Seite:Die Gartenlaube (1866) 154.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Und unter den vielen Hunderten, die an jenem Abend den Concertsaal füllten, saß auch, in den entferntesten Winkel einer Loge gedrückt, Franz Liszt und lauschte wie verzaubert dem Gesange jenes Dämons, der da in Gestalt eines finstern, unheimlichen Mannes in schwarzer Kleidung vor ihm erschien. Es ergriff ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, eine übermächtige Erregung erfüllte ihn, die Wolken der Schwermuth zertheilten sich und wie die Sonne strahlte die Ueberzeugung auf, daß auch – der Genius verpflichtet („le génie oblige“). Er fühlte, er war der Welt die ihm von einer höhern Macht verliehenen Gaben schuldig, er war sich selbst schuldig, weiter und weiter zu eilen, den lichten Höhen künstlerischer Vollendung entgegen, sich empor zu raffen. Mit diesen Gedanken und Ueberzeugungen kehrte Liszt aus dem Concert Paganini’s zurück.

Wie tief und mächtig seine Seele von jener eminenten Künstlererscheinung ergriffen worden war, zeigt sich in einem Nachruf für Paganini nach dessen Tode. Mit feiner und zugleich glühender Feder schilderte er diese seltenste aller künstlerischen Persönlichkeiten und erklärte sie für den unbestrittenen Künstler-König.

Ein anderer Kreis war es aber jetzt, der den in die Welt zurückkehrenden jungen Künstler in seine Mitte nahm, ein Kreis von jenen früheren gar sehr verschieden. Die Scenerie verwandelte sich: statt der hocharistokratischen Salons erschien plötzlich ein schlichtes Zimmer. Franz Liszt saß an dem Kamin der zauberischen Frau Aurora Dudevant, George Sand, um ihre reizenden Plaudereien und ihre kleinen orientalischen Pantoffeln zu bewundern und die noch kleineren Füße, die darin steckten. Zu gleicher Zeit lag Alfred de Musset auf einem Polster am Boden und schaute träumend in die Gluth des Feuers oder in die Gluth jener Augen, die ihm noch viel verderblicher werden sollten, als alles Feuer der Welt. Vielleicht plauderten auch Jules Sandeau, Alfred de Vigny und der geistvolle Maler Delacroix eben in der Fensternische, oder Victor Hugo trat mit einem heitern Gruß in die Thür. Ein Piano stand im Winkel, und da geschah es denn zuweilen, daß Franz Liszt plötzlich aufsprang, mitten in einem geplauderten Satz, um ihn in Tönen zu vollenden. Dann verstummten sie allmählich Alle und wandten sich langsam um, jenem Spiel zu lauschen, das auf die verschiedensten Naturen gleichen Zauber übte durch jene unwiderstehliche Kraft und Gluth des wahren, echten Genius. Und leise erhob sich George Sand, die junge Frau, deren Indiana einen Feuerbrand in so viele Herzen geworfen; die türkischen Pantöffelchen blieben vergessen stehen, sie schlich näher, um sich mit übereinandergeschlagenen Armen an den Flügel zu lehnen. Nur eine venetianische Lampe brannte und in dem Doppelschein ihres schwachen Lichts und des flackernden Kaminfeuers erschienen die Köpfe der Beiden in zauberhaftem Contrast. Aurora, die köstliche, üppige Gestalt mit dem kühn geschnittenen Profil, mit dem nachtschwarzen Haar, das tief im Nacken in einem Knoten lag, im schwarzen, losen Kleide, einen purpurnen Shawl um die Taille geschlungen, in dessen Falten ein kleiner Dolch steckte. Und diese Augen! Groß, flammend, dunkel, voll Geist und Leidenschaft, im Schmuck tadelloser Wimpern und Brauen, Spanierin und Hindu zugleich im Blick. Und diese schwellenden Lippen von thauiger Frische und diese kleine, volle Hand, die sich eben ausstreckte, um den tief niedergehenden Scheitel zurückzustreichen! Zuckende Lichter flogen über dies Antlitz, fremd und seltsam erschien es, eine Tropenpflanze neben – der blauen Märchenblume. Franz Liszt’s Gesichtsausdruck war damals so zart, so vergeistigt, sein träumerisches Lächeln, das Funkeln seines Blicks, der schwermüthige Zug seines Wesens so fesselnd, daß nach dem Urtheil aller Zeitgenossen keine Frau gleichgültig an ihm vorüberstreifte. Auch Aurora’s Blick hing bewundernd an dieser Stirn, an diesem feinen, vornehmen Munde, vielleicht mit denselben Empfindungen, mit denen sie viele Jahre später den melancholischen, leidenschaftlichen Träumer Chopin anschaute, während er seine todestraurigen Tanzweisen vor ihr spielte.

Vorbei, vorbei!

Man hat oft Vergleiche gezogen zwischen George Sand und Franz Liszt; die schillernde Farbenpracht, die glühenden Tinten in der Darstellung Beider hatten in der That viel Verwandtes. Die Geister nahmen gleichen kühnen Flug und fühlten sich unwiderstehlich von einander angezogen. Von welchem hohen poetischen Reiz mag jene Reise in die Schweiz gewesen sein, die Liszt später in Begleitung der George Sand und des liebenswürdigen Schriftstellers Pictet unternahm! Die berühmte Frau beschreibt ihren Zauber in den „Briefen eines Reisenden“, und Pictet’s Reise nach Chamounix ist fast nur eine Apotheose des jungen Künstlers. Liszt selber erzählte von diesen köstlichen Stunden in seinen „Pilgerjahren“, jenen tönenden Blättern von der „Chapelle de Guillaume Tell“, „au bord d’une source“, und läßt zum Abschied „les cloches de Genève“ läuten.

Unter den Schriftstellern fing der junge Virtuose auch an zu schriftstellern, und die im elegantesten Französisch geschriebenen reizenden Betrachtungen „Ueber die Lage der Künstler“ las man in Paris mit Bewunderung. Vielleicht war diese Lebensperiode des großen Künstlers die schönste, ungetrübteste. Ohne Plan und Ziel schwärmte sie umher an den Ufern des Genfer, des Vierwaldstätter Sees und im Berner Oberlande, jene bunt zusammengewürfelte Gesellschaft genialer Menschen, ohne den hemmenden Ballast irgend welcher Sorge an den Flügeln. Schöne und bedeutende Frauen, geistvolle Männer lauschten im Freiburger Dom den Klängen der weltberühmten Orgel unter den Händen Liszt’s. Es war eben ein Leben voll Glück und Glanz, ein Athmen in balsamischer Luft, über den Häuptern wie über den Herzen ewig blauer Himmel, ein ungestraftes Wandeln unter Palmen.

Die Strahlen der Ruhmessonne Thalberg’s waren es, die jenem entzückenden „dolce far niente“ jenem „Mittsommernachtstraum“ ein Ende machten. Wie Rinaldo aus den Armen Armida’s, so fuhr der Träumer auf. Die Feuerseele verlangte, sich mit dem plötzlich aufgetauchten Gegner zu messen. Bald schlugen, statt der murmelnden Wellen des blauen Sees, die brausenden Wogen der Weltstadt wieder an sein Ohr. Paris empfing den Zurückkehrenden mit Jubel und hielt ihn fest, wie es eben Jeden festzuhalten weiß, dem es seine Schönheit schleierlos zeigt, es hielt ihn auch, als längst der Kampf der beiden Nebenbuhler beendet und der Sieg Liszt’s entschieden war. Das Urtheil der Frauenwelt über den eleganten, glatten Thalberg, den meisterhaften Virtuosen, und den genialen Himmelstürmer trat wohl zu Tage in jenem Ausspruch einer geistvollen Frau, die damals bemerkte: „Thalberg ist der Erste, aber Liszt der – Einzige.“

Es ist seltsam, daß in dem Leben Liszt’s immer von Zeit zu Zeit Momente tiefster Zurückgezogenheit ihre verhüllenden Schleier über seine Gestalt werfen, daß Wochen und Monate in ununterbrochener Einsamkeit verlebt mit berauschenden Triumphzügen und einem glänzenden Leben in der großen Welt wechseln. Er liebte es, zuweilen vom Schauplatz seines Ruhmes spurlos zu verschwinden, und überließ es seinen Freunden, sich in Muthmaßungen über sein Verbleiben zu erschöpfen.

So zog sich Franz Liszt nach einem langen, sonnenhellen Aufenthalt in Venedig, Florenz, Rom und Neapel in die kühlen Schatten des Parks der Villa Maximiliana bei Lucca zurück. Pinien rauschten über der gedankenvollen, bleichen Stirn, Orangenblüthen tropften auf die lässig ruhenden Hände, aber zwischen den Lorbeergebüschen, neben dem blühenden Rhododendron lauschte vielleicht ein reizender Frauenkopf hervor, in dessen lachenden Augen deutlich zu lesen stand: „Vive la joie!“ – Und wo war die Mutter?

Fern von dem heißgeliebten Sohne und doch ihm unablässig nah mit ihrem Gebet und ihren Wünschen für seine Seele, und der Gedanke an sie begleitete auch ihn überall hin. Wie oft faltete er wohl in heißer Sehnsucht die Hände nach ihrer Liebe und ihrem Troste – denn wann käme je die Zeit für ein Menschenherz, wo es sich stark genug fühlte, Mutterliebe und Menschentrost zu entbehren? Der Zug tiefer Zärtlichkeit für seine Mutter geht wie ein Strom durch das Leben Liszt’s, das unzerreißbarste Band schlang sich um diese Mutter und diesen Sohn. An all’ seinem Thun und Schaffen nahm sie den regsten Antheil. Und war er müde und traurig, so flüchtete er sich in seinen Briefen zu ihr, wie er es damals gethan in seinem ersten Liebesschmerz, und wieder wie damals fühlte er ihre zarte Hand auf seinem Haupte und hörte ihre süße Stimme ihn trösten und aufrichten.

War es nicht das Andenken an sie und den heißesten Wunsch ihrer frommen Seele, was ihn endlich nach einem Leben voll Glanz, nach Jahren unermüdlichen Schaffens, Ringens und Kämpfens für sich und Andere, nach seinem Capelldirectorium in Weimar und seinem Aufenthalt am Hofe des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen zu Löwenberg in Schlesien, die Hand nach dem Priesterkleide ausstrecken ließ? Die Welt sieht ihn nicht, den Faden, der hier in

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_154.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)