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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

eines Fleischers wendeten. Er war nicht im Stande den kleinsten Wurm zu tödten, der bei einem Spaziergange über den Weg, dicht vor des Wandlers Füßen kroch – dennoch schickte er Tausende von Menschen in den Tod. Ein solcher Mann war sicher für meine Rettungsversuche am schwersten zugänglich. Dazu kam, daß ich nicht ein Mal genau wußte, wie stark oder schwach die Verhafteten sich compromittirt hatten und daß wir, meine Familie und ich, in dem Rufe standen, zwar keine Feinde der Freiheit, aber doch keinesweges begeisterte Anhänger des Convents zu sein.

Dieses Alles wirbelte bunt in meinem Gehirne durcheinander. Gegen Morgen erst schlummerte ich ein.

Mit der Beschreibung des Abschiedes, der Klagen, Wünsche und Befürchtungen will ich Sie nicht länger aufhalten; genug, um fünf Uhr rasselte die Diligence zum Thor von Arras hinaus, um Abends nach sieben Uhr erst über das Pflaster von Paris zu rollen. Ich war seit Jahr und Tag nicht in der Hauptstadt gewesen. Mit Staunen betrachtete ich daher die wunderlichen Zierrathen an den Häusern. Ueberall Fahnen mit den Farben der Republik, Freiheitsbäume, deren Spitzen die phrygische Mütze trugen, Sprüche aus Rousseau’s Schriften und dergleichen. Die geschäftigen Menschen eilten hin und her, Ausrufer mit den neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatze, die Beschlüsse des Convents, die Listen der Verhafteten, die Verurtheilungen, die Executionen verkündend. Hier und da an den Ecken erhob sich auf einem Tische ein Volksredner, den eine brausende Menge umgab; dort zog ein Bataillon Nationalgarde, von der Uebung kommend, über den Platz; dann wieder drängte sich ein Haufe fast grotesk gekleideter Jacobiner durch die Menge. Paris war in fieberhafter Bewegung. Man hatte heute, am achten April, wieder zahlreiche Opfer unter die Guillotine befördert; man sprach von neuen Verschwörungen der übrig gebliebenen Mitglieder der Gironde, an deren Spitze Louvet stehen sollte.

Bei einem Freunde unseres Hauses, einem Herrn Brotteau, nahm ich Quartier und begann noch an demselben Abende in der Dunkelheit einige Nachforschungen. Ueberall begegnete ich rauschenden und erregten Menschengruppen. Man hörte das Ça ira und die Marseillaise von Männern, Frauen und Kindern singen. Die rothe Mütze gewahrte ich häufig, und namentlich fiel mir eine sonderbare Mode der Damen auf: sie trugen Strickbeutel von ungeheuerer Größe, auf welchen die zerstörte Bastille abgebildet war. Ich ging zunächst zur Wohnung der Madame Marion Lepelletier in der Straße Blancs Manteaux. Hier erfuhr ich aber, daß gestern auch der Wirth, ein Schneider, verhaftet worden sei, weil er sich fälschlich für einen Volksvertreter ausgegeben. Nur die Schließerin, eine alte Frau, wohnte noch in dem Hause.

Am folgenden Morgen lenkte ich zunächst meine Schritte nach den Gefängnissen des Luxembourg, aber den Gefängnißwärter Lambert konnte ich nicht sprechen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil man auch ihn verhaftet hatte. Es hieß, er habe Gefangene begünstigt, und er wurde auch am 13. April guillotinirt.

So niedergeschlagen mich diese beiden ersten vergeblichen Bemühungen machten, ich sammelte meine Gedanken und Kräfte dennoch wieder. Paris schien mir heute seine gewöhnliche Physiognomie wieder erhalten zu haben, und ohne die beliebten rothen Mützen, die Fahnen und Inschriften hätte man nicht geglaubt in dem ungeheuern Krater umher zu wandeln, aus dem der gewaltige Feuerstrom über Europa sich ergoß. Nur einige Zettelankleber waren von gaffenden Neugierigen umringt. Die Affichen enthielten Erlasse des Convents, Aufforderungen zu patriotischen Gaben für die freiwillige Nordarmee, Drohungen gegen schlechte Bürger, darunter die Theaterzettel, endlich Versteigerungen von Möbels verjagter Aristokraten. Eine der Affichen lautete:

„In dem Quartier de la Sorbonne haben vorgestern Abend bei einer Versammlung der fünften Section Kundgebungen zu Gunsten des verhafteten Aristokraten Conrandin stattgefunden. Die schlechten Bürger, welche ihre Stimmen erhoben haben, mögen sich hüten. Ihre Köpfe stehen nicht fester als der einer Gypsfigur, welche man aus dem vierten Stock auf das Straßenpflaster wirft. Conrandin war Rath des gestürzten Tyrannen Ludwig Capet. Wäre er auch sonst kein Verbrecher, das genügte. Ebenso schuldig aber wie er sind seine Fürbitter. Wer mit den Freunden der Tyrannen ist, wird das Bret küssen (hingerichtet werden).

Unterzeichnet: Drei wachsame Patrioten.“

Sie können sich denken, welchen Eindruck dieser Anschlag auf mich machte! Doch im schlimmsten Augenblicke pflegt der Muth am meisten und sichtlichsten zu wachsen. Ich sah ein, daß ich sofort auf das Ziel losgehen und einen Besuch bei Robespierre wagen müsse. Die Listen der Gerichteten oder Verurtheilten wiesen noch nicht die Namen unserer Freunde auf, und so lange sie noch lebten, wollte ich die Hoffnung nicht sinken lassen. Robespierre wohnte im Hause des Tischlers Duplay, in der Straße St. Honoré, da, wo heute Nummer 396 ist.

Schlag neun Uhr bog ich in die Straße St. Honoré ein. Je näher ich der Wohnung des gefürchteten Mannes kam, um so schneller fühlte ich mein Herz schlagen. Endlich war ich dicht an dem Hause des Tischlers Duplay. Ich ging auf die andere Seite der Straße und betrachtete das Gebäude. Die Hausthür war offen und aus dem Flure bemerkte ich eine Gruppe von Sansculotten. Sie hatten sich einen Tisch in die Mitte des Flures gesetzt und genossen ihr Frühstück; an der Wand lehnten ihre Piken. Alle trugen die rothe Mütze und rauchten aus kurzen Pfeifen; einige lasen Journale, andere führten lebhafte Unterhaltungen. Es war die Wache, welche der Convent täglich im Hause Robespierre’s aufziehen ließ. An den meisten Fenstern der Häuser ringsum sah ich die Vorhänge herabgelassen; man wollte nicht immer das Schauspiel der zum Schaffote abziehenden Karren mit Verurtheilten genießen, welche man durch die Straße St. Honoré führte.

Am Eingange des gefürchteten Hauses trat ein baumlanger Mann, in eine Carmagnole gekleidet, Holzschuhe an den Füßen, einen Cavaleriesäbel an der Seite, auf mich zu.

„Wen suchst Du, mein kleiner Bürger?“ fragte er eine Wolke von Tabaksrauch in die Luft blasend.

„Den Bürger Lebas,“ antwortete ich mit einer leicht zitternden Stimme.

Der Mensch betrachtete mich mit gerunzelter Stirne. „Lebas? Er ist bei Robespierre.“

„Eben deswegen will ich ihn sprechen.“

„Du hast ein Anliegen?“

„Ja.“

„Weißt Du nicht, daß Meldungen um Zutritt immer des Abends vorher abgegeben werden müssen?“

„Ich wußte es nicht, ich bin fremd und komme direct von Arras.“

„Von Arras? aus Robespierre’s Geburtsstadt?“

Dieser Ort schien eine Empfehlung für mich zu sein. Während der Unterredung traten nun die übrigen Mitglieder der Wache heran und ich sah mich von einem Kreise furchterweckenker Gestalten umgeben. Die Unsauberkeit, welche auf Allen lagerte, gab ihnen ein entsetzliches Ansehen.

„Ein guter Bürger?“ rief der Eine.

„Nicht doch. Es ist ein Muscadin.“

„Ha! ha! ha!“ lachte ein Dritter.

„Wahrhaftig! Puh! wie er nach Bisam riecht.“

Ich bemerkte zu meinem Schrecken, daß ich wirklich diesen Parfum an mir hatte.

„Bürger, für einen Patrioten ist Deine Uhrkette zu lang.“

„Dein Hut ist mit einer Schnur eingefaßt, ein Zeichen des Aristokraten.“

„Sein Hals ist gut für die Laterne.“

Die Gesellschaft wollte sich ausschütten vor Lachen über diesen Witz. Ich sah ein, daß ich nur durch die größte Entschiedenheit aus diesem Feuerkreise und zu meinem Zwecke komme könne. Rasch griff ich in die Tasche und zog meine Sicherheitskarte hervor, die mir Herr Brotteau besorgt hatte.

„Ich verbitte mir nun ernstlich diese schlechten Späße!“ rief ich. „Auch im Scherz Aristokrat genannt zu werden, ist eine Beleidigung. Willst Du, Bürger, meine Karte prüfen, dann wirst Du sehen, daß ich unverdächtig bin, und so frage ich Dich zum letzten Male, wo ist der Bürger Lebas?“

Der Riese warf einen Blick auf die Karte, deren Stempel ihm bekannt war, und ging damit in das Haus. Glücklicker Weise kam er bald zurück und brachte mir die erfreuliche Nachricht: Lebas wolle mich sogleich sprechen. Ich erhielt die Erlaubniß in das Haus zu gehen. So war ich denn innerhalb der Mauern, aus denen so viel Jammer, Angst und Verzweiflung über Millionen hervorbrach! Ich will nicht in Abrede stellen, daß ich meine Seele Gott empfahl und im Stillen den Entschluß bereute.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_089.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)