Seite:Die Gartenlaube (1865) 572.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mangelt.“ Da man nun Seepferde, Seekühe, Seewölfe, Seehunde und Meerschweine habe, so meint der Bischof, könne es auch Meermenschen geben, und um diese Möglichkeit zu beweisen, steuert er mit vollen Segeln in die Darwin’sche Theorie, in die Aehnlichkeit der Affen und Menschen hinein und bekämpft zugleich Gründe gegen die Existenz der Meermenschen, die denjenigen, welche heut zu Tage gegen die Abstammung des Menschen vom Affen vorgebracht werden, eben so ähnlich sehen, wie ein Ei dem andern.

Obgleich nun der Bischof selbst gerichtlich beglaubigte und beschworene Zeugnisse von Meermännern und Kindern beibringt, so scheint doch jetzt in Norwegen der Glauben an diese Art von Seeproducten nach und nach zu Grunde gegangen zu sein – wenigstens habe ich weder selbst davon gehört, noch auch in neueren Schriften Andeutungen davon gefunden. Die Ansicht, daß es sich um seltenere Arten von Seehunden handele, an deren Anblick die Fischer nicht gewöhnt sind, scheint allmählich auch unter dem Volke Wurzel gefaßt zu haben.

Nicht so mit dem Kraken, Kraxen, Horven oder dem Ankertroll (Troll heißt jedes Zauberwesen), der an Größe einer schwimmenden Insel gleicht. „Unsere Fischer,“ meldet der Bischof, „sagen gleichsam mit einem Munde und ohne den geringsten Widerspruch, daß, wenn sie, insonderheit in warmen Sommertagen, einige Meilen in die See hinausrudern, ihre Nahrung zu suchen, und sie, nach der Kenntniß der Seegründe, welches sie ihre Mee nennen, wie gewöhnlich, eine Tiefe von achtzig bis hundert Klaftern finden sollten, sie zuweilen nur dreißig, zwanzig oder noch weniger Klaftern Wasser antreffen, darin sie aber auch ganz gewiß den größten Ueberfluß dessen, was sie suchen, an Dorschen, Längen und Brosmern (verschiedene Stockfischarten) finden. Ihre Angeln sind kaum ausgeworfen, so können sie sie schon ganz voller Fische wieder heraufziehen. Daraus merken sie, daß der Kraken im Grund ist und diese ungewöhnliche Erhöhung verursachet. Sie fahren inzwischen mit Freuden fort, sich dieser guten Gelegenheit zu bedienen, und zuweilen versammeln sich in einem mäßigen Umfange wohl zwanzig und mehr Böte. Das einzigste, worauf sie mit großem Fleiße Acht haben, ist dieses, ob die Tiefe unter ihren Seilen eben dieselbe bleibt oder ob sie nach und nach höher und das Wasser seichter wird. In diesem letzten Falle merken sie, daß der Kraken sich erhebet und höher hinaufgeht. Alsdann ist es keine Zeit mehr, länger zu warten. Sie geben ihre ganze Fischerei auf, ergreifen alle Riemen, die sie an Bord haben, und rudern auf der einen Seite so geschwind fort, als es möglich ist, um der Gefahr zu entkommen. Wenn sie nun ihre gewöhnliche Tiefe wieder erreicht haben und folglich in Sicherheit sind, so halten sie stille und nach wenigen Minuten sehen sie, daß das Ungeheuer, welches seines Gleichen nicht hat, auf das Obertheil des Wassers in die Höhe kommt und sich daselbst zeiget, obschon nicht in seiner völligen Gestalt und Größe, wie man denken kann, als welche vermuthlich niemals ein menschliches Auge zu betrachten Gelegenheit gebabt hat (außer in seiner Brut oder in seinen Abkömmlingen, von denen ich nachher reden werde), sondern blos mit dem Obertheile seines Körpers, der dem Anscheine nach eine Viertelmeile (einige sagen, noch mehr, ich will aber der Sicherheit wegen die geringste Größe angeben) zu sein scheint und anfangs nicht anders lässet, als ob eine Menge kleiner blinder Scheeren daselbst im Meere wären, die alle mit etwas, das daselbst herumschwimmt und dem Tange oder Meergrase gleichkommt, behänget wären. Hier und da bemerkt man eine größere Erhöhung, wie Hügel, worauf verschiedeue kleine Fische herumspringen, bis sie endlich über die Seiten hinabrollen. Endlich erheben sich einige glänzende Spitzen oder Zacken in die Höhe, die immer dicker werden, je weiter sie über’s Wasser hervorkommen; allein sie werden zuweilen so hoch wie mäßige Mastbäume, also daß, wenn auch eines der größten Orlogschiffe von ihnen getroffen würde, solches mit diesem Ungeheuer zu Grunde gehen müßte; denn nach einem kurzen Zeitverlauf fängt der Kraken an wieder zu sinken und begiebt sich wieder hinab in die Tiefe. Wenn dieses geschieht, so ist die Gefahr ebenso groß, wie zuvor, wenn man sich nahe dabei befindet, weil dessen sinkende Bewegung einen so großen Seeschlund im Meere verursacht, der durch das Anziehen alles mit sich hinunterziehet, nicht anders als das Malstrom bei Moskö. Aus der Erfahrung, die manche Fischer seit langer Zeit sich erworben haben, weiß man dieses, daß der Kraken einige Monate frißt und einige darauf folgende Monate hingegen sich von seinem Unflath wieder erleichtert. Wenn diese Ausleerung geschieht, so kann die Oberfläche des Wassers davon angefärbet werden, ja sie wird gleichsam dick und modericht. Man sagt, dieser Moder wäre, dem Geruche oder dem Geschmacke nach oder nach beiden zugleich, den Fischen so angenehm, daß sie sich von allen Seiten dabei versammelten, und wenn sie sich alsdann diesfalls über dem Kraken aufhielten, da eröffnete er sich oben, um diese seine angenehmen Gäste zu verschlingen und sie in eine neue Lockspeise der andern Fische zu verwandeln. So wird gesagt, relata refero, und ich kann davon keine so gewisse Erfahrung angeben, als von der Hauptsache selbst, ob ich schon nichts gegen die Natur streitendes darin finde.“

Der Kraken kommt also an warmen Sommertagen; er ist eine Viertelmeile wenigstens groß, und auf seinem einer Insel ähnlichen Rücken heben sich Zacken in die Höhe, welche Mastbäumen gleichen. Es will mich bedünken, als gebe sich die Erklärung des Zauber-Ungethüms von selbst. Diese nordischen Fischer stecken voll von den ungeheuerlichsten Aberglaubensresten; eine Menge Dinge, die sie täglich in dem Meere finden, sind für sie Trollfische, welche sie sogleich in die See zurückbefördern. Nun finden solche Fischer bei heißem Wetter und glatter See eine Bank, die sie noch nicht kannten, auf welcher Massen von Fischen sich sammeln. Sie fischen; der Strom treibt sie etwas ab während dieser Beschäftigung und treibt sie vielleicht gegen eine höhere Stelle der Bank. Nun panischer Schreck: der Kraken hebt sich! Man rudert wie besessen, aber muß wenigstens eine Viertelmeile wegrudern, denn der Kraken ist im geringsten Falle so groß. Wer aber jemals in Norwegen gereist ist, der weiß, was eine Viertelmeile ist – etwa zwei englische Meilen oder eine deutsche Poststunde! Ein Thier, eine Poststunde im Durchmesser! Aus dieser Entfernung nun sehen die vor Angst halbtodten Fischer flache Inseln, Klippen und Zacken sich erheben, mit andern Worten, jene bei stillem, heißem Wetter so häufigen Luftspiegelungen, welche, ähnlich wie die Fata Morgana in der Wüste, dem nordischen Schiffer Alles vorzaubern, was er nur irgend wünschen oder fürchten kann. Und wenn sie nun diese glänzenden, in die Luft sich erhebenden, zurücksinkenden, anschwellenden und abnehmenden Zacken gesehen haben, in welche durch diese Vorspiegelung entfernte Küsten, Inseln oder Wolken sich auflösen, so wird die Angst doppelt groß und man flüchtet heim, überzeugt, dem Kraken begegnet zu sein. Hat man nicht die gefangenen Fische als Beweis der Existenz des Ungethüms?

Aber unser Bischof berichtet mehr. „Im Jahr 1680 (also etwa siebzig Jahre vor Erscheinen seines Buches) soll ein Kraken (vielleicht ein junger und unvorsichtiger) in die Bucht Ulvangen im Kirchspiel Alstahough gekommen sein, da es sonst seine Gewohnheit ist, sich einige Meilen vom Lande aufzuhalten, daher er denn auch allhier umkommen mußte. Diese Sache soll folgendermaßen geschehen sein: es sollen seine ausgestreckten langen Zacken oder Fühlhörner, die er, wie es scheint, nach Art der Schnecken dazu gebraucht, damit hin und wieder herumzufühlen, vielleicht in einigen dicht an der Bucht stehenden Bäumen hängen geblieben sein, die aber gar leicht konnten losgerissen werden, aber vernehmlich, und wie man nachher gesehen, sind sie in einige offene Spalten, Steinritze und Klüfte an den Klippen gerathen, woran sie sich so fest gehaftet hatten, daß sie daran hängen geblieben waren, daß es sich daher nicht wieder losarbeiten konnte. Dadurch kam das Thier an selbigem Orte um, wo es auch zugleich verfaulete. Da denn dessen langsam verfaultes Aas einen großen Theil bemeldter Bucht Ulvangen soll angefüllt haben, wodurch denn diese Seite den Leuten, die eine zarte Nase hatten, ganz unwegsam geworden.“ Und das muß Alles vollkommen wahr sein, denn ein Consistorial-Assessor, Prediger und Vicarius Collegii hat es seinem mit Naturgeschichte beschäftigten Vorgesetzten erzählt! Zugleich scheint aber der Kraken, trotz seiner eigenen Ausdünstungen, eine feine Nase zu besitzen, denn wenn man Bibergeil oder Teufelsdreck bei sich trägt, so bleibt er in der Tiefe und hebt sich nicht in die Höhe, weil er den Geruch des Stoffes fürchtet.

Der Kraken geht in dem Norden nur noch unter den Fischern der niedersten Classe um, nicht bei den Gebildeten; unbestritten aber, mit Ausnahme einiger Naturforscher, die durchaus in Norwegen, wie auch in andern Ländern, sehen wollen, ehe sie glauben, ist die Existenz der großen Seeschlange, See- oder Hav-Orm, wie die Norweger sie nennen, bei den meisten Küstenbewohnern nördlich von Bergen. Auch hier ist unser würdiger Bischof eine authentische Quelle und er begiebt sich mit großem Eifer daran, zuerst

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_572.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)