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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

macht ein Drama. Damit ist freilich wenig, aber doch auch Alles gesagt. Schuld, Schuld! Wo ist Schuld in Romeo und Julia? Man hat sie finden wollen; man wird sie immer finden, wenn man sucht. Denn wie kein Tag unseres Lebens schuldlos verrinnt, so sind auch noch nie drei Acte verronnen – Acte, von denen es werth ist zu sprechen – in denen sich nicht bongré malgré so etwas wie Schuld nachweisen ließe. Die Sünde ist das Correlat des Lebens, sie durchdringt Alles und die natürliche Gekränktheit aller Dinge damit ist die alleinige Wurzel des Dogmas von der dramatischen Schuld und Sühne.“

So ging die Debatte. Lebhaft trat jener erste Nachmittag unter dem Nußbaum wieder vor meine Seele. Dieselbe Lebhaftigkeit, dieselbe bona fides, dieselbe Leichtigkeit und Freiheit des Ausdrucks.

Der König zog sich früh zurück. – Bei Elfer Rheinwein, wie er nirgends besser lagert als im Münchner Schloß, plauderten wir Mitternacht heran. Als wir uns an der Kaufunger Gasse trennten, rief ich ihm zu: „Glücklicher Du, der Du jung geblieben bist!“ – „Caro mio, Du siehst nicht, wo es fehlt.“ Er mochte so sprechen. Jeder bangt, daß man ihm die Gunst der Götter berede. Und nicht mit Unrecht, denn sie sind launisch und eifersüchtig.

Ihm aber sind sie treu geblieben, auch seither. In immer neuer Frische schafft er, sich und Andern zur Freude, im „entsiegelten Auge“ nach wie vor den ungetrübten Blick „der hellgebornen, heitren Joviskinder“.

Lf.




Ein deutscher Club im fernen Norden.


Wir haben seit mehr als einem Menschenalter nicht umsonst gesungen: „Sein Vaterland muß größer sein“. Es ist erstaunlich, wie weit „die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt“, wo der deutsche Händedruck Eide schwört, „die Treue hell vom Auge blitzt und Liebe warm im Herzen sitzt“.“

Dieses rund um die Erde herum erklingende deutsche Lied hat nicht nur Flügel, sondern auch Hand und Fuß. Deutscher Kopf und Arm mit heiteren Kräften, überall sind sie zu Haus. Mit dem deutschen Liede und dem kräftigen Turnerarme verbindet sich als unbesiegbarer Eroberer das deutsche Bier, welches freilich von den deutschen Brüdern nicht selten in zu großen Massen vertilgt wird, als daß sie anderen Völkern darin immer zum Muster dienen könnten. Aber es vertreibt wenigstens überall, wo es sich einbürgert, die viel verderblicheren Alkohol-, Opium- und Haschisch-Teufel, und das erste deutsche Wort, welches der Sultan und sein Gefolge in Wien kennen und lieben lernten, hieß: Bier. Es tritt fast überall mit dem deutschen Liede, mit der Sprache Mozart’s und Beethoven’s auf und reinigt und veredelt dadurch seine etwas zu materielle Schwerfälligkeit. Außerdem sind diese deutschen Sänger und Trinker überall auf der Erde im Alltagsleben als die fleißigsten und geschicktesten Arbeiter willkommen und werden sogar in vielen Fällen den einheimischen vorgezogen. Zwischen den Fingern des Deutschen wird die Aachener Nähnadel zum einäugigen Erzengel der Weltcultur. Bekanntlich erklärte Gerstäcker, daß er überall auf seinen Weltreisen in allen Gegenden der Erde mindestens deutsche Schneidergesellen gefunden habe. Neben der Nähnadel macht sich der Faberbleistift als immer wichtigerer deutscher Kosmopolit in aller Welt geltend, und die erzgebirgischen und die thüringischen Spielwaaren sind schon längst die Freude aller Kinder der Erde, mächtigere Eroberer, als die für alle Welt bestellten Krupp’schen Kanonen. Auch Berliner Stickmuster und in fünf, sechs Sprachen übersetzte deutsche Modezeitungen bilden ein siegreicheres Heer, als alle Soldaten Europas zusammen genommen, und erobern die schöne Welt aller Farben und Racen ohne Blutvergießen, höchstens daß sich dabei eine Anfängerin einmal in den Finger sticht. Auch das schwere, solide deutsche Contobuch hat bereits in allen Häfen und Handelsstädten der Welt Armeen von Zahlen, von Truppen des Soll und Haben geschaffen, denen Niemand widersteht und welchen sich jeder solide Kauf- und Geschäftsmann frei und freudig unterwirft, da sie die sicherste Bürgschaft für seinen Gewinn und Wohlstand bilden.

Unter diesen stets siegreichen kosmopolitischen Truppen Deutschlands spielen Bücher und Zeitschriften als wahrhafte Leipziger Lerchen mit unermüdlichen Schwingen eine bedeutendere Rolle, als wir im engeren Vaterlande glauben, und vielleicht haben die Mitarbeiter dieser Blätter selbst keine Ahnung davon, wie weit manche derselben reichen und daß sie selbst auf Inseln des großen Oceans und in China und Japan umherfliegen. Kurz, wir finden überall auf der Erde, wo nur die ersten Strahlen der Bildung hingedrungen sind, Deutsche mit ihren heiteren Köpfen und Armen und Schätze des Fleißes und Geistes aus dem engeren Vaterlande. Wir können uns deshalb auch nicht wundern, daß selbst mitten in Asien und durch ganz Rußland hindurch von Memel bis zu den Amurmündungen deutsche Gemeinden und Vereine blühen. Es wird uns aber doch überraschen, daß mitten in der altrussischen Czarenstadt Moskau der deutsche Club zu den glänzendsten Institutionen dieses an Wundern reichen Mittelpunktes des alten Russenthums gerechnet wird. Obgleich es weit bis dahin ist, soll es uns doch leicht werden, uns einmal als Gast einführen zu lassen.

Die dahinführende Eisenbahn ist, sowie sie auf russisches Gebiet kommt, viel eleganter und bequemer, wenigstens in den Waggons erster und zweiter Classe, als irgendwo in Deutschland. Auch könnten wir zur Noth die ganze Reise zu Fuß machen, ohne aus dem Gebiete Deutschlands herauszukommen. Die lebendige Culturkette deutscher Ansiedelungen und Gemeinden, welche bereits um die ganze Erde herum reicht, wird auch bis Moskau selten unterbrochen, so daß wir mit einigen geschickten Umwegen fast überall unterwegs bei einem Landsmanne einkehren könnten. Giebt es doch nach einer Schilderung in der St. Petersburger Zeitung in einem nicht zu weiten Umkreise um Petersburg herum allein nicht weniger als vierhundert und dreiundachtzig deutsche Gemeinden. Wir wollen aber auf unserem Wege nur auf ein paar Minuten in der deutschen „Palme“ zu St. Petersburg einkehren und uns des gemüthlichen frischen Lebens der verschiedensten Classen Deutschlands darin freuen. Erst vor etwa sechs Jahren von deutschen Geistlichen als Gesellenherberge gegründet, hat sie sich durch ihre Mitglieder, Arbeiter im Verein mit Kaufleuten, Künstlern, Gelehrten etc., sehr rasch zu einem der schönsten Mittelpunkte des deutschen Lebens in Petersburg entwickelt. Der Verein, jetzt etwa aus sechshundert Mitgliedern bestehend, hat sich bereits ein eigenes Haus erworben und bietet den Mitgliedern außer substantieller Belehrung durch wissenschaftliche Vorträge auch ein Lesecabinet und ein eigenes „Palmblatt“, ferner viele heitere, gesellige Abende, von welchem alle spirituösen Getränke streng ausgeschlossen sind. Das sonst so beliebte Kartenspiel zählt hier wenig Freunde, dafür werden Domino, Schach, gesellige Spiele, besonders aber die Kegelbahn desto eifriger benutzt. Aber der Segen dieser Vereinigung beschränkt sich nicht auf das Clubhaus, sondern dehnt sich auf das ganze häusliche, geschäftliche und sociale Leben der Mitglieder und auf Fürsorge für ankommende Landsleute aus. Eine Kranken-, Spar- und Vorschußcasse und sogar eine Lebensversicherung schützt alle Mitglieder und deren Familien vor Verlegenheiten und Sorgen in der Gegenwart und für die Zukunft. Mit einem Worte, unsere deutschen Landsleute erfreuen sich unter dem Schutze dieser heiteren „Palme“, trotz des ungünstigen Klimas, so vieler segensreicher Institutionen wie nur wenige Vereine im engeren Vaterlande.

Doch nun im Fluge zu unserem deutschen Club in Moskau, der neben allen geschlossenen Gesellschaften, dem adeligen, dem englischen, dem Kaufmanns- und Künstlerclub, dem Vereine der Handels-Commis, dem Casino und der Liedertafel, in welchen beiden letzteren deutsche Elemente ebenfalls die Hauptmacht bilden, unbestritten die hervorragendste Stellung einnimmt. An Großartigkeit, Mitgliederzahl, mit seinen Einrichtungen, seiner geselligen Unterhaltung, seinen Mitteln und seinem Glanze übertrifft er sie alle. Der deutsche Club gründet sich auf ein Privilegium vom 30. August 1819, welches sich einige deutsche Gewerbtreibende in der alten Czarenhauptstadt durch die Achtung, die sie genossen, zu erwerben wußten. Der Plan war, Deutsche und Ausländer für Zwecke geselliger Unterhaltung, der Wohlthätigkeit und des gegenseitigen Schutzes zu vereinigen. Wir werden sehen, bis zu


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_568.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)