Seite:Die Gartenlaube (1865) 374.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mit Schiller’s Charakter. Allmählich beruhigte sich das aufgeregte Jena.

Um die Stunde der Mitternacht aber fuhr eine bepackte Postchaise vom Erfurter Thore her durch’s Johannisthor in die Stadt. Ueber den Markt, um den großen Brunnen herumbiegend, hielt sie an dem hochgiebeligen Eckhaus, das damals einem Herrn von Jagemann gehörte, aber von zwei unverheiratheten Frauenzimmern bewirthschaftet wurde.

Aus dem innern niedrigen Wagenfond schwang sich rasch ein schlanker, hagerer Mann in langem grauem Rocke. Mit seiner Hülfe entstiegen dann dem dunkeln Schoos des breternen Kastens zwei in Pelz gehüllte Frauengestalten, beide augenfällig noch jung und ohne wesentlichen Unterschied des Alters. Während dieselben noch mit dem gelbfrackigen Postillon den Inhalt des Wagens leerten, hatte der hagere Mann schon den Hausknecht des schrägüber liegenden Gasthofs zum „Weimarischen Hof“ geweckt. Auch die runde niedrige Hausthür des hohen Eckhauses hatte sich geöffnet und eine dralle „bewegliche“ Magd war flink und behend die steinernen Treppen heruntergesprungen, um nach mehreren Knixen den beiden Frauen behülflich zu sein. Fast der ganze Inhalt des Wagens wanderte um Kopf und Schulter der Magd in das Eckhaus, die lebenden Insassen des Wagens aber wandten sich nach dem Wirthshaus zum „Weimarischen Hof“. In dem Hausflur verabschiedete sich der schlanke Mann wieder von ihnen. Mit stürmischer Leidenschaft preßte er die eine der Damen an’s Herz, diese aber wehrte ihm nicht, sondern schmiegte und drängte sich hinein in seine Gluth. Mit kaum verminderter Leidenschaft näherte er sich der andern, die sich indeß mit einem raschen Scherz seiner Umarmung zu entziehen weiß. Dann fliegt er über die Straße nach dem genannten Eckhaus. Während er die steinerne Wendeltreppe hinaufjagen will, vertritt ihm in Nachtjacke und Schlafhaube seine jungfräuliche Hauswirthin Numero Zwei den Weg. Mit einer trägflackernden Lampe in knochendürrer Hand, in gelösten Haarscheiteln beglückwünscht sie wie eine Macbeth’sche Schicksalsschwester den Heimkehrenden als „glücklichen Bräutigam“, und mit gesegneter Zunge beginnt sie den Vortrag eines Extracts aus dem Buch Sirach und der Weisheit Salomon’s. Mitten in ihrer Rede aber hat ihr rasch dankend der Heimkehrende die noch freie Hand gedrückt und ist an ihr vorüber glücklich in die Höhe gekommen.

Vorsorglich hat die muntere Magd sein Zimmer gewärmt. Hier und in den beiden Zimmern, die er aufgeregt durcheilt, weht ihn der seither ungewohnte Geist frauenhafter Ordnung an. Ja, es ist ein neuer glückverheißender Geist, der in diesen Räumen seinen Einzug gehalten hat. Gedankenvoll wirft er sich in seinen Sessel vor dem Schreibtisch. Vier Bilderabdrücke hängen ihm gegenüber. Er braucht nicht erst Licht anzuzünden, er trägt die vier Gestalten lebhaft in seiner Phantasie. Vier Menschen bedeuten sie, die ihm, als er noch irrend auf den Wogen des Lebens umbertrieb, voll hoher Uneigennützigkeit, aus reiner Seelenverwandtschaft, sich genaht, darunter der eine sein treuester redlichster Freund geworden, dem er jede Regung seines Geistes mittheilt, dessen Urtheil er zu jeder Handlung seines Lebens erst abforderte. Und er war bei der bedeutungsvollsten Handlung seines Lebens, deren Abschluß nur noch durch eine einzige Nacht begrenzt wurde, theilnahmlos, ja, er war zum Zweifler an ihrer Wohlthat geworden. War diese Handlung doch etwa bedenklich? Beunruhigt über diese Frage seines eignen Innern sprang er auf, lehnte sich an das Fenster und schaute hinab auf den schweigenden Marktplatz. Nur das eintönige Plätschern des laufenden Brunnens und der aus den fernen Straßen verhallende schnurrende Wächterruf durchbrachen die Stille.

Dem gedankenvoll Lehnenden ziehen die Bilder seines Lebens und seiner Liebe am inneren Gesicht vorbei. Zuerst die wilden Phantasien des weiland Regimentsmedicus in der Hauptstadt am Neckar, die, vergebens nach einem Gegenstand tastend, sich zuletzt an die blonde Hauptmannswittwe ketteten. Dann aber kam das holde wirkliche Bild von dem gastfreundlichen Landsitz einer großmüthigen Frau: Charlotte, die Rose von Bauernbach, die ihm, dem unstäten Wanderer, zu pflücken nicht vergönnt war. Im vollen Scheine glänzte dann das Sternbild Margaretha am Himmel von Mannheim. Ach! der Himmel war so reich an Hoffnungen und hochbegeisterten Jugendträumen, aber er wölbte sich über ein noch völlig ungewisses Schicksal und zerstob drum in Rauch und Nebel, als sich seine Arme nach ihm streckten. Bezaubernd, voll Sinnestaumel tauchte es sodann vor ihm auf aus dem bunten Gewühle eines Maskenballs, in unvergleichlicher Leibesschöne – die Helena von Dresden. „Genarrt und betrogen!“ gellte es ihm zu. Unmuthig wandte er das Haupt und das schöne Bild versank zu einer nebelhaften Fratze. An seiner Statt stieg auf eine volle hohe Gestalt, mit großen, tiefblauen Märchenaugen, Funken schlagender Geistesblitze fielen um sie her, betäubend, sinnbethörend. Es ist die zweite Charlotte. Dämonischfurchtbar war der von ihr ausgehende Zauber. Er hatte ihn, den leidenschaftlichen Jüngling, einst beinahe um seinen Gott gebracht. Ganz nahe stand sie, die Zauberin, noch seiner Erinnerung. Wetterleuchtend zuckte das zerstiebende Gewitter noch um ihn, in heißer Schwüle – fliehend eilt er vom Fenster weg in das Nebenzimmer nach der Gasse heraus. Da sieht er drüben im „Weimarischen Hofe“ eine hohe Gestalt im weißen Nachtgewande mit sanften liebewarmen Zügen. Sie beugt sich über die Lampe, sie zu löschen – und Ruh und Frieden lehrten in sein erregtes Herz. Es war ja die echte, die rechte Charlotte. Rings in den neueingerichteten Zimmern heimelte ihn die von ihrer Hand geschaffene Ordnung an. Vor ihr entflohen die regellosen Träume und Schäume seines vergangenen Lebens.

Die alte wunderlich geformte Schlaguhr am Rathhause hob viermal aus und schlug dann eine langtönende Eins, als er sich zur Ruhe legte, er der Professor der Weltweisheit – Johann Friedrich Schiller.

Am andern Morgen war der Herr Professor schon früh auf den Beinen, während drüben im „Weimarischen Hofe“ die Gardinen noch herniederhingen. Es galt noch manchen Formen Rechnung zu tragen, wie sie erwartungsvolle Brautleute oft genug verwünschen. Um so mehr drückten sie Schiller, der geradezu etwas Angst vor dem ganzen Acte verspürte. Wie viel Schreiberei hatte es nicht schon verursacht, ehe das Consistorium das nur einmalige Aufgebot genehmigt hatte! Schiller wollte, um allen Eclat zu meiden, sich nicht in Jena, sondern auswärts trauen lassen. Auch dazu hatte der Superintendent in Jena M. Oemler Erlaubniß zu ertheilen. Mit dem dort erlangten Dispens in der Tasche eilte Schiller hierauf in die Wohnung seines Freundes und Collegen, des Magisters der Philosophie und Adjunet der philosophischen Facultät Karl Christian Erbard Schmid. Dieser damals neunundzwanzigjährige Philosoph war in die Tiefen der Kantischen Philosophie hinabgestiegen und auf diesem Wege Schiller begegnet. Da er ursprünglich Theologie studirt hatte, war er seinem Vater, dem Pfarrer Gottlieb Ludwig Schmid, in dem nahegelegenen Wenigenjena vor drei Jahren als Adjunct beigegeben, ohne daß dies einer Wirksamkeit als Docent Eintrag that. Er schien auch den Priesterrock wenig zu tragen, denn als er sich erbot, den Freund und Collegen in der Kirche seines Vaters zu trauen, war dies die erste Trauung, welche er verrichtete.[1] Zuvörderst frug er Schiller, nach welchem Formulare er getraut sein wolle. Es seien deren zwei. Ein altes strengeres, aus der alten Agende Dr. Martin Luther’s, und ein neueres. „Nehmen wir,“ meinte Schiller, nach einem Einblick in beide, „das alte, mit dem Kraut und den Disteln auf dem Felde. Meine Schwiegermutter wird bei der Trauung sein und der ist offenbar das alte das liebste.“

Endlich gegen zehn Uhr Morgens fuhr die alte gelbe Postkalesche mit ihren drei Insassen von gestern wieder am Marktbrunnen vorüber nach der Löbdergasse. Es war schon recht lebhaft im Städtchen. Schaaren von Musensöhnen bewegten sich auf dem geräumigen Marktplatz auf und nieder. Manch kecker Blick und freies Wort richteten sich nach dem Wagen, und die Drei drinnen hatten Mühe ihr Incognito zu wahren. Doch gelang es ihnen ungehindert durch das Löbderthor auf die Straße nach Rudolstadt zu kommen, der von dort erwarteten Schwiegermutter entgegen.

Gerade über von der Stadt am andern Saalufer liegen, wie zur Ausfüllung des runden Thalkessels, zwei Dörfer, beide mit der Stadt durch eine große steinerne Brücke verbunden, beide wieder so nah aneinandergerückt, daß sie scheinbar eins sind, gemeinsam auch in Kirche, Flur und Schule. In dem vorn an der Brücke anstehenden Gasthaus „zur grünen Tanne“, das zum ersten Dorfe,

  1. Nicht der Pastor Schmid in Wenigenjena, wie überall zu lesen, sondern dessen eben genannter Sohn, Erhard Schmid, der in Jena Kantische Philosophie docirte und später ein Theolog von Ruf war, 1791 Professor in Gießen und 1795 wieder in Jena war, woselbst er 1812 als Kirchenrath starb, hat Schiller getraut.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_374.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)