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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

machen. So können wir auch im vorliegenden Falle zeigen, daß der Schmerz[WS 1] um den Verlust seiner Geliebten noch lange, bis etwa in den Juni des folgenden Jahres hinein, in seiner Brust nachgeklungen habe und oft hindernd genug zwischen all’ die ernsten Aufgaben getreten sei, die er sich noch für den weiteren Aufenthalt in Italien vorgesetzt hatte. Doch dürfen wir ihm Glauben schenken, wenn er sagt, er habe diesmal, durch frühere Erfahrungen und reifere Jahre unterstützt, sich entschlossener von der erst im Keimen begriffenen Leidenschaft loszureißen gesucht.

In der Frühe des nächsten Morgens nach der schmerzlichen Entdeckung ließ er sich für die Mittagstafel entschuldigen, machte, die Mappe unter dem Arm, einen weiten Weg durch das Gebirge, wich nach der Rückkehr den englischen Studien aus und hatte Acht darauf, der heimlich Geliebten nur im Beisein mehrerer Personen zu begegnen.

In diese Tage fällt die erste Conception des wunderschönen Gedichtes Amor als Landschaftsmaler, wenn es gleich erst in einem Briefe an Herder vom 22. Februar des nächsten Jahres erwähnt wird. Goethe deutet selbst in seinem Bericht über die Villeggiatur zu Castel Gandolfo auf den Sinn des Gedichtes hin, da, wo er erzählt, er habe sich nach der erschütternden Aufweckung aus seinem süßen Liebestraum rasch zu dem inzwischen vernachlässigten Landschaftzeichnen zurückgewandt und dabei die Erfahrung gemacht, daß seine Technik zwar wie früher unzulänglich gewesen, aber daß er im Sehen in den letzten Tagen einen großen Fortschritt gemacht. Die ganze Fülle der landschaftlichen Bilder jener Gegend sei durch seine Gemüthsaufregung seinem Auge gleichsam fühlbar geworden, und so habe er dem Schmerz nicht grollen können, der ihm den innern und äußern Sinn in solchem Grade geschärft habe. Eben dieses drückt auch unser Gedicht in sinnbildlich poetischer Weise aus. Der Dichter sitzt in der Frühe des Herbstmorgens auf einer Felsenspitze und starrt, von seinem Liebesschmerz hingenommen, in den Nebel, der, wie ein grau grundirtes Tuch gespannt, Alles in die Breite und Höhe deckt.

Da findet sich Amor ein und malt ihm ein Landschaftsbild:

Und er richtete den Zeigefinger,
Der so röthlich war wie eine Rose,
Nach dem weiten ausgespannten Teppich,
Fing mit seinem Finger an zu zeichnen.
Oben malt’ er eine schöne Sonne,
Die mir in die Augen mächtig glänzte,
Und den Saum der Wolken macht’ er golden,
Ließ die Strahlen durch die Wolken dringen;
Malte dann die zarten, leichten Wipfel
Frisch erquickter Bäume, zog die Hügel,
Einen nach dem andern, frei dahinter;
Unten ließ er’s nicht an Wasser fehlen,
Zeichnete den Fluß so ganz natürlich,
Daß er schien im Sonnenstrahl zu glitzern,
Daß er schien am hohen Rand zu rauschen.
Ach, da standen Blumen an dem Flusse,
Und da waren Farben auf der Wiese,
Gold und Schmelz und Purpur und ein Grünes,
Alles wie Smaragd und wie Karfunkel!
Hell und rein lasirt’ er draus den Himmel,
Und die blauen Berge fern und ferner,
Daß ich, ganz entzückt und neu geboren,
Bald den Maler, bald das Bild beschaute.

Der poetischen Fiction entkleidet, heißt dieses: die aus dem Nebelflor vor dem Dichter sich entwickelnde Landschaft schaut er aus dem Grunde in so wunderbarer Klarheit und Körperlichkeit, weil die Kraft seines Sinnes durch die Liebe gesteigert ist. Und wie es ihm damals mit der vor ihm ausgebreiteten Landschaft erging, so ergeht es uns fort und fort mit dem poetischen Bilde, das er uns in dem Gedichte vorführt; es tritt uns jeder Zug darin mit einer wunderbaren Kraft und Reinheit stereoskopisch klar entgegen, was sich zum Theil daraus erklärt, daß ihm jene poetische Fiction gestattete, das poetische Gemälde durch und durch nach der Lessing’schen Regel zu entwerfen: der Dichter solle den zu malenden Gegenstand nicht als einen fertigen, sondern als einen werdenden darstellen.

Als Goethe gegen den 24. October wieder in Rom angelangt war, ergab er sich von Neuem einer mannigfachen und angestrengten Thätigkeit, die zwar seine Liebesleiden zu mildern, aber nicht zu ersticken vermochte. Dazu kam, daß er Anfangs December die Nachricht erhielt, der Bräutigam seiner still Geliebten habe unter irgend welchen Vorwänden sich zurückgezogen und von der Verlobten losgesagt, und diese sei aus Gemüthsbewegung darüber in ein heftiges Fieber verfallen, welches für ihr Leben fürchten lasse.

Voll schmerzlicher Besorgniß ließ er sich tagtäglich, und die erste Zeit sogar zweimal täglich, nach ihrem Zustande erkundigen, und stellte zugleich genaue Nachforschungen über die Vorwände des Bräutigams an, weil er von dem Gedanken geängstigt wurde, durch sein Benehmen gegen die Braut in Castel Gandolfo Anlaß zur Auflösung des Verhältnisses gegeben zu haben.

Zu seiner Beruhigung erfuhr er, daß unter den Vorwänden nicht im mindesten jener Villeggiatur gedacht worden sei, und er pries sich glücklich, damals seine Neigung im Zügel gehalten und sich so bald von dem lieben Mädchen zurückgezogen zu haben.

Aber höchst schmerzlich war es ihm, sich ihr schönes heiteres Auge durch Thränen getrübt, das frische Jugendroth ihrer Wangen durch Kummer und Krankheit gebleicht vorstellen zu müssen, und er gelangte erst zu einiger Beruhigung, als er Mitte December auf einer kleinen Gebirgstour eben da, wo er in den schönsten Herbsttagen sie kennen gelernt hatte, in Castel Gandolfo die Nachricht von ihrer Genesung erhielt.

So zitterte also die Herzensbewegung, die er mit zu großem Selbstvertrauen als eine angenehme Unterhaltung für die Villeggiaturzeit selbst eingeleitet hatte, noch immer in seinem Busen fort und mag sich oft genug störend und verwirrend zwischen sein ernstes Bildungsstreben gedrängt haben. Als interessantes Document seines Gemüthszustandes gegen den Jahresschluß hin hat sich ein sehr anmuthiges Gedicht erhalten, dessen Goethe zwar erst im Bericht vom Januar 1788 gedenkt, dessen Entstehung aber ohne Zweifel in den December, wenn nicht gar in den November 1787 zurückreicht. Aus einem Briefe vom 9. Februar des nächsten Jahres erfahren wir, daß es Goethe’s Leibliedchen geworden war, wieder ein Beweis, wie tief ihm das Verhältniß zu Herzen ging, und wie viel er noch in spätem Alter auf das Gedicht hielt, bezeugen die Gespräche mit Eckermann an vielen Stellen. Da es von Goethe aus der Gedichtsammlung ausgeschlossen worden ist und daher manchem Leser noch unbekannt sein mag, erlaube ich mir, es ganz mitzutheilen. Viehoff hat ihm in seinem Commentar folgenden jetzt ziemlich allgemein adoptirten Titel gegeben:

Amor als Gast.

Cupido, loser, eigensinniger Knabe,
Du batst mich um Quartier auf einige Stunden!
Wie viele Tag’ und Nächte bist Du geblieben,
Und bist nun herrisch und Meister im Hause geworden!

Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben;
Nun sitz’ ich an der Erde, Nächte gequälet;
Dein Muthwill’ schüret Flamm’ auf Flamme des Heerdes,
Verbrennt den Vorrath des Winters und senget mich Armen.

Du hast mir mein Geräth verstellt und verschoben;
Ich such’ und bin wie blind und irre geworden;
Du lärmst so ungeschickt; ich fürchte, das Seelchen
Entflieht, um Dir zu entflieh’n, und räumt die Hütte.

Wunderlich genug sucht der Dichter diesem Liedchen, dessen specielle Beziehung aus dem Vorhergehenden so klar wird, sowohl in seinem Bericht über den Januar 1788, als in den Gesprächen mit Eckermann, eine ganz andere, allegorische Deutung zu geben.

Er will es dort nicht im nächsten Sinne genommen, nicht jenen Dämon dabei gedacht haben, den wir gewöhnlich Amor nennen, sondern, wie er sich ausdrückt, „eine Versammlung thätiger Geister, die das Innerste des Menschen ansprechen, auffordern, hin und her ziehen und durch getheiltes Interesse verwirren“. Demgemäß wäre also hier Amor eine Verkörperung seiner italienischen Vielgeschäftigkeit, während in der That, wie das Gedicht auch ausdrücklich sagt, Amor der Störer seines ernsten und vielseitigen Bildungsbestrebens, der Verzehrer des Vorrathes an Bildungsstoffen war, den der Dichter sich in Italien für die nordische Winternacht zu sammeln bemüht war.

Wie kam Goethe zu dieser verdunkelnden Erläuterung? Giebt sich darin wieder die Neigung kund, seine zartesten und theuersten Herzensbeziehungen der Welt zu verdecken? Oder war ihm in der That (wozu sich allerdings auch Parallelfälle bezeichnen lassen) in späterem Alter das rechte Verständniß der eigenen früheren Production gänzlich abhanden gekommen?

Der schönen Mailänderin hatte sich, sogleich nach dem Mißgeschick, das sie getroffen, Angelica Kaufmann tröstend angenommen. Auch nach der Wiedergenesung fand sie, die vorher völlig Fremde, im Zucchi’schen Hause die freundlichste Aufnahme und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schmez
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_619.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)