Seite:Die Gartenlaube (1866) 295.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

wir wenden uns links hin und – „o du tausendfaches Christfest!“ ruft Wagner aus: ein Kastanienwäldchen leuchtet ihm mit seinen Blüthenkerzen entgegen. Daneben liegt ein größerer Platz mit einzelnen Prachtexemplaren von Bäumen.

Abermals etwas links auf breitem Wege, auf dem wir uns bequem um unsern Reiter gruppiren können, geht’s einer steilen Bergwand entgegen. „Welche prächtige Linde dort!“ ruft Wagner. „„Dafür beschattet sie auch den Charlottenplatz. – Sie ahnen wohl, welcher Charlotte er geweiht ist? Ahnen’s doch selbst die Nachtigallen, denn nirgends singen sie schöner, als da.““ – „Und wie lieblich der Wiesengrund da unten lacht!“

Aber weiter – immer rechts am Berg hin in den Wald hinein, über Schluchten hin auf sicheren Stegen, die auch Wagner’s Rößlein nicht scheut. Hohe, stattliche Buchen, durchzogen von blätterreichem Buschwerk und saftigen Moosflächen. Doch endlich lichtet sich’s, wir stehen am Waldrand und drüben winkt uns die „Morgenhütte“, geschmückt mit einem Spruch, welcher den Morgen der Natur hier und den der Ewigkeit dort verherrlicht.

„Nicht lange, so suchest du
Mich vergebens im Felde,
Rufst vergebens den Schlummer!“

murmelte der kranke Dichter mit trübem Blick. „„Nicht doch, Wagner““, sagt der Freiherr, „„der Gedanke an die Ewigkeit soll uns nicht traurig stimmen. Ebendeßhalb habe ich ihn mit dem Alles belebenden Morgen und dieser heiteren Stätte in Verbindung gebracht. Mir ist der Tod der Uebergang zu höherem Glück, kein Trauerfall, und darum ist mir nichts mehr zuwider, als Todtenklage und Trauerkleid.““

„Ist gar schön gedacht – aber was kann mein Herz dazu, daß ihm schauert, wenn ich an sein Stillstehen denke, das ihm in meiner armen Brust so nahe bevorsteht?“

„„Mein Herzensfreund,““ – Truchseß erfaßt Wagner’s Hand, das Pferd zum Wald zurücklenkend – „„wen der gute Gott mit einem so reichen Geist beschenkt hat, der darf nicht murren über Armuth des vergänglichen Leibes. Und wer kann denn dem Jenseits entschlossener entgegen gehen, als Ihr schon diesseits Unsterblichen?““

An einer großen Fichte weidet man sich an dem freien weiten Blick, der sich hier in das tiefere Land öffnet. Jetzt reiten und gehen wir einen Hang hinunter, wo die ansehnliche Spiegelfläche eines Teichs uns winkt, von dem ein Arm sich nach uns ausstreckt, dann wenden wir uns rechts aufwärts zur Einsiedelei, die bestimmt ist „für den, der ein unbefangenes Herz in die Einsamkeit mitbringt, denn ihm erhöht sie jede Freude des Lebens.“ Wie sehr auch Wagner sich hier gefesselt fühlt, so drängt der Burgherr weiter, höher bergan, am steinernen Altar der Einsiedelei unter einer mächtigen Eiche vorüber zur Säule des Scheidewegs, der links mit den Worten:

„Prüfend wandle den Weg, der hier zum Genusse dich locket“ zum Minnesängerplatze, und rechts mit dem Troste:

„Ruhig betrittst du dann den, welcher zum Ziele dich führt“ in sinnigster Weise an dem Spruch: „Der Mensch werde am Morgen des Lebens abgerissen oder er falle im Alter gleich einer reifen Aehre, so fällt er immer zur rechten Zeit nach dem Plan der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat und als ein Mensch gestorben ist“ –– und abermals über eine Schlucht hin am Ring der Ewigkeit (auf einer Pyramide eine Schlange, die, den Schwanz im Rachen, einen Ring bildet, innerhalb dessen ein Eichenblatt mit Puppe und Schmetterling und die aufgehende Sonne dargestellt sind) vorüber zur Todtencapelle führt.

Schon das Herannahen zu diesem einsamen Tempelchen, dessen Eingang der Genius mit der umgekehrten Fackel bewachte, gab eine feierliche Stimmung, so daß wir Alle schweigend nahten – erzählt Mosengeil. Wagner wurde vom Pferde gehoben und in die Capelle geführt. Im Halbdunkel des Waldschattens und des einfach geschmückten Raums erkannten die Gäste rings an den Wänden auf marmornen Gedenktafeln die Namen der hingeschiedenen Lieben und Freunde des Freiherrn – ein Stück Geschichte seines Herzenslebens. Kein Wort, kein Lispeln wurde laut. Aber aus Wagner’s Augen rollten Thränen, als er auf eine noch leere Tafel hinwies, Truchseß einen bittenden Blick zuwarf und auf sich deutete. Erschüttert schloß ihn der starke Ritter in seine Arme. Da drang ein heftiges kindliches Schluchzen an ihr Ohr. Prinz Bernhard lehnte den Kopf an eine Gedenktafel und weinte bitterlich; sie trug den Namen seines Vaters.

Die Marmorplatte, welche der Blick des kranken Dichters für sich gewählt hatte, trägt jetzt die Inschrift: „Ernst Wagner, geboren am 2. Februar 1769, gestorben am 28. Februar 1812.“

„„Kommt, laßt uns den letzten Strahlen der Sonne nachschauen, wir leben ja noch!““ Damit führte der Freiherr seine Freunde wieder ins Freie; Wagner wurde aufs Pferd gehoben und bald stand der kleine Zug abermals vor einer Brücke, die über eine Schlucht führte. Eine Säule ragte vor ihnen auf mit vielen kleinen Medaillons, von denen mehrere mit Namen beschrieben waren. „„Das ist mein Denkmal der Geschwisterliebe im Truchseß’schen Hause. Ich habe bestimmt, daß die Namen der Geschwister erst dann hier eine Stelle finden, wenn sie das dreißigste Jahr zurückgelegt und bis dahin in Friede und Einigkeit gelebt haben.““

„Dann ist gewiß kein Ausstreichen von dieser Ehrensäule mehr nöthig,“ bemerkte Wagner, der, wie Mosengeil, eine solche Stiftung in jede Familie wünschte.

Hundert Schritte weiter kam man an der schönen gothischen Margarethen-Capelle mit trefflichen Glasmalereien vorüber und bog nun zum Scheidewege zurück, um den dort zur Linken abbiegenden Weg des Genusses zu betreten. Es geht wieder bergauf. Oben streckt eine uralte Eiche ihre knorrigen Aeste über das Denkmal für Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen aus und an ihm und einer künstlichen „alten Burg“ vorüber gelangen wir zum Minnesängerplatz.

„Welch’ reizender Raum für eine Dichter- und Heldentafelrunde!“ rief Wagner aus. „Ein Tempel der Natur, in welchem Eichenstämme die mächtigen Säulen und Eichenkronen das Dach bilden. Hier die Stein-Estrade mit der steinbildgeschmückten Rückenwand und den staffelförmigen Seitenwänden, ganz geschaffen zum Ehrensitz für die holden Edelfrauen und hohen fürstlichen und ritterlichen Preisrichter des Minnegesangs – –“

„„Hoho,“„ lachte der Freiherr, „„die dicken Schulzen und Bauernweiber der Umgegend nehmen ihn jetzt häufiger ein, als so hohe preisrichterliche Welt. Die Land- und Stadtleute benutzen diesen Platz oft zu allerlei Familien- oder Gesellschaftsfestlichkeiten, und ich habe das gern, weil man keinen Unfug dabei duldet und meine Anlagen und Pflanzungen schont.““

Der Weg führt nun leicht aufwärts in den Wald hinein, zuerst zu einem Denkstein für Ulrich von Hutten, der von schlanken Föhren überragt ist, und dann nach etwa zehn Minuten zum Dichterhaus, wo die Bettenburg so vor uns steht, wie unsere Abbildung sie giebt. Der Freiherr hatte aber noch eine Ueberraschung für seine Freunde bereit und spornte zur Eile an, um noch höher hinauf abermals zu einem Waldrand zu gelangen, wo sein Jagdhaus stand. Hier machte Alt und Jung mit einem Ah! dem freudigen Herzen Luft: da streckte sich weithin das Land mit seinen Dörfern, Wiesen, Feldern und Wäldern aus, schon von langen dunklen Schatten der Dämmerung durchzogen und die Gipfel der Haßberge von der scheidenden Sonne vergoldet. Erst als ihr letzter Strahl verglommen war, setzte der Zug zum Heimgang sich wieder in Bewegung. Der Weg führte ihn zum Charlottenplatz zurück, der Nordwand der Burg entlang, durch ein Musterwäldchen, in welchem Truchseß alle in Deutschlands Forsten vorkommenden Bäume pflegte, und am äußersten Ende desselben zum Freundschaftsplatz, den „hessischen Freunden“ des Freiherrn geweiht und mit Schiller’s Worten: „Wem der große Wurf gelungen etc.“ auf einer Steintafel geziert.

„„Dank ihm, daß er dies sang,
Heil ihm, daß er es lobte!““

fügte Truchseß, hinzu. Die Seele voll des Gesehenen folgten die Gäste ihrem edeln Führer in das Schloß zurück.

Fr. H.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_295.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)