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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ich, daß es mir unmöglich sei zu begreifen, wie Voltaire, der so klar und geistvoll war, als sein Geist noch in einem elenden kranken Körper steckte und er mit dürren Beinen auf der Erdenbahn wandelte, jetzt, da er die erbärmliche irdische Hülle abgeworfen und als Geist in höhern Regionen schwebe, sich so verworren, so geistlos, so ungrammatikalisch ausdrücken könne.

„Sie verstehen es nicht,“ rief der Engländer gereizt, „weil Sie es nicht verstehen wollen. Ihre Zweifelsucht zieht einen dichten Schleier um Ihren Verstand.“

„Und die Grammatik?“ fragte ich.

„Im Reiche der Geister giebt es keine Grammatik!“ rief seine Gattin kurzweg.

Ich schwieg beschämt. Ich hätte früher schweigen und wissen sollen, daß der Mensch viel leichter in seinem Glauben, als in seinem Aberglauben zu erschüttern ist.

Es wurden noch andere Geister citirt. Pascal, Jean Jacques Rousseau, Balzac mußten herhalten; ja selbst Verger, der Mörder des Erzbischofs von Paris, wurde über seinen gegenwärtigen Aufenthalt, über seinen Zustand und über seine Ansichten befragt. Die Antworten dieser abgeschiedenen Geister waren eben so geistlos, eben so albern wie die Voltaire’schen. Der Vorsitzende, der auf manchen Gesichtern eine gewisse Unzufriedenheit lesen mochte, bemerkte am Schlusse der Sitzung, daß die Geister sich zwar immer gleich blieben, daß aber die Media nicht jeden Tag in der nämlichen Verfassung seien, und vertröstete auf die nächste Sitzung. Als wir schieden, wurden uns im Vorsaal mehrere Bücher, Broschüren und Journale, die sich sämmtlich auf den Magnetismus und Spiritismus bezogen und den Baron zum Verfasser hatten, unter den wärmsten Empfehlungen zum Kauf angeboten. Mit dem englischen Ehepaar suchte ich mich auf der Heimkehr zu versöhnen. Ich verlor Beide bald aus den Augen, hörte aber nach einigen Jahren, daß sie, dem Wahnsinne verfallen, in eine Irrenanstalt untergebracht worden, wo sie sich täglich sehen und aneinander vorüber gehen, ohne sich zu kennen.

In der Rue des Bons Enfants werden ebenfalls spiritische Abendvorstellungen gegeben. Dort lassen sich die Geister aus den Schubläden der Tische, Schränke und Commoden vernehmen. Ich besuchte eine dieser Sitzungen mit einem deutschen Gelehrten. Um den runden Tisch, auf dem sich eine große Lampe befand, saßen ausschließlich Damen, von denen die meisten unmittelbar vor oder sogar schon hinter der Grenze des Schwabenalters angelangt waren. Unter den Männern befanden sich einige pensionirte Officiere und ein Abbé. Gegen zehn Uhr ging der Spectakel los. Eine der Damen citirte, nachdem ihre Nachbarinnen sämmtlich ihre Hände auf den Tisch gelegt hatten, den Geist eines in der Krim gefallenen Husarenmajors. Der Geist fing sogleich an, ganz husarenhaft im Tisch zu rumoren, und ließ durch sein Gepolter erklären, daß er etwas auf dem Gewissen habe und deshalb die ewige Ruhe nicht finden könne; was er aber auf dem Gewissen habe, könne er nur einer Dame mittheilen, die am Ufer der Garonne wohne. Nun wollte man wissen, wie sich die Dame nenne, da sprang der Tisch vor Unwillen über diese Indiscretion hoch empor, ohne daß sich die Lampe nur im Mindesten bewegte. Mein gelehrter Landsmann hatte nun den unglücklichen Einfall, den Tisch untersuchen zu wollen und dabei zu sehen, ob die Lampe nicht an demselben befestigt wäre. Dies erregte den heftigen Zorn besonders der Damen. Sie beschwerten sich darüber, daß man Leute einführe, deren Zweifelsucht die Geister erschrecke; denn die Geisterwelt sei nur dem erschlossen, der gläubigen und kindlichen Herzens in dieselbe einzutreten begehre. Die Hausherrin, die den Vorsitz an der Geistertafel führte, wollte die Sitzung schließen, was jedoch der Abbé durch einige salbungsvolle Worte verhinderte. Ich fand es inzwischen für gut, mich mit meinem Landsmann unbemerkt davon zu machen.

Diese wie ähnliche Abendunterhaltungen dienen dazu, leichtgläubige Gemüther zu berücken und dann in Privatsitzungen möglichst auszubeuten. Jeder Zweifel, der in diesen Versammlungen laut wird, beeinträchtigt das Geschäft. Der Magnetismus, die Geisterbeschwörerei und Alles, was in das Fach des Uebernatürlichen einschlägt, hat eine massenhafte Literatur hervorgerufen, die mit jedeme Tage mehr anschwillt. Die größten Charlatane schreien in diesen Schriften am lautesten gegen den Charlatanismus. So erzählt ein Magnetiseur in einer Revue den Anfang seiner glorreichen Laufbahn wie folgt:

„Nachdem ich bereits das fünfzigste Jahr hinter mir habe, empfinde ich ein gewisses Vergnügen, auf meinen Lebensgang zurückzublicken. In meinen Jünglingsjahren war ich Ladendiener in einer Modewaarenhandlung. Wie jeder junge Mann, der erst den neunzehnten Frühling gesehen, träumte ich eine rosige Zukunft. Ich sah mich schon als Besitzer eines sehr einträglichen Geschäftes, als Eigenthümer eines schönen Landhauses in der Nähe von Paris, an der Seite eines reizenden Weibes und umgeben von zahlreichen Kindern mit Engelsköpfen. Indem nun meine Einbildungskraft mir die schönste Zukunft ausmalte, hörte ich von Wundern des Magnetismus. Da fuhr es mir wie ein Blitz durch’s Gehirn. Ich kaufte einige Schriften über den thierischen Magnetismus und lernte aus denselben das Verfahren, ein Sujet in magnetischen Schlaf zu versetzen und seinen Willen zu beherrschen. Als mir nun mehrere Versuche über alles Erwarten gelungen, beschloß ich, an der Verwirklichung meiner geträumten Hoffnungen zu arbeiten. Mein Principal hatte eine Tochter. Sie hieß Angeline und sie rechtfertigte auf’s Vollkommenste ihren schönen Namen; denn sie war ein Engelskind mit himmelblauen Augen und einer reichen Fülle von blonden Locken, die ihr wie goldene Wellen von Nacken und Schultern flossen. Aber nicht nur ihre Schönheit, sondern – ich gestehe es zu meiner Schande – auch die beträchtliche Mitgift, die sie als einziges Kind zu erwarten hatte, erregten in mir den Wunsch, sie zu besitzen. Sie war eben aus der Pensionsanstalt gekommen, und da sie klug und umsichtig war, hatte sie ihr Vater an die Casse gesetzt. Leider fehlte mir die Gelegenheit, mit ihr allein zu sein und ihre Hand fassen zu können; um mich nun mit ihr in magnetischen Rapport zu setzen, richtete ich hinter ihrem Rücken die Augen auf sie und suchte ihren Willen dem meinigen zu unterjochen. Aber, ach! trotz meiner elektrisch geladenen Blicke, trotz meiner angestrengten Willenskraft addirte, subtrahirte und multiplicirte Angeline am Cassenbuch darauf los, ohne sich zu regen. War ich das Opfer einer Mystification? War mein Agens unzulänglich? Ich gerieth in Verzweiflung und las und überlas eine Anzahl Werke und Flugschriften über die Kunst zu magnetisiren; dieselben sagten einstimmig, daß Niemand dem festen Willen eines Magnetiseurs widerstehen könne, daß die Entfernung kein Hinderniß für das elektrische Fluidum sei, und noch unzählige andere Dinge, womit der Charlatanismus die Leichtgläubigkeit hintergeht. Ich gehörte zu den Leichtgläubigen. Mit erneuter Hoffnung setzte ich daher meine Bemühungen fort, um die Hand Angelinens und eine reiche Mitgift zu erlangen. Nichts verschlug. Ich wurde ungeschlacht gegen meine Collegen, unwirsch und unartig gegen die Kunden. Ich magnetisirte die Rechnungen, die Briefe, die Federn, das Tintenfaß, kurz alles, was Angeline berührte – umsonst! Sie saß nach wie vor, ohne mich zu beachten, ein kaltes Marmorbild hinter dein Cassenbuch. Eines Tages nun, nachdem ich die Schrift eines Fürsten meiner Wissenschaft gelesen, trat ich freudigen Herzens und in der Ueberzeugung eines vollständigen Sieges in den Laden. Ich hatte nämlich in besagter Schrift ein unfehlbares Mittel zur Erreichung meines Zweckes angezeigt gefunden. Es bestand darin, mit sicherer Hand ein Herz auf einem Stück Papier zu zeichnen, dasselbe zu magnetisiren und von der Person, auf die man seinen Willen auszuüben beschlossen, berühren zu lassen. Ich stellte mich hinter Angeline; aber indem ich mich anschicke, unter allerlei Geberden ihr das gezeichnete Herz zuzustellen, fühle ich eine schwere Hand auf meiner Schulter. Es war die Hand meines Principals, der mir folgende Worte in’s Ohr donnerte: ,Jch brauche fleißige Leute in meinem Geschäft, aber keine Tollhäusler. Ihr Platz ist besetzt; verlassen Sie mein Haus auf der Stelle!’

Ich war nun vor die Thür gesetzt und machte noch viele ähnliche Versuche, die nicht glücklicher ausfielen, bis ich mich eines Tages dem Krankenlager eines armen Mädchens näherte. Diesmal war mein Herz rein von Begierden nach Geld und Gut. Ich wollte der Kranken ohne allen Eigennutz helfen, und ich half ihr. Sie genas und belohnte mich durch heiße Zähren der Dankbarkeit. Sie ist jetzt meine geliebte Gattin, die Freud und Leid ergebungsvoll mit mir theilt. Nur wer mit reiner Seele und zu edlen Zwecken die magnetische Kraft anwendet, ist seines Erfolges gewiß, und der Kranke wird niemals seine Hülfe vergebens in Anspruch nehmen.“ –

Der Zuave Jacob, der vor einigen Monaten durch seine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_729.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)