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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

gereicht dem Geschmack der damaligen Römerinnen zur Ehre, daß sie diese ebenso naturgemäße und einfache als künstlerisch schöne Tracht der früheren Zeit im Wesentlichen beibehielten, die sich den Formen der Gestalt überall anschmiegt, statt sie, wie so manche mittelalterliche und moderne, zu entstellen und unkenntlich zu machen. Namentlich der Schnürleib ist eine dem Alterthum völlig unbekannte Erfindung, was doch wohl den Schluß auf eine damals größere Häufigkeit tadelloser Gestalten als nicht zu kühn erscheinen läßt. In Bezug auf Farben und Muster der Kleiderstoffe war die Mannigfaltigkeit sehr groß: es gab gestreifte, carirte, schillernde etc.; der Künstler hat auch hier, wie bei dem Brust- und Kopfschmuck (mit welchem die Römerinnen in Perlen, Edelsteinen und feiner Goldarbeit großen Luxus trieben), dem einfach geschmackvollen vor dem prächtigen und bunten den Vorzug gegeben.

Zahllos, wie schon gesagt, waren die verschiedenen Haartrachten jener Zeit, besonders da der Hut als Frauentracht niemals im Gebrauch war und nur ein Kopftuch oder lang den Rücken herabwallender Schleier zum Schutze der schon geordneten Haare diente. In einer Menge von Portraitbüsten, durch alle Sammlungen Europas zerstreut, sind uns die Beispiele der verschiedensten Haartrachten erhalten, von der einfacheren Weise der älteren Zeit, da die welligen Haare nach hinten, gescheitelt oder ungescheitelt, zusammengenommen und im Knoten geschlungen durch Spangen oder Binden über dem Nacken zusammen gehalten wurden, bis zu jenem Lockenbau, von dem Juvenal sagt: „Sie bebauet Stockwerk auf Stockwerk sich den Kopf und erhöht ihn durch Stützen zum Thurme.“

Ovid, der vollendete Elegant, giebt sogar eine vollständige Theorie für die Frisur; „ein längliches Antlitz,“ sagt dieser feine Kenner der Schönheit und der Frauen, „heischt auf bloßem Scheitel getheiltes Haar, wie Laodamia es trug; dem runden Antlitz steht es wohl, wenn auf der Stirne sich das Haar in Locken windet, die Ohren aber frei und offen läßt.“

Daß es bei dieser complicirten Toilette für die Dienerin gewöhnlich nicht glimpflich herging, versteht sich fast von selbst und wirklich erinnert uns die auf dem Bilde das Haar der Herrin ordnende Sclavin, mit einem jener typischen Gesichter, wie sie auf den Monumenten Aegyptens zu Tausenden vorkommen, an den größten Krebsschaden des Alterthums, die Sclaverei, die eine ganze Hälfte der Menschheit zu einem nichts weniger als menschenwürdigen Dasein verurtheilte.

Juvenal hat in seiner Satire gegen die Frauen nicht unterlassen zu schildern, wie die mißgelaunte Gebieterin ihre Sclavinnen unmenschlich peitschen läßt, ohne sich in ihren Beschäftigungen zu unterbrechen, bis die Prügelknechte ermüden und das gräßliche „Hinaus!“ ertönt; aber auch Ovid ermahnt die Frauen, den Dienerinnen, die sie schmücken, nicht das Gesicht zu zerkratzen, sie nicht mit den Nadeln in die bloßen Arme und den Busen zu stechen. Keine Frau, sagt dieser graziöse, frivole Spötter, möge sich in Gegenwart ihrer Verehrer zu derartiger Leidenschaftlichkeit hinreißen lassen, weil dadurch Besorgniß über den sanften Charakter der Zürnenden entstehen könnte.

Wir werden aber durch die Anwesenheit einer Aegypterin oder Nubierin in dem Frauengemach einer italienischen Mittelstadt auch an jene beispiellose Durcheinandermischung der Nationen erinnert, wie sie sich eben nur in dem römischen Weltreich vollziehen konnte. Daß man namentlich Eingeborenen des Nillandes damals oft genug in den Straßen Pompeji’s begegnete, ist so gut wie sicher. Nur wenige Meilen war der Hafen von Puteoli (jetzt das ganz verödete Pozzuoli) entfernt, der hauptsächlich den Verkehr mit Aegypten und dem Orient vermittelte, und wo Morgenländer verschiedener Nationen, Syrer, Juden, Phönicier, Aegypter zahlreich wohnten, als Kaufleute, Agenten, Rheder etc., die natürlich auch ihre einheimischen Gottesdienste dort fortsetzten und von dort in’s Innere verbreiteten. So befindet sich auch in Pompeji einer der interessantesten Tempel, der der Isis, und zahlreiche Inschriften machen uns mit dem Bestehen einer dortigen Isisbrüderschaft bekannt.

Dem Künstler aber ist es gelungen, das bunte und glänzende Leben, das einst Pompeji erfüllte, mit den bescheidensten Darstellungsmitteln in der einfachsten Scene und dennoch nach verschiedenen Seiten hin der Phantasie des Betrachtenden gegenwärtig zu machen.




Aus den letzten Tagen zwei Verurtheilter.
Nr. 1. Ist das Strafe?

Auf dem Gebiete der Criminal-Rechtspflege haben sich zwei Parteien gebildet. Die eine will wesentliche Reformen, die andere beharrliches Festhalten am Althergebrachten. Am meisten Interesse gewährt jetzt der Streit über Abschaffung oder Beibehaltung der Todesstrafe. Man kämpft auf beiden Seiten mit denselben Waffen; man entnimmt die Gründe für seine Behauptungen gleichmäßig aus der Criminalpolitik, der Rechtsphilosophie, der Religion und der Ethik. Meine in einer langen Dienstzeit gesammelten Erfahrungen haben mich aber noch mit einer andern Quelle bekannt gemacht. Diese Quelle entspringt im Gefängniß. Hier lassen sich Beweisstücke von unwiderleglicher Stärke sammeln.

Ich habe eine große Zahl Verbrecher zu beaufsichtigen gehabt, welche nach dem Ausspruche des Gerichts die Todesstrafe erleiden sollten, und auch solche beaufsichtigt, denen der Lebensfaden durch das Beil des Henkers zerrissen wurde. Ich bin bemüht gewesen, die Wirkungen der Strafe bis zu dem Augenblicke der Vollstreckung kennen zu lernen, ich habe in der Seele dieser Verbrecher gelesen, bin hinabgestiegen in die Tiefe der Brust und habe von hier Empfindungen an das Tageslicht gefördert, welche Trotz und Scham eng und fest umschlossen hielten. Meine Wahrnehmungen standen in jedem einzelnen Falle mit dem Strafgesetze in Widerspruch. Das Gesetz erachtet die Todesstrafe als die härteste Züchtigung, denn die schwersten Verbrechen sollen damit gesühnt werden. Allein empfindlicher und deshalb auch weit härter als der Tod ist für den schweren Verbrecher das Leben. Das lernt sich allerdings nur begreifen, wenn man Gelegenheit hat, täglich in die Zelle einzutreten, welche den schweren Verbrecher umschließt. Ich habe oft gewünscht, daß dies gestattet sein möchte. Es würde dies die Heilighaltung der Verbotsgesetze weit wirksamer herbeiführen, als dies die Strafen thun, welche für die Uebertretungen dieser Gesetze auszusprechen und zu erdulden sind.

In meiner Erinnerung sind zwei Fälle besonders lebhaft, die ein allgemeines Interesse bieten dürften.

Es war bereits neun Uhr Abends, als mir der Untersuchungsrichter mittels Transports von einem entfernten Dorfe noch einen Gefangenen zuführen ließ. Demselben waren die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, weil er versucht hatte, davon zu laufen. In dem Verhaftsbefehle war als Grund der Verhaftung angegeben: wegen Mordes.

Der Fluchtversuch und die Schwere der Beschuldigung machten auch mir bestimmte Vorsichtsmaßregeln zur Pflicht. Ich brachte den Gefangenen in die festeste Zelle, ließ ihn mit dem linken Fuße an die Kette legen und außerdem von ihm alles entfernen, wodurch die Flucht nur irgend möglich gemacht werden konnte.

Der Gefangene erregte kein besonderes Interesse. Es war eine kurze gedrungene Gestalt, kaum fünf Fuß groß. Sein unverhältnißmäßig großer Kopf saß auf einem kurzen, aber starken Halse. Das bartlose Gesicht war ohne geistige Belebung, stumpf und finster. Nur wenn der Blick aus den großen Augen sich hochrichtete und blitzartig im Zimmer umherirrte, da war zu erkennen, daß der Mensch dachte und fühlte, und auch, daß er fürchtete.

Der Gefangene versicherte hoch und theuer, unschuldig zu sein.

Die erste Nacht im Gefängniß ist für jeden Gefangenen schauerlich. Selbst ergraute Verbrecher, wenn sie nach einer überstandenen Strafe neuerdings wieder zur Haft gebracht werden, können die erste Nacht nicht ohne Grauen überstehen. Ein alter Dieb gab mir hierfür einmal eine treffende Erklärung. „Wenn ich,“ so sagte er, „wieder in diesen Käfig gehen muß, losgerissen von allen Menschen, und hier allein sitze und dann die Nacht hereinbricht und um mich herum nichts sich regt: da ist es mir, als ob der Teufel in irgend einer Ecke lauere, als ob er jeden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_199.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)