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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gleichgewicht für den Ausfall, die Sorge war im Kampf mit dem heiteren Lebensgeist dennoch oft genug siegreich, und der unverwüstliche Humor hatte dann einen harten Stand in der sonst so hellen Seele. Da traf ihn (am 14. Mai 1854) der schwerste Schlag seines Lebens, der Tod seiner Gattin. Von den Jahren, die diesem Unglück folgten, gehören viele zu den recht freudenlosen des greisen Mannes, namentlich seitdem zu dem Gehörleiden noch eine Augenschwäche sich gesellte, die endlich in den grauen Staar überging. Weder recht hören, noch recht sehen können bei der Lebhaftigkeit des Geistes und der Gesundheit des Körpers, wie Methfessel Beides genoß, wahrlich, das will ertragen sein!

Eine Tugend Methfessel’s, welche den Leuten der auf Tact und Maß so streng angewiesenen Tonkunst sehr nahe liegen sollte und dennoch dem Musikantenblut so schwer fällt, war die Regelmaßigkeit und Mäßigkeit seines Lebens, mit welcher allerdings ein sichtliches Sträuben gegen das Altwerden und Altaussehen gleichen Schritt hielt. Mittags liebte er einen guten Tisch und wo möglich auch fröhliche Gesellschaft, weshalb der daheim Vereinsamte es vorzog, im „Wiener Hofe“ zu essen, wo er natürlich mit Aufmerksamkeit behandelt und bald für alle Fremden durch seinen sprudelnden Humor, seinen unerschöpflichen Anekdotenreichthum und seine Liebenswürdigkeit, besonders gegen die Damen, ein Gegenstand der Bewunderung wurde.

Sein Gang war im Alter langsam, aber ausdauernd, und er ging gern allein, obwohl dies wegen seines Gesichts- und Gehörmangels nicht immer ohne Gefahr für ihn blieb. Beim Bahnhof in Braunschweig war er einst nahe daran, unter einen Wagen zu kommen. Die ersten Glückwünschenden tröstete er damals über den kleinen Schrecken mit der Bemerkung: „Der alte Methfessel wird jetzt so oft übergangen, daß er zur Abwechselung auch einmal überfahren werden kann.“

Er arbeitete, soweit es seine Augen gestatteten, jeden Tag, componirte fort bis an’s Ende und war in der Korrespondenz ebenso unermüdlich als ungeduldig. Als ich ihm einmal in einer gar nicht so dringenden Sache nicht sofort antwortete, erhielt ich in drei Tagen noch fünf Briefe von ihm. Ueber die Photographie zu dem Porträt, welches die Gartenlaube heute von ihm mittheilt, schrieb er mir: „Sehen Sie sich ’mal das Bild genau an; es ist so ähnlich, daß mir einst ein Freund sagte, es sei noch ähnlicher als ich!“ Der Schluß eines seiner letzten Briefe lautete: „Die Mittheilungen, welche ich jetzt bearbeite, nenne ich ‚Erinnerungen, Lebensbilder und Reiseskizzen von Albert Methfessel‘.“ Leider sind diese unvollendet, ja wohl gar unangefangen geblieben.

Des Alten letzte große Freude in Braunschweig war das Jubiläum, mit welchem am 6. October 1864 sein achtzigstes Geburtsfest begangen wurde und an dem die deutsche Sängerwelt, durch die Müller’sche „Neue Sängerhalle“ angeregt, durch Ehrengaben und Grüße freudig Theil nahm. Bei dieser Gelegenheit erhielt er von der Universität Jena das Ehrendiplom eines Doctors der Philosophie.

Endlich wurde doch das Alter auch über ihn Herr; dazu kamen die Alltagssorgen, die dem so Hochbetagten mancherlei für ihn schwere Entbehrungen auferlegten, und häuslicher Kummer, der ihn schließlich bewog, Braunschweig zu verlassen und bei seiner älteren Tochter, der Gattin des Pastors zu Heckenbeck bei Gandersheim, Zuflucht für seine letzten Lebenstage zu suchen. Hier kam er zu Anfang des köstlichen Mai des vorigen Jahres an, und wie freute er sich, „im Grünen“ zu sitzen, denn jeder Freude war sein kindliches Gemüth so gern offen, und mit welch echtem Dichterherzen wußte er sich zu freuen! Aber schon zu Anfang August pochte ernstlich der Tod an: ein Schlaganfall nahm ihm den Rest von Hör- und Sehkraft und lähmte ihm die Sprache. Ein entsetzlicher Zustand für den immer hastiger fortarbeitenden, nur in der Mittheilung seligen Geist! Noch einmal siegte die urkräftige Natur der alten Wald-Nachtigall: „Die Sprache hat sich gebessert,“ konnte er Mitte September in einem Bulletin an seine Freunde verkünden. „Meine Stimme ist gefügiger geworden, wenn auch nur auf eine halbe Octave reducirt, g—d. Mit diesen fünf Tönen kann man noch viel dictiren. Also: Non omnis moriar!“

Nach einem schweren Winter brachte der lachende Frühling den Alten an das letzte Ziel. Die Auflösung des im Tonreich fortarbeitenden Geistes kündigte sich bei ihm ähnlich wie bei Rückert an. „Weißt Du, mir ist heute so urweltlich zu Muthe,“ sprach der Dichter an seinem Todestage zu seiner Tochter Marie. „Horizont, darunter Wasser – endlos, gestaltlos.“ Und ein andermal hörte er „die Quellen des Paradieses“ rauschen. Methfessel hörte mehrere Wochen lang vor seinem Tode eine „Geister-Capelle“, die ihm die allerschönste Musik vortrug und ihn wahrhaft beglückte, bis es ihm endlich des Schönen doch zu viel wurde: die Musik seines überreizten Gehirns ließ ihn nicht mehr schlafen. Da vermuthete er, daß auch Feinde sich in diese Capelle eingeschlichen haben müßten, an die er nicht selten laute Worte richtete. „Liebe Freunde und Feinde, manche schöne Stunde verdanke ich Euch, jetzt aber will ich Ruhe haben!“ – Und diese fand er, freilich nach schwerem Todeskampf, am dreiundzwanzigsten März, früh halb zwei Uhr, der wunderbaren Zeit, wo die meisten Seelen vom Leibe scheiden.

Albert Methfessel, dessen Melodien viele Tausende gesungen haben und noch singen werden, ist am fünfundzwanzigsten März auf dem Dorfkirchhof von Heckenbeck ohne Sang und Klang in die Erde gelegt worden. Das ist das Härteste, was ihm zu guter Letzt widerfahren konnte. Dieses Vergehen muß wieder gut gemacht werden. Wie der alte Nürnberger Grübel würde auch Methfessel für sein Grab sich nichts gewünscht haben, als: „a Stala und an Weidenbahm“. Ihr deutschen Sänger allerorts, verschafft es ihm: „einen Stein und eine Trauerweide“, aber singt dann auch bei der Weihe der Stätte, wie sich’s gebührt. So traurig scharrt man keine Nachtigall ein, am wenigsten die älteste von Thüringen!




Amerikanische Volksjustiz.

 „Ist Dunst zur Höh’ gestiegen,
 So muß der Donner fliegen.“
 Follen.

In Nr. 6 der „Deutschen Blätter“, dem literarischen und politischen Feuilleton, habe ich den Lesern der Gartenlaube in der Fürsorge der Deutsch-Amerikaner für ihre Waisenkinder ein Bild des Friedens und der Liebe vor Augen geführt. Heute aber muß ich zur Charakteristik amerikanischer Verhältnisse, die ja auch drüben in der alten Welt für Viele nicht ohne Interesse sind, ein blutiges Drama aufrollen. Wie in jenem die zartesten Regungen des menschlichen Herzens, die liebevollste Theilnahme für Verlassene, das innigste Mitgefühl sich spiegelt, so tritt uns in diesem scheinbar die gräßlichste Gefühllosigkeit und die roheste Brutalität entgegen. Ich sage: scheinbar, denn bei genauer Würdigung der obwaltenden Verhältnisse wird die That der Gewalt, von der ich reden will und die gewiß auch schon in deutschen Zeitungen mitgetheilt sein wird, wenn auch keine Entschuldigung, doch wenigstens eine mildere Beurtheilung finden. Wo die legale Behörde sich zur Vollziehung der Gesetze als incompetent erweist, wo der Arm der staatlichen Gerechtigkeit durch Umstände gelähmt wird, da, und nur da mag es einigermaßen gerechtfertigt erscheinen, wenn das Volk selber die Vollstreckung der Gesetze in die Hand nimmt und sein eigner Richter wird. Findet das Volk gegen seine gerechtesten Beschwerden keine Abhülfe, sieht es sich fort und fort in seinen heiligsten Interessen gefährdet, reichen die Präventiv-Maßregeln nicht aus und ist Gefahr im Verzuge, – wer will es verdammen, wenn es sich selber hilft! In solchem Falle mag das bekannte „salus populi suprema lex“ seine Geltung finden. Und wenn, wie im vorliegenden Falle, nicht der Auswurf der Menschheit, nicht eine besitzlose Rotte, sondern der wohlhabende Bürger und der friedliche Landmann, der nicht unbedacht zu Werke zu gehen pflegt, wenn der Alles auf’s Spiel setzt und mit Gefahr seines eigenen Lebens zur Aushülfe schreitet, dann „ging gewiß kein andrer Weg nach Küßnacht“.

In dem südlichen Theile des Staates Indiana, in der Grafschaft Jackson, liegt an dem Punkte, wo die Ohio-Mississippi- und die Jeffersonville-Indianopolis-Eisenbahnen sich rechtwinklig durchschneiden, das kleine Städtchen Seymour. Es besteht, da der milde, leichte Boden zur Fabricirung gebrannter Steine sich nicht wohl eignet, zum größten Theile aus Frame- oder Bretterhäusern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_376.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)