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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mit aller Lebhaftigkeit wurden noch musikalische, literarische und andere Themen besprochen, auch pikante Skizzen des Pariser Lebens von Hiller entworfen, er schloß den Reliquienschrein seiner Erinnerungen auf, um manches funkelnde Kleinod herauszunehmen und an’s Licht zu tragen. Dabei leuchteten die klugen Erzähleraugen, und die Mundwinkel umspielte ein schalkhaftes Lächeln. Plötzlich sprang Hiller auf und setzte sich noch einmal an den Flügel. Leise huschten die vollen Hände über die Tasten – Hiller hat keine eigentliche Clavierhand – und es war zuerst nur wie ein „Rufen aus Träumen“, allmählich aber reihten sich die Gedanken aneinander, und der seltene Gast phantasirte über alle jene Lieder, die man ihm gesungen. Die Kirchenglocken läuteten zu der Procession: „Das ist zu Köln an dem Rheine“, die Mutter Gottes kam leise hereingeschritten und legte ihre Hand auf das Herz des Kranken, dann wehte der West auf feuchten Schwingen daher. Suleika hauchte: „Sag’ ihm, aber sag’s bescheiden,“ Schumann’s Frühlingslied klang wie Nachtigallenschlagen dazwischen, Schubert’s „Auf dem Wasser zu singen“ zog vorüber, und das köstliche Liebeslied Rückert’s, von Franz, „Er ist gekommen in Sturm und Regen“ brauste daher, und endlich kam die liebe Melodie, weich und tief wie ein Abschiedsblick:

„Wenn Menschen auseinandergehn,
So sagen sie: auf Wiederseh’n!“

Als Hiller sich erhob, da standen manche schöne Augen in Thränen und schlanke Frauenhände streckten sich ihm dankend entgegen. Aber mitten in diese erregte kleine Scene fiel eine Männerstimme, die halb scherzend, halb ernst sagte: „Es hilft eben nichts, mein verehrter Herr Capellmeister, das Scheiden ist da; wir müssen hinunter gehen, in sieben Minuten fährt der unerbittliche Courierzug ab. Es ist drei Uhr vorüber.“ Das war die „lustige Person“ des Stückes.

Ferdinand Hiller ist ein Frankfurter Kind, der zärtlich geliebte Sohn hochgebildeter Eltern, im Jahre des großen Kometen und des feurigen Weines geboren, und hell und feurig ist diese Künstlerseele bis zur Stunde geblieben. Allerlei gute Geister haben bei seiner Jugend gleichsam Pathe gestanden: Goethe’s Hand lag auf dem Scheitel des Knaben, als er, um den Clavierunterricht Hummel’s zu genießen, nach Weimar kam. Beethoven’s erlöschende Augen haben ihn bedeutungsvoll angeschaut, als der Jüngling seinen berühmten Lehrer nach Wien begleitete und mit ihm an das Schmerzenslager des sterbenden Titanen trat. Der tiefdenkende gelehrte Gründer des Cäcilien-Vereins in Frankfurt a. M., Schelbele, nannte Hiller seinen Liebling, und Aloys Schmitt prophezeite ihm eine glanzvolle Laufbahn. Der strenge, abgeschlossene Cherubini thaute dieser liebenswürdigen Künstlernatur gegenüber auf, und die ganze geistige und musikalische Aristokratie des damaligen Paris interessirte sich für den kaum Siebenzehnjährigen, als seine Mutter, um ihn in diese reiche Welt einzuführen, dort einen Salon eröffnete, in dem sich oft die heterogensten und anziehendsten Elemente zusammenfanden. Welch’ ein Vorwurf für einen Maler, diese Vereinigung von feinen Köpfen und Gestalten!

Es ist ein Winterabend. Das Feuer im Kamin brennt. Draußen rollen die Equipagen vorüber und beim Scheine der Laternen zeigen sich rosengeschmückte Frauenköpfchen, blitzende Diamanten, bauschende Stoffe hinter den Scheiben. Paris tanzt heute in den Tuilerien, im Stadthause, im Theater, in der Closerie de Lilas, im Jardin d’hiver und wer weiß noch wo. – Das große Musikzimmer der Hiller’schen Wohnung ist sanft erwärmt und beleuchtet; man tanzt auch dort, aber nur zehn Finger sind’s, die tanzen, die Finger Chopin’s. In einer Marmorschale auf dem Tisch duften Veilchen, die holden Lieblingsblumen einer holden Kaiserin, die bei uns nur im Frühling, in Paris aber zu allen Zeiten blühen. Ein Erard’scher Flügel steht in der Mitte, vor ihm der junge träumerische Chopin. Er scheint die Tasten kaum zu berühren; wie aus weiter Ferne schwebt eine feurige und doch tief klagende Tanzweise herein, näher und näher, sie wird immer lauter; er spielt seine wunderbaren Mazurken und dämonischen Walzer. Hiller selber mit der Künstlerstirn und den klugen Augen steht neben dem Spieler und verliert nicht den Hauch eines Tones. Am Kamin, vor lustig flackerndem Feuer, sitzt der alte Cherubini, der Schöpfer des Wasserträgers, zerstreuten Blickes und doch wider Willen dem zauberhaften Spiele, lauschend, es

Die Schweden kommen!
Illustrirt von Adolph Menzel. (Aus Bodenstedt’s Album.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_817.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)