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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Liebesbezeigungen; kein süßliches Geküsse – ein rascher Händedruck; keine schönselige Floskel im Briefe – eine Mittheilung und die Unterschrift. Wie in diesen Stücken, in Allem eine Harmonie von Jüngling und Mann, vom idealistischen, gelehrten Deutschen, vom welterfahrenen, sturmerprobten Amerikaner. Kein Wunder, daß solch’ ein Mensch überall Gönner, Freunde, Verehrer fand. Zu geben brauchten sie ihm nicht viel; er schaffte sich Alles selbst und wachte, daß sie ihm nichts nahmen von seiner Bescheidenheit und Selbstlosigkeit. In Anerkennung seiner vielseitigen Verdienste um Wissenschaft und Leben ernannte ihn die Universttät Bonn zum Ehrendoctor bei Gelegenheit ihres Jubelfestes.

Von dem Jahre 1870 hofft Kapp endlich die Erfüllung seines innigsten Lebenswunsches. Seit er Deutschland wiedersah, hat er mit der Arbeit seines juristischen Berufs dahin gezielt, daß er im vorausberechneten Zeitpunkt des erwähnten Jahres es werde durchführen können, mit seiner Familie in’s Vaterland zurückzukehren. Der Umschlag, welchen die Ereignisse von 1866 herbeigeführt, hat seinen Vorsatz nur befestigt. Er ist nun überzeugt, daß er seinen Kindern ein großes und aufwärts strebendes Vaterland geben wird. Sollen wir sagen: Deutschland schuldet diesem in vollster Manneskraft heimkehrenden, hochverdienten treuen Sohn eine würdige, lohnende Stellung? Wir wollen lieber sagen: es kann in Deutschland nicht fehlen, daß mehr als ein wohlverstandenes Interesse sich freuen wird, einer so bewährten und schönen Fähigkeit Verwendung eifrig anzubieten. Auf dem streng politischen Felde könnte im Anfang ein Umstand hinderlich werden. Das Gesetz, daß ein Preuße nach zehnjähriger Abwesenheit seine Nationalität verliert, ist eine der Erbschaften des Polizeistaates. Es ist noch das Gesetz eines Staates, der kein Vaterland ist, sondern eine Beaufsichtigungsanstalt. Können denn Eltern- und Kindespflichten verjähren? Es wäre Zeit, daß diese Barbarei beseitigt würde. Wenn es schon wieder so weit gekommen ist, daß die Vertriebenen der Reactionsepoche von allen Weltenden zurückkommen und ihr Erbtheil am Heimathboden antreten, dann ergeht auch der Mahnruf an die Gesetzgebung, daß sie solche naturwidrige Bannflüche widerrufe!




Noch ein parlamentarlscher Abend bei Bismarck.

Inzwischen ist der Mai in seiner vollen Pracht heraufgekommen. Der Blätterdom im Reichstagspark über den beiden langen Baumreihen hat sich so stolz und lichtgrün gewölbt, wie je zuvor, und auf dem alten sechshundertjährigen Taxus, unter dem einst Mendelssohn-Bartholdy die Ouverture zum „Sommernachtstraum“ dichtete, feiern zahllose kleine Sänger die Flitterwochen. Das Frühjahr führt seinen alten, immer siegreichen Kampf gegen die Pflichten des parlamentarischen Mannes. Auch die ergraute Gewissenhaftigkeit unterliegt den Verführungskünsten der glänzenden Maja. Nicht die Fleißigsten der Fleißigen, der Prinz Albrecht von Preußen, Moltke und Steinmetz, ja nicht einmal die seßhaftesten Männer, wie die Abgeordneten Wachler und Graf Renard, lassen sich mehr im Saal halten. Die Klage über die schlechte Ventilation im Verhandlungssaal ist nur eine unvollkommene Beschönigung ihrer Fahnenflucht vor den Reden des Reichshausleerers Peter Reichensperger, oder vor der schwermüthigen Gründlichkeit des Abgeordneten Kratz oder der schimpflichen Sachkenntniß des mecklenburgischen Grafen von Bassewitz in der Anwendung der mecklenburgischen Prügelstrafe. Alles sitzt unter dem Taxus und hört den losen Hennig oder Unruh Geschichten erzählen, von denen die meisten im Buchhandel nur in versiegelten Exemplaren ausgegeben werden würden. Voriges Jahr, als wir im kühlen Pavillon des Reichstagsparks an Braun’s Rheingauer Weinen die Frage der Weinbesteuerung, des französischen Maßsystems und noch einige andere studirten, ließ uns der argwöhnische Präsident Simson sofort eine telegraphische Klingel von reichlich drei Decimetern Durchmesser auf den Kiosk setzen, die unsre nichts ahnenden Seelen urplötzlich durchschauerte wie die Stimme des jüngsten Gerichts und den armen Gott Bacchus leider für immer aus diesen Räumen verscheuchte.

Heute wird auch dieser Appell an die Furcht, diese Mahnung an das Gewissen der norddeutschen Gesetzgeber meist in den Wind geschlagen. Drinnen versammelt der Restaurateur Müller seine berühmte Fraction vollzählig um die letzten Kibitzeier, die von einem viertel Thaler pro Stück durch die unglaubliche Fruchtbarkeit ihrer Eltern schon auf den proletarischen Preis von „zwei Silber“ herabgedrückt sind, so daß sich der ärmste Mann zum Unterschied von seiner gewohnten „Portion Försterling“ einmal dieser thierischen Kost erfreuen kann. Aber kann das Alles die Stimme Eures Gewissens übertäuben, während drinnen im Saal die drei Parzen Simson, Lasker und von Denzin unermüdlich die Fäden immer neuer Debatten anknüpfen, weiterspinnen und abschneiden? Wir werfen uns stolz in die Brust über Euch Sünder und Zöllner, indem wir zu der legitimen parlamentarischen Erholung der Woche, zu der Abendgesellschaft des Grafen Bismarck, schreiten.

Diesmal waren am Eingang keine Schutzleute zu sehen. Gleich im ersten Empfangszimmer oben bewillkommnete uns Bismarck, verbeugten wir uns vor seiner Gemahlin. Die Letztere war leider auch diesmal nur von einem auserwählten Kreise von Grafen und Herren umringt, so daß eine ungebetene Vermehrung dieser Umgebung ungeziemend erschienen wäre. Ohnedem knüpfte Bismarck sofort bei unserm Eintritt ein Gespräch mit uns an, das er nur unterbrach, um den Neueintretenden die Hand zu reichen: Forckenbeck, der sich unserm Kreise anschloß, Löwe und von Kirchmann von der Linken, die er seiner Gemahlin zuführte. Er sprach über den neulichen Beschluß des Reichstags auf Abänderung des Artikels zweiunddreißig der Bundesverfassung, d. h. auf Bewilligung von Diäten an die Reichstagsabgeordneten. Er stellte dem Beschluß keine große Aussicht auf Annahme beim Bundesrath, und fuhr dann fort: „Ich für meine Person würde von der Bewilligung der Diäten einen großen Vortheil haben. Sie wissen, wie faul meine engern politischen Anhänger, die Herren Konservativen sind. Sie würden, sobald Diäten bezahlt würden, sich in weit größerer Zahl einfinden, weil sie mit mehr oder weniger Grund annähmen, daß die linke Seite des Hauses sich nun vollzählig einstelle.“

Unser Kreis lichtete sich, die Meisten gingen nach dem Billardzimmer. Wir standen noch im Empfangssalon am Büffet, auf dem der ausgestopfte Hase steht. Der Moment schien mir günstig, für meine Leser das Geheimniß dieses hohen Hasen zu ergründen. Ich fragte Bismarck, was es mit dem ausgestopften Balg für eine Bewandtniß habe.

„O sehen Sie, dieser Hase ist brünett.“

„Brünett? Excellenz.“

„Ja, er hat einen dunkelbraunen Kopf und Rücken, während er von Rechtswegen gelb sein sollte. Man müßte eigentlich noch einen Hasen daneben stellen, damit das Naturwunder mehr hervortritt. Er war der einzige brünette unter fünfzehnhundert, die wir an dem Tage schossen.“

Im Billardzimmer fand sich das Gros der Gesellschaft, im Ganzen weniger als am ersten Abend. Die Stiftungsfeier des Juristenvereins hatte fast die gesammte Rechtsgelehrsamkeit des Reichstags nach Charlottenburg entführt.

„Wer ist der junge große Mann hier, mit dem stolz unzufriedenen Gesicht und dunkelblondem Vollbart à la Kronprinz? Gewiß aus einem guten Haus, wenn er auch die Arme etwas linkisch trägt?“ fragte ich einen juristischen Collegen.

„O,“ antwortete er, „der ist seit dem 5. Mai sehr berühmt geworden. Sie dürfen’s aber Niemandem sagen. Das ist der Graf Kanitz, der Zweitjüngste des hohen Reichstags. Am fünften Mai hat er seine Jungfernrede gehalten, die, mit Hülfe der grünen Geschäftsordnung in Simson’s, des Präsidenten, Hand, nach vielen vergeblichen Abstechern in die Irrfelder der hohen Politik unter der berüchtigten Heiterkeit des Hauses schloß.“

„Das Gegenstück von der Kanitz’schen Rede,“ bemerkte ich, „hat uns doch heute Hausmann geliefert, der sonst so wackere Kämpfer

gegen die Lippe’sche Mißregierung. Der Mann hat in drei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_344.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)