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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Im Grabe der Verschütteten.

„– – – – Es freue sich,
Wer da athmet im rosigen Licht.“

– so rief ich mit Schiller aus von Herzensgrund

„und athmete lang und athmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht,“

gestern als ich aus dem Schooße der Erde wieder emporstieg zum Lichte des Tages. Freilich war’s nicht besonders rosig und auch nicht gerade sehr himmlisch, dies Licht, und die Luft nicht gar rein und erquicklich, im Gegentheil Licht und Luft und Alles ringsum war äußerst trüb und qualmig, rauch- und ruß- und dampferfüllt und sah recht schwarz und schmutzig aus – wie es im Maschinenhause eines Kohlenwerkes eben zu sein und auszusehen pflegt. Denn hier, und zwar in jener unheimlichen Kaue des Burgker Segengottesschachtes traurigen Andenkens war es, wo ich, nach stundenlanger Wanderung durch nachtfinstere Strecken und Schächte und nach den eigentlichen Unglücks- und Todtenstätten, wieder zu Tage fuhr, auf dem nämlichen Gestelle und von dem nämlichen Hebewerke emporgezogen aus der grausigen Tiefe von mehr als siebenzehnhundert Fuß, die ich vor zwei Monaten die schauerlich verstümmelten Opfer der schlagenden Wetter hatte zu Tage fördern sehen.

Am liebsten hätte ich die unterirdische Reise unmittelbar nach der Katastrophe selbst gemacht, auf den frischen Spuren der Verheerung, allein auf meine desfällige Anfrage an der betreffenden Stelle war ich beschieden worden, vor der Hand von meinem Vorhaben abzustehen; das Unternehmen sei augenblicklich noch mit zu vielen Gefahren verknüpft. Ich mußte mich also in Geduld fassen, bis mir ein höherer Beamter der Werke, ein wissenschaftlich gebildeter und liebenswürdiger junger Mann, schrieb:

„Kommen Sie jetzt. Es wird mir zum Vergnügen gereichen, in der Tiefe Ihr Cicerone zu sein.“

Zum vierten Male schlug ich denn gestern den Weg zum Burgker Huthause ein.

Nicht ohne eine tiefe innere Bewegung schritt ich, an dem im Erdgeschoß gelegenen großen Betsaale vorüber, die Treppe zum oberen Stockwerte hinauf, wo in einem der daselbst untergebrachten Bureaux schon alle Einleitungen zu meiner Expedition in’s Erdinnere getroffen waren. Zunächst hatte ich Einsicht zu nehmen von einem zu meiner Instruction ausgebreiteten speciellen Grundrisse der beiden verbundenen Werke „Neue Hoffnung“ und „Segen Gottes“, um nicht nur ein Bild zu gewinnen von Lage und Umfang der unter den Fluren verschiedener Dorfschaften sich stundenweit erstreckenden Gruben, sowie von den bereits abgebauten und den noch im Bau befindlichen Kohlenflözen – soweit sich ein Laie in dem complicirten Plane zurecht finden kann – sondern und namentlich auch, um mich über Richtung und Ausdehnung des Weges zu orientiren, den wir durch die finstere Tiefe verfolgen wollten. Dann begann die – Einkleidungsscene. Die Castellanin des Gebäudes, ein freundliches altes Mütterchen. brachte das unerläßliche Bergmannshabit herbei, und wie sie, mich dünkte mit einem still sorglichen Blicke, mich ansah, während sie Stück für Stück des Costümes ausbreitete, die weite schwarze Baumwollhose, die Blouse mit dem kurzen Kragen und den vielen Knöpfen, den niedrigen krämpenlosen Filzhut und das bekannte namenlose Leder, Alles mit mancherlei Zeichen häufigen Gebrauchs, – da, ich scheue mich nicht es zu bekennen, fing mir das Herz doch gar bänglich zu klopfen an. Eine Fahrt in den Tiefbau des Kohlenschachtes bleibt für den Bergmann jedesmal gewissermaßen ein „Rechnungsabschluß mit dem Himmel“, um wie viel unheimlicher und schreckensvoller muß einem Laien eine solche Einfahrt erscheinen!

Aber – das A war einmal gesagt, das B mußte somit folgen, wollte ich mich und meinen Muth in den Augen meines bergmännischen Freundes nicht total discreditiren. So rasch und tapfer, wie es gehen wollte, legte ich denn das schwarze Habit an, trat unter der Aegide meines Cicerone mit thunlichst festem Schritte in’s Freie hinaus und suchte, wenn uns, wie das mehrfach geschah, zur Schicht fahrende oder von der Schicht kommende Bergleute begegneten, die meist den ihnen unbekannten neuen Cameraden neugierig musterten, meine – Befangenheit hinter einem möglichst herzhaften „Glückauf!“ zu verstecken.

„Wir fahren zur Tagesstrecke ein,“ hob mein Mentor an. „Sie bekommen dadurch den besten Begriff von Ausdehnung und Beschaffenheit der beiden Werke. Unter ‚Strecken‘,“ setzte er belehrend hinzu, „verstehen wir bekanntlich jeden auf eine größere Länge ausgehauenen Raum von annähernd regelmäßigem rechtwinkligem Querschnitt. Dienen diese Strecken, welche je nach ihrer Richtung, die sie im Flötze einnehmen, flache, streichende oder diagonale sein können, einem bestimmten Zwecke, zum Beispiel der Wetter- oder Luftführung, der Fahrung, der Kohlenförderung etc., so heißen sie Wetter-, Fahr-, Förderstrecke etc. Die Tagesstrecke endlich ist der an der Bodenoberfläche, vom Tage aus allmählich in die Tiefe hinabführende Weg, welchen der Bergmann zurücklegen muß, um zu seinem Arbeitsplatze zu gelangen.“

Die Mündung dieser Tagesstrecke des Neuen-Hoffnungs-Schachtes befindet sich in der nächsten Nachbarschaft des Dorfes Burgk, unweit jener Schenke, wo ich meinen letzten Bericht von der Unglücksstätte niederschrieb. Ueber dem Eingange in das geheimnißvolle Herz der Erde ist ein Häuschen erbaut, in welchem die nöthigen Beleuchtungsapparate und Werkzeuge aufbewahrt werden. Wir versahen uns hier mit unsern „Blenden“, den kleinen Grubenlaternen, und befestigten dieselben an einen um den Hals geschnallten Lederriemen; mein Begleiter nahm außerdem noch zwei von den in großer Anzahl auf einem Tische umherstehenden drahtgeschützten Sicherheitslampen in die Hand, bewaffnete sich mit einem Stecken und stieß die Pforte auf, durch welche man hinabsteigt in die Unterwelt.

„Haben Sie keine Angst,“ sagte mein Begleiter lächelnd, als er meine bedenkliche Miene sah, „die Sache sieht gefährlicher aus, als sie ist. Die Sicherheitslampen aber, die Ihnen Scrupel zu erregen scheinen, die habe ich lediglich zu Ihrer Beruhigung mitgenommen; wir brauchten sie kaum, denn von bösen Wettern hat sich jetzt keine Spur mehr gezeigt. Aber wollen Sie nicht lieber auch einen Stock mitnehmen? Er wird Ihnen die Fahrt sehr erleichtern“.

Ich wandte mich sofort, einen handfesten Stab zu holen, welchen ich oben bei den Lampen hatte liegen sehen. Mit einer gewissen Hast hielt mich mein Führer zurück.

„Bitte, nicht umkehren!“ sagte er. „Wir Bergleute sind abergläubisch, und Umkehren bedeutet Unglück. Ich werde den Mann oben rufen, daß er Ihnen den Stecken bringt.“

Die Stütze kam, und nun that ich den ersten Schritt in die Tiefe hinab, ziemlich unsicher und zaghaft, das leugne ich nicht. Der Weg war indeß wirklich minder unbequem, als ich mir es vorgestellt hatte. Ueber Hunderte und Aberhunderte von hölzernen Stufen – wie vielen kann ich nicht angeben, denn leider habe ich in meiner Aufregung sie zu zählen vergessen, aber sie erschienen mir endlos – fuhren wir hinab. Noch konnte ich, mich umwendend, den kleinen Schimmer von Tageslicht bemerken, der durch die offen gelassene Eingangsthür hereinfiel, und so lange dünkte es mich, als habe ich noch Fühlung mit der hellen, freudigen Außenwelt da droben, als sei ich noch nicht rettungslos in den Eingeweiden der Erde begraben. Doch, wie ich mich kurz darauf von Neuem umschaute – ach, da war der tröstliche Schein verschwunden und ringsum Nacht, nichts als Nacht, in welcher blos die schwachen Oelflämmchen unserer Blenden und die beiden Sicherheitslampen meines Gefährten unmittelbar um uns herum einen matten Lichtkreis beschrieben, gerade so groß, daß ich erkennen konnte, wie eng, wie drückend, sargartig eng das Gewölbe war, das sich über unseren sich neigenden Köpfen aufmauerte. Gott im Himmel! es war, als zersprengte es mir die Brust! Ich konnte kaum athmen, und meine Füße schlotterten, als sie sich die von durchsickerndem Wasser gefährlich schlüpfrigen Stufen hinabtasteten. Ab und zu, stets aber nur auf kurze Distanzen, erweiterte sich wohl einmal das Gewölbe, nach der Höhe wie nach der Breite.

„Das ist neueres Mauerwerk,“ erklärte mein Begleiter. „Der Hoffnungsschacht ist schon in den zwanziger Jahren angelegt und allmählich immer weiter hinab abgeteuft worden; damals begnügte man sich noch mit sehr engen, schmalen Gängen. Wenn Sie nachher in das Segengotteswerk kommen, unsere Puppe, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_699.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)