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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

bist derselbige, mit dem man die Andern fangt – wenn man Dir mit dem Stadelthor winkt, merkst Du Alles!“

Sie ging, noch ein kleines Geschäft im Hause zu besorgen, und ließ den Alten mit sich und seinen Gedanken allein, die, wenn er es auch nicht eingestand, doch nicht mehr so recht in den alten Geleisen bleiben wollten und, von der Schwester angeregt, allerlei Kreuzsprünge machten. Er war nicht wenig verwundert, als einige Minuten später noch einmal die Thüre der Schlafkammer sich öffnete, und Stasi, wohl noch blaß, sonst aber wieder anscheinend völlig ruhig auf der Schwelle erschien. „Ich mein’ doch,“ sagte sie, „der Vater hat Recht gehabt neulich – es wird mir gut thun, wenn ich mich ein Bissel um eine Zerstreuung und Unterhaltung umschau’ … Richt’ sich der Vater darauf ein, auf’s Octoberfest will ich auch nach München hinauf.“ …

„Was, auf’s Octoberfest?“ rief der Bauer verwundert. „Und jetzt so auf einmal? Du bist doch über ein Wettermännl – bald aus dem Häusel, bald drinn. … Mir ist’s recht, ich mag mir die Gaudi selber gern anschaun … aber was Du so Besonderes dort suchen kannst, daß Du schier noch einmal vom Bett aufstehst, das begreif’ ich nit!“

„Ist auch nit nöthig, Vater,“ sagte Stasi, schon wieder an der Schwelle der Kammerthür. „Fragt nit lang’ und thut mir meinen Willen – es soll nachher das letztemal sein!“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Unsern „Vermißten Landsleuten jenseits des Oceans“ können wir, wie bereits mehrmals bemerkt, erst nach unserm Kriege wieder die wünschenswerthe Aufmerksamkeit schenken; nicht nur der Raum fehlt jetzt dazu, auch die Aufmerksamkeit der Leser allerwärts wird vom großen Ereigniß des Jahrhunderts völlig eingenommen. Ausnahmen hat aber auch diese Regel, und dazu gehört der folgende Fall, welcher die Theilnahme aller Leser finden wird. Es wird uns nämlich aus Würzburg am 2. Januar d. J. geschrieben: „Geehrte Redaction der Gartenlaube! Am Weihnachtsabende wurde ich zu einem uralten Ehepärchen gerufen, zu dem, wie mir schien, kein Mensch auf der Welt mehr in näherer Beziehung steht; es hat eben Alle überlebt, mit denen es verwandt oder befreundet ist, und lebt in einem entlegenen Winkel Würzburgs in einem kleinen einsamen Stübchen mit der Aussicht auf einen kleinen Garten und eine hohe Gartenmauer. Der Alte, der schon längere Zeit das Zimmer hüten muß, hat auch einmal in seiner Jugend zwei Feldzüge nach Frankreich mitgemacht und erzählt gar schön von Anno dazumal, ist aber mit der jetzigen Generation auch sehr zufrieden, ja meint sogar, die Jungen pfiffen diesmal noch besser, als die Alten. Doch das gehört nicht hierher. Ich schreibe Ihnen wegen einer Herzensangelegenheit des alten Männchens. Derselbe hatte nämlich auch einmal einen Sohn, der sich dem Schneiderhandwerk gewidmet und nach Amerika gegangen war, dort heirathete, seit acht Jahren aber verschollen ist. Sein letzter ausführlicher Brief ist datirt aus Baltimore vom 30. Juli 1863; in diesem schreibt er unter Anderem, daß er Wittwer geworden sei und zwei schulpflichtige Kinder habe. Als seine Adresse gab er an: G. H. Oppmann care of Henry Sonnemann No. 498 West Baltimore St. Seit dieser Zeit hat der Alte trotz vieler Briefe weder von dem Sohn, noch von Enkeln mehr etwas gehört. Und so saß er denn am Weihnachtsabend mit seinem alten Mütterchen recht traurig hinter dem Ofen und dachte an seine Enkel, die er noch nie gesehen und von denen er nicht weiß, wo sie sind, denen er aber sein bischen Hab und Gut vermachen möchte. Das Mütterchen natürlich glaubt sie schon lange todt und hofft nur noch auf den Himmel. Ich aber war mäuschenstill und dachte an die Gartenlaube, die schon so Manchen wiedergefunden hat, um so leichter, da unsere Erde doch ein klein wenig kleiner ist, als der Himmel, weshalb man Einen hier jedenfalls eher findet, als dort. Und so ging ich nach Haus und schrieb das, was Sie soeben gelesen haben. Vielleicht kann ich am nächsten Weihnachtsabend ihnen einen Gruß von den Enkeln bringen, vorausgesetzt, daß die Alten noch leben und die Gartenlaube es den Baltimorern über’s Meer bringt.

Hochachtungsvollst Dr. med. M. Jos. Roßbach.“

Fr. Helbig, ein Thüringer Schriftsteller, welcher unseren Lesern durch eine Reihe von Artikeln, namentlich über die geistigen Größen und das Volksleben seines Heimathlandes, bekannt ist, – wir erinnern nur an seine Aufsätze. „Ein Denkmal auf dem Schlachtfeld von Jena“, „Die schwedische Gräfin auf der Kunitzburg“, „Die letzte Todte aus Weimars großer Zeit (C. v. Wolzogen)“, „Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt (Apolda)“ etc. – hat jetzt auch auf dem Felde des Dramas glückliche Schritte gethan. Nachdem seine Versuche schon durch Bodenstedt in Meiningen aufmunternde Beurtheilungen erfahren, ist neuerdings eine Tragödie großen Stils, „Gregor VII.“, von der Hofbühne in Weimar angenommen worden und wird nächstens zur Aufführung kommen. Nach des Dichters Auffassung fällt die große, hohe, edle Persönlichkeit Gregor’s unter dem unheimlichen Einfluß jener finsteren Gewalten, die auch noch heute im katholischen wie im protestantischen Heerlager alles Hohe und Edle, allen Fortschritt der Menschheit bekämpfen, – und so erscheint Helbig’s Drama als ein wesentlicher Beitrag zu dem zweiten Kriege, den Deutschland nach dem nun zu Ende gehenden gegen den äußeren Feind zu kämpfen haben wird gegen den inneren, den Jedermann kennt und den wir den Lesern der Gartenlaube nicht erst an die Wand zu malen brauchen.


Ein Mißverständniß. Man erzählt sich in Berlin bekanntlich gern Anekdoten vom „alten Wrangel“ dessen berühmte und originelle Persönlichkeit bereits in einen förmlichen Sagenkreis gezogen worden ist. Alle ausgezeichneten Leute trachten danach, ihm vorgestellt zu werden, und sein Adjutant hat dabei die Obliegenheit, ihn über dieselben ein wenig zu orientiren, wie dies auch fürstlichen Personen gegenüber bei Vorstellungen zu geschehen pflegt.

Eines Tages nun läßt sich der Dichter Putlitz dem Feldmarschall vorstellen, und der Adjutant flüstert demselben als Hindeutung auf Putlitzens Werk rasch zu: „Excellenz, ‚Was sich der Wald erzählt.‘“ Der alte Herr, zu dessen Lieblingsbeschäftigung die schöne Literatur nicht gehören soll, mißversteht den Wald und fragt, höchst leutselig sich an Putlitz wendend: „Sind Sie schon lange im Forstfach thätig, Herr von Putlitz?“


Die heimliche Feldpost. (Mit Illustration S. 228.) Der größte Krieg ist nicht stark genug, den Starrkopf eines alten Bauern zu beugen. Er giebt zu der Heirath seines Sohnes, der im Felde steht, mit der armen Anverwandten seinen Consens nicht, und wenn noch zehn Napoleone ihr Sedan fänden. Die Sache ist nicht neu, aber etwas Anderes ist es nur, ob der Geliebte nur „in der Fremde“ weilt, auf ungefährlicher Wanderschaft, oder ob er unter den Fahnen steht im furchtbarsten Krieg aller Zeiten. Das macht diese Liebe sehr ernst, der Schmerz weihet sie, und wir sehen in der Heimlichkeit, mit welcher der Landbote den Feldpostbrief an seine Adresse bringt, nicht mehr einen Betrug gegen den harten Alten, sondern die brave Bethätigung eines patriotischen Mitgefühls mit dem tapfern deutschen Kämpfer und seinem Lieb. Dem alten Bauer hat der Bote von den neuesten Kriegsbegebenheiten gerade so viel mitgetheilt, als nöthig war, seine Neugierde auf’s Höchste zu spannen: die Hast, die Brille auf die Nase zu bringen, macht ihn gegen die hinterrücküge Thätigkeit des Boten blind. Die Kinder sind die liebe Unschuld selbst; die Schwiegertochter, deren Mann nicht im, sondern auf dem Felde draußen ist, scheint im Einverständniß mit den jungen Leuten zu stehen, und die gute Alte, die dem Boten ein Gläschen Bier einschenkt, verräth gewiß nichts von der ganzen Geschichte. Wenn aber der Sohn und Geliebte heimkommt, er, der für das Vaterland allen Schrecken des Todes muthig entgegengeschaut, so ist er gewiß ein Mann geworden, der nicht nur seines Vaters anererbtes Vorurtheil, sondern manches andere Hinderniß, das alte Verstocktheit der Selbstsucht im Gemeinde- und Staatsleben dem wahren Wohle des Volks und des Einzelnen entgegenstellt, als Bürger ebenso tapfer wie als Soldat, mit den Waffen des Gesetzes wird zu bekämpfen und zu besiegen wissen. Die Bräute aber, die sich ihre Männer so schwer erringen müssen, denen die Heimlichkeit von Leid und Lust die Liebe und die Treue festigte und das Herz rein erhielt, welche Mütter müssen sie werden und welche Söhne und Töchter werden sie nicht dem Vaterland erziehen! Das ist der schönste Segen von des Volkslieds „heimlicher Liebe, von der Niemand nichts weiß.“


Kleiner Briefkasten.

Sch. St. in D–dorf. Lassen Sie sich doch, Verehrtester, durch solche Kindereien nicht irre führen. Ist man ja uns selbst wiederholt an die Hand gegangen, auch unsererseits den Lesern der Gartenlaube einen „echten Kutschke“ vorzustellen – wir haben es aber vorgezogen, uns an einer Concurrenz dieser Art nicht zu betheiligen. Was übrigens das „Militär-Wochenblatt“ in einer seiner letzten Nummern über das Kutschkelied sagt, ist von allgemeinstem Interesse und ganz geeignet, alle falschen Kutschke’s definitiv um ihr kümmerliches Dasein zu bringen. In dem genannten Blatte tritt nämlich Jemand den Beweis an, daß das „Kutschkelied“ einem seit 1813 im Volksmunde fortgeerbten Singsang entstamme und seine heutige Form in folgender Weise empfangen habe. In den Jahren 1858 fgg. sang das vierte Jägerbataillon (Sangerhausen) auf dem Marsch gern ein Lied, das mit den zwei allbekannten Zeilen begann: Was kraucht etc. und dann mit den mannigfachsten Androhungen des Dreinschlagens fortfuhr. Im Juli v. J., als das vierzigste Infanterie-Regiment bei Saarbrücken eines Tages im Waldversteck lag, fiel dem Reserve-Officier, Kammergerichts-Assessor Mitscher, der früher als Einjähriger bei den Sangerhauser Jägern gestanden hatte, jenes „Buschlied aus der Franzosenzeit“ ein. Er trug es seinem Hauptmann vor und einige Füsiliere, die mit zugehört, trugen es weiter. So entstand das neue Kutschkelied, das, durch Druck zuerst von der Kreuzzeitung mittgetheilt, wie im Flug seinen Weg durch die ganze Armee und durch ganz Deutschland nahm, immer mit neuen Zusätzen ausgeschmückt und mit neuen Strophen bereichert und wirklich echt nur in den zwei unsterblichen Zeilen: Was kraucht etc.

K. in Sp. Freundlichsten Dank für Ihre Mittheilungen und die gleichzeitige Bitte um baldige Fortsetzung derselben. Bezüglich Ihrer Anfrage können wir uns nur auf eine frühere Erklärung berufen, worin wir um Einsendung interessanter Kriegserlebnisse, hervorragender Züge von Tapferkeit oder Kriegslist, von Beweisen kriegerischen Edelmuths und Menschlichkeit ausdrücklich ersucht haben. Wir können heute diese Bitte nur wiederholen und Sie ersuchen, dieselbe Ihren Freunden mitzutheilen.

A. B. in C. Ihre Gabe für den Christbaum armer Kinder der Verwundeten und Gefallenen unserer Landwehrmänner und Reservisten ist angekommen und entsprechend verwendet worden. Das späte Eingehen der Bescheerungsberichte, namentlich aus Elsaß und Lothringen, hat bis jetzt die öffentliche Quittirung und Berichterstattung in der Gartenlaube über dieses große Kinderfest verzögert, die nun aber in einer der nächsten Nummern unseres Blattes erfolgen wird.

N. N. in Ratibor. Der gröbste Schwindel – eine Nachahmung des „Persönlichen Schutzes“.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_240.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2018)