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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

(wie: unangenehme Empfindung von Druck und Völle in der Oberbauchgegend, besonders nach dem Essen; Appetitsstörung und unregelmäßiger Stuhlgang, Blähungs- und Hämorrhoidalbeschwerden) in den allermeisten Fällen eine krankhafte Ueberfüllung der Adern mit dunkelrothem Blut. Das ist der Zustand, den der Arzt „Unterleibsanschoppung, Abdominalplethora, Pfortaderstockungen, Hämorrhoidalleiden“ nennt und durch Purganzen, Blutegel an dem After, Schwefel mit Cremor tartari, abführenden Mineralwässern (Carlsbad, Kissingen) und dergl. zu heben sucht, während Verf., der diese Art von Cur haßt, eine Unterleibsdiätetik empfiehlt (Gartenl. 1860, Nr. 21), welche das Uebel an der Wurzel angreift und den trägen Lauf des Pfortader-Blutes durch die Leber fördert. Aber freilich diese Unterleibsdiät, zu welcher auch die gehörige Bewegung und eine zweckmäßige Athmung gehören, ist dem Geschäftsmanne nicht bequem, und es erlaubt deshalb auch sein Geschäft nicht, die nöthige Zeit darauf zu verwenden. Darum wird er aber auch später bei wachsender Unterleibsverstocktheit ein grämlicher, launenhafter, ärgerlicher, mißmutiger, hypochondrischer Philister, den schließlich nichts mehr interessirt als sein liebes nervöses Ich mit Hämorrhoiden und sein Geschäft.

Der vielsitzende Geschäftsmann wird bisweilen rechts unten im Bauche von einem Drucke oder wohl auch von heftigern Schmerzen heimgesucht, die ihren Grund in einer Anhäufung von Koth im Blinddarme haben. Diesem Zustande, der sich mitunter zu einer gefährlichen Blinddarmentzündung steigert, ist am besten mit öfteren Klystieren von warmem Wasser entgegen zu treten. Da aber in dieser Bauchgegend manch andere Leiden vorkommen, die von Bedeutung und richtig zu würdigen sind (Gartenl. 1863, Nr. 29) so ist eine genaue Untersuchung derselben von Seiten des Arztes ganz unentbehrlich.

Was die sogenannten Hämorrhoidal-Blutungen bei Geschäftsleuten betrifft, so sind diese, zumal wenn dabei viel Blut verloren wird, gar keine hämorrhoidalen, sondern stammen aus der entarteten Mastdarmschleimhaut und verlangen eine örtliche Behandlung (gewöhnlich mit Höllenstein). Einem Arzte, der bei solchen Blutungen nicht den Mastdarm untersucht (was übrigens gleich nach dem Stuhlgange geschehen muß), dem entziehe der Patient sofort sein Vertrauen. Ein Patient aber, der sich gegen eine solche Untersuchung und örtliche Behandlung wehrt, ist ein subtiler Selbstmörder.

Von einer vernünftigen Behandlung ihrer gesunden und kranken Lungen ist bei Geschäftsleuten gar keine Rede. Erst wenn die Lunge zum größten Theile ruinirt ist, erst dann wird’s dem abgezehrten und matten Herrn Geschäftsmann klar, daß nun etwas Ernstliches geschehen müsse. Aber nur ja nicht einen Respirator tragen, lieber „wohin gehen“. Und während die Herren Doctoren zu Dritt oder Viert berathschlagen, wohin der fiebernde Kranke fahren soll, fährt er in’s Jenseits. – Dieses in ein anderes Klima Schicken von Brustkranken gehört in den meisten Fällen auch zum heilkünstlerischen Schlendrian und ist gewöhnlich nicht nur nicht heilbringend, sondern sogar gefährlich und im höchsten Grade inhuman, weil dadurch der der größten körperlichen und gemüthlichen Ruhe bedürftige Kranke aus seinen dieser Ruhe förderlichen Verhältnissen herausgerissen wird. Ein Brustkranker, wenn er fiebert, darf gar nicht an eine Reise denken, sondern bleibe hübsch ruhig zu Hause, wo ihm ja auch eine gute, reine, warme Luft bereitet werden kann. Hat aber der Krankheitsproceß in seiner Lunge einen Stillstand gemacht, so wird ihm eine Reise in ein südliches Klima auch nur dann nützen, sobald er sich dort längere Zeit und bei der größten Gemüthsruhe (besonders ohne Heimweh) aufhalten kann. Uebrigens ist’s für einen Brustkranken mit dem Klimawechsel allein noch lange nicht abgethan, er muß auch im Süden, trotz der heilsamen Luft, noch alle die Schädlichkeiten ängstlich meiden, welche eine Rückkehr (Nachschub) des Brustleidens veranlassen können, wie Staub, Rauch, reizende Gasarten, Aufregungen aller Art und Erkältungen.

Die Regeln, welche ein Brustkranker, wenn er trotz seiner kranken Lunge (denn vollständig gesund wird diese niemals wieder) ein höheres Alter erreichen und auch ziemlich beschwerdelos leben will, genau zu beobachten hat, finden sich in Gartenl. 1859 Nr. 49, und 1855 Nr. 15; über den enormen Werth des Respirators bei Lungenleiden handelt ein Aufsatz in der Gartenl. 1855 Nr. 8. – Weil nun eine in ihrer Spitze (tuberculös) erkrankte Lunge niemals wieder, auch nicht durch salzige Mineralwässer und südliches Klima, ihre frühere, normale Beschaffenheit erlangen kann, darum muß ein Brustkranker die von diesen Lungenspitzen-Entartungen abhängigen Beschwerden, wie Husten, Auswurf und zeitweilige Kurzathmigkeit, ertragen lernen und nicht durch fortwährendes Mediciniren wegcuriren wollen. Eine solche Entartung kann ja gar nicht viel schaden und sollte den Kranken nur veranlassen, ein weiteres Krankwerden seiner Lunge durch richtiges Verhalten zu verhüten.

Der Geschäftsmann mit noch gesunder oder etwas angegriffener, aber das Wohlbefinden nicht störender Lunge, der hat natürlich seines Geschäftes wegen keine Zeit, ebensowenig etwas zur Erhaltung und Kräftigung seines Athmungsapparates, wie überhaupt seines Körpers zu thun; der muß, wenn er sich wirklich einmal sein Geschäft aus dem Kopfe schlägt und Zeit zur Erholung nimmt, in seiner geschäftsfreien Zeit reisen, jagen, schmaußen, spielen, bauen, politisiren u. s. f. und zwar unter Umständen, die auch die gesündeste Lunge krank zu machen im Stande sind, wie rauhe, kalte Luft, Staub, Rauch, schneller Wechsel zwischen warmer und kalter Luft, reizende und überhaupt schädliche Gasarten u. s. w. Auch sind leider Gottes die meisten Geschäftsleute so kindisch und schämen sich, ihren Lungen, selbst wenn dieselben früher schon einmal krankten, und sogar bei offenbarer Gefahr, Schutz angedeihen zu lassen, weil’s auffällt. Mit dem Respirator z. B., der ja doch Lungenleiden verhüten soll und auch kann, kommt der Arzt in der Regel nur bei Lungenschwindsüchtigen an, die schon mit einem Beine im Grabe stehen, und auch die wehren sich noch gegen diesen bravsten aller Beschützer der Lungen. In „Für Nichtraucher“ muß der hustende Geschäftsmann auf der Eisenbahn fahren; staubige und rauchige Luft und Localitäten muß er meiden; von Strapazen aller Art halte er sich fern; bei Festessen trinke er sich nicht fest und gerire sich überhaupt nicht als Gesundheitsrenommist.

Das Geschäftslocal, das in der Regel mit dem Geschäfte und Geschäftsmanne verwachsen ist, kann vielleicht manchmal das Geschäft in die Höhe, den Geschäftsmann aber gar nicht selten herunterbringen. Denn abgesehen von der hier häufig herrschenden, das Gemüth verdüsternden Dunkelheit (denn Licht ist Leben), so sind auch viele Locale so feucht und kalt, daß ebenso (besonders im heißen Sommer) die schnelle Abkühlung der erhitzten Haut hitzige (acute) Erkältungskrankheiten, wie die andauernde Einwirkung der feuchten Kälte auf die transpirirende Haut langwierige (chronische) sogen. rheumatische Uebel erzeugen kann. Die Regulirung der Luft- und Temperaturverhältnisse in den Localen, von welchen doch zum großen Theile das Wohlbefinden der Herren Principale und ihrer Mitarbeiter mit abhängig ist, wird gewöhnlich den Herren Markthelfern überlassen, und die haben so ihre eigenen Ideen über gute Luft und Wärme. Ja, wenn’s die Waaren betrifft, für die muß eine zweckmäßige Lagerstätte beschafft werden, die geschäftigen Menschen mögen aber den größten Theil ihres Lebens in menschenfeindlichen Aufenthaltsorten verkümmern. Auch für seine Pferde und Hunde trägt in der Regel ein Geschäftsmann weit mehr Sorge, als für sich und seine Leute.

Wie sich der Geschäftsmann in seinem Geschäfte beim Arbeiten verhält, ist gar nicht selten von Einfluß auf sein Befinden oder doch auf sein Empfinden. Der im Stehen Arbeitende fühlt mitunter seine Beine ermatten und meint dann, an Rückenmarksschwäche zu leiden. Sitzt einer auf hartem Sessel mit scharfer Kante, so passirt’s wohl, daß der fortwährende, wenn auch nur mäßige Druck dieser Kante auf die Nerven und Blutgefäße der hintern Fläche des Schenkels, eine dauernde Empfindung von unangenehmem Taubsein des Beines vom Knie ab erzeugt, welche den Aberglauben an Rückenmarksschwindsucht aufkommen läßt. Der beim Sitzen stark vorgebeugte, den Bauch einengende und die Brust an den Arbeitstisch andrückende Geschäftsmann zieht sich durch diesen Sitz bisweilen Brust- und Unterleibs-, Athmungs- und Verdauungsbeschwerden zu, die er natürlich durch Arznei wegcurirt haben will.

Ueberhaupt muß es die Heilkunst, wenn es nach den Anforderungen der Geschäftsleute an die Aerzte gehen soll, durchaus noch dahin bringen, daß sie durch Heilmittel den alternden, kränkelnden Menschenleib jung, käftig und womöglich niet-, nagel- und feuerfest zu machen im Stande ist.

Bock. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_379.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)