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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Deren laufen drei Viertheile davon. Macht, daß Ihr weiter kommt.“

„Ich muß fort. Adieu. Auf Wiedersehen in Freiberg!“

Der Arme wußte nicht, welches Schicksal ihm in Chemnitz bevorstand, das er mit Bakunin und Martin todmüde in der nächsten Nacht erreichte. Wir sahen uns wieder, aber nicht in Freiberg, nachdem ich siebzehn Jahre in Amerika und er zehn Jahre in Waldheim verlebt! Bakunin sah ich im Jahre 1861 in New-York, auf seiner gelungenen Flucht aus Sibirien.

Mein Verband konnte nicht angelegt werden. Heubner war so gut wie sein Wort. Der Wagen, mit zwei jungen munteren Braunen bespannt, kam, ehe ich noch mit dem Ankleiden fertig war. Meine Matratze und ich selbst wurden hineingelegt, mein Sohn folgte mit meiner eiligst in ein paar Taschentücher gebundenen Wäsche. Dann setzten sich noch einige Bewaffnete zu mir. Den Säbel ließ ich zurück, da ich mich doch nicht wehren konnte. Nur ein Dolchmesser steckte ich als Waffe zu mir. Und nun kam der sehr schmerzliche Abschied von Weib und Kind, die nach Dresden zurückkehrten. Wußte ich ja nicht, ob und wann ich sie wieder sehen würde. Die Aufregung und die Unklarheit über unsere Lage halfen uns darüber weg. Noch hatte ich immer mehr das Ganze im Auge als mich selber.

Tharand und die Straße nach Grüllenburg fand ich voll flüchtiger Bewaffneter, zu Fuß, zu Wagen und zu Pferd; manche auf erbeuteten Cavaleriepferden. Viele Bekannte drängten sich an mich und schüttelten mir die Hand. Die Meisten hatten die Gesichter mit Pulver geschwärzt, die Augen geröthet, die Stimmen heiser und rauh, die Kleider beschmutzt, zerrissen; die Haare hingen ihnen wild um den Kopf. Manche waren sechs Tage und Nächte nicht von den Barricaden und dem Pflaster weggekommen.

Bald ließ ich Alle hinter mir zurück. In Grüllenburg traf ich den Vortrab der kleinen Armee, welche Dresden zu Hülfe zog – ich will nicht sagen eilte; denn sie kamen zu spät. Ich ließ den Commandirenden herbeirufen und sagte ihm, er könne gleich wieder umkehren, der vierspännige Regierungswagen folge mir auf dem Fuße. Er wollte mir nicht glauben. Es war Prößel aus Chemnitz. Ich sah ihn in New-York wieder, wo er ein Hôtel in Beekman-Street hielt.

Am Hammerberge bei Freiberg trafen wir auf das Gros der Armee. Die Straße war ganz schwarz von Bewaffneten, so weit wir sehen konnten. Nachdem ich ihnen die ersten Nachrichten aus Dresden mitgetheilt und sie zur Umkehr aufgefordert hatte, fuhr ich, so schnell es ging, auf einem Seitenwege aus dem Gedränge nach der Wohnung meiner Schwester, welche glücklicherweise, so wie meine eigene in Dresden, in der Vorstadt lag. Während des kurzen Haltes unter den Zuzüglern hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß die Masse derselben nicht durchgängig aus kampfbereiten Truppen bestand. Da war Freiberger und Chemnitzer Communalgarde, von letzterer eine Abtheilung zu Pferd, welche nicht nur offenbar froh waren, wieder umkehren zu können, sondern die, wie es schien, von den dazwischen eingekeilten Turner-Compagnien zum Kampf getrieben wurden. Ein paar Cavaleristen, welche sich, nach der Meinung der Grauen, zu weit von der Colonne hinweg in’s Feld begeben, wurden wenigstens durch ein paar Kugeln der letzteren schnell wieder zurück gebracht. So lange es Tag war, hielt sich die Armee ziemlich zusammen. Beim Dunkelwerden aber zerstreute sich der ganze Troß wie Asche vor dem Wind, und was etwa noch zusammenhielt, flüchtete nach Chemnitz zu, mit der provisorischen Regierung in der Mitte.

So brach wieder eine von den Nächten herein, welche mir so wenig Ruhe brachten und die ich voll Schmerz und Kummer durchwachte. Gegen sechs Uhr Morgens sah ich durch ein Fenster meines Zimmers, von meinem Bett aus, sächsische Cavalerie und reitende Artillerie über den Hammerberg herabkommen. Die Thore der Stadt wurden besetzt und auf dem Marktplatze, auf welchem noch ein Stein die Stelle bezeichnet, wo Kunz von Kauffungen, der Prinzenräuber, enthauptet worden, fuhr man Kanonen auf. Sofort wurde Alles arretirt, was irgend wie verdächtig war. Zum Glück hatte die Polizei zu viel im Innern der Stadt zu thun, um sich um die Vorstädte und mich zu bekümmern. Und ich lag so ungestört den ganzen Tag, ungewiß was aus mir werde würde. Viele meiner Cameraden besuchten mich am ersten Tage. Alle versprachen mir einen Wagen zu schaffen. Keiner konnte Wort halten. Sämmtliche Pferde waren von den Flüchtigen in Beschlag genommen worden. Am nächsten Tage, den 10. Mai, besuchte mich ein Bergmann, Schüttauf mit Namen, der mit mir von Tharand nach Freiberg gefahren, und fragte, ob er etwas für mich thun könne. Ich bat ihn, nach Halsbrücke zu einem Verwandten zu gehen, diesen zu fragen, ob ich ein paar Tage bei ihm bleiben könne, und wenn er eine günstige Antwort erhielt, einen Wagen zu miethen und mit diesem Schlag halb Sieben durch die Hinterthür im Hofe des Hauses sich einzufinden, um mich abzuholen. Im Gasthof zum „wilden Mann“, vorn gegenüber, stand ein Piket sächsischer Reiter. Der Wagen kam pünktlich. Ich nahm Abschied von meiner guten alten Mutter und meiner Schwester. Ich habe keine von Beiden wiedergesehen! Mein Schwager setzte mir eine Berguniformsmütze auf den Kopf und hing mir einen Officiantenmantel um, und so wurde ich in den leichten offenen Wagen gehoben; mein Sohn Albert setzte sich neben mich, und nun fuhren wir auf wohlbekannten Nebenwegen hinter der Stadt – meiner Geburtsstadt – herum nach dem eine Stunde entfernten Halsbrücke zu.

Hier wurde ich vom Vetter Ludwig und seiner freundlichen jungen Frau wie ein Bruder aufgenommen und so bequem installirt, daß ich gern lange geblieben wäre, wenn es sich nur hätte thun lassen. Ich werde nie die Liebe und Pflege vergessen, welche mir in den sechsundzwanzig Stunden, die ich bei diesen treuen Verwandten zubrachte, zu Theil wurde. Allein schon am nächsten Mittag sagte mir Ludwig, daß das ganze Dorf meine Anwesenheit wisse und daß die Polizei sicher am nächsten Tage da sein würde, sobald sie nur in der Stadt ein wenig aufgeräumt hätte.

Wir berathschlagten, wohin man mich bringen könne. Ludwig’s Frau nannte ihren Vater, welcher in Bräunsdorf wohnte und der wohl im Stande sein werde mich zu verbergen. Der Fuhrmann, welcher mich gebracht, wurde wieder engagirt, aber dieses Mal mit einem Korbwagen. Als es dunkel war, wurde meine Matratze wieder eingelegt, ich darauf, dann eine Partie Hausgeräth über mich gepackt, so daß das Ganze wie ein Auszug aussah, eine Plane über den Wagen gezogen, und so ging es in die Nacht hinaus, nach Bräunsdorf zu. Cousin Ludwig und Albert marschirten zu Fuß vor und neben dem Wagen her.

Wir erreichten Bräunsdorf gegen zwei Uhr Morgens und hielten vor dem Hause des alten Herrn an, der nach einigem Pochen sich hören ließ. Er weigerte sich mich aufzunehmen, da es keine zwei Tage verschwiegen bleiben könne. Auf meine Bitte händigte er mir durch Ludwig fünfzig Thaler in einer Rolle ein. Eine andere Summe hatte mir ein edler Freund in Freiberg geliehen, dessen Hülfe ich schon dreizehn Jahr früher mein Leben und meine Gesundheit dankte. Wir waren also gezwungen, unsere Reise fortzusetzen. Ich wußte nicht wohin. Da fiel mir der Gerichtsdirector Schiffner in Mittweida ein, sowie der Abgeordnete Müller von Taura. Wir fuhren weiter auf Haynichen und Mittweida zu, obgleich ich nicht wußte, wie mir die beiden Gesinnungsgenossen helfen sollten.

Bei einem einzelnstehenden Wirthshause vor Haynichen nahm Vetter Ludwig Abschied von mir, um nach Haus zurückzukehren. Wie ich später erfuhr, begegnete er nicht weit vom Gasthofe und am Saum eines Waldes einer Reiterpatrouille, deren Aufmerksamkeit er auf sich zu lenken wußte und die ihn arretirte, um ihn nach Freiberg zurückzuführen, wo er, recognoscirt, sofort in Freiheit gesetzt wurde. Ohne seine Geistesgegenwart und seine Opferbereitschaft hätte die Patrouille vermuthlich mich gefangen.

Ich übergehe die Schicksale auf meiner Fahrt bis zum ersten altenburgischen Dorfe, Wolperndorf. Es war mitten in der Nacht, als wir dort anlangten. Ich lag fast beständig in Schlafwachen und kam erst wieder zu klarem Bewußtsein, als die beiden Männer an dem Thore des altenburgischen Gasthofs pochten, daß das ganze Dorf hätte erwachen mögen. Trotz alles Lärmens regte sich Niemand: es war sicher, daß der Wirth, wegen der vielen, zum großen Theil bewaffneten Flüchtlinge, an denen kaum etwas zu verdienen war, nicht öffnen wollte. Endlich stiegen die Männer über die hohe Mauer in den Hof, und nach vieler Mühe und nachdem sie sich mit dem großen Kettenhund herumgeschlagen, der sie wüthend anfiel, gelang es ihnen, den Wirth und seine Tochter herauszuklopfen.

Ich hörte, wie der Wirth sich weigerte, mich aufzunehmen, und wie er nur durch vieles Zureden, namentlich auch Seitens seiner Tochter, sich bewegen ließ, endlich das Thor aufzumachen

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