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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Zum Gedächtniß des Meisters.[1]

Männerstolz vor Königsthronen –
Brüder, gält es Gut und Blut
Dem Verdienste seine Kronen, –
Untergang der Lügenbrut.

L. v. Beethoven


Was ist es, das uns mit einem so besonderen Gefühle der Verehrung ergreift, wenn wir den Namen Beethoven hören? Ist’s der hohe Genius, der selbst dem Laien aus den Sonaten und symphonischen Schöpfungen des Meisters entgegenhallt, oder ist’s nicht vielmehr die Ahnung, daß ihre Klänge aus der tiefsten Brust des Menschen stammen, und zwar eines Menschen, den das Schicksal im Innersten traf, und der Alles, was wir fühlen und leben, reiner und tiefer fühlte und lebte, als wir?

Selbst der Fremde, wenn er in Wien auf dem Graben in dem vielfarbigen Gedränge diesen zwar von Gestalt nicht großen, aber in seiner gedrungenen Kraft imponirenden Mann mit der vorwärtsstrebenden Haltung und dem hochaufgerichteten Kopfe vorübergehen sah, ward auf ihn aufmerksam und mußte wohl gar eine Weile stehen bleiben und ihm nachschauen. Es muß ein eigener Schein von seinem Wesen ausgegangen sein, der schon die Mitlebenden in solcher Weise fesselte. In seinem Schaffen und in der inneren Erscheinung seines Wesen aber tritt uns ein Mensch entgegen, von dem wir deutlich fühlen, daß er nur groß ward, indem er die Aufgaben des Lebens ernst nahm und vor Allem es sich zur Pflicht machte, „nicht für sich, sondern für Andere zu leben!“ -

Was Beethoven von Natur auszeichnete, war nicht allein eine ganz ungewöhnliche physische und geistige Kraft; sondern auf dieser Grundlage war ihm von Haus aus auch eine ganz besondere Willenskraft eigen. Sie war ein Erbtheil seiner niederdeutschen Herkunft und artete freilich, namentlich in späteren Jahren, manchmal in das Uebermaß eines starren Eigensinns aus, aber sie war es doch, was mit jedem Lebensjahre und stets entschiedeneren Richtung auf höhere Ziele mehr ihm die Fähigkeit verlieh, seine hohen Zwecke auch wirklich zu erreichen. Und wahrlich, wenn je ein großer Mann, so hatte Beethoven diese Charakterkraft nothwendig, um wirklich groß, nein, um nur überhaupt etwas im Leben zu werden. Denn ungünstiger, ja mehr widriger Unfälle voll kann man sich kaum einen Lebensgang denken, als den Beethoven’s. Es war, als wolle das Schicksal, durch das außerordentliche Maß dieser Kraft zum Kampfe herausgefordert, dieselbe nun auch zeitlebens reizen und prüfen, um sie erst recht zu stählen.

Schon seiner künstlerischen Begabung ging ein wenig genügender und wechselvoller Jugendunterricht zur Seite. Freilich, an seinem Großvater, dem kurkölnischen Baßsänger und „Capellenmeister“ in Bonn, hatte er in erster Kindheit einen echten Mann und tüchtigen Künstler kennen gelernt, und manch anderes schöne Bild in Kunst und Leben sollte ihm auch später noch in dieser seiner Vaterstadt entgegentreten. Allein sein Vater, der ebenfalls zugleich sein erster Lehrer war, that durch sein schroffes Verfahren eher Alles, um den Sohn von der Kunst zu entfernen, als seine Neigung zu derselben zu erhöhen. Er selbst war nur ein mittelmäßiger Musiker, Tenorist in der kurfürstlichen Capelle und nicht entfernt so wie der alte „Capellenmeister“, von dem Bestreben beseelt, etwas Rechtes aus sich zu machen. Denn leider hatte er von seiner Mutter eine traurige Neigung zum Trunk ererbt, die jene Frau in ihren alten Tagen in klösterliche Pension und ihn selbst am Ende gar von Amt und Brod brachte. So sann er auch darauf, als er des ältesten Sohnes reiche Begabung bemerkte, ihn gleich dem kleinen Mozart, der nicht lange vorher auch in Bonn seine Wundergaben producirt hatte, möglichst bald ebenfalls zu einem „Wunderkinde“ auszubilden, und dann nach seinem „flüchtigen Geiste“ vielleicht selbst mit ihm in der Welt umherzureisen. Der kleine Ludwig wurde also streng sowohl zum Clavierspiel wie zur Violine angehalten, und Cäcilia Fischer, seine Hausgenossin in den Knabenjahren, sah ihn im Geiste noch nach mehr als fünzig Jahren, „wie er auf einem Bänkchen vor dem Claviere stand, woran die unerbittliche Strenge seines Vaters ihn schon so früh festbannte, ja wie er dabei Thränen vergoß!“

Das war allerdings nicht sehr geeignet, Liebe zur Kunst zu erwecken, und manch Anderem hätte solche Jugenderfahrung wohl gar die Sache verleidet. Jedoch seine musikalische Neigung wie seine sittliche Kraft sollten noch härteren Prüfungen entgegengehen. Und wenn auch unter den folgenden Lehrern in Bonn der Unterricht wenigstens sein Strenges und Drückendes verlor, so muß man doch sagen, er entsprach in keinem Falle dem Maß von Beethoven’s Begabung. Ja selbst als später der alte „Papa Haydn“ und der gelehrte Contrapunctist Albrechtsberger in Wien seine Lehrer wurden, war bereits durch den Gang seines Lebens sein inneres Wesen zu einer solchen Selbstständigkeit gediehen, daß die Dinge, die er hier lernen konnte, für den Ausdruck seiner Empfindungen kaum noch hinreichten und also auch hier mit eigener Kraft nach den eigenen Mitteln der Darstellung gesucht werden mußte.

Inzwischen versank der Vater stets mehr in Verkommenheit und stürzte damit die Familie in Noth. Nachdem der Sohn von einer Reise nach Wien im Frühjahr 1787, wohin kurfürstliche Gunst ihn zum Unterricht bei Mozart gesandt hatte, durch die Nachricht von Erkrankung seiner Mutter vor der Zeit zurückgerufen worden, und dann die herzensgute Frau bald auch wirklich gestorben war, fiel auf seine noch nicht siebzehnjährigen Schultern die Pflicht, einen ganzen Hausstand zu erhalten, und obendrein, als der Vater schließlich pensionirt worden, die beiden jüngeren Söhne ganz zu erziehen.

Wo blieb da die Aufgabe seines Genius, wo die Pflicht gegen die Ausbildung seines Talentes, von dem ein echter Künstler wohl fühlt, daß es ihm nicht zu Genuß und Spiel verliehen worden, aber auch nicht dazu, um es im gewöhnlichsten Tagestreiben verkümmern zu lassen! Allein er ruhte dennoch nicht, bis auch diese Pflicht erfüllt war. Redlich drängte er die jugendlich überquellende Schaffenskraft zurück und sorgte, im täglichen Dienst der Hofcapelle und des Theaters oder durch Stundengehen, für die Bedürfnisse daheim. Erst als hier die Aufgabe ganz gelöst war, und der eine der Brüder als Apothekerlehrling, der andere als Musiklehrer versorgt waren, gedachte unser Meister von Neuem auch seiner höheren Pflichten, und wußte es nun im Herbst 1792

  1. Wir glauben unsere Leser an dieser Stelle daran erinnern zu dürfen, daß wir eingehende biographische Mittheilungen über Beethoven bereits in Nr. 29 des Jahrgangs 1862 aus der Feder J. C. Lobe’s und ein größeres Portrait des Meisters mit begleitendem Text erst im vorigen Jahre in Nr. 41 gebracht haben.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_860.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)