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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Da öffnete sich plötzlich die Thür und lustig und lebendig sprang ein kleiner blondgelockter Engel in die Hütte.

„Grüß’ Gott, Mütterle! Grüß’ Gott, Kinderle!“ schwäbelte der kleine blonde Liebesgott.

„Willkommen, willkommen, Malchen!“ jauchzte die arme verlassene Familie, und der kleine liebe Gast hauchte aus seinem Rosenmündchen wieder die Farbe des Frohsinns und der Hoffnung auf die blassen Wangen der Unglücklichen. Nach der ersten kindlichen und herzlichen Begrüßung drehte das muntere Malchen ein wenig das Köpfchen, und das kluge Auge erkannte gar bald den mageren Schmalhans, der hier Küchenmeister war. Aber sie that nicht dergleichen, sie scherzte und lachte und verleugnete aus Zartgefühl ihre Theilnahme an dem Elend, das hier seine Geißel schwang. „Apropos, Mütterle,“ sagte endlich die kleine pfiffige Schwäbin, indem sie der Wittwe eine Börse in die Hand drückte, „Väterle hat mi herg’schickt, daß ich’s letzte Monatsgeld zahlen soll, das er Herrn Selbach schuldi bliebe ischt.“

„Das ist ein Irrthum, Malchen,“ antwortete Mutter Selbach, „Herr Morstädt hat meinem seligen Gatten jede Sing- und Musikstunde täglich honorirt, und es wäre unredlich, wenn –“

Aber Malchen stampfte zornig mit den kleinen Füßen, spielte so natürlich die Gekränkte und log so meisterhaft, daß die Matrone die sechs blanken Thaler nicht mehr zurückzuweisen wagte, sie als unverhofftes und willkommenes Erbe ansah und gerührt den Schutzgeist küßte, den ihr Gott gesendet. Das kleine Lügenmaul sprang lachend zur Thür hinaus und stolperte blindlings über die Schwelle – und einem bildhübschen jungen Herrn in die Arme.

„Ei, ei,“ rief dieser lachend, „welch’ einen niedlichen Vogel ich da gefangen habe!“

Es war der reichbegabte, jugendliche Schauspieler Neumann, der einige Jahre später wirklich diesen niedlichen Vogel fing.

„Was hat Sie denn so heiter gestimmt, liebes Malchen?“

„Ach, ‘s ischt nit immer schön Wetter, wenn d’ Sunn scheint. Ich lach’, aber das Weine steht mir näher, als das Lache, lieber Herr Neumann. In welcher Noth, in welchem Elend hat mein guter Selbach seine arme Familie zurück’lasse!“

„Selbach? Der wackere Tonkünstler Selbach, der Herrn Morstädt’s hübsches Töchterlein zu einer so wunderbaren Nachtigall gebildet?“

„Ach, spaße Se nit und denke Se e bisle nach, wie der armen Wittwe z’ helfe wär’,“ sagte bittend Amalie. „Baue Se sich eine Stufe in’s Himmelreich, lieber Herr Neumann.“

„Was können wir thun, mein Kind? Vielleicht in einem Benefiz für die Armen –“

„Ja, ja, in einer Benefici!“ rief freudig in die Hände klatschend das niedliche Kind. „Aber warum in einer Benefici für die Armen? Warum spielt Ihr nicht lieber für einen Armen, als für Viele? Dem einen Armen könnt Ihr helfe und vielleicht das Lebensglück seiner ganzen Familie gründe, aber viele Arme haben nix als höchstens ein paar Gerstenkörnle mehr in der Supp’ von solcher Benefici.“

„Denn mehr als ein paar Gerstenkörnle bleiben gar oft im Kessel der Administration,“ ergänzte lachend der Schauspieler. „Nun, ich will Ihr barmherziger Bruder sein, meine kleine, schöne, barmherzige Schwester, denn wir müssen uns Beide miteinander die Stufe in das Himmelreich erbauen.“

„Miteinander?“ fragte Malchen mit großen Augen.

„Ja, Arm in Arm mit Dir, so fordr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken! Eilen Sie nach Hause, mein Kind! Ich folge Ihnen auf der Stelle als Ambassadeur Apollo’s, um für seinen Tempel eine wunderniedliche Novize zu werben und mir den Kuß der Musen zu verdienen als süßen Dank.“

„Auch e Kuß von mir, wenn das schöne Werk gelingt!“ rief die kleine Nachtigall, indem sie dem Vogelsänger entflatterte und nach ein paar Minuten lustig in ihren Käfig sprang.

Und das schöne Werk gelang vollkommen! Herr und Madame Morstädt erlaubten ihrem zehnjährigen Töchterchen Amalie, zum Besten einer armen Wittwe im großherzoglichen Theater den „Oberon“ zu spielen in der Oper gleichen Namens von Kranitzky. Eine zum Herzen sprechende Stimme, ein wunderbares Darstellungstalent und eine Gestalt wie „Gebild aus Himmelshöh’n“ vereinten sich, dem holden Elfenkönig eine glorreiche Regierung zu sichern. So führten die Genien Kunst, Liebe und Barmherzigkeit Amalie Neumann-Heitzinger und drückten ihr schon als Kind die Blumenkrone auf das blonde Lockenköpfchen.

Der reizenden Jungfrau, dem blühenden Weibe spendeten sie den duftenden Rosenteppich auf der dornenvollen Bahn des Lebens, und wer jetzt, nach einem halben Jahrhundert, die noch immer heitere und liebenswürdige Künstlerin mit alter schwäbischer Herzlichkeit das Gute und das Schöne befördern sieht, muß mit ihrem großen Landsmann singen:

„Ehret die Frauen, sie flechten und weben
Himmlische Rosen in’s irdische Leben.“




Schriftstellerischer Schwindel. Freifrau von N., in einer süddeutschen Stadt wohnhaft, erhielt im vorigen Herbst franco ein Paket mit einem Brief folgenden originellen Inhalts:

„Gnädigste Frau! Das rege Interesse, welches Ihr seliger Herr Gemahl stets für die Geschichte und die Machtentwickelung unseres deutschen Vaterlandes hegte, hatte schon seit Jahren in mir den Wunsch erweckt, demselben ein von mir herausgegebenes vaterländisches Geschichtswerk widmen zu dürfen. Die Herausgabe des beifolgenden Werkes hat sich leider um einige Jahre verzögert und Ihr hochgeehrter Herr Gemahl ist nach Gottes unerforschlichem Rathschluß inzwischen nach einem wirkungsreichen Leben in die Ewigkeit abgerufen worden. Ist es mir somit auch nicht mehr vergönnt, ihm selbst meine Schrift überreichen zu können, so will ich doch, gnädigste Frau, dieselbe Ihrer gütigen Durchsicht unterbreiten und bitte ich Ew. Hochwohlgeboren, dieselbe als ein Zeichen meiner aufrichtigen Verehrung für Sie gütigst von mir anzunehmen.

Die Grafen und Freiherren von N. widmeten sich in den letzten Jahrhunderten mit besonderer Vorliebe dem Kriegsdienst, in welchem sie mehrmals die höchsten Chargen bekleideten und manche von ihnen auf den berühmtesten Schlachtfeldern Europa’s geblieben sind. Obwohl Ihr hochgeehrter Herr Gemahl nicht dem Militärstande angehörte, hat er doch stets ein reges Interesse für die Kriegsgeschichte unseres Vaterlandes, insbesondere derjenigen Zeit gehegt, welche mein Buch behandelt. Es hatte dies wohl mit darin seinen Grund, weil sich der Großvater Ihres Herrn Gemahls in jener Zeit nicht unwesentliche Verdienste um unser Vaterland erworben hatte. Ich habe nicht verfehlt, dies in meiner Schrift anerkennend zu erwähnen, und darf ich wohl hoffen, daß mein Buch auch für Sie, gnädigste Frau, nicht ohne jegliches Interesse sein wird. In dieser Voraussetzung habe ich mir erlaubt, mein Buch Ihrem Herrn Sohne G ..… zuzueignen, der, obgleich erst im sechszehnten Lebensjahre stehend, dennoch ein lebendiges Verständniß für die Geschichte jener ewig denkwürdigen Zeit von 1805 bis 1816 besitzt. Zwar werden Ew. Hochwohlgeboren schon ein Werk über die Geschichte jener Zeit besitzen, wohl aber noch keines, in welchem Ihrer hochgeehrten Familie und deren Verdienste anerkennend Erwähnung geschieht. Es sollte mich daher freuen, wenn Sie meine Schrift Ihrer eingehenden Prüfung unterziehen würden.

Obgleich die großen Ereignisse der gegenwärtigen Tage unser Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmen, so ist doch gerade die Geschichte von 1805 bis 1816 für unsere jetzige Zeit so bedeutungsvoll, da nur aus der Vergangenheit die Gegenwart verstanden und aus diesem Verständniß die feste Grundlage für den Bau deutscher Macht und Größe gewonnen werden kann.

Gern hätte ich Ihnen, gnädigste Frau, die beifolgenden beiden Exemplare unentgeltlich überschickt; da jedoch die Herstellungskosten des Werkes so bedeutend waren, werden es Ew. Hochwohlgeboren gütigst verzeihen, wenn ich den Betrag des Buches – à einen Thaler – der Kürze wegen durch Postvorschuß erhebe, falls Sie es nicht vorziehen, mir selbigen einzusenden.

Mit dem Wunsch und der Bitte, daß mir Ew. Hochwohlgeboren dies nicht als eine Unbescheidenheit auslegen mögen, bin ich in steter Verehrung und Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren               
ganz ergebener          
F. R. Paulig, Literat.“

Datirt ist der Brief von Frankfurt a. O. vom 20. September 1866. Keine Nachnahme, keine Werthbezeichnung auf dem Paket stört die erwartungsvolle Neugierde, wer wohl der unbekannte Freund an der Oder und was der Inhalt der Sendung sein möge. Läßt nun auch der Inhalt des Schreibens keinen Zweifel mehr über die wahre Absicht des neuen Historiographen der Grafen und Freiherrn von N., so ist doch diese Paarung von Ironie und Unverschämtheit zu komisch, um nicht auch noch auf das Product des stillen Verehrers der Familie N. gespannt zu machen. Aus der Umhüllung kamen zwei Exemplare einer „Geschichte der Befreiungskriege. Ein Beitrag preußischer Geschichte der Jahre 1805 bis 1816 von F. R. Paulig. Dritte Auflage. Frankfurt a. O. 1866“ zum Vorschein. Und wirklich, ein säuberlich gedrucktes Widmungsblatt war hinter dem Titel eingeklebt: „Herrn G. Freiherrn von N., Majoratsherrn auf N., als ein Zeichen seiner Verehrung und Hochachtung gewidmet vom Verfasser.“ Eine solche Huldigung hatte sich der fünfzehnjährige Oberquartaner nicht träumen lassen! Leider war ein Theil der Illusion von vornherein schon zerstört. Der junge Majoratsherr war acht Tage zuvor bei seinem Oheim auf Besuch, als auch dieser von demselben Verehrer mit demselben Zeichen seiner aufrichtigen Hochachtung beglückt wurde. Ich brauche wohl nicht erst hinzuzufügen, daß die „Kriegsdienste, die höchsten Chargen der Grafen und Freiherren von N., ihr Tod auf den berühmtesten Schlachtfeldern von Europa“ etc. in’s Feld der Erfindung gehören; daß selbst Herrn Paulig’s Werk nicht unter diejenigen zählt, in welchen der hochgeehrten Familie und deren Verdienste anerkennend Erwähnung geschieht, sintemal auch nicht einmal der Name darin genannt wird, und daß in dem ganzen langen Schreibebrief des Herrn Literaten gerade so viel Wahres über die Familie steht, wie in dem Gothaischen Hofkalender zu finden ist. Dort kann ja Herr Paulig mit Leichtigkeit Namen genug für Tausende von Exemplaren seiner „Befreiungskriege“ finden, und in wenigen Tagen wird der Drucker die Widmungsblätter gedruckt haben, damit Herr Paulig in Stand gesetzt ist, dem gesammten Adel in seinen einzelnen Gliedern das Zeichen seiner Verehrung und Hochachtung darzubringen, was er so gern unentgeltlich thun würde, wenn nur die Herstellungskosten nicht so bedeutend wären. –

Kurz darauf kam dann folgender Brief nach: „Indem ich mich auf mein ergebenes letztes Schreiben beziehe, erlaube ich mir den kleinen Betrag für das Ew. Hochwohlgeboren übersandte Werk hiermit der Kürze wegen durch Postvorschuß zu erheben.

Mit dem Wunsche, daß mir Ew. Hochwohlgeboren dies nicht als eine Unbescheidenheit auslegen mögen, bin ich in steter Verehrung und Hochachtung

Frankfurt a. O., 12. Juli 1866.

Ew. Hochwohlgeboren               
ganz ergebener          
F. R. Paulig, Literat.“

Also schon damals war der Schwindel fabrikmäßig vorbereitet!

Was es übrigens mit den drei Auflagen des Buches für eine Bewandniß hat, braucht dem Leser wohl nicht auseinandergesetzt zu werden; es sind nichts als sogenannte Titelauflagen, d. h. nichts ist von der zweiten und dritten Auflage neu, als das Titelblatt. In der Vorrede zu der so erlangten dritten Auflage bemerkt er, es seien „in kurzer Zeit abermals fünftausend Exemplare abgesetzt worden, es sei daher nicht rathsam, beim neuen Abdruck irgend welche Veränderungen vorzunehmen. Nur den bisher gebrauchten Titel „Freiheitskriege“ habe man in „Befreiungskriege“ geändert, weil dem Verfasser von hochstehenden Militärs, welche an diesem Kampfe Theil genommen, mitgetheilt wurde, daß man die denkwürdigen Kriege der Jahre 1812 bis 1815 in jener Zeit allgemein als „Befreiungskriege“ bezeichnete.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_047.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)