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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

theilen können wir ganz besonders nicht, seitdem wir Gelegenheit gefunden, uns persönlich und ohne Zeugen mit dem Minister über die verschiedenen Fragen des Augenblicks zu unterhalten. Sitzt die liberale Neigung nicht in seinem Herzen, in seinem Blute, so sitzt die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer freiheitlichen Politik in dem Kopfe des Ministers. Wenn er die Freiheit nicht liebt, so beugt er sich vor ihrer gewonnenen Allgewalt. Wie Athalia „sieht“ er, „weiß“ er, „glaubt“ er. Als ich im Verlaufe des Gespräches die Bemerkung hinwarf, daß ein Mensch, wie er auch erzogen und gesinnt sein, wie er über die Bedürfnisse der Neuzeit auch denken mag, heutzutage jedenfalls die Macht des liberalen Grundsatzes anerkennen muß, gab der Minister seine Uebereinstimmung mit einem Nachdruck zu erkennen, dem das Gepräge der Echtheit nicht abzusprechen ist.

Wir haben eine zu gute Meinung von dem politischen Verstande des österreichischen Staatskanzlers, um nicht zu denken, daß er auf dem eingeschlagenen Wege fortschreiten wird, so lange es geht, weil er erkennen muß und sicher erkennt, daß Oesterreich durch eine freiheitliche Entwickelung oder gar nicht zu retten sei. Wie lange der Minister können wird, was er zu müssen einsieht, wie lange er den im Finstern schleichenden Kräften wird Stand halten können, ist eine andere Frage, die von den Propheten, je nach den Gläsern, durch welche sie in die Zukunft blicken, verschieden beantwortet wird. Eine Umkehr zum Verderblichen von Seiten des Staatskanzlers steht unseres Erachtens nicht zu befürchten.

Die Persönlichkeit des Herrn v. Beust ist eine gefällige, gewinnende. Obgleich dem Staatsmann nicht mehr als ein Jahr zu den Sechszigen fehlt, zeigt an seinem Wesen sich eine jugendliche Frische und Lebendigkeit, die der Zeit noch lange Trotz zu bieten versprechen. Er ist mehr als höflich, er ist freundlich, er macht es dem an ihn Herankommenden gleich nach dem ersten Austausch von Worten äußerst bequem, man fühlt sich bei dem Minister zu Hause, à son aise, wie der Franzose sich ausdrückt. Ein feines Lächeln, das fast immer um die Lippen spielt, wenn er spricht, wirkt um so angenehmer, als der Minister auch den ernsten Gedanken in eine leichte, heitere Form kleidet, und folglich die Harmonie der Kundgebung erhalten bleibt. Das Lächeln behält selbst, wenn es ab und zu einen sarkastischen Zug annimmt, seine Gutmüthigkeit, und verletzt daher nie. Im Gespräche mit Herrn v. Beust hört man gar nicht auf sich über die liebenswürdige Offenheit zu wundern, mit welcher der Minister über die wichtigsten Fragen und Staatsangelegenheiten sich ausläßt. Er verschmäht die Geheimnißthuerei, hinter welcher andere Diplomaten ihre Nichtigkeit und Geistesarmuth zu verbergen pflegen. Ohne Anstand glaubte ich seiner Versicherung, daß er über seine politisch-diplomatischen Entwürfe niemals etwas Unrichtiges, Unwahres zu verbreiten sucht; ich hielt es für den Ausdruck seiner Ueberzeugung, als er sagte, daß die Anwendung von Lügen und Winkelzügen in der Diplomatie nicht länger als zwanzig Jahre zu leben habe, und dann hinzufügte: „Die Diplomatie ist ein ehrliches Handwerk wie ein anderes.“ „Ja, Excellenz,“ versetzte ich, „eine Diplomatie, wie man sie sonst getrieben, wie sie jetzt noch von dem Kaiser der Franzosen verstanden und gepflogen wird, lebt auch jetzt nicht mehr; sie besteht nur noch.“

Der Minister nickte bestätigend.

Vollkommen übereinstimmend mit dem Wesen ist der Kopf des Staatskanzlers; die Züge des Gesichtes sind zart, lebhaft, beweglich und machen einen humoristischen Eindruck. Die Nase, zierlich ausgearbeitet, neigt zu einem spöttischen Rümpfen, das die Pedanterie erschrecken muß. Blaue Aeuglein blicken klug und nicht ohne einen Anstrich von Treuherzigkeit unter Brauen hervor, die nahe an die Backe gerückt sind. Zwischen der Stirn und dem Scheitel bestehen Grenzstreitigkeiten, welche schwer beizulegen sind, und an den spärlichen Haaren kämpft das Grau den siegreichen Kampf mit dem Blond. Die Gestalt des Ministers ist schlank und zeigt nicht die geringste Anlage zu der Verunstaltung, die das Alter durch den Ansatz von Fett herbeizuführen pflegt. Die Beine ruhen stramm auf dem Boden und zeigen sich minder leicht verrückbar, als man von dem Sinn des Ministers voraussetzen möchte, und enden mit aristokratisch kleinen Füßen, die, in vornehme Glanzstiefeln gesteckt, sich einer besonderen Sorgfalt zu erfreuen scheinen.

Im Fluge der Unterhaltung wurden die verschiedensten Gegenstände berührt; über jeden derselben hatte der Staatsminister sich eine bestimmte Ansicht gebildet, die er ohne allen Rückhalt aussprach. Mein bisheriger Aufenthalt in dem Lande jenseits des Rheins führte das Gespräch auf den Verfall des zweiten Kaiserreichs, auf die Lage der bonapartischen Regierung, überhaupt auf die französischen Verhältnisse. Ich wies auf die Trostlosigkeit ernster besonnener Franzosen hin, welche der Meinung sind, daß sich ihr Vaterland nie wieder aus der Gesunkenheit emporraffen werde, zu der es seit dem 2. December 1851 sich selber verurtheilt. Ich äußerte die Meinung, daß an Frankreich vermöge seiner beispiellosen Elasticität niemals ganz zu verzweifeln sei, und daß eine Nation, welche die Verwüstung unter der Regentschaft überwunden, welche von den Verderbnissen unter Ludwig XV. sich frei gemacht, auch dem Gift des zweiten Kaiserreiches widerstehen werde. Bisher, fügte ich hinzu, habe ich das Ende der gegenwärtigen Wirthschaft in Frankreich nicht abgesehen. Nach der Wendung jedoch, welche die Dinge daselbst seit einigen Wochen genommen haben, hielte ich es für undenkbar, daß der Bonapartismus noch zwei Jahre die Herrschaft behaupte.

Der Minister jedoch bezeichnete zunächst die Klagen über den Verfall Frankreichs als eine Uebertreibung und zur Begründung seines milderen Urtheils führte er die außerordentliche Tapferkeit der französischen Soldaten an, von der sie so glänzende Proben in der Krim, in Italien und an anderen Orten abgelegt. Und was die Regierung Napoleon’s anbelangt, meinte Herr v. Beust, werde dieselbe den zerstörenden Elementen noch lange widerstehen, weil sie zum Unterschied von der Restauration und der Juliherrschaft die Gefahr, von welcher sie bedroht ist, kennt und sich vor Augen hält. „Die Regierungen Karl des Zehnten und Ludwig Philipp’s,“ sagte Herr v. Beust, „wiegten sich in einer Sicherheit, welche sie jeder Vorsicht vergessen ließ. Die Regierung des dritten Napoleon dagegen ist unausgesetzt mit dem Gedanken ihres möglichen Unterganges beschäftigt und auf ihre Erhaltung bedacht. Sie lavirt, sie trägt jedem Wechsel der Verhältnisse Rechnung.“ Wir wollen oder vielmehr wir müssen es den Ereignissen zu zeigen überlassen, ob diese Folgerung des Reichskanzlers richtig ist.

Von großem Interesse war es mir, die Meinung des österreichischen Staatskanzlers über Cavour und Bismarck zu hören, an die ihn wohlwollende Anhänger als Dritten zu reihen geneigt sind. Vortheilhaft sprach der Minister sich über die beiden Gestalten aus, welche in der Geschichte unserer Tage einen so hervorragenden Platz einnehmen; aber sein Lob schien kaum einen Unterschied zu machen zwischen den beiden Staatsmännern, von denen der eine seine großen Entwürfe mit dem Gesetz, der andere zum Theil gegen das Gesetz in Ausführung brachte. An Cavour bewundert Herr v. Beust die Kühnheit, das „Toupé“, wie er mit einem französischen Volksausdruck es nannte. „Der Graf Cavour kam mir wie Jemand vor,“ äußerte der Staatskanzler, „der bei einem Wettrennen, statt in dem vorgezeichneten Kreise mit den Andern zu laufen, von der Bahn und von der Regel abweicht, quer durchbricht und am Ziele früher als die Andern anlangt. Die Schwäche und Unbehülflichkeit der Gegner kam der Politik des Italieners sehr zu statten.“ Herrn von Bismarck erkennt der Reichskanzler einen hohen Grad von Festigkeit des Charakters zu, und er betonte die Versicherung, daß er auch nicht eine Regung des Uebelwollens gegen das Berliner Cabinet in seine neue Stellung hinüber gebracht habe, daß er im Gegentheile Alles auf’s Sorgfältigste vermeide, was auf das gute Einvernehmen zwischen Oesterreich und Preußen von störender Wirkung sein könnte. „Wir hätten,“ fügte er hinzu, „durch ein Verbot der Getreideausfuhr Preußen in diesem Jahre Verdruß machen, ernste Verlegenheiten bereiten können, ohne daß es für ein feindseliges Auftreten hätte angesehen werden können; wir unterließen die Maßregel, weil wir eben auch keinen geheimen Groll gegen den norddeutschen Großstaat hegen.“

Das Gesicht des Ministers verfinsterte sich ein wenig, sein Lächeln gewann einen leisen Ansatz von Bitterkeit, als er, wie einem innern Anstoß nachgebend, auf seine frühere Wirksamkeit und namentlich auf die Vorwürfe zu sprechen kam, welche derselben gemacht werden. „Ist eine Ansicht einmal lancirt,“ sagte der Reichskanzler mit einem gewissen Ernst, „dann rollt sie unaufhaltsam weiter und findet auch ohne gültigen Geleitschein Eingang in die Köpfe. So ist es eine angenommene Sache, daß ich die Reaction in Sachsen gefördert. Das Gegentheil dieser Beschuldigung ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_345.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)