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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


hatte sich von der Bühne zurückgezogen und wohnte zu Augsburg, sie bezog eine Pension als kaiserl. königl. österreichische Hofschauspielerin. Die so lange getrennt gewesenen Familienglieder sahen sich von Zeit zu Zeit.

Wenige Monate, nachdem ich diese so anziehende Bekanntschaft gemacht, und noch ehe eine verabredete Correspondenz begonnen hatte, nahm der Tod den edlen Canonicus Smets hinweg, er starb zu Aachen im November 1848. Lange Jahre hat ihn Sophie Schröder überlebt, die auch noch ihre vorangegangene Tochter Wilhelmine beweinen mußte.

Alles, was ich vorstehend aus dem Leben des Sohnes, des Canonicus Domherrn Smets, weiland zu Aachen am Dom, gesagt, war gewiß eng mit dem Leben der Mutter verflochten, und es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß die große Frau auch daran mütterliche Freude und Befriedigung gehabt, des Sohnes Leistungen in der Theologie als Schriftsteller anerkannt und geschätzt zu sehen. Er schrieb eine Uebersetzung des Tridentinischen Concils und des Catechismus Romanus. Auch über das Leben des heiligen Franziscus von Sales soll er geschrieben haben, und in der letzten Zeit „Reminiscenzen“.




Blätter und Blüthen.

Eine Haferrequisition. (Mit Abbildung.). Wir lagen in Avioth und belagerten Montmedy, was uns dazumal wenig Beschwer machte; das Dorf war reich und hatte noch wenig Einquartierung gehabt, es fehlte uns weder an Wein noch an Gänsebraten und zu thun hatten wir fast gar nichts. Da äußerte an einem Samstagabend unser Escadronchef gegen den Wachtmeister, die „jungen Herren“ müßten doch etwas mehr Bewegung haben, und in Folge dessen wurde ich mit einem Cameraden, Graf T., und einem andern Husaren commandirt, in aller Frühe am nächsten Morgen nach Thonne le Thil zu reiten, um einen Intendanturbeamten bei einer Requisition in verschiedenen Dörfern längs der belgischen Grenze zu beschützen.

Nachdem wir in Thonne le Thil ungefähr eine Stunde lang bei großer Kälte gewartet hatten, erschien der Intendant, Herr K., in voller Würde, bestieg seinen Schimmel, und wir folgten in achtungsvoller Entfernung. In Margut, wo zuerst einige kleine Einkäufe gemacht wurden, lernten wir uns beim Frühschoppen gegenseitig näher kennen, und Herr K. bemühte sich auf’s Angelegentlichste, uns vergessen zu lassen, daß er uns beim Abmarsch zwei Cigarren durch seinen Burschen hatte überreichen lassen, die sicherlich nicht aus seinem Etui genommen waren, und die wir unmöglich hatten rauchen können.

Wir waren schon in ziemlich fröhlicher Stimmung, als wir gegen Mittag in Auflance, einem wohlhabenden Dorfe im Departement der Ardennen, ankamen. Die Messe war gerade beendet, und bald hatten wir die ganze schöne und unschöne Einwohnerschaft des Ortes um uns versammelt. Die Leute sahen zum ersten Male preußisches Militär, und mit Zittern und Beben schleppte ein Pisang (so nennen unsere Soldaten die paysans, Bauern) Hafer und Heu herbei, als wir unsere Pferde in seinen Stall zogen. Mit dem Carabiner an der Hüfte und den Säbel über das Straßenpflaster klirren lassend, flößten wir gewaltigen Respect ein. Man holte alsbald den Maire zur Stelle, und wir begaben uns mit ihm in das Wirthshaus, gefolgt von sämmtlichen Notabeln des Dorfes. Als man sah, daß wir unser Bier ganz wie gewöhnliche Menschen zu uns nahmen, und daß die einleitenden Redensarten ganz höflich waren, verlor sich allmählich die Furcht vor uns; man näherte sich uns und fragte nach diesem und jenem. Als aber nun der Intendant plötzlich mit kurzen und deutlichen Worten den Zweck unserer Ankunft kund gab, entstand allgemeines Entsetzen; er verlangte nämlich bis zu einer bestimmten Stunde des folgenden Tages fünfzig Centner Hafer gegen eine ganz annehmbare Entschädigung.

„Nous n’avons point d’avoine du tout, du tout, du tout,“ („wir haben keine Idee von Hafer, keine Idee, keine Idee,“) jammerte der Maire und faltete die Hände im Schooß; – „du tout, du tout,“ repetirte der Chor im breitesten Patois der Ardennen; der Schulmeister, der zugleich angestellter Spaßmacher des Ortes zu sein schien, schnitt entsetzliche Grimassen und hielt flammende Reden an den Intendanten, an den Maire, an uns und an das versammelte Volk.

„Wenn bis morgen Mittag der verlangte Hafer nicht an Ort und Stelle ist, wird er ohne Weiteres sans prix genommen,“ erklärte Herr K.

Eine Pause stummer Verzweiflung entstand, nur durch den gesticulirenden Schulmeister bisweilen unterbrochen. Ich barg mich hinter dem Mantel meines Nebenmannes, und es gelang mir, das Portrait des Herrn Maire, sowie die ganze Situation in meinem Skizzenbuch aufzubewahren; Niemand wagte mir auf die Finger zu sehen: ich notirte ja vermuthlich diejenigen, die des Aufhängens am würdigsten waren, falls die Lieferung nicht pünktlich erfolgte.

„Zwanzig Centner ließen sich vielleicht wohl auftreiben,“ meinte schüchtern der Maire. Aber Herr K. bestand auf fünfzig und bewies sehr augenscheinlich, daß dieses Quantum für ein Dorf von solcher Größe gar keine Sache von Bedeutung sein könnte. Der Maire verschanzte sich hinter der Ausrede, der übrige Hafer sei noch nicht ausgedroschen.

„Dann kann heute Nacht gedroschen werden,“ war die Antwort, und mit diesem Bescheide mußte man sich zufrieden geben.

Wir ritten weiter; in den übrigen Ortschaften wickelte sich der Handel glatter ab. Herr K. schien mit den gemachten Geschäften ganz zufrieden zu sein. Als wir in Margut wieder eine kleine Rast machten, wurde selbst der vin Champagne nicht geschont, und wir konnten beim Heimritt allen guten Geistern danken, daß unseren Pferden der Schwerpunkt nicht ebenso verschoben war wie uns; sonst wäre es uns bei der Dunkelheit und dem glatten Schnee wohl schwerlich gelungen, den Herrn Intendanten nach Thonne le Thil und uns nach Avioth glücklich zurückzubringen.

Der Hafer war am folgenden Tage pünktlich zur Stelle.

H. Knackfuß.

Einen neuen Beitrag zum Aberglauben des Soldaten im Kriege erhalten wir aus Chelles zugeschickt. Ein Freund unseres Blattes schreibt uns von dort: Der Schutzbrief, den Sie in Nr. 1 Ihres Blattes zum Abdruck gebracht haben, ist bei meinem Regiment (Nr. 107) in unzähligen Exemplaren verbreitet und die meisten Besitzer desselben glauben an seine Wunderthätigkeit, obgleich doch kaum ein Tag vergeht, an welchem ihnen nicht die Abgeschmacktheit und Unstichhaltigkeit ihres Glaubens durch nur zu blutige Beweise vor Augen geführt wird. Von dem abergläubischen Sinn so vieler Soldaten zeugt auch der Umstand, daß sie eine große Furcht davor haben, das Wort „letzt“ auszusprechen, besonders wenn eine Schlacht in Aussicht steht. Ich lag vor wenigen Wochen mit einem alten Soldaten zusammen im Quartier; es war ein Landwehrmann und Vater von, ich glaube, vier Kindern. Mit dem spielte ich eines Tages Scat. Als ich genug hatte, sagte ich: „Jetzt wollen wir das letzte Spiel machen.“ Darüber gerieth nun mein Partner außer sich: „Im Kriege,“ rief er, „paßt der Teufel wie ein Heftelmacher auf und nimmt den Soldaten gern beim Wort. Heraußen im Felde darfst Du nie sagen, daß Du eine Sache zum letzten Male thun willst, sonst thust Du sie auch wirklich und im vollsten Sinne des Wortes zum letzten Male.“ Eine solche kindische Scheu vor einem unschuldigen Worte hatte der Mann, der schon zahlreiche Gefechte und Schlachten mitgemacht, in ihnen wie ein Eber gekämpft und sich durch seine Tapferkeit das eiserne Kreuz errungen hatte. – Ein Anderes ist, daß der abergläubische Soldat nie auf ein Nahrungsmittel tritt. Ich kann Ihnen auch hiervon ein schlagendes Beispiel erzählen. Unser Regiment hatte bekanntlich am 18. August die Aufgabe, St. Privat zu stürmen. Von Mittags zwölf Uhr bis zum Abend sechs Uhr mußten wir in der glühendsten Hitze und ohne auch nur einen Schluck Wasser zu haben, marschiren; dabei ging unser Weg über Stock und Stein, über Felder und Wiesen, durch Hecken und Gräben. Aber trotz der außerordentlichen Ermüdung, welcher wir ausgesetzt waren und in der man, zuletzt nur noch stolpernd, den Fuß eben da hinsetzte, wo er gerade hinkam, beobachtete ich eine Menge Soldaten, welche sich durchaus hüteten, auf eine Kartoffelstaude zu treten. „Schonen wir das unschuldige Leben der Pflanzen nicht,“ meinten sie, „so wird auch unser eigenes Leben nicht in Acht genommen.“ Durch letztere Rede klingt fast etwas wie ein pantheistischer Zug. Es ist aber doch wohl zu bemerken, wie die gleiche Ursache so grundverschiedene Wirkungen haben kann und wie der Krieg die Einen verwildert, während er die Andern empfindsam macht. Zu den letzteren, zu den Empfindsamen im Kriege gehören offenbar die Kartoffelstaudenschoner.


Lebrecht Dreves, der Dichter, der Freund Joseph von Eichendorff’s, mit dem er im Jahre 1848 zu Dresden im Linke’schen Bade wohnte, und der seine Gedichte mit einem Vorwort versehen in Berlin bei Alexander Duncker herausgab, ist am 19. December v. J. nach langen Leiden zu Feldkirch fünfundfünfzig Jahr alt gestorben. – Sein Tod ist in der literarischen Welt unbeachtet geblieben, wie dies in einer Zeit, wo der Tod eine so reiche Ernte hält, nicht anders zu erwarten stand; zumal die Muse des Verstorbenen schon seit längerer Zeit verstummt war. Und doch hätte der Geschiedene es verdient, daß sein Tod nicht so gänzlich, wie es geschehen, unbeachtet geblieben wäre. Er hat im Leben manch ein hübsches Lied gesungen, seines Meisters und Freundes Eichendorff würdig. Vielleicht giebt vorstehende Notiz Veranlassung, seiner Gedichte mehr als geschehen wieder zu gedenken. Wir wünschen es! Die 3. Auflage derselben ist vor Kurzem, Halle bei E. Barthel, erschienen.

Friede seiner Asche!


Zur Beachtung. Wir sind leider auch heute noch nicht im Stande, mit den neulich versprochenen Beiträgen aus dem Felde von Fr. Gerstäcker und F. Hofmann zu beginnen. Von letzterem wissen wir nur, daß er in den gefahrdrohenden Tagen des Zusammenstoßes von Bourbaki und Werder in Nanzig festgehalten und zu unfreiwilligem Aufenthalt dadurch gezwungen wurde, daß die damals kecker auftretenden Franctireurs den regelmäßigen Eisenbahnverkehr in der Richtung nach Chalons und Epernay zu hindern wußten – von Ersterem sind wir noch ohne jede Nachricht. Doch zweifeln wir nicht, daß die beiden Herren schon längst am Ort ihrer Bestimmung angelangt und daß jetzt, wo wir diese Zeilen schreiben, ihre Berichte für die Leser der Gartenlaube bereits unterwegs sind.



Kleiner Briefkasten.

M. G. Daß die angezogene Stelle in dem Artikel des Dr. Schweinfurth, „Beim braunen Cäsar“, Ihrem Scharfsinn nicht entgehen würde, haben wir erwartet. Uebrigens sind wir schuldfrei; es ist vielmehr, wie alle Freunde des Verfassers wissen, eine Eigenthümlichkeit desselben, sich gerne in so seltsamen Wendungen, wie „an einem jener Märztage, an welchen bei uns der Juli so reich ist“ zu ergehen und an solchen paradoxen Redeweisen – man sagt, in Folge früherer, leidenschaftlich betriebener Lecture – Geschmack zu finden.

C. R. Zweiundzwanzigjährige Frau! Ihr Geständniß, daß Sie noch so jung sind, ist rührend. Wir bitten Sie trotzdem, über Ihre Novelle mit genauer Adressenangabe zu verfügen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_104.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)