeß eben wegen seiner schönen Form und der ungeschwächten Gesundheit des Körpers im Uebrigen keineswegs unangenehm berührt – diesem Manne hätte man wohl die Lösung der Aufgabe zutrauen sollen, aus seinem Lande einen wirklichen Staat, aus einer föderativen Ritterrepublik ein staatsbürgerliches Gemeinwesen zu bilden. Sieht man freilich etwas schärfer in das Gesicht, so entdeckt man nicht unschwer den Ausdruck stark ausgebildeter Gutmüthigkeit, welcher es erklärlich macht, wie Junker und Pfaffen ihn schließlich dennoch vermögen konnten, sein in aller Form Rechtens publicirtes und feierlich beschworenes Verfassungswerk schon nach wenigen Monaten dem Bundes-Schiedsgericht von Freienwalde wieder preiszugeben. Die Schuld, die der Bundestag in Mecklenburg aufgehäuft, wird nicht weniger gesühnt werden wie in Kurhessen. Möge der Großherzog der Sühne dieser Schuld dieselbe Bereitwilligkeit entgegen tragen, wie er sie bewiesen, als es sich vor 13 Jahren darum handelte, sein eigenes Werk, das Denkmal seines Ruhmes, zu vernichten.

Mit vieler Theilnahme wurde König Georg von Hannover betrachtet. Seine hohe majestätische Gestalt und das schöne volle Gesicht imponirten der Menge gewaltig und verstärkten nur den Ausdruck des Mitgefühls sowohl mit dem König, der außer der schweren Last seiner Krone auch noch die Last der Blindheit trägt, als mit dem Volke, das einen blinden König sein ohnehin so schwieriges Amt bekleiden sehen muß. Es mag mit an dem bekannten Bestreben des Königs liegen, seine Blindheit zu verbergen, wenn er seinen Kopf so stark nach aufwärts gerichtet trägt und dadurch sein Gesicht in der Regel den Ausdruck eines ungewöhnlichen Stolzes annimmt. Die übrigen Züge des Gesichtes verrathen wenigstens nicht, daß der hierdurch hervorgebrachte etwas strenge Ausdruck in der Persönlichkeit des Königs an und für sich begründet wäre. Die persönliche Anschauung keines andern Fürsten vermittelt übrigens so sehr das Verständniß seiner Handlungsweise, wie gerade die des Königs von Hannover. Man begreift das Bestreben, das sich in dem einen Wort „Welfenreich“ hinlänglich angedeutet findet, man begreift die bekannte Strafe gegen die Stadt Emden, man begreift endlich sogar den Umsturz der hannoverschen Verfassung und das Regiment, das Graf Borries vollführen konnte, wenn man einmal in diese starr in’s Weite schauenden Augen gesehen. Der Köllig blickt ja nur in das Leere, Schrankenlose, vor seinem Blick kann sich allerdings das Land Hannover zum „Welfenreich“ erweitern, vor seinem Blick können allerdings die Schranken verschwinden, welche die Rechte Anderer vor ihm hergezogen, und in diesem Conflict zwischen der Vorstellung von seinen königlichen Pflichten und der mangelnden Anschauung von den concreten Verhältnissen des Lebens liegt, wie wir glauben, die einfache Erklärung seiner Regierungsweise und – die Tragik seines Lebens.

König Johann von Sachsen, dem deutschen Volk schon durch seine Uebersetzung des Dante als Gelehrter und als einer der begabtesten deutschen Fürsten bekannt, hat sich nur selten in der Oeffentlichkeit gezeigt. Es entsprach dies auch ganz der Vorstellung, die sich nach den in’s Publicum dringenden Gerüchten über seine vorzugsweise vermittelnde Thätigkeit bei dem Congreß gebildet hatte. Charakteristisch war es sodann, daß er als der erste Fürst, im schlichten Civilrock, den zoologischen Garten besuchte und sich hier mit vieler Aufmerksamkeit und Ausdauer die einzelnen Thiere und deren Naturgeschichte erklären ließ. Das Aeußere des Königs wich nur wenig davon ab, wie man sich ihn nach den bekannten Bildern vorgestellt hatte. Man wußte, daß der König – vielleicht als der einzige deutsche Fürst – seinen Bart glatt rasiren läßt, man wußte, daß er es liebt, in bequemer Civilkeidung zu gehen, man wußte, daß er sich bereits in vorgerücktem Lebensalter befindet. Die festen klugen Züge, das etwas vortretende Kinn, die kleinen, grauen, ruhigen Augen entsprachen auch im Uebrigen der Vorstellung, die man sich von dem vielseitig gebildeten, geistig thätigen alten Herrn gemacht hatte.

„Das gilt dem Coburger, daß Ihr’s wißt!“ rief bei der Auffahrt zum Römerbanket ein vor uns stehender Arbeiter, nachdem er in das Hoch auf den eben vorbeigefahrenen Herzog Ernst von Coburg kräftig eingestimmt hatte. Es lag etwas gar Zutrauliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_663.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)