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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Ringe abgezogen. Und der Kerl, dort in der Ecke, der auch an Stricke gebunden ist, hat uns verrathen. Auf dem Kirchthurme von Vionville hat er eine Fahne geschwenkt, um die Franzosen von unseren Bewegungen zu unterrichten.“

Ich ging in die Stube, wo die Beiden waren. Der Mann lag auf der Erde und mit dem Gesicht nach dem Boden zu; weder Verwünschungen noch Stöße der Soldaten konnten ihn bewegen, sein Angesicht zu zeigen; nach dem Aeußern zu schließen, gehörte er der ärmeren Classe an, die allerdings so leicht zu fanatisiren ist. Das Weib lag auf der Seite, ein Gesicht mit herabhängenden Haaren, an welchem die Grenze zwischen Weiblichem und Männlichem aufhörte, ein Gesicht achtzigjährig, spitz und böse von Haus aus, würdig einer Macbeth’schen Hexe.

Ich hielt mich nicht lange auf, sondern füllte meine Flaschen an der Quelle und machte mich auf, nach der Höhe zurückzukehren. Auf dem halben Wege begegneten mir vier Reiter, die den Weg links nach Viot ritten und nach den Höhen von Flavigny zu hielten, ein Militär und mehrere Civilisten. Beim Näherkommen konnte ich erkennen, daß es Civildienerschaft mit Handpferden war. Der Militär trug die Uniform der halberstädtischen Kürassiere, den weißen Rock mit gelbem Kragen und gelben Anschlägen. Es war Graf Bismarck, der zu der Suite des Königs stieß.

Glücklich brachte ich meine Flaschen auf die Höhe zurück; mit Cognac vermischt, mundete der Labetrunk uns ganz außerordentlich. Bisher war Alles ein friedliches Genrebild des Krieges, das sollte sich jetzt ändern; der Tag sollte doch blutig werden; es war auch ein Achtzehnter, und diese Monatstage waren immer für die Waffenthaten der preußischen Armee bedeutungsvoll und entscheidend. Links von der Straße her, aus nördlicher Richtung wurde plötzlich Kanonendonner vernehmbar und in der Ferne sah man weiße Rauchwolken am blauen Himmel emporsteigen. Auf eine Meldung hin stieg der Prinz an Spitze seines Generalstabes zu Pferde, und fort ging es querfeldein, wohl eine Meile lang bald Trab, bald Galopp. Der Kanonendonner kam näher, der Geschützesrauch ward immer dichter. Auf einer Höhe blieb der Prinz halten. Links in nördlicher Richtung lag ein Dorf, über dessen übrige Häuser das hohe Schieferdach eines dreistöckigen Hauses weit emporragte. Die Franzosen hatten auf einer andern Straße als bisher in nordwestlicher Richtung von Metz die Rückzugslinie gewinnen wollen und waren nun auf diesem Marsche abermals von den preußischen Truppen angegriffen worden. Um das vorliegende Dorf St. Marie aux Chênes entbrannte der Kampf. Das zehnte Armeecorps unter General von Voigts-Rhetz war engagirt. Der ganze Bereich um das Dorf ist in eine Rauchwolke gehüllt, man sieht nur das hohe Schieferdach und den Kirchthurm hervorragen, das Avanciren unserer Infanterieabtheilungen nach dem Dorfe zu, das Aufblitzen unserer Geschütze, die hundertsiebenzig in eingehender Linie aufgefahren sind. Von St. Marie geht die Straße und zu beiden Seiten eine Ebene in allmählicher Steigung aufwärts nach einem auf der Höhe liegenden Dorfe St. Privat; dort sind die französischen Batterieen aufgestellt. In St. Marie haben sich die Franzosen festgesetzt; die einzelnen Gehöfte sind von Steinmauern umgeben, und aus jeder dieser steinernen Umhegungen, aus jedem Hause hat der Feind ein Bollwerk zu machen verstanden, hinter welchem hervor er seine Kugelmassen in die aufgelöst mit unerschütterlichem Muthe vorgehenden preußischen Bataillone sendet. Die Bataillone avanciren, plötzlich sieht man in den Mannschaften eine Lücke entstehen, eine Granate hat eingeschlagen, und die Eisenstücke derselben fliegen in tausend Splittern ringsum weit umher. Die Bataillone weichen nicht zurück. Von der Höhe von St. Privat herab läßt sich zwischen den einzelnen, unregelmäßigen Kanonenschlägen ein donnerndes Rasseln vernehmen, das sind die Mitrailleusen, die ihre Kugelsaat von dort zugleich als Flankenfeuer herabsenden. Die Bataillone wanken nicht. Der einzelne Mann ist nur noch ein Punkt, den man verschwinden sieht – so weit sind die Franzosen schon aus ihren Stellungen unter lautem Kanonendonner und das Gewehrfeuer übertönendem Hurrah geworfen. Endlich sind die Geschütze aus der französischen Position durch unsere wackere Artillerie zum Schweigen gebracht; dieselbe war bis in unsere Schützenlinie vorgegangen, hier Position zu nehmen und hat sich an diesem Tage dreifach mit Ruhm bedeckt; auch die „Mademoiselles“ verstummten, der Feind zieht sich aus St. Marie zurück.

Eine Zeit lang steht die Schlacht, das heißt keiner der Gegner vermag über den andern einen besonderen Vortheil zu erlangen. Mit unerschütterlicher Ruhe übersieht der Oberbefehlshaber den vor und unter ihm tobenden Kampf; von denen, die da unten gegen die Feinde vordringen, kennt kaum Einer den Zusammenhang des Ganzen, in welchem er ein wirkender Theil ist, einen vollkommenen Ueberblick hat nur der Feldherr und seine Generalstabsofficiere allein; von der Stätte aus, an welcher er hält und das Ganze überblickt, werden die Truppenmassen in Bewegung gesetzt. Theils beobachtet er mittels eines Fernrohrs selbst, theils erhält er durch die Ordonnanzen, die mitten durch den heftigsten Kugelregen kommen und gehen, die Meldungen, wie die Sachen stehen, wonach er wiederum durch den Chef seines Generalstabes die Befehle ertheilt, wann, in welcher Anzahl und von welchen Stellen die Truppentheile vorgehen sollen. Der Prinz reitet weiter; er hat den Befehl gegeben: St. Privat soll genommen werden. Die Sachsen, die preußischen Gardedivisionen vor! Die Sachsen machen eine sehr gelungene Flankenbewegung. Die Garde, mit der ihr eigenen Bravour und dem ihr innewohnenden Pflichtbewußtsein, eine Elitetruppe zu sein, geht in der Front die ansteigende Ebene hinan gegen die französische Stellung von St. Privat vor. Der persönliche Muth, das Bewußtsein, daß die Chassepots auf große Entfernungen am erfolgreichsten wirken, das Bestreben, um jeden Preis auf dreihundert Schritte nahe und zu einem Bajonnetangriff zu kommen, beflügelt ihre Schritte. Es ist ein blutiger Weg, den die Garde macht, der Commandeur des ersten preußischen Infanterieregiments, der brave Oberst von Röder, sinkt von todbringender Kugel getroffen, kein Stabsofficier bleibt unverwundet, bei dem ersten Garderegiment sowohl, als bei den übrigen – die meisten Officiere sind todt oder verwundet – und wer zählt die Mannschaften, deren Blut dieses Feld des Todes trinkt!

Aber dennoch, auch die Position von St. Privat wird genommen und die Franzosen werden mit ungeheuren Verlusten an Todten, Verwundeten und Gefangenen nach Metz zurückgeworfen. Das Tosen des Kampfes verstummt, die Sanitäts-Detachements, die Johanniterwagen jagen nach dem Schlachtfelde, um die Verwundeten von den Verbandplätzen zurückzuholen; viele von ihnen schleppen sich gegenseitig, oder allein, auf einen abgebrochenen Stab gestützt, von dem Schlachtfelde in die zunächstliegenden Dörfer. Die Regimenter kehren mit zerschossenen Fahnen zurück. Das übrig gebliebene Häuflein vom Gardeschützen-Bataillon führt ein Fähnrich, an der Queue reitet ein Officier, den zerschossenen Arm in der Binde. Die Nacht steigt hernieder und breitet ihr mit goldenen Sternen gesticktes Leichentuch über die Todten, die für Vaterland und Ehre in den Tod gesunken sind.




Ein Tag in Pont à Mousson.


Pont à Mousson, das reizende Städtchen an der Mosel mit achttausend Einwohnern, in dem ich nun schon seit acht Tagen verweile, ist berufen, eine Hauptrolle in dem gegenwärtigen deutsch-französischen Kriege zu spielen; hier hatte der König von Preußen auf längere Zeit sein Hauptquartier aufgeschlagen, hier vollzog sich zuerst der Uebergang der Mittelarmee unter Prinz Friedrich Karl über die Mosel, und dieser Punkt mußte sorgfältig gehütet werden, da für den Fall eines unglücklichen Ausganges der Operation gegen Metz Alles nach dieser Stadt und auf die einzige hier befindliche Moselbrücke gedrängt hätte. Der letztere glücklicherweise nicht eingetretene Fall wäre ein namenloses Unglück für die Stadt geworden, und die Opfer, welche in die Mosel gedrängt und in den engen Straßen erdrückt und getödtet worden wären, unzählbar gewesen. In Pont à Mousson hatte der König sein Hauptquartier während der fünftägigen Schlachten, die um Metz, namentlich bei Mars la Tour geschlagen wurden.

Pont à Mousson ist in diesen für die Weltgeschichte entscheidenden Tagen mit Militär aller Waffengattungen, welches kommt und wieder weiter marschirt, aufgefüllt; zahllose Transporte und Bagagewagen ziehen in langer Reihe über die schmale Brücke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_603.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)