Seite:Die Gartenlaube (1868) 282.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Der Componist des Arndt’schen Vaterlandsliedes.
Ein Burschenbild.

Den großen Interessen des Vaterlandes und der Menschheit gewidmet, ist die Gartenlaube stets bemüht gewesen, auf die Männer hinzuweisen, welche eben diesen höchsten und edelsten Ideen ihr Leben und Streben in hervorragender Weise geweiht haben, und ihnen nach ihrem Dahinscheiden ein ehrendes Andenken für alle Zeiten zu sichern. Ein leuchtendes Denkmal, dauernder als Erz, setzt sie ihnen in den Herzen ihrer hunderttausend und aber hunderttausend Leser, in Stadt und Dorf, in Palast und Hütte, diesseits und jenseits des Oceans. In diesem Sinne sei auch das Andenken eines edeln deutschen Mannes gefeiert, dessen patriotisches Wirken in den Spalten dieses Blattes bereits wiederholt die rühmlichste Anerkennung gefunden hat. –

Wer jemals die alte Landgrafenstadt Eisenach besuchte, hat sicher auch das „Lutherhaus“ unweit des Marktes mit Theilnahme betrachtet. Noch wohlerhalten, erinnert es in seiner mittelalterlichen originellen Bauart an die ältesten Häuser Nürnbergs. Aber es führt seinen Namen mit Unrecht. Nicht Lutherhaus, sondern Cotta-Haus müßte es genannt werden, denn hier wohnte die begüterte Frau Cotta, welche im Jahre 1498 den von Magdeburg gekommenen, als Schüler vor den Thüren singenden vierzehnjährigen Luther liebevoll bei sich aufnahm und als Mutter fast drei Jahre lang für ihn sorgte, bis er die Erfurter Universität bezog. Eine alte Tradition sagt, daß in alten Zeiten die Familie Cotta aus Italien, ihrer ursprünglichen Heimath, nach Frankreich und von da nach Thüringen gewandert sei und hier in Eisenach und Ruhla sich niedergelassen habe. Ein Abkömmling von ihnen war der „Versilberer und Vergolder“ Johannes Cotta, der in dem romantisch schön gelegenen Ruhla in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und bis in den Anfang dieses Jahrhunderts lebte.

Der älteste Sohn der mit zwölf Kindern gesegneten Familie, am 24. Mai 1794 geboren und Johannes Cotta wie sein Vater genannt, entwickelte sich an Geist und Körper auffällig rasch und zeigte schon in seinen frühesten Jugendjahren einen Drang zu geistiger Ausbildung. Deshalb kam er im Jahre 1809 auf das Gymnasium in Eisenach, von dem er fünf Jahre später mit den besten Zeugnissen seiner Lehrer zur Universität Jena abging, um hier Theologie zu studiren. Auch hier mußten wie vordem in Eisenach neben dem von seinem Oheim Cotta gestifteten Stipendium, das er als Nachkomme dankbar bezog, Privatstunden ihm die Existenzmittel schaffen. Mit Ernst und Begeisterung widmete er sich seinem Studium, vergaß aber auch darüber nicht seine Liebe zur Musik und vor allem zur Orgel. Mit besonderem Behagen wußte er noch als Greis ein auf sein Orgelspiel bezügliches Erlebniß zu erzählen, welches zwar erst seiner folgenden Lebensperiode angehört, aber gleich hier Erwähnung finden mag. Ein Ausflug führte den jungen Mann mit einigen Freunden nach Banz, der ehemaligen Benedictiner-Abtei in Baierns Oberfranken. Er stand auf der Terrasse und schwelgte in der wonnigen Aussicht in das weithinaus prangende Mainthal; er besuchte auch die prächtige Kirche und betrachtete vor Allem die berühmte Orgel mit höchstem Interesse. „Wenn sie in ihrer vollen Stärke,“ so lautet eine Beschreibung derselben, „mit der ganzen Fülle anhaltender Accorde erschallt, da erzittern die Betstühle, da erzittert des Hörers Brust von des Schalles erschütternder Kraft und der Macht der Töne; doch einschmeichelnde Melodien der die verschiedensten Stimmen nachahmenden Register besänftigten auch wieder den Sturm, welchen ein kecker und kräftiger Spieler mit diesen gewaltigen Tönen zu erheben vermag.“

Ein solcher kecker und kräftiger Spieler war aber unser Cotta. Er setzte sich zur Orgel und spielte in jugendlichem Uebermuth die schöne Schnoor’sche Melodie des schon damals in den akademischen Kreisen so beliebten Liedes der Freude: „Vom hoh’n Olymp herab etc.“ Aufmerksam hörte ein katholischer Geistlicher zu und bat, als Cotta geendet, mit vielem Lobe über sein wackeres Spiel, noch um ein zweites Lied. Rasch entschlossen begann er von Neuem, und mit hinreißender Gewalt brausten die Töne des Liedes, das einst vor nun dreihundert Jahren da drüben auf Veste Coburg entstanden, des energischen protestantischen Schlachtgesangs durch die Kirche der alten Benedictiner-Abtei. Tief erschüttert lauschten die Jugendfreunde und Reisegenossen, tief erschüttert war auch der katholische Geistliche.

„Wie heißt das Lied?“ fragte Letzterer, und als ihm Cotta bemerkte: „Es ist ja das Lied, das Ihr das Ketzerlied nennt, das Lied unseres Luther: Ein’ feste Burg,“ klopfte er ihm auf die Schulter und sprach: „Was, Ketzerlied?! nicht Ketzerlied’, ein schönes, kräftig Lied!“

In die Studienzeit Cotta’s fiel jene große, ewig denkwürdige Bewegung in der deutschen Universitätsjugend, welche nicht nur eine durchgreifende Reform des akademischen Lebens erstrebte und schuf, sondern zugleich und vor Allem das deutsche Nationalbewußtsein bewahrte, den deutschen Einheitsgedanken festhielt, pflegte und vorbereitete und so zum Ausgangspunkte der ganzen nationalen Bewegung Deutschlands geworden ist.

Die deutsche Burschenschaft wurde gegründet, und aus vollem Herzen, mit ganzer jugendlicher Begeisterung für Vaterland und Freiheit schloß sich Cotta dieser neuen Richtung an. Aber eben dieser Enthusiasmus, verbunden mit dem ihm innewohnenden und mit aller Liebe gepflegten und ausgebildeten musikalischen Talent, trieb ihn zu einer besonderen Bethätigung desselben. Zwei Jahre vorher, im April 1813, hatte Ernst Moritz Arndt sein kerniges Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ der Deutschen Zeitung zur Aufnahme überlassen. Der Dichter hatte dabei bescheiden bemerkt, daß ihm das Lied nicht verfehlt erscheine. Indem es aber in Wirklichkeit der treue Ausdruck der Zeit war, in welcher es entstanden, indem es dem sich gegen die Unterdrückung aufbäumenden, nach nationaler Einigung ringenden Volksgeiste den entsprechenden energischen Wortlaut gab, wurde es überall und namentlich auch in akademischen Kreisen, mit Theilnahme aufgenommen und erweckte überall Begeisterung. Aber noch fehlte ihm der Ton, die Weise, wodurch es recht von Mund zu Mund, von Herzen zu Herzen klingen konnte. Dem schönen kräftigen Lied die entsprechende Weise zu geben, war der Gedanke unsers burschenschaftlich gesinnten Cotta. Er ging rasch an’s Werk, und auf seinem einfachen, stillen Studentenstübchen schuf er aus jugendlich begeistertem Herzen heraus eine dem Arndt’schen Text sich innig anschließende, ihn musikalisch wahrhaft reproducirende, kräftige, schwungvolle Melodie. Wir verkennen keineswegs die eigenthümlichen Schönheiten der weit später entstandenen Reichardt’schen Weise, welche übrigens die ältere Cotta’sche Melodie augenscheinlich benutzt hat, aber unbestreitbar ist es, daß die Cotta’sche Weise es ist, die zum eigentlichen Volksliede geworden, und mehr als zweifelhaft bleibt es, ob das schöne Arndt’sche Lied jemals zur Volkshymne geworden wäre, wenn es nicht damals durch die Cotta’sche Composition eine volksthümliche, leicht singbare Weise erhalten hätte. Die vollendete Composition theilte Cotta seinem Universitätsfreund Georg Friedrich Hanitsch mit, einem ebenfalls mit musikalischem Talent erfüllten Jüngling, der damals zu Arndt’s Bundesliede „Sind wir vereint zur guten Stunde“ die erhebende Melodie componirte. Er ging ihm beim Instrumentiren und Einüben des Vaterlandsliedes wacker zur Hand, und am 12. Juni 1815, als im Gasthof zur Tanne bei Jena die Burschenschaft gegründet wurde, als die landsmannschaftlichen Fahnen zum Zeichen der Auflösung der Landsmannschaften sich senkten und Alle sich brüderlich umarmten, erscholl zum ersten Mal in Deutschland das Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Wie begeistert sangen die Jünglinge hier bei ihrer Einigung in nationalem Geiste das gewaltige Lied der deutschen Einheit! Wie innig sangen sie:

„Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel sieh darein
Und gieb uns echten deutschen Muth,
Daß wir es lieben treu und gut!“

und wie schlug dem jungen Cotta, dem Mitgründer der Burschenschaft, das Herz bei diesem Gesange, bei dieser Wirkung seines Liedes!

Rasch ging das Lied von Mund zu Mund und wurde bald auch in nichtakademischen Kreisen mit Enthusiasmus gesungen. Im Jahre 1817 zogen mit eben diesem Liede die Jenenser zum Wartburgsfest in Eisenach ein. Aber Cotta war nicht mehr darunter. Schon im Jahre 1816, ein erst zweiundzwanzigjähriger Jüngling, wurde er in Anerkennung seines reinen, edeln Sinnes, seiner hohen, wissenschaftlichen Bildung und seiner tief ergreifenden

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_282.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)