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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

an der Ostküste von Florida zu bergeshohen Wellen aufgewühlt, auf denen das schöne Schiff, entmastet, mit beschädigter Maschine, hülflos, aber pfeilschnell vor dem Sturme hingetrieben sei.

Es galt dem Schiffe Hülfe zu senden. Wie aber vor Allem es zu finden?! Maury war zugegen. Fast zur selben Stunde lieferte ihm das Observatorium zu Washington die Thatsachen, die den Lauf des in Frage befindlichen Orcans bestimmten. In sicheren Streichen wurde er auf eine Karte eingetragen, mit der ausgerüstet zwei Dampfavisos in See gingen. Zwei Tage später lief in New-York die frohe Botschaft ein, die Avisos hätten, den vorgeschriebenen Cours haltend, fast genau auf der von Maury in der Unendlichkeit des Weltmeers bezeichneten Stelle, das Schiff im Augenblicke des Sinkens getroffen und wären glücklich genug gewesen, alles Lebende an Bord zu retten.

Einige Stunden Unsicherheit des Suchens hätten über fünfhundert Menschen das Leben gekostet! Die Thatsache machte ungeheures Aufsehen unter den seefahrenden Nationen und öffnete mit Einem Schlage alle Gemüther den Ideen Maury’s. Das Resultat war das Zusammenbringen des „Internationalen meteorologischen Congresses“ zu Brüssel im Jahre 1853, auf dem durch Feststellung eines allgemeinen Logbuchs den sämmtlichen meteorologischen Beobachtungen zur See auf der ganzen Welt vergleichbare Form gegeben wurde. Auch die Auspostirung des „getreuen Eckhardt“ wurde beschlossen, aber nur die Regierungen von Nordamerika und von England (und von Frankreich zum Theil) haben den Beschluß bis jetzt ausgeführt.

In den Händen des energischen, gelehrten und geistvollen Admiral Fitzroy erhielt das System von Sturmsignalen, durch welche England seine Küsten warnend umgiebt, einen bewunderungswürdigen Organismus. Sobald eine der ungefähr hundert meteorologischen Observationsstellen in England die Anzeichen eines Sturmes empfängt, hat sie davon telegraphische Nachricht an das Central-Observatorium zu Greenwich zu geben. Diese Depeschen gehen allen andern, selbst den Staatsdepeschen, im Range vor. Das Greenwicher Observatorium construirt aus den verschiedenen Beobachtungen, die ihm zufließen, sofort den ungefähren Lauf des Cyclon, und wenig Minuten darauf erheben sich, telegraphisch angewiesen, an den bedrohten Küstenstellen die sorgfältig dafür construirten, fern hinaus in’s Meer sichtbaren Tag- und Nachtsignale. Ein mit der Spitze nach oben aufgehißter großer Konus bedeutet „Sturm aus Nord“, in umgekehrter Lage „Sturm aus Süd“ u. s. w., ein Cylinder zeigt „Symptome der Sturmbildung“ an. Bei Nacht ersetzen Constellationen von Lichtern diese Zeichen.

Nicht immer folgt den Indicien ein heftiger Sturm, nicht immer berührt er genau die bezeichneten Stellen, aber besser, daß zehn Mal umsonst Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, als daß ein Mal der rasende Windgeist die Schiffe im Schlafe überfalle.

Leverrier proponirte 1855 ein ähnliches System der Küstensicherung dem Kaiser Napoleon und 1860 wurden die Sicherheitssignale zu Dünkirchen, Havre, St. Malo, Dieppe, Cherbourg, Brest, Nantes u. s. w. vom Pariser Observatorium aus dirigirt. Es konnte nicht fehlen, daß, besonders im Anfange, die alten „Meerwölfe“, die ein Gran Praxis für schwerer erklären als ein Pfund Wissenschaft, zu des alten Admiral Fitzroy’s curiosen Zeichen lachend die Köpfe schüttelten. Auch hier sollte ein finstres Ereigniß der Aufklärung mehr Jünger schaffen, als viele Jahre Weisheitsprediger. Im Juli 1858 verkündeten die Fitzroy’schen Signale an einem klaren, ruhigen Morgen in der Nähe von Newcastle die Bildung eines Cyclons. Keine der gewöhnlichen praktischen Wetterregeln bestätigte die Prophezeiung und von über hundert Fischerbarken, die zu Tynemouth lagen, verließen mehr als achtzig, der Signale spottend, den Hafen. – Am Abend war die Küste meilenweit mit ihren Trümmern und mit Leichen bedeckt und nur die zehn bis zwölf Barken, die, den Signalen gehorchend, sich hatten verhöhnen lassen, waren gerettet.

In diesem Augenblicke stehen außer den einheimischen etwa hundert internationale Observatorien mit Paris und Greenwich in Rapport, die jeden Tag früh acht Uhr ihre Berichte erstatten, aus denen die nützlichen Schlüsse gezogen und an die betheiligten Orte telegraphirt werden.

Den Segen, den die Inslebenführung dieser Ideen, zu deren Hauptträgern Maury gehört, hervorbrachte, in Millionen von Pfunden Sterling ausdrücken zu wollen, wäre vergebliches Bemühen. Nur eine Ahnung davon, von welch’ unermeßlichem Einflusse jede sichernde Maßnahme dieser Art sein muß, soll es gewähren, wenn wir hier nach den officiellen Quellen des englischen Schiffbruch-Register mittheilen, daß ungefähr dreimalhunderttausend Schiffe das Meer befahren und die Verfrachtungen von und nach England allein jährlich 1400 Millionen Centner, im Werth von 3500 Millionen Thaler betragen. Jährlich scheitern durchschnittlich eintausendfünfhundert Schiffe an der englischen Küste allein, von denen fünfhundert total verloren gehen! Vier- bis fünftausend Menschen gerathen dabei in entschiedene Lebensgefahr und achthundert bis eintausend Menschen kamen bis vor Kurzem elend dabei um.

Nun wohlan! Es darf ein leuchtendes Resultat kräftigen Strebens genannt werden, daß, seitdem die Fitzroy’schen Sturmsignale, in Verbindung mit der frei aus der Thatkraft der englischen Nation heraus geschaffenen edelsten aller Flotten, der der Lebensrettungsboote, bestehen, dieser Verlust an Menschenleben fast auf die Hälfte herabgedrückt worden ist! Der in stillem Gemache grübelnde Geist der Wissenschaft, das Wirken hinter der bleichen, in tiefer Nacht über das schweigende Blatt gebeugten Denkerstirn, giebt aus dem offenen Grabe des brüllenden Oceans fünfhundert Gatten, Väter, Brüder jährlich, an der Küste Englands allein, der Liebe und dem Vaterlande zurück!! –

„Nichts Heiliges giebt’s für den Sapeur,“ sagt das französische Sprüchwort, das sich auch mit: „Der politische Fanatismus kennt keine Propheten“ übersetzen läßt. Der treue Herr Helfer in Meeresnöthen, der Erkenner der Stürme des Himmels, verechnete sich im Laufe des großen politischen Orcans, der Amerika durchtobte. In den Südstaaten geboren, in südstaatlichen Ideen aufgezogen, neigte der Bekämpfer der Elemente stark auf die Seite der Sclavenbarone und verlor demzufolge nicht allein seine einträgliche und, was ihm wichtiger war, hülfsquellenreiche Stellung am Observatorium in Washington, sondern auch Hab’ und Gut und den Rest seiner durch rastlose Thätigkeit untergrabenen Gesundheit, so daß er, fast vom Nöthigen entblößt, nach England kam.

Die siegreichen amerikanischen Freistaaten kannten auch kein Dankgefühl für ihren berühmten Mitbürger, der ihr politischer Gegner gewesen war. Zum Glück und zu ihrer Ehre ließen sich die anderen seefahrenden Nationen die Gelegenheit nicht entgehen, wirksam Maury’s segensreiches Schaffen anzuerkennen.

Französische und englische Blätter forderten laut auf, ihm die Mittel zu neuem Wirken zu gewähren. Am offensten aber reichte ihm ein Fürst von klarem Blick und offenem Herzen für die Anerkenntniß geistiger That, der Großfürst Constantin, Großadmiral von Rußland, die Helferhand, indem er ihm am 27. Juli 1861 von Petersburg aus schrieb:

„Mein theurer Capitän Maury! Die Nachricht, daß Sie einen Dienst verlassen haben, der Ihren großen und erfolgreichen Arbeiten so viel verdankt, hat auf mich und meine Waffengefährten einen sehr peinlichen Eindruck gemacht. Ihre unermüdlichen Forschungen haben die großen Gesetze enthüllt, welche die Strömungen in Luft und Ocean regieren, und Ihr Name ist durch sie unter diejenigen gereiht worden, die zu allen Zeiten nicht allein die Männer von Fach, sondern Alle, die ein Herz für große menschliche Bestrebungen haben, mit Dankbarkeit und Ehrfurcht nennen werden!

Es ist kaum nöthig, daß ich erwähne, wie wohlbekannt Ihr Name in Rußland ist, und obwohl wir noch oft genug Barbaren genannt werden, so verstehen wir doch in Ihrer Person edle und uneigennützige, der Wissenschaft und der Menschheit geleistete Dienste zu ehren. Aufrichtig die Unthätigkeit bedauernd, zu der Sie das politische Wirrsal in Ihrem Vaterlande verurtheilt hat, fühle ich mich getrieben, Sie zu zeitweiliger Uebersiedelung hierher dringend einzuladen, wo Sie Ihren so nützlichen Lieblingsbeschäftigungen in Frieden nachgehen können. Ihre Stellung hier soll eine vollkommen unabhängige sein, keine Bedingungen oder Verträge sollen Sie binden und es soll Ihnen freistehen, jeden Augenblick über den Ocean heimzusteuern, wenn Sie es nicht vorziehen sollten, in diesem Winkel der baltischen See Anker zu werfen. Es würde mir ein besonderes Genügen gewähren, für Ihr materielles Wohlergehen hier zu sorgen und Ihnen Ihre neue Heimath so comfortable als möglich zu machen. Es versteht sich, daß Ihnen die Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, die Ihnen gestatten, Ihre Forschungen in gewohnter Weise fortzusetzen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_784.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)