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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

konnte er sagen: „Wie thöricht und klein sind doch die Menschen, daß sie sich Fabeln dichten und Fratzen schnitzen, um ein Heiliges zu haben! Ist denn nicht Alles, Alles heilig? Wie göttlich aber ist das Weib, da es so beglücken und begeistern kann! Wem in der Liebe das Heilige nicht aufgeht, für den kann sie nur ein todter Name sein!“

Am 21. Februar des Jahres 1843 riß ihn der Tod nach längerem Lungenleiden in bestem Schaffen von der Seile eines geliebten Weibes und Kindes. Wenige Monate vorher, im October des vorangegangenen Jahres, war sein Freund (E. Ferrand, dem Theodor Storm in der Vorrede zu seiner Sammlung deutscher Liebeslieder ein so schönes anerkennendes Zeichen der Erinnerung gesetzt hat, aus diesem Leben abgerufen worden. Auch dort standen am Todtenbett eine Gattin und zwei Kinder. Aber während die Kinder in ihrer Unschuld und ihrem Unverstande den tiefen Schmerz des Verlustes nicht fühlten, lehnte sich die Frau in tiefem, tiefem Leid an die Brust des Freundes des gestorbenen Gatten und sagte unendlich vielsagend, eine ganze Geschichte, ein ganzes Lebensschicksal umschließend: „Seit dem Tode O… hat er sich nie wieder erholt!“ Die Genannte war als ein junges, überaus schönes Mädchen vor kurzem gestorben!

Das letzte Gedicht, das Sallet vor seinem Tode schrieb, war die kleine Ballade: „Der Wind“. Seiner Frau gab er eine Stunde vor seinem Tode den Ring zurück und bat um ein stilles, möglichst einfaches Begräbniß. „Und als er im Sarge lag, das Lorbeerreis um seine hohe Stirn geschlungen, da erschien er mir,“ sagte der Bruder, „schön und freundlich. Noch in seiner Leiche zeigte es sich, daß er mit seinem Geiste zu den Besten und Vollendetsten seiner Zeit gehört. So haben die Dichter einer schöneren Zeit ausgesehen. Man sah in dem Todten nur den Dichter des Laien-Evangeliums; er war verklärt wie Christus auf Tabor!“

Der Stein auf seinem Grabe trägt, außer seinem Namen, dem Geburts- und Sterbetage, die Worte aus seinem Gedicht: „Der neue Columbus.“ ‚Sancta libertas, heil’ger Strand, dich halt’ ich!‘

Und die Woge der Zeit rauschte dahin. Noch lebten die beiden übrigen Genossen des erwähnten Abends. Aber das Sturmjahr 1848 kam. Der Traum des schmerzlich schönen Sonettenkranzes war dahin. Die Frau, der Gegenstand seiner Liebe, war längst gestorben. Minding, der Poesie mehr und mehr untreu werdend, war durch Speculation unermeßlich reich geworden. Das Sturmjahr zertrümmerte auch dieses Gebäude. Arm, verlassen, flüchtete er nach Amerika, wo er am 7. September 1850 in einem Gasthause zu New-York seinem verfehlten Leben durch Blausäure ein Ende machte. Es war, als ob der alte Rademacher mit seiner Aeußerung doch Recht behalten sollte!

Und der Vierte? Noch lebt und wirkt er. Drum nennen wir seinen Namen nicht. Er steht viel angefeindet, aber auch hoch geachtet da. Ein Kranz von Kindern umgiebt ihn. Seine Gattin ist todt. Er hat ihr in seinen Schriften ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Einem Freunde, dem er Hülfe und Unterstützung angedeihen ließ, schrieb er: „Lieber! ich bitte Dich, weise die Kleinigkeit nicht zurück. Es ist heute der Todestag meiner Unvergeßlichen, und da –“ Doch genug der Worte. Sein Haar ist dünn geworden, er reicht dem Schreiber dieser Zeilen die Hand und sagt, jener erwähnten Zeit gedenkend: „Es war doch die schönste meines Lebens. O, die Jugend, die süße Jugend!“

Und wie als schäme er sich der gethanen Aeußerung, fährt er sich mit der Hand über die hohe Stirn und den etwas kahl gewordenen Scheitel und sagt lächelnd: „Du siehst, die Müdigkeit des herannahenden Alters macht sich auch mir bemerkbar! Die schöne Jugend!“

F. Brunold.




Der „erste Arbeiter Frankreichs“.

Als nach der Einnahme der Tuilerien und nach Louis Philipps Flucht Ledru-Rollin am 24. Februar 1848 auf dem Pariser Stadthause, welches in allen französischen Revolutionen eine so bedeutende Stelle eingenommen hat, die Republik proclamirte und Marie und Arago die Meinung aussprachen, daß Frankreich als Republik nicht bestehen könne, war Louis Blanc derjenige, welcher die sofortige Proclamation der Republik verlangte. Er und Albert vertraten dann in der provisorischen Regierung der jungen Februarrepublik das republikanische und sociale Element, während alle übrigen Mitglieder derselben, auch Ledru-Rollin, Gegner des Socialismus waren.

Von diesem Gegensatz aus, welcher bereits am Tage der Proclamation der Republik in Frankreich eine Spaltung unter den Mitgliedern der Regierung hervorrief und binnen wenigen Wochen eine weite Kluft zwischen der Pariser Bevölkerung aufriß, ist das Schicksal der Februarrepublik und die Entwickelung der französischen Zustände seit den letzten sechszehn Jahren einzig und allein richtig zu beurtheilen. Auch die Thätigkeit Louis Blanc’s als Mitglieds der Regierung der Republik erscheint nur dann in richtigem Lichte, wenn man sie unter dem Drucke dieser Spaltung schildert und beurtheilt. Ich werde der Schilderung der Persönlichkeit des großen französischen Socialisten, des „premier ouvrier de France“ und eines der ersten und bedeutendsten Geschichtsschreiber Frankreichs, der seit sechszehn Jahren als Flüchtling auf englischer Erde lebt, eine kurze Darstellung seiner Regierungsthätigkeit im Jahre 1848 vorausschicken. Meine Darstellung wird sich in allen Punkten auf actenmäßige Quellen und Urkunden, welche ich zu diesem Zwecke zusammengestellt habe, stützen und wird, hoffe ich, Louis Blanc für immer in Deutschland von dem Vorwurfe befreien, den seine Feinde immer wieder von Neuem gegen ihn erheben, von dem, daß er mit der Gründung und Verwaltung des ebenso abgeschmackten wie planlosen Instituts der Nationalwerkstätten jemals das Mindeste zu thun gehabt habe.

Die provisorische Regierung hatte in ihren Erlassen das „Recht auf Arbeit“ ausdrücklich anerkannt. Mit dem bloßen Aussprechen eines Grundsatzes war nichts gethan, man bedurfte eines Planes, einer Organisation, und um über diese zu berathen, berief man ein Arbeiterparlament, dem man den Saal des Luxembourg öffnete, in dem eben noch die vergoldeten Sessel der Pairs des Bürgerkönigthums gestanden hatten. Es waren dreihundert Abgeordnete, Vertrauensmänner der Pariser Arbeiter, die hier unter Louis Blanc’s Vorsitz tagten. Er erklärte ihnen sein System der Organisation der Arbeit, zu dem der Staat die Mittel liefern solle, ohne daß eine Erhöhung der Steuern nöthig werde. Die Arbeiter jedes Gewerks sollten sich zu Genossenschaften vereinigen, in denen ein jeder auf eigene Rechnung arbeite. Sein System bezweckte ferner eine Vorsorge für Alte und Kranke, eine Unschädlichmachung von Krisen durch ein solidarisches Einstehen aller Gewerke für die momentan leidenden Geschäftszweige und eine Herbeischaffung der Geldmittel durch eine Vergesellschaftung von Capitalisten, welcher der Staat die Interessen ihres Capitals verbürge. Man ging gleich insofern zur That über, als man in Paris und mehreren großen Städten Genossenschaften errichtete, die zu Resultaten gelangt sein würden, wenn die Verhältnisse nicht bald die ihnen ungünstigste Gestalt angenommen hätten.

Inzwischen hatte die provisorische Regierung Nationalwerkstätten errichtet. Es war zu einem Gebot der Nothwendigkeit geworden, den vielen Arbeitern, die durch die eingetretene Stockung des Handels und der Gewerbe arbeitslos geworden waren, eine nährende Beschäftigung anzuweisen. Mit der Einrichtung dieser Nationalwerkstätten hatte Louis Blanc, den sein Arbeiterparlament und dessen Ausschuß vollauf beschäftigten, nichts zu thun. Er wurde nicht einmal zu der Berathung des betreffenden Decrets zugezogen. Auch an der Organisation der Werkstätten, die von Emil Thomas ausging, hatte Louis Blanc nicht den entferntesten Antheil. Von dem, was er hinsichtlich der Organisation der Arbeit erstrebte, geschah das Gegentheil. Man errichtete keine Genossenschaften von Arbeitern desselben Gewerks, sondern allgemeine Werkstätten, in denen Kunsttischler und Handlanger, Weber und Maurer durch einander beschäftigt wurden. Man bezahlte nicht Jeden nach seiner Arbeit, sondern gab Allen den gleichen Lohn. Geradezu unsinnig war die Leitung der Nationalwerkstätten eingerichtet. Sie war bureaukratisch und zugleich militärisch, stellte ein ganzes Beamtenheer auf von Vorstehern, Aufsehern und Zahlmeistern, theilte die Arbeiter in Brigaden, Compagnien und Rotten

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