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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

darzubringen, für mich und die nächsten Angehörigen meiner souveränen Person besonders servirt. Für das übrige Gemisch meiner Truppen von Begleitern und Vertrauten, von Verräthern und Helden war in einem andern Saal gedeckt. Ich proclamirte indessen mit Befehlshaberstimme – und ich soll, wie man versichert, dabei eine glänzende Beredsamkeit entwickelt haben – daß ein guter General am Tage einer großen Schlacht seine Mahlzeit in der Mitte seiner Truppen einnehmen müsse.

Nach dem Diner war eine königliche Equipage zur Verfügung Ihrer kleinen Rachel gestellt, die wahrhaft als Gast eines Königs empfangen wurde. Der Vorleser des Letztern begleitete mich auf einem reizenden Ausfluge um das prächtige Schloß von Sanssouci, und siehe da, an einer bestimmten Halle gerieth ich unter die königlichen Hoheiten, den Erben der Krone Preußens und den Prinzen Friedrich der Niederlande. Beide überhäuften mich mit Artigkeiten und applaudirten vorläufig mit den liebenswürdigsten Worten, ehe sie es mit den Händen thaten… Aber es ist Zeit, daß ich zum Abend übergehe.

Ich spielte die Camilla, fühlte mich sehr angeregt und Alles ging vortrefflich. Nach dem Stücke beauftragte die Kaiserin von Rußland den Grafen Redern, mich zu ihr zu führen. Ich näherte mich, und die Kaiserin sagte in der liebenswürdigsten Weise: ‚Ich habe oft die Vorschriften der Etikette bedauert, wenn sie fortwährendes Schweigen dem Zuschauer gebietet; aber wenn man heute auch wirklich hätte Beifall klatschen wollen, Mademoiselle, man würde es nicht vermocht haben – so sehr fühlte man sich von Gemüthsbewegungen ergriffen.‘

Der König von Preußen trat hinzu und sagte: ‚Sie haben mich tief erschüttert, Mademoiselle!‘

Ich antwortete mit allerlei kleinen Phrasen, die mir gerade über die Lippen kamen, und wohl besser als unlängst der Königin von England, der gegenüber ich während meiner Antworten nur an den Nebel der Themse dachte.

Am Abend darauf kam Nikolaus, der Kaiser von Rußland. Er wollte jedoch nur zwei Tage bleiben. Auf den 13. Juni fiel der Geburtstag der Kaiserin. Es wurde bestimmt, daß dieser Festtag nur im Familienkreise gefeiert werden sollte, weil die Kaiserin schwach und leidend war. Da die herrschende Hitze aber einen Aufenthalt in einem von Wachskerzen erleuchteten Saal unerträglich gemacht haben würde, sollte diese reizende ländliche Feier, bei der nur Mitglieder der hohen Familie und das Hofpersonal zugezogen waren, unter freiem Himmel auf der Pfaueninsel begangen werden, an der ein reizender Fluß, die Havel, wenn ich recht behalten habe, vorüberfließt und das schöne Bild mit Schaaren von Schwänen belebt. An diesen anmuthigen, etwa eine Meile von Potsdam entfernten Ort wurde ich vom Könige beschieden, um seine kaiserliche Schwester durch meine Kunst zu erheitern. Der Plan war auf eine Ueberraschung angelegt und gelang vortrefflich. Ich las mehrere Scenen aus der ‚Virginie‘, den zweiten Act aus der ‚Phädra‘ fast ganz, und was ich von ‚Adrienne Leconvreur‘ konnte, namentlich ‚die beiden Tauben‘.

Alles das konnte nur nach mannigfaltigen Unterbrechungen durch die Zuvorkommenheit der gekrönten Häupter und Prinzen, deren Namen ich übergehe, zu Ende geführt werden. Der Czaar erhob sich einmal mit großer Lebhaftigkeit, kam auf mich zu und sagte: ‚Mademoiselle Rachel, Sie sind noch größer, als Ihr Ruf!‘ Nachdem noch die übrigen Hoheiten und Majestäten mit mir gesprochen hatten, äußerte der Mächtigste von Allen, daß er mich im nächsten Jahre in seinen eigenen Staaten zu sehen hoffe.

Aber ich bemerke, daß ich schon auf der sechsten Seite meines Briefes bin. Sie können sich wirklich schmeicheln, daß ich noch in meinem Leben an keine Person, gleichviel, ob sie eine Krone trug oder nicht, einen so langen Brief geschrieben habe, wie an Sie.

Alles, was ich Ihnen daher noch sagen kann, ist, daß man eines starken Kopfes bedarf, um alle diese Dinge zu ertragen, und daß die Schmeicheleien, mit denen man mich überhäuft hat, der Weihrauch, den ich in Worten und Bouquets einathme, die vielen wunderlichen Namen der großen Herren, der Herzöge und Prinzen königlicher Häuser, die sich um mich gedrängt haben, den Ideenkreis der ehrgeizigsten Künstlerin ausgefüllt hätten. Weder Talma noch die Mars, meine glorreichen Vorgänger in der Gunst des Publicums, haben Aehnliches erlebt. In Wahrheit, ich bin glücklich, daß ich darüber mehr erfreut, als stolz bin, denn obgleich ich mir selbst Manches verdanke, muß ich doch gestehen, daß die Umstände mich begünstigen.

Doch ich vergesse beinahe das Beste von Allem. Denken Sie, während der Czaar zu mir kommt, um mich zu fragen, ob ich mich von den Anstrengungen des Lesens ermüdet fühle, sprach er stehend mit mir und zwang mich, sitzen zu bleiben. Von Respect durchdrungen, wollte ich, wie von einer unter dem Stuhle verborgenen Feder, in die Höhe schnellen, da faßte der Kaiser meine beiden Hände, nöthigte mich artig, wieder Platz zu nehmen, und sagte: ‚Bleiben Sie, Mademoiselle, ich bitte Sie darum, wenn Sie nicht wollen, daß ich mich augenblicklich entferne!‘

Am andern Tage, den 14. Juni, spielte ich im Theater zu Potsdam die Phädra und meinen kleinen Sperling (der Sperling der Lesbie). Ehe die Vorstellung begann, ließ mir der König durch den Grafen Redern die Summe von zwanzigtausend Francs zustellen. Der Kaiser von Rußland übersandte mir durch seinen Adjutanten, den Grafen Orloff, zwei kostbare Opale, reich mit Diamanten eingefaßt, die ich auf zehntausend Franken schätze.

Gestern hat das Diner stattgefunden, das mir von den Berliner Literaten gegeben wurde. Ich vergaß noch ein anderes, mehr bedeutungsvolles als kostbares Geschenk, das mir die Gattin des größten hiesigen Chemikers, dessen Namen ich nicht zu schreiben verstehe (Mitscherlich, D. R.), gemacht hat. Es ist die Statuette Shakespeare’s, das Meisterwerk eines Künstlers, der vor zehn Jahren noch die Schafe hütete. Man sagt mir, daß das kleine Ding, künstlerisch betrachtet, von sehr hohem Werth sei; es steht gar nicht danach aus.

Leben Sie wohl und seien Sie stolz auf diesen langen Brief einer tragischen Schauspielerin, mit der auf ihrer Rundreise so viele Kaiser, Könige, Prinzen und Prinzessinnen gesprochen haben!“




Deutsches Lied und deutsches Herz – wandeln um die Erde. Das zeigten im vorigen Herbst die jungen Deutschen in Colima, einer mexicanischen Stadt. Eine Ueberschwemmung hatte das umliegende Land in Noth gebracht. Sofort regte sich’s nach heimischer Weise in den deutschen Herzen: die Kunst mußte helfen, damit die Wohlthätigkeit die Hand rühre. Ein Concert wurde veranstaltet, die alten lieben Lieder: „Das ist der Tag des Herrn“, „Was ist des Deutschen Vaterland“, „Der Wanderer“ von Schubert erschallten in wohlgeschultem Quartett, Ouvertüren und Stücke aus Mozart’schen, Weber’schen und anderen deutschen Meisterwerken entzückten die Deutschen und erregten die Bewunderung der Eingeborenen, und schließlich genossen die Unternehmer die Genugthuung, den von der Ueberschwemmung am schwersten Betroffenen eine hübsche Summe zuwenden zu können. „Ganz wie bei uns,“ werden unsere Leser sagen; aber daß es jenseits des Oceans in wildfremdem Lande so ist, freut uns doch.




Ein Abenteuer Offenbach’s. Wer kennt nicht Jacques Offenbach, den Componisten des Orpheus in der Unterwelt, der schönen Helena und so vieler anderen Operetten, deren Melodien sich schnell überall eingebürgert haben?

„Was halten Sie von Offenbach?“ fragte man kürzlich einen berühmten Musiker.

„Er besitzt viel Talent und einen ungeheueren Fehler,“ entgegnete derselbe.

„Was ist das für ein Fehler?“

„Man kann ihm nie ein Compliment machen, denn steht man eben im Begriff, ihm zu sagen: ‚Sie haben wirklich Talent,‘ so spricht er schon: ‚Nicht wahr, ich besitze Genie?‘“

Diese Künstlereitelkeit spielt ihm zuweilen einen kleinen Streich, wie man aus folgendem Geschichtchen ersehen kann.

In einer kleinen nassauischen Ortschaft wurde vor einiger Zeit ein Denkmal enthüllt und der Ort wie die ganze Umgegend betrachtete dies als ein Fest; überall sah man Fahnen und Guirlanden flattern und die gesammte Einwohnerschaft hatte sich in Feiertagsschmuck geworfen. Man erwartete nur noch einen der obersten Regierungsbeamten aus Wiesbaden, welcher bei der Enthüllung eine Rede halten und dem Festessen präsidiren sollte; die Böller standen bereit und die Artilleristen harrten des Signales, um den Präsidenten mit einhundert und ein Kanonenschüssen zu begrüßen, aber wer nicht kam, das war der Präsident. Nach zwei Stunden ungeduldiger Erwartung entschloß man sich endlich, sechs Abgeordnete nach Wiesbaden zu senden, die den Präsidenten im Triumph einholen sollten. So vergingen abermals drei Stunden allein weder die Abgeordneten noch der Präsident erschienen; Nachmittags langte jedoch eine telegraphische Depesche an, welche folgendermaßen lautete:

„Deputation Pech gehabt; schickt Geld zur Rückkehr!“

Die sechs Unglücklichen hatten den Präsidenten unwohl im Bett gefunden und waren zur Unterhaltung ein wenig in den Cursaal spaziert, wo sie auch am grünen Tisch ihr Heil versucht und ihre Baarschaft bis auf den letzten Gulden verloren hatten.

Während dieser Zeit wartete daheim die enthusiastische Volksmenge, welche nicht um ihr Fest kommen wollte, immerfort noch, obwohl das Festessen schon ziemlich kalt geworden war. Endlich gegen sieben Uhr Abends signalisirte man die Rückkehr der Deputation, welche auf dem Dampfschiff ohne Präsidenten anlangte. Der Zufall hatte Jacques Offenbach gleichfalls an Bord desselben Dampfschiffes geführt; in dem Augenblick, als das Schiff anlegte, stimmte die Musik gerade die Orpheusquadrille an.

„Sieh, sieh!“ dachte Offenbach, „man bereitet mir einen Empfang.“

Die am Ufer daherströmende Menge brach in anhaltendes Hurrah- und Vivatrufen aus; die sechs Abgesandten bemühten sich fortwährend, den Leuten zu erklären, daß der Präsident gar nicht mit sei, allein die seit dem Morgen unterdrückte Freude und Begeisterung der Masse wollte ihr Recht haben und ihre Ausbrüche ließen Niemand zu Worte kommen. Offenbach war fest überzeugt, daß der ganze Jubel ihm gälte; er grüßte huldreich nach allen Seiten, so daß die Leute der festen Meinung waren, er sei der erwartete Präsident. So hielt er unter dem Kanonendonner und Beifallsgeschrei des Volkes seinen Einzug in dem Flecken, höchlich befriedigt von der Anerkennung, die ihm hier zu Theil wurde. Von Zeit zu Zeit hörte er den Ruf: „Der Herr Präsident soll leben! Vivat hoch!“

Dann grübelte er wohl einen Augenblick lächelnd darüber und dachte: „Warum in aller Welt nennen sie mich nur Präsident?“

Aber die Musik, der Kanonendonner, das Glockengeläute und die Ehrenpforten ließen ihn nicht zu weiterem Nachdenken kommen. So geht der Zug in prachtvollster Ordnung durch den Flecken; alle Fenster sind illuminirt, voran schreiten weißgekleidete Mädchen und streuen Blumen, dann kommt der Bürgermeister mit den andern Beamten, darauf die Schulkinder mit ihrem Lehrer und zuletzt die sechs Deputirten mit ihren Schärpen und Jacques Offenbach. Und die ganze nebenher und hinterdrein strömende Menge ruft aus vollem Halse: „Der Herr Präsident soll leben! Vivat hoch! hoch! hoch!“

Endlich hält der Zug vor dem Rathhause still und Offenbach spricht mit sehr gerührtem Ton: „Meine lieben Freunde, Dank, tausend Dank für Euren herzlichen Empfang!“

Nun tritt der Bürgermeister vor, nähert sich dem Componisten und hält seine wohlgesetzte Anrede, in der er von allem Möglichen spricht, vom Fortschritt, vom Dampf, von der Gnade der Regierung etc., bis er zuletzt damit schließt, daß er den Präsidenten bittet, sein Fürwort dahin einzulegen, daß der Ort baldigst mit Gasbeleuchtung beglückt werden möchte. Jetzt erst wurde Offenbach das Mißverständniß klar; er ärgerte sich tüchtig, schritt jedoch schweigend weiter, und während die Beamten, Notabilitäten und die sechs Abgesandten sich nach dem Banketsaale wendeten, wo das wieder aufgewärmte Festessen ihrer harrte, verschwand Offenbach in der Dunkelheit und reiste nach Ems ab.





Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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