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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der Welt, Amerika, das Land des Onkel Sam, so wenig romantisch, daß es nicht einmal je ein Mittelalter gehabt. Trotzdem wußte der unbekannte Eindringling in die deutsche Literatur dieses trostlos nüchterne Land mit seinen ganz realistischen Schilderungen in ein so reizendes glänzendes Sonnenlicht zu stellen, daß seine Leser, hingerissen, Blatt für Blatt und Capitel für Capitel verschlangen. „Der Legitime und die Republikaner“, die „Transatlantischen Reiseskizzen“, „der Virey“ hatten bald einen großen literarischen Ruf begründet. Aber lange wußte in Deutschland Niemand, wer der Träger dieses Rufes sei. Das lesende Publicum war um einen „großen Unbekannten“ reicher geworden.

Vor ein paar Jahren siedelte sich am Fuße des Jura, in einem bescheidenen Landhause in der Nähe von Solothurn in der Schweiz ein ältlicher Herr an. Der Fremde sprach sehr correct Deutsch, Englisch wie seine Muttersprache, auch Französisch und Spanisch, vielleicht noch andere Sprachen. Aus der militärischen Haltung, dem grauen Schnurrbart, der sich über den Backenknochen in einen buschigen Backenbart verlief, hätte man auf einen pensionirten Officier schließen können, etwa auf einen englischen Obersten, der seine Carriere in Indien gemacht; aber die goldene Brille verlieh wieder der äußern Erscheinung ein Ansehen, welches auf gelehrte Beschäftigungen deutete, die gewöhnlich nicht zur Liebhaberei alter Soldaten gehören. Der alte Herr war Charles Sealsfield, längst nicht mehr ein „großer Unbekannter“ in der Literatenrepublik, sondern der vielgenannte, berühmte Schriftsteller, der sich eine eigene Bahn gebrochen, der deutschen Literatur ein neues Gebiet erobert hatte.

Der Name „Sealsfield“ fehlt in keiner Literaturgeschichte. In allen encyklopädischen Werken finden sich biographische Notizen über diesen deutsch-amerikanischen Schriftsteller. Und dennoch schwebte stets und schwebt noch heute eine gewisse geheimnißvolle Dämmerung um der Wiege, der Jugend, dem Leben des alten Herrn mit dem durchfurchten Gesicht, dem grauen Backenbart und der goldenen Brille, welche erst später, wenn grünes Moos auf seinem Hügel wächst, – vielleicht auch dann noch nicht – sich aufhellen wird.

Sealsfield sei in Deutschland geboren. Wo, wann er das Licht der Welt, erblickte, ist bis jetzt nicht bekannt. Er soll seine Erziehung in Deutschland erhalten, auf deutschen Universitäten studirt haben, dann – noch sehr jung – nach den Vereinigten Staaten ausgewandert sein, wo er sich als amerikanischer Bürger naturalisiren ließ. Der Verfasser dieser Zeilen hat Gründe, diese Angaben der Biographen Sealsfield’s für richtig zu halten. Die erste literarische Arbeit unseres Schriftstellers sei ein Buch über Amerika, in deutscher Sprache um’s Jahr 1826 in Deutschland erschienen, es ging ziemlich spurlos über die Bühne. Das erste sichere Datum finden wir am Schluß der Einleitung zum Roman „der Virey“, in welcher man einen Auszug aus dem Tagebuch des Verfassers während eines Besuchs in Mexico im Jahre 1828 erkennen will.

Von Mexico scheint sich Sealsfield nach Neu-Orleans und den Südstaaten der Union gewendet zu haben. Er war damals jung, keck, frisch; die Welt stand vor ihm offen und er bereit, sich ein Stück davon zu erobern. Er wurde Landeigenthümer in Louisiana und gedachte eine Plantage zu gründen und Baumwollenpflanzer zu werden. Mit dem Rest seines baaren Vermögens, einigen tausend Dollars in Wechseln, fuhr der angehende Pflanzer den Mississippi hinunter, um in Neu-Orleans sich mit den nöthigen Arbeitskräften zu seinem neuen Geschäfte zu versehen, d. h. ein paar Sclaven zu kaufen; einige fernere Nigger gedachte er auf Credit zu erwerben und mit dem Ertrag seiner nächsten Ernte zu bezahlen. In der Metropole des Südens angelangt, ist sein erster Gang zum Banquier, auf welchen seine Wechsel lauten. Herzlicher Empfang, Einladung zu einer glänzenden Abendgesellschaft. Am zweiten Tag wiederum Besuch beim Banquier, der ihn womöglich noch wohlwollender empfängt und zum Mittagstisch einladet. Am dritten Tage sollen endlich die Geschäfte abgemacht werden. Aber am frühen Morgen hat sich der gastfreundliche Banquier bankerott erklärt, und dem Pflanzer in spe bleibt kaum so viel, damit nach seiner Farm zurückzukehren, wo er nun seinen Mais eigenhändig bauen kann, wenn er nicht lieber hungern will.[1]

Das war ein verhängnisvoller Wendepunkt in seinem Leben. Dem jungen Mann, welcher schon früher in Amerika als Schriftsteller debütirt hatte, wurden Anträge gemacht, in die Redaction eines großen politischen Blattes in New-York einzutreten. Nach dem Schlag, der ihn betroffen, blieb ihm keine andere Wahl als die angebotene Stellung anzunehmen. Er gab seine Farm einem Nachbar in Pacht und reiste nach Norden, nach der großen Stadt am Hudson, um dort Zeitungsschreiber zu werden. So kam es, daß Sealsfield statt eines behäbigen Pflanzers und Sclavenhalters ein Mann der Feder wurde, zuerst Publicist, dann einer der beliebtesten Romanschreiber; daß er, statt sich im Schatten der Sykomoren und Magnolien ein Haus zu bauen, eine schöne Creolin zur Frau zu nehmen und eine Familie zu gründen, heimathlos, als Junggeselle, gleich einem rollenden Stein während eines langen Lebens ohne bleibende Stätte blieb, bis er endlich als bejahrter Mann am Fuße des Jura einen stillen Hafen fand, darin Anker zu werfen.

Es war ein in französischer Sprache geschriebenes Blatt, „le courrier des Etats-unis“, an dessen Redaction Sealsfield nun Theil nahm, dasselbe Journal, welches später – nach der Julirevolution von 1830 – von Joseph Bonaparte erworben wurde, um in napoleonischem Interesse zu wirken. Als der mißglückte Pflanzer seine publicistische Laufbahn begann, handelte es sich gerade um die Präsidentenwahl, eine stürmische Epoche für die amerikanischen Zeitungsschreiber. Nach Monaten der Aufregung, angestrengter, aufreibender Arbeit und unablässigen Federkampfes fand sich Sealsfield’s Gesundheit so angegriffen, daß seine Aerzte ihm dringend eine Erholungsreise nach Europa empfahlen. Er trat aus der Redaction, ohne jedoch die Publicistik ganz aufzugeben. Seinen Aufenthalt abwechselnd in London und Paris nehmend, ward er Correspondent verschiedener amerikanischer und englischer Journale und knüpfte Beziehungen mit vielen politischen Notabililäten jener Zeit an.

Im Jahre 1832 übersiedelte Sealsfield nach der Schweiz. Jetzt begann für ihn eine Epoche ruhigerer schriftstellerischer Tätigkeit, welche seinen literarischen Ruhm begründete. – Schon im nachfolgenden Jahre (1833) erschien in Zürich der dreibändige Roman „Der Legitime und die Republikaner“, nach einer früher in englischer Sprache geschriebenen und in Amerika veröffentlichten Erzählung „Tokeah“ bearbeitet. Dieser erste seiner Romane bewegt sich noch einigermaßen im Fahrwasser Cooper’s und hat den Verzweiflungskampf eines indianischen Häuptlings gegen die weißen Eindringlinge zum Gegenstand. Seine ureigene, noch nicht dagewesene Weise, sein ganz eigenthümlicher Styl und seine lebendige Darstellungsgabe zeigten sich im vollsten Lichte in den „Transatlantischen Reiseskizzen“, welche ebenfalls 1833 ausgegeben wurden. Die Eindrücke, die er so meisterhaft in den Kreuz- und Querzügen Mr. Howard’s, in den Schilderungen der Mississippifahrten und der Gastlichkeit der Pflanzer des Südens wiedergiebt, mag er wohl in jener Zeit empfangen haben, als er seinen Grundbesitz in Louisiana erwarb und selber Plantagenbesitzer und Sclavenhalter zu werden gedachte. Der Verdacht wird in uns rege, daß kein Anderer als er selber der von den Pflanzern so gastlich bewirthete Mr. Howard ist.

Dieses Buch hatte einen außergewöhnlichen Erfolg, der vielleicht durch die Anonymität noch erhöht wurde. Die Leserwelt zerbrach sich den Kopf, ob der Verfasser ein Engländer, ein Amerikaner, ein Deutscher sei, ob das Buch ursprünglich deutsch geschrieben oder übersetzt worden, woher es komme, daß es in der Schweiz, in Zürich, erschienen, ob der Verfasser in der alten oder der neuen Welt seine Penaten habe? – Die Verlagshandlung hielt das Geheimnis getreulich bewahrt. – Schon im Jahre 1835 folgte der dreibändige Roman: „der Virey und die Aristokraten“ oder „Mexico im Jahr 1812“. Diese Erzählung verdankt ihre Entstehung der Reise des Verfassers in jenem Lande, deren wir bereits erwähnten. Er läßt im „Vorwort“ den Herausgeber sagen: „Die meisten Skizzen wurden im Lande selbst entworfen, so wie die Charaktere meistens nach der Natur gezeichnet sind … Der Roman schildert die ersten revolutionären Zuckungen des ebenso schönen als unglücklichen Landes, die ersten Versuche, das dreihundertjährige spanische Joch vom Nacken zu schütteln. Dieses Werk Sealsfield’s ist dasjenige, welchem die meiste künstlerische Abrundung, die consequenteste Durchführung des Grundgedankens und die größte Sorgfalt in der Composition zuzuschreiben ist. Manche halten es für die beste seiner Arbeiten. — Nicht später als in den zwei folgenden Jahren erschienen, als Fortsetzung der „transatlantischen


  1. Nach Sealsfield’s mündlichen Mittheilungen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_054.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)