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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ergreifendes! Der Director hatte sich still in seinen Stuhl zurückgesetzt und schien den feuchten Nebel nicht wegwischen zu können, welcher sich ihm plötzlich vor die Augen gelegt hatte.

„Darin, in dem Liede und dem Gesange, da thut’s Euch Deutschen doch Niemand nach,“ sagte mein Reisegefährte, indem er dem Director zum Abschiede warm die Hand drückte.

Ich hatte versprochen, noch einmal und zu längerem Besuche nach German-Town zu kommen, meine plötzliche Abreise aus Halifax und Neuschottland verhinderten aber die Ausführung meines Vorsatzes. Vielleicht kommen dem Director und einem oder dem anderen seiner Bergleute diese Zeilen zu Gesicht. Mögen sie ihnen ein willkommener Gruß sein aus der alten Heimath!




Das Stammbuch August Wilhelm Iffland’s.

Von Hermann Uhde.

„In diesem Hause, dem Wohn- und Sterbehause des berühmten G. W. Leibnitz, wurde am 19. April 1759 A. W. Iffland geboren;“ so lasen wir, mein Begleiter und ich, am Sonntagsmorgen des 19. April 1868. Die Stadt Hannover zahlte an diesem Tage einem ihrer edelsten Söhne die längst fällige Ehrenschuld; an Iffland’s Geburtshause ward eine Gedenktafel mit obiger Inschrift befestigt.[WS 1]

„Hundertundneun Jahre nach seiner Geburt das erste Erinnerungszeichen an den Hochverdienten!“ bemerkte mein Freund mit Bitterkeit.

Ich zuckte die Achseln. „Hatte man doch auch nur eine abgelegene, kleine Querstraße, um sie nach dem genialen Leibnitz zu benennen!“

„Leider wahr!“ entgegnete mein Begleiter. „Lange Zeit wurde sogar ein falsches Haus als Iffland’s Geburtshaus angesehen, bis der Bruderssohn des Verblichenen den Irrthum aufklärte.“

„Hier lebte noch kürzlich ein Bruderssohn Iffland’s?“ fragte ich rasch.

„Vielmehr: er lebt noch gegenwärtig hier!“ lautete die Antwort. „Es ist der Obersteuerrath a. D. Ernst Iffland, Sohn des weiland hannöverschen Stadt-Directors Christian Philipp Iffland, ältesten Bruders August Wilhelm’s, welcher bekanntlich das jüngste von vier Kindern war.“

Einen so nahen Verwandten des berühmten Mannes kennen zu lernen, ward sofort zum dringenden Wunsch, und da mein Freund zu einem solchen Besuch aufmunterte, trat ich noch am nämlichen Tage meine Wanderung an.

Ich fand einen mittelgroßen, wohlconservirten Siebziger, dessen Züge unverkennbar die Familienähnlichkeit verriethen. Er empfing mich, nachdem seine Tochter ihm mein Anliegen gemeldet, sehr artig, wurde, als er meinen Eifer für eine Sache sah, die seinem Herzen so nahe lag, bald wärmer; allein im Ganzen beobachtete er doch – wie dies einem Fremden gegenüber ja nur zu erklärlich ist – eine große Zurückhaltung. Ich sagte ihm, es sei meine Absicht, für das Feuilleton einer der hannöverschen Zeitungen einen biographisch-kritischen Aufsatz über seinen verstorbenen Oheim zu verfassen; ich habe es daher für meine Pflicht gehalten, mich zuvor an ihn zu wenden, denn bei dem notorischen Mangel einer nur einigermaßen vollständigen biographischen Arbeit über Iffland sei es doch gar leicht möglich, daß er mich bei meinem Zweck mit Documenten und Notizen vielfach unterstützen könne.

Wirklich erfuhr ich aus dem Munde des alten Herrn manche interessante Thatsache, erhielt manches schätzbare Document zur Einsicht; und von der Aufnahme, die ich gefunden, von dem Resultate der Unterredung befriedigt, kehrte ich heim und machte mich sogleich an’s Werk. Die Artikel erschienen, mein ganzes Herz war bei der Arbeit. Dies bewirkte das Gute, daß ich vom Herrn Obersteuerrath eine Einladung erhielt, mir, was ich an Reliquien seines Oheims noch nicht gesehen, zu betrachten.

Am nächsten Morgen ging ich zu ihm; er begrüßte mich auf’s Freundlichste und brachte alsbald ein messingbeschlagenes Kästchen herbei. Es barg Andenken, welche wohl kaum je eines Lebenden Auge sah: eine Menge Theaterzettel aus Eckhof’s Zeit, seltene, alte Theater-Almanache, Bildnisse Iffland’s und Medaillen, auf ihn geschlagen; viele Briefe Gotter]’s an Christian Rudolph Iffland, den Vater (Registrator an der K. Kriegskanzlei, gestorben 1780), endlich einen großen Theil der Correspondenz August Wilhelm Iffland’s mit seinem Bruder (dem Stadtdirector). – So, fühlte ich, muß dem Taucher zu Muthe sein, wenn er auf der Tiefe des Meeres anlangt und seinen entzückten Blicken bieten sich unermeßliche Schätze dar! –

Langsam, Stück um Stück, wurden mir die theueren Gegenstände übergeben; ich sah, las, schrieb – Stunden verrannen. Da, als Schlußstein des Ganzen, reichte mir Iffland’s Neffe ein unscheinbares Büchlein in braunem Ledereinband; ich öffnete es: es war das Stammbuch August Wilhelm Iffland’s.

Die ersten Männer jener großen Zeit haben in dieses Tagebuch der Freundschaft ihre Namen und einen sinnigen Spruch gezeichnet, und ich glaube der Theilnahme der Leser der Gartenlaube gewiß zu sein, wenn ich ihnen in dem Folgenden den Inhalt der interessantesten Blätter kurz vorführe. Sind Worte doch „der Seele Bild“, und wer möchte nicht vor Gestalten gern verweilen, welche immerdar den Ruhm und Stolz unseres Vaterlandes ausmachen werden.

Gleich zu Anfang treffen wir auf die Handschrift Conrad Eckhof’s, dieses Ecksteins des deutschen Kunsttempels. Welch herzliches Band Beide umschlang, beweisen die Verse Eckhof’s; ein Denkmal seines biedern, herzlichen Sinnes, sind sie zugleich ein Zeichen der geistigen Frische, welche sich der bekanntlich jahrelang mit einer dem Wahnsinn verfallenen Frau zusammen Lebende zu bewahren gewußt:

„Der Ritter Polidor, der einen Freund erwählet,
Fragt stolz: Wie viel er Ahnen zählet;
Der Bacchus fragt: Wie viel er trinkt;
Der Renommiste fragt: Ob er sich öfters ringt;
Der Harpax: Wie viel ihm die Jahr’ Int’ressen tragen;
Und Liebmann: Was von ihm die Buhlerinnen sagen.
Ich frage nur: Ob er klug, redlich, scherzhaft ist;
Und, kurz: so freundschaftlich, als Du, mein Iffland, bist!“
„Es sind viel Vögel, die hassen mich;
Ich bin ein Kautz, und acht’ es nicht.  Conrad Eckhof.“

Der bekannte Gotter, der den jungen Künstler auf der schwierigen Laufbahn so liebevoll mit Rath und That unterstützte, schreibt „mit herzlicher Theilnahme in der Stunde des Abschieds“, den 28. September 1779, die weise Mahnung:

„Laß Dich das Zujauchzen der Menge nicht bethören, und das Angrinzen des Unverstandes nicht irren!“ –

Es ist der letzte Freund aus Gotha, den wir in dem Stammbuche finden. Schon ist der Name Iffland bekannt, schon lenken sich die Augen der Kunstkenner auf ihn, und nachdem Eckhof’s Tod (1778) das Gothaische Schauspiel gesprengt, beruft der edle Wolfgang Heribert von Dalberg, der hochsinnige Förderer der dramatischen Kunst, den jungen Genius, dessen Schwingen zu wachsen beginnen, nach Mannheim.

Ehe Iffland hier eintrifft, lenkt der heimlich aus dem väterlichen Hause Entwichene seine Schritte nach der Heimath, die geliebten Eltern um ihre Verzeihung, um ihren Segen zu der eigenmächtig erwählten Laufbahn anflehend. Beides wird ihm gewährt.

Der neue Vorgesetzte empfängt den Großes versprechenden Kunstjünger auf das Freundlichste, und da ihm, nach alter Sitte, Iffland das Stammbuch vorlegt, schreibt er:

„Ein einziger Augenblick von Selbstzufriedenheit ist besser, als die ganze Unsterblichkeit bei der Nachwelt. Aber was war es, das Dir so hohe Zufriedenheit in’s Herz strömte? – Vorgefühl dieser Unsterblichkeit!“

Stolze Worte fürwahr, aber gewiß von Gewicht in dem Munde des feinsinnigen Kunstkenners, des scharfen Kritikers.

Inzwischen ist Brockmann, der erste Darsteller des Hamlet, und in dieser Rolle berühmt geworden, zum Gastspiel nach Mannheim gekommen. Der feine, hochgebildete Mann fühlt sich zu dem verwandten Geiste mächtig hingezogen. Hatte doch Beide, Iffland wie ihn, die heiligste Kunstbegeisterung zur Bühne geführt, loderte doch in Beider Herzen die keusche Flamme noch mit gleicher

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_812.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)