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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sein, diese Feinde des Menschengeschlechtes aus ihren Verschanzungen hinauszumediciniren. Um solche Pestbeulen am socialen Körper auszuwurzeln und auszubrennen, müssen Eisen und Feuer in Anwendung kommen, denn, mit Byron zu sprechen –

„Denn, leider, Revolution allein
Kann von der Höllenfäulniß uns befrei’n.“

Leider! Die Geschichte der französischen Revolution illustrirt dieses „Leider“ so nachdrucksam anschaulich, daß seine Furchtbarkeit selbst blödesten Augen klar sein könnte und sollte. Aber es ist mit dieser Illustration viel falsches Spiel getrieben worden. Eine unterthänige Geschichtschreibung nämlich hat sich einer Seite des tragischen Gemäldes bemächtigt, um daraus ein Bilderbuch, ein Schreckbilderbuch für politische Kinder zusammenzukleistern, – für politische Kinder, welchen man ja bis zu dieser Stunde einbilden konnte und einbilden kann, Revolutionen würden willkürlich gemacht, von Brauseköpfen, Habenichtsen und Taugenichtsen, von einer Hand voll „Literaten, Advocaten und Juden“ willkürlich gemacht und aus purem Muthwillen. Um dieses Dogma der gläubigen Kinderdummheit und der unerschöpflichen Völkergeduld einzutrichtern, haben Historiker der bezeichneten Sorte keine Mühe gescheut, in dem erwähnten Schreckbilderbuch die Gräuel der französischen Revolution in die grellste Beleuchtung zu rücken, und es wäre ihnen das keinesweges zu verdenken, falls sie nur in Betreff der Gräuel der Contrerevolution ebenso verfahren wären. Jene Fieberraserei der Revolution, welche in schrecklicher Steigerung von den Septembertagen 1792 bis zum Hochsommer 1794 währte, findet allerdings ihre ausreichende Erklärung in den der französischen Staatsumwälzung vorangegangenen Ausschweifungen des Despotismus, soll aber dessenungeachtet bei keiner Gelegenheit der nachdrücklichsten Brandmarkung entgehen. Wer jedoch mit gerechtem und gleichem Maße mißt, der wird nicht allein den rothen Schrecken verdammen, sondern auch und ebenso streng den weißen, d. h. die gräßlichen Orgien der Reaction, welche sofort mit dem 9. Thermidor (27. Juli) von 1794 eingetreten ist und zum Sturze Robespierre’s die gewissenlosesten Halunken mit den ärgsten Blutmenschen verbündet in’s Feld schickte, zum Theil Menschen, die wie der Chef der Bande, Tallien, ihre Hände in den garstigsten Schmutz der Revolution getaucht hatten.

Es ist aber merkwürdig, wie leicht und glatt dieselben „correcten“ Historiker und Publicisten, welche das ganze Zeter- und Fluchwörterbuch erschöpfen, um den rothrepublikanischen Schrecken zu verdonnern, über alle die Gräßlichkeiten und Infamieen wegschlüpfen, welche der weißbourbonisch-royalistische Schrecken von 1794–95 in Scene gesetzt hat. Natürlich! Für Thron und Altar ist ja Vieles erlaubt. Mag jedoch dieser Grundsatz mit so schamloser Offenheit gepredigt und geübt werden, wie in unseren Tagen geschieht, immerhin giebt es noch einen über die trübe Sphäre der Knechtseligkeit, über die wüste Region zügelloser Parteileidenschaft hocherhabenen Standpunkt der Sittlichkeit, von welchem herab die historische Wahrhaftigkeit das Verdict thut: die rothen Schreckensmänner handelten sittlicher, als die weißen; denn jene standen im Bann und Zwang einer großen Idee, während diese von der gemeinsten Selbstsucht getrieben wurden. Außerdem ist noch wohl zu beachten, daß der rothe Schrecken seine Bestrafung an sich selber vollzog, wogegen der weiße straflos blieb. Denn wenn auch in Folge jener grausamen Ironie, welche die Weltgeschichte oft zu zeigen liebt, die in der Zeit von 1793 und 1794 umgehenden Eumeniden da und dort einen abgefeimtesten Schuft, wie z. B. Talleyrand, oder einen verhärtetsten Schurken, wie z. B. Fouché, verschonten, so haben sie doch an den Trägern des rothen Terrorismus in Masse ihr unerbittliches Gericht vollzogen. Die Priester, Leviten und Küster des weißen Schreckenscultus dagegen ließen sie laufen, als hätten sich die erhabenen Rachegöttinnen mit der Bestrafung dieser Elenden nicht die Hände besudeln mögen.

Dieser Schrecken – der weiße genannt (terreur blanche), weil im Dienste der bourbonischen Farbe arbeitend – sah sich in Paris vor der Hand noch genöthigt, die republikanische Seidenpapiermaske vorzustecken. Er wurde innerhalb der Hauptstadt und ihrer Umgebungen insbesondere von der sogenannten „goldenen Jugend“ (jeunesse dorée) gehandhabt, welche Raub und Mord zum Zubehör eleganter Lebensführung machte und die meuchlerische Verfolgung republikanischer Gesinnung förmlich in die Mode brachte, mit einer Frivolität, welche Jeden erschaudern lassen muß, der noch eine gesunde Regung in sich hat. Der Osten und Norden Frankreichs, wo die Bevölkerungen fest zur Republik standen, blieb von der Pest des weißen Schreckens unberührt. Auch im Westen, sogar die Vendée nicht ausgenommen, zeigte sie sich nur sporadisch. Dagegen wüthete sie so recht im Süden und Südosten, wo ja seit der Austilgung albigensischer Cultur Pfafferei, Volksverdummung und rohe Leidenschaftlichkeit stets Lieblingsstätten besessen hatten. Lyon und Marseille waren Mittelpunkte der weißen Gräuelwirthschaft, die wir uns jetzt etwas näher ansehen wollen.

Hören wir zunächst einen Augenzeugen ab, Charles Nodier, welcher in seinen „Souvenirs de la révolution“ (6. éd. I, 111 seq.) aus eigener Anschauung geschildert hat, in was für Erscheinungen der weiße Schrecken in seiner Gestaltung als elegante Pariser Mode zu Tage trat. Die Summe seines sehr gewichtigen Zeugnisses ist etwa diese: Der rothe Schrecken hatte großen Cynismus in der Tracht, spartanische Mäßigkeit bei Gastmählern und eine tiefe Verachtung gegen alle Schauspiele und Feste gezeigt und gefordert, welche nicht durch wilden Pomp an die tragischen Mysterien seiner Saturnalien gemahnten. Der weiße Schrecken dagegen war elegant und sogar geschniegelt; er weckte den Geschmack an Festen und Bällen wieder auf, er brachte alle die Launen des Luxus, alle die Zügellosigkeiten der Wollust zurück, wie sie die vornehme Jugend vor Zeiten in dem Boudoir der Dubarry kennen gelernt hatte. Die Sitten der Schreckenszeit waren von widerlicher Plumpheit gewesen, die der thermidorischen Reaction waren von raffinirter Schamlosigkeit und die abscheuliche Verfeinerung des Lasters überzog die wilde Grausamkeit mit einem Firniß, welcher die Häßlichkeit derselben nur erhöhen konnte. Es gab weiße Terroristen, welche nicht weniger grausam waren, als Marat gewesen, die aber so strahlend von Jugendschöne, so gewandt und fein gebildet sich darstellten, daß sie alle Frauenherzen hinter sich herzogen, wenn sie, eine Wolke von Ambraduft um sich verbreitend, einen Salon betraten.

Zu Paris selbst machten sich, wie schon angedeutet worden, die schlimmsten Seiten des weißen Schreckens weniger fühlbar. Die goldene Jugend ließ hier ihren reactionären Uebermuth hauptsächlich in Straßenprügeleien mit den Ueberbleibseln des Jacobinismus, in theatralischen Pasquinaden und in allerhand sonstigen Schaustellungen und Demonstrationen aus. Zu den letzteren gehörten die sogenannten „Bälle der Opfer“, zu welchen nur solche Mädchen und Frauen Zutritt erhielten, welche ein Mitglied ihrer Verwandtschaft durch die Guillotine verloren hatten. Das streng vorgeschriebene Ballcostüm der Tänzerinnen mußte dem Anzug ähnlich sein, in welchem ihre Mütter oder Schwestern unter der Hand des Scharfrichters geendet hatten: sie mußten daher ein weißes Kleid, ein rothes Brusttuch und die Haare kurz am Nacken abgeschnitten tragen. Anderwärts dagegen, an den Hauptstätten seiner Thätigkeit, an Orten wie Lyon, Nimes, Marseille, Aix und Tarascon, mischte der weiße Schrecken in seiner eleganten Erscheinungsform dem Bizarren das Entsetzliche bei. Vielleicht hat man nie und nirgends wieder die gesetzliche Autorität so lange außer Kraft und die Willkür der Rachelust so keck die Stelle des Gesetzes usurpiren gesehen. Meuchelmorde wurden vollzogen, als wären es gerichtliche Urtheile, am hellen Tage, auf offener Straße, und wehe den Vorübergehenden, wenn sie etwas dagegen hätten einwenden wollen! Die Theorie des Mordes war in die höheren Gesellschaftsclassen gedrungen und in den Salons wurden Geheimnisse des Meuchelns gelehrt, vor denen Insassen der Bagnos sich entsetzt hätten. Am Whisttische wurden förmliche Mordpartieen gespielt, und wenn dann einer der Spieler aufstand, gab er sich nicht einmal die Mühe, es leise zu sagen, daß er ginge, Jemand zu tödten. Die Frauen, sonst die sanften Vermittlerinnen zwischen den männlichen Leidenschaften, betheiligten sich eifrigst an diesen schrecklichen Debatten. Die Megären des rothen Schreckens hatten Miniaturguillotinen als Ohrengehänge getragen, die „anbetungswürdigen Furien“ des weißen Schreckens trugen Miniaturdolche als Busennadeln oder Haarpfeile. Man konnte einen jungen Elegant im kurzschößigen Rock, in einer Weste von gemsfarbigem Pelzsammet, mit seinen langen, gepuderten, zu beiden Seiten in Gestalt von „Hundsohren“ auf die Schultern herabfallenden Haaren, mit seinem aufgebundenen Zöpfchen und seiner wulstigen grünen Halsbinde in ein Damenboudoir treten und dort mit einem blutbefleckten Finger nach der Bonbonnière der schönen Insassin langen sehen. Dieser blutbefleckte Finger, der einzige Theil seiner zarten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_281.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)