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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und keinen Charakter zuschreiben. Ueber die biblischen Wunder bei dem „Christus des Glaubens“ stimmt er im Princip mit Strauß überein, wenn er sagt: „Jede einzelne Wundererzählung der evangelischen Geschichte verfalle dem unerbittlichen Gerichte der Kritik; in jedem einzelnen Falle habe nicht der Glaube, sondern der auf’s Strengste prüfende Verstand zu entscheiden.“ Bald jedoch sucht er den Wundergeschichten durch täuschende Umschreibungen eine geschichtliche Grundlage zu geben oder sie zu Thatsachen abzuglätten, um nicht als Ketzer verschrieen zu werden, oder endlich sie in einer rednerischen Figur verschwimmen zu machen. Eine solche nichtssagende Redefigur ist z. B. der schönklingende Satz: „Die Gottheit ist mir das Wunder der Wunder; Gott ist mir der Geist der Geister; wunderbar ist mir das Leben des Geistes schon in dem ersten Stammeln des Kindes, wie vielmehr in den Heldengestalten geistiger Kraft und sittlichen Muthes, in den heiligen Vorkämpfern auf dem mit Schweiß und Blut getränkten Wege der Erlösung der Menschheit von Sünde, Knechtschaft und Qual.“ Darin ist aber der biblische Wunderglaube in der Schwebe gehalten. In der allgemeinen kirchlichen Darstellung des „Versöhnungstodes Jesu, des Gottmenschen, als Bild und Bürgschaft der Begnadigung und Seligkeit und als Erlöser“, theilt Schenkel ganz die Meinung von Strauß, daß diese Vorstellung eine unwissenschaftliche und daher unberechtigte sei, weil aus der unphilosophischen Idee von einem sühnenden, blutigen Opfer hervorgegangen. Er sieht vollständig ein, daß dieser Begriff aus dem A. T. herübergekommen ist. Und doch umschreibt er sodann diese kirchliche Ansicht zu Gunsten des gläubigen Volkes, indem er sagt: „Jesus habe die Menschheit von den Irrthümern des Heidenthums und Judenthums befreit, von der dumpfen Gewalt der Sünde, von den verderblichen Mächten der Sinnlichkeit und Selbstsucht losgemacht und ihr das ewige Wesen der Gottheit, die heilige Liebe, durch das höchste Opfer, welches die Geschichte aufweist, geoffenbart“. Als Schriftsteller, welcher die Wahrheit rücksichtslos ausspricht, hätte er aber die Unwürdigkeit der Vorstellung des Sühnopfers und das Willkürliche von einem zürnenden Gott darlegen müssen.

Daniel Schenkel.


Und mußte er nicht den Einwurf der Nüchternen – die im Glaubensgefühl Lebenden kommen hier nicht in Betracht – gewärtigen: Welches sind die heidnischen und jüdischen Irrthümer, und ist die Menschheit davon erlöst? Ist wirklich die Gesellschaft von der Gewalt der Sünde, der Sinnlichkeit und der Selbstsucht befreit? Schenkel sagt ausdrücklich im Vorwort zu seinem „Charakterbild Jesu“, daß seine Untersuchungen nur geschichtlicher Natur und nicht aus dem kirchlichen Dogma geschöpft seien, daß seine Zeichnung des Charakterbildes nur von der erweisbaren Seite ausgegangen sei, und doch hat er in der Sucht, das Historische mit dem Kirchenglauben zu vermitteln, die alten theologischen Formeln nicht verschmäht, das Wunderhafte und Uebermenschliche, womit Sage und Dichtung das Geschichtliche durchflochten, seiner Schilderung des Heilands beigegeben und dadurch das Natürliche und Menschliche geschädigt. Das Wunder der Auferstehung, der Wiederauflebung des Gekreuzigten, sowie die Annahme eines Scheintodes hat Schenkel mit Recht entschieden abgewiesen und den erzählten Vorgang in den Evangelien als rein psychologischen im Innern der Jünger angesehen. Und neben diesem Freimuth, der bekanntlich einen Sturm der orthodoxen Partei erregt hat, behauptet dann Schenkel die „persönliche Verklärung des Gekreuzigten nach seinem Tode in einem höheren realen Dasein und die geistvermittelte Einwirkung der verklärten Persönlichkeit auf die Jüngergemeinde“, oder „die reale Manifestation seiner aus dem Tode lebendig und verklärt hervorgegangenen Persönlichkeit Jesu“, gleichsam um durch diese phantastischen Redensarten den erregten Sturm zu beschwichtigen.

Von solchen und ähnlichen Gegensätzen ist Schenkel’s „Charakterbild Jesu“ voll. In seinem historischen Gewissen übt er zwar eine strenge rücksichtslose Kritik, aber um den allgemeinen Kirchenglauben des Volks zufrieden zu stellen, verbrämt er die Kritik mit hochklingenden, weihevollen Phrasen. Das ist die schriftstellerische Vermittelung, die sich durch alle Arbeiten Schenkel’s zieht. Aber diese verschafft ihm das Vertrauen der Regierung und der Bessern der Gemeinde, durch diese hat er seinen Einfluß auf die freisinnige kirchliche Entwickelung Badens bewirkt, und um dieser hochwichtigen Wirksamkeit willen stehen erleuchtete Männer, wie Bluntschli u. A., zu ihm. Die praktische und reale Wirksamkeit, der Einfluß nach oben und unten ist das vorzüglich Berechtigte in Schenkel’s Thätigkeit, ist Grundzug seines eigenen Charakterbildes und war das Strebeziel in seinem Leben. Er ist sich so sehr dieses einzigen Zieles bewußt und dieses ist so ganz mit seinem Denken verwachsen, daß er mit Bedauern auf die Himmelsstürmer hinabsieht, welche in schrankenloser Consequenz sich alles Einflusses begeben, in schroffer Aussprache ihrer Gedanken die Welt von sich stoßen und von den religiösen Fortschritten sich fern halten. In diesem Sinne ruft Schenkel seinem Gegner Strauß mit Bedauern zu, daß er „in seiner Verstandes-Einsamkeit allen Einfluß auf den Gang der Ereignisse verliere“, ohne zu bedenken, daß es Märtyrer giebt, die sich für die erkannte Wahrheit opfern und der Nachwelt die Wirkung ihrer Gedanken überlassen.

Eine kurze Skizze von Schenkel’s vielbewegtem Leben wird uns den Zug seines Strebens erklären. Geboren den 21. December 1813 in einem Dorfe des Cantons Zürich, wo sein Vater Landgeistlicher war, kam er erst 1828 in eine Schule zu Basel, wo er nächst classischen Studien auch die deutsche Literatur studirte, an Herder, Lessing und Goethe sich heranbildete. Erst der Baseler

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_716.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)