Seite:Die Gartenlaube (1864) 184.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Liebe zeigte, die ihre Hoffnung und ihre Rettung ist – ein Werk des Zweifels, nicht der Verzweiflung, voll von sarkastischem Lächeln, aber nicht ohne hier und da eine tröstende Thräne – ein Spiegelbild der Gesellschaft, wie sie ist, aber gesehen mit dem Auge des Dichters und nachgezeichnet von der Hand des Künstlers – es wurde „der Jahrmarkt des Lebens“. Schon nach den ersten drei oder vier Lieferungen war der Erfolg entschieden. Als Thackeray am Morgen nach der Ausgabe der letzten erwachte, war er ein berühmter Mann. Fortan, wenn man von den Heroen der englischen Romanliteratur sprach, nannte man Dickens und Thackeray zusammen.

Das Verhältniß dieser beiden Männer hat etwas Rührendes. Thackeray hörte niemals auf, den Dichter zu bewundern, den die Sonne des Glücks und der öffentlichen Meinung hell umstrahlte, als er selber noch lange im Schatten wandeln mußte. Nichts von Neid, von Eifersucht mischte sich in dieses reine Gefühl, Später, als auch er den Preis seiner Arbeit endlich gewonnen hatte, in einer jener Vorlesungen, die einem Triumphzug durch England und Amerika glichen, beschreibt er einmal eine seiner Töchter, wie sie mit kindlicher Offenheit ausruft: „Papa, ich habe die Bücher von Herrn Dickens viel lieber, als die Deinigen!“ Die beiden Männer wurden erst Rivalen und dann Freunde. In den köstlichen, unbeschreiblich schönen Zeilen, welche Dickens dem Andenken des geschiedenen „Cameraden und Waffenbruders“ widmet, erzählt er, wie Thackeray zwei- oder dreimal plötzlich zu ihm gekommen sei, um ihm zu sagen, daß er gestern über irgend eine Stelle in einem von Dickens’ Büchern habe weinen müssen, und daß er zum Mittagsessen gekommen sei, „weil er sich nicht helfen könne,“ und diese Stelle mit ihm durchsprechen müsse. „Niemand,“ sagt Dickens, „kann ihn jemals inniger, natürlicher, herzlicher, frischer und anregender gesehen haben, als ich ihn bei jenen Gelegenheiten sah. Niemand kann überzeugter sein als ich von der Größe und der Güte des Herzens, das sich mir damals erschloß.“ – Dickens erzählt in demselben Erinnerungsblatt, daß Thackeray die Kinder so lieb gehabt und so reizend mit ihnen umzugehen wußte. Thackeray habe ihn einst gefragt, ob es ihm auch so gehe, daß er niemals einen Knaben sehen könne, ohne sogleich das Bedürfniß zu fühlen, ihm ein Geldstück zu schenken, „Daran dachte ich,“ schreibt Dickens, „als ich in sein Grab niederblickte, nachdem er hineingelegt worden; denn ich blickte nieder in das Grab über die Schulter eines Knaben, welchem er einst Wohlthaten erwiesen.“

Aber auch für seine Freunde, für Alle, die er je gekannt und geliebt, behielt er stets ein warmes Herz; er verleugnete keinen Derjenigen, mit denen er einst im Frühling des Lebens geschwärmt, nachdem sich für ihn die Träume desselben erfüllt hatten. So oft er nach Paris kam, erkundigte er sich nach Denen, die unbekannt geblieben oder vergessen waren. Reichthum und Ruhm setzten ihn in den Stand, das kaiserliche Paris auch in kaiserlichem Styl zu besuchen. Er bewohnte ein prachtvolles Hotel auf der Place Vendôme. Doch war es seine größte Freude, die allen Schauplätze seiner Jugend, seiner Entbehrungen, seiner Kämpfe wiederzusehen, Er durchstreifte das Quartier Latin, und der dürftige Künstler, der bedrängte Schriftsteller, dem er begegnete, durfte seiner hülfreichen Hand sicher sein. Eines Morgens kam ein Freund zu ihm, als er eben damit beschäftigt war, einige Goldstücke in eine Pillenschachtel zu legen, auf deren Deckel geschrieben war: „Nach Bedürfniß zu nehmen“. – „Was machen Sie da?“ fragte der Freund. „O!“ erwiderte Thackeray, „hier ist eine alte Person, welche sagt, sie sei krank und elend, und ich habe starken Verdacht, daß es diese Sorte von Medicin ist, deren sie bedarf, Dr. Thackeray beabsichtigt, es ihr selber zu bringen. Kommen Sie, gehen wir zusammen.“ – Thackeray pflegte zu sagen, daß er nach Paris reise, um sich Ferien zu machen und seine Erinnerungen an die französische Küche wieder aufzufrischen. Aber er arbeitete hier gewöhnlich sehr fleißig, besonders seit der Zeit, wo er das „Cornhill Magazine“ herausgab.

Die Gründung des „Cornhill Magazine“ war der größte Erfolg Thackeray’s in seinen letzten Lebensjahren. Die erste Nummer dieser Monatsschrift erschien im December 1859. Für den geringen Preis von etwa acht oder neun Silbergroschen unseres Geldes sollte dies neue Unternehmen seinen Abonnenten monatlich ein starkes Heft von 128 Seiten der besten Romane, Novellen, Abhandlungen, Gedichte etc. mit großen Illustrationen der ersten Künstler Englands bringen. Der Erfolg war so ungeheuer, daß der Verleger dem „poeta laureatus“ Alfred Tennyson die dem Magazin gelieferten Gedichte mir sieben Thaler pro Zeile honoriren und der Verfasserin von „Adam Bede“ 20,000 Thaler für einen neuen dreibändigen Roman anbieten konnte! Doch schon zu Anfang des zweiten Jahres zog sich Thackeray von der Redaction zurück. Namentlich die Damen waren es, die „Blaustrümpfe“, welche ihm mit ihren Gedichten und Zuschriften das Leben zur Qual machten. „Sie haben mir Dornen in mein Kissen gestopft!“ rief er schon nach den ersten sechs Monaten aus. Sie kannten sein gutes Herz und hörten nicht auf, dasselbe zu attaquiren. Er kam fortwährend in Conflicte zwischen der ihm angeborenen Galanterie und seinen strengen Pflichten als Herausgeber des größten und weitverbreitetsten Magazins in England. „Ich kann zu keinem Diner mehr gehen,“ klagte er, „ohne von schönen Lippen interpellirt und von schönen Augen durchbohrt zu werden.“ Endlich kündigte er im Aprilheft 1862 seinen Entschluß an, die Ruhe seiner Seele dadurch wiederzugewinnen, daß er die Redaction niederlege. „Ich glaube,“ sagt er in dieser Ankündigung, „meine eigenen Leser werden mit mir darin übereinstimmen, daß meine Bücher nicht leiden werden, wenn ihr Verfasser von der täglichen Last befreit ist, die Werke Anderer zu lesen, anzunehmen, abzulehnen, zu verlieren und wiederzusuchen. Nein zu sagen, hat mir oft den Frieden eines Morgens und die Arbeit eines Tages gekostet. Ich bin nicht mehr verantwortlich für abgewiesene Beiträge. Ich habe den Redactionssessel und den großen zinnernen Manuscriptkasten des Cornhill Magazine’s zurückgeschickt.“ – Dennoch hörte er nicht auf, fast für jedes Heft irgend einen Beitrag zu schreiben, und im December 1863 brachte das Magazin die Anzeige, der neue Roman Thackeray’s sei so weit vorgeschritten, daß schon im Januar die ersten Capitel desselben veröffentlicht werden könnten. Ganz London sprach von dem neuen Romane, von dem es hieß, daß er ein Seitenstück zu seinem berühmten „Henry Esmond“ werden würde. Man erfuhr, daß der Stoff aus der Zeit der ersten George genommen und die bereits geschriebenen Capitel in Thackeray’s bestem Style seien. – Ein paar Tage vor Weihnachten hatte er seinen Freunden im Athenäum Club noch ein Blatt davon gezeigt und ihnen lachend erzählt, er habe es im Britischen Museum, wo er seine Studien zu dem Werke machte, liegen lassen, er sei schon ganz verzweifelt gewesen, er habe sein ganzes Haus durchsucht – da sei es ihm heut Morgen unter Couvert durch die Post wieder zugegangen. In der That hatte Thackeray’s Handschrift einen Charakter der Zierlichkeit und Eleganz, der Jedem, der sie einmal gesehen, unvergeßlich bleiben und wohl auch die Beamten des Britischen Museums auf die richtige Spur geführt haben mußte.

Zwei Tage später, am Morgen des 24. December, um neun Uhr, trat sein alter Diener, Charles Sargent, in sein Schlafzimmer. Sein Herr rührte sich nicht, und Sargent wollte ihn nicht stören. Er brachte eine Tasse Kaffee und setzte sie auf einem Tische vor dem Bette nieder. Nach einer Stunde kam er wieder. Der Kaffee war nicht berührt worden. Nun trat er näher. Sein Herr lag, friedlich schlummernd, auf dem Rücken, die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, wie er zu thun pflegte, wenn er von einer sehr anstrengenden Arbeit müde war. Aber er athmete nicht mehr. Er sollte von diesem Schlummer nicht mehr erwachen. Er war todt. Ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht. – Auf seinem Arbeitstische fand man ein Blatt Papier, halb beschrieben. Es war sein Roman, an dem er noch in der Nacht gearbeitet hatte. Die letzten Worte auf diesem Blatte waren: „Und mein Herz klopfte in einer wunderbaren Seligkeit“ (And my heart throbbed with an exquisite bliss). –

Mir diesen Worten auf den Lippen ging er aus der Welt. Er stand erst in seinem 53. Jahre. „Die Mutter, welche ihn in seinen ersten Schlaf gesegnet hatte, segnete ihn in seinen letzten.“ Zwei Töchter – von denen die eine schon einen frühzeitigen Ruf erworben als die Verfasserin des Romanes: „Die Geschichte Elisabeths“ – standen an seiner Leiche. Mit dem Staub eines dritten Kindes, welches ihm im Tode vorangegangen, sollte sich sein Staub mischen. Am Tage nach Weihnachten wurde Thackeray nach dem schönen grünumbuschten Kirchhofe von Kensal Green gefahren. Fünfzehnhundert Menschen, darunter alle literarischen, artistischen und gelehrten Berühmtheiten Londons, folgten seinem Sarge. Dickens warf schluchzend die ersten Schaufeln Erde darauf, und der Nachruhm bezeichnet die Stätte, wo der liebenswürdige Dichter ausruht von dem „Jahrmarkt des Lebens“, für alle Zeiten!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_184.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)