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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

dem Schnee der Maria, und ein wundersüßer Duft strömte berauschend durch die Kirche. Wie im Traum fühlte der deutsche Maler die Blätter niedergleiten an seinen Wangen, er fühlte ihre Kühle an seiner Stirn und sank auf seine Kniee nieder. Wie lange er so lag, wußte er nicht – er schrak empor, als eine Frauengestalt aus der Capelle der Sforza schritt und langsam aus der Dämmerung in den Glanz der Kerzen trat. Die schwarze Mantille, die sie nach der Art der spanischen Frauen trug, war zurückgefallen, der Kopf trat frei aus der Umhüllung hervor wie ein Stern aus einer Wolke. Das Antlitz zeigte die göttlichen Linien der Venus von Milo, aber Colorit und Ausdruck war der einer Sibylle des Dominichino. Einzelne weiße Rosenblätter hingen in ihren schwarzen Haaren. Wie ein Blitz traf ihn plötzlich der volle Strahl ihrer Augen. Ihre Hände umschlossen einen Strauß rother Rosen. Warum rothe – und keine weißen Blumen, wie sie zum Feste ad nives paßten? Ein Diener stand hinter ihr – der deutsche Maler war bald an ihrer Seite und verließ mit ihr den Klosterhof. Seitdem habe ich die weißen Rosen vergessen – ich sah nur rothe – sie liebte die andern nicht – ich pflückte nur rothe – aber frage nicht, wo sie blühten.“

August Richter’s Wahnsinn, der sich täglich steigerte, blieb bald kein Geheimniß mehr; er trat heftig und immer heftiger auf. Man entsetzte ihn seines Lehreramts „bis zu seiner Genesung“, wie die Form lautete. Seit dieser Mittheilung beschäftigte er sich meist damit, Geld zu zählen, ob es wohl zur Reise nach Rom reiche, bald versuchte er seine Sachen zusammenzupacken, und ermahnte dabei seine Schwester dringend ein Gleiches zu thun. Dazwischen saß er wieder tagelang in dumpfem Hinbrüten nur dann und wann jenes schreckliche, angstvolle „Schnell! schnell!“ murmelnd. Er zeichnete wieder Rosen, Guirlanden, Kronen, Arabesken, aber immer nur Rosen. Man brachte ihn endlich nach dem Sonnenstein, wo königliche Gnade und mitleidige Freunde für den Unglücklichen die Kosten eines Stilllebens im Irrenhause bezahlten und – bis zur Stunde bezahlen. Jahrelang tobte der arme Gefangene und versuchte seinen Wächtern zu entfliehen – dann wurde er ruhig, mischte blaue Farbe und strich blau an, was ihm unter die Hände kam. Später formte er wieder großartige Modelle aus Gyps und bat und flehte immer und immer wieder um Marmor, damit er sie „lebendig“ machen könne, und da kein Marmor kam, zerschlug er seine Formen. Jetzt endlich hat er, wie die arme treue Schwester schreibt, in einem Dachstübchen sich wieder ein Atelier errichtet und zeichnet, und liebevolle Hände bringen die werthvollen Skizzenblätter in Sicherheit. Der Hof des friedvollen Karthäuserklosters in Rom mit dem Brunnen und den Cypressen des Michel Angelo ist vielleicht wieder aufgetaucht unter seinem Stift – aber Rosen zeichnet er nicht mehr – nie mehr.

E. P.     

Blätter und Blüthen.

Explodirende Briefcouverts. Eine neue, nicht eben ungefährliche Spielerei droht in diesem Augenblick wieder von Paris aus die ganze civilisirte (doch in dieser Beziehung unglaublich einfältige) Welt zu überschwemmen. Es ist ein sehr plumper Scherz, der in Folgendem besteht. In einer Gesellschaft wird Jemandem ein Brief überbracht mit der Aufschrift: „Eilig!“, „Per expreß“ und dergleichen und der Bitte um schleunige Antwort. Und wenn er nun schnell das Couvert aufreißt, so explodirt dasselbe „zum Vergnügen“ der damit noch unbekannten Gesellschaft, aber auch wohl zum Erschrecken kränklicher, nervenschwacher Damen. Die Erklärung liegt sehr einfach darin, daß das Couvert mit einer der in den Knallbonbons befindlichen ähnlichen Masse versehen ist, und die Idee ist deshalb eine sehr alltägliche, abgesehen davon, daß wohl in zahlreichen Fällen der Witz dadurch in’s Wasser fallen dürfte, daß der Empfänger den Brief mit Messer oder Scheere am Rande aufschneidet, anstatt ihn aufzureißen.

Viel geistreicher würde die Idee sich folgendermaßen verwirklichen: Eine liebende junge Dame, ein verliebter Geck oder sonst irgend ein neugieriges, leicht erregtes Menschenkind empfängt ein zierliches Briefchen, erbricht es mit zitternder Hand – und der feurige, sprühende Inhalt verwandelt im selben Moment den ganzen Brief in eine lodernde Flamme, aus der nichts zurückbleibt, als ein zierlich kräuselndes Rauchwölkchen und der süße Duft eines köstlichen Parfums. Die Theorie würde einfach in einem zarten, gleich dem bekannten „Düppelpapier“ nach Art der Schießbaumwolle präparirten Briefbogen liegen, welcher durch die ebenfalls explodirende Zündmasse der Oblate zur Flamme entfacht würde. Wir stellen die Ausführung dieser Idee den derartigen Fabrikanten anheim, machen sie zugleich aber dringend darauf aufmerksam, daß sie, um nicht gar schwere Verantwortung auf ihre Schultern zu laden, jetzt vor Allem dafür sorgen müssen, sämmtliche leichte Frauenkleiderstoffe zunächst das chemische Kunststück des Unverbrennlichmachens passiren zu lassen. Denn nicht blos die letztgedachten lodernden Liebes-Vexirbriefe, sondern auch die explodirenden Briefcouverts, die Teufelsthränen und andere dergleichen chemische Spielereien bedrohen unsere Frauenwelt in leichten, unpräparirten Kleidern nur zu sehr mit der grausigen Gefahr, lebendig verbrannt zu werden! K. R.     


Der Prophet gilt nichts im Vaterlande. An einem schönen Frühlingstage des Jahres 1843 war es, als eine kleine Hochzeitsgesellschaft die Mairie einer Gemeinde im Umkreise der Pariser Bannmeile betrat, um den Heirathscontract des jungen Paares daselbst zu unterschreiben. So klein diese Gesellschaft aber auch sein mochte, so auserlesen war sie; der Bräutigam war ein talentvoller junger Maler, der sich heute eines bedeutenden Rufs erfreut, und seine Trauzeugen hießen Ingres und Paul Delaroche, zwei Meister der französischen Schule. Die hübsche Braut hatte zwei Freunde ihres verstorbenen Vaters zu Trauzeugen gewählt, ihre Namen waren Victor Hugo und Alexander Dumas. Nachdem der Beamte umständlich Namen, Vornamen und Stand des Brautpaares niedergeschrieben hatte, ging er nunmehr zu den Zeugen über und wendete sich zuerst an Victor Hugo mit der Frage nach seinem Namen.

„Hugo?“ wiederholte er dann unentschlossen. „Wie wird das geschrieben? Steht am Ende vielleicht ein t?“

Der Dichter dictirte Buchstaben für Buchstaben; dann richtete der Beamte mit erhöhter Würde die zweite Frage an ihn:

„Was betreiben Sie für ein Gewerbe?“

„Gar keines,“ erwiderte Victor Hugo lachend.

„So, gar kein Gewerbe?“ Aber schreiben können Sie doch wenigstens, damit Sie Ihren Namen hier unterschreiben können?“

Dies wurde unter vieler Heiterkeit bejaht, dann kamen die anderen Zeugen daran. Als Ingres und Delaroche antworteten, sie seien Maler, maß sie der Municipalbeamte mit ziemlich geringschätzigen Blicken über seine Brille und sagte: „Stuben- oder Firmenmaler?“ Das Lachen der ganzen Gesellschaft verdroß ihn sehr und er brummte verdrießlich etwas von „unanständigem Benehmen“ vor sich hin, während Ingres ihm antwortete: „Schreiben Sie nur ganz einfach: Maler.“

Alexander Dumas wußte sich vortheilhafter aus der Affaire zu ziehen, indem er angab, er sei Rentier, was ihn in der Achtung des Mairiebeamten sehr hoch über seine Begleiter stellte, der von nun an ihm allein das Wort gönnte und die Honneurs machte. Alle diese Männer waren damals im Zenith ihrer Berühmtheit, und dennoch waren ihre Namen dicht bei Paris so unbekannt und unbeachtet geblieben, während sie überall im Auslande genannt und geschätzt wurden.


Die kranke Kuh. (S. S. 13.) Dem Bauer gehört sein Vieh zur Familie; ein lahmer Gaul, eine Kuh, die „verschlagen“ hat, machen ihm oft nicht minder Sorge als die Krankheit von Weib oder Kind. Für unser Gefühl hat dies allerdings etwas Verletzendes; wenn wir uns aber veranschaulichen, wie eng die Existenz des Landmannes, sein tägliches Leben, sein Gedeihen und Emporkommen mit Wohl und Wehe seines Viehstandes verknüpft sind, so wird unser Urtheil sich mildern müssen; wir werden dann begreifen, wie ängstlich das alte Mütterchen auf unserm Bilde dem herbeigerufenen Curschmied und Thierarzte die Gebresten ihrer Kuh, wahrscheinlich ihrer einzigen, vorklagt; wie genau und haarklein sie alle Krankheitserscheinungen der Leidenden aufzählt, wie gespannt sie sammt ihrem Buben dem Ausspruche des dörflichen Heilkünstlers entgegenharrt, welcher – der Fall muß ein ernster sein – sich wohl zu bedenken scheint, ehe er sein Verdict abgiebt.

Alle Gestalten des Bildes sind so recht aus dem Leben gegriffen und der Maler, wiederum einer aus der Düsseldorfer Kunstgenossenschaft, Ernst Bosch, hat es trefflich verstanden, unser Interesse für das an sich so einfache Motiv zu erwecken. Ein geborener Crefelder, bildete sich Bosch zuerst in Wesel zum Maler aus, um später in Düsseldorf sich den Schülern W. von Schadow’s anzureihen. Erst ein angehender Dreißiger, gehört er, durch die Verhältnisse begünstigt, bereits zu der nicht kleinen Anzahl von Düsseldorfer Künstlern, die sich auch äußerlich ein beneidenswerthes Loos zu erringen gewußt haben.


„Für Sieger und Besiegte!“ So lautet die Bestimmung der ansehnlichen Gabe, welche brave Deutsche jenseits des Oceans, in der deutschen Kolonie zu San Francisco in Californien, für die Verwundeten und die Hinterbliebenen der Gefallenen im letzten blutigen deutschen Kriege mit einem Briefe vom 8. November des vorigen Jahres mir zugesandt haben. Diese Männer, welche abermals ein erhebendes Beispiel dafür geben, daß das deutsche Herz in den entferntesten Winkeln der weiten Welt treu und warm für das alte Vaterland fortschlägt, haben durch ein Concert, zu welchem zwei Vereine, der dramatische Verein „Thalia“ und der Gesangverein „San Francisco Harmonie“, zusammenwirkten, die Summe von über 208 Pfund Sterling oder 1019 Thaler Gold (etwa 1400 Thaler pr. C.) aufgebracht. Die deutsche Gesinnung in San Francisco ist uns längst bekannt. Aeußert sich doch durch vielfache Zeichen der rührige, für deutsche Bildung rastlos thätige Geist jener Deutschen. Um so mehr erfreut uns diese neue Bethätigung desselben, und um so gewissenhafter werde ich, und ganz im Sinne der edlen Geber, mit ihrer patriotischen Gabe walten.

Ernst Keil.     



Inhalt: Die Brautschau. Von Herman Schmid. – Ein Quartett bei Göthe. Von Prof. J. C. Lobe. Mit Illustration von E. Döpler. – Die erste Wochensuppe. Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildung. – Aus der Geschichte der Väter Jesu. Von Alfred Meißner. – Vom alten Pfuel. Von Franz Wallner. – Ein Atelier im Irrenhause. Von E. P. – Blätter und Blüthen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_016.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)