Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt

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Autor: Fr. Helbig
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Titel: Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 89–91
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Textilmanufaktur in Apolda
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Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt.


Um die Markscheide dieses und des vorigen Jahrhunderts konnte man zu Michaelis und zu Ostern jeden Jahres aus einem kleinen Landstädtchen des nordöstlichen Thüringens ein schmächtiges Männchen mit einem Reff auf dem Rücken zur Leipziger Messe wandern sehen. In dem Reff barg sich des Mannes ganzer Reichthum, der Fleiß, die Arbeit seiner eigenen Hände. Da lugten hervor gestrickte grauwollene Jacken, gewirkte Unterhosen und jene berühmten weißen Zipfelmützen, die noch bis zur Neuzeit als das Wahrzeichen des echten deutschen Spießbürgerthums gegolten haben. Das Landstädtchen, aus dem jener Wandersmann zog, zählte dazumal kaum dreitausend Einwohner und bestand aus vielen kleinen, winkeligen Gassen mit niedrigen, meist unscheinbaren Häusern. Da sich die Bewohner den größten Theil ihrer Lebensbedürfnisse draußen im Felde selbst bauten, so sah man auf den meist ungepflasterten, hie und da von einem offenen, schmutzigen Bache durchflossenen Straßen auch überall die weder dem Gesichte, geschweige dem Geruche sehr zusagenden Spuren jener ländlichen Thätigkeit. Bei der vollständigen Reizlosigkeit der sogar theilweise morastigen Umgebung verirrte sich selten ein fremder Wanderer dahin. Selbst der sonst so wanderlustige Studio von dem nur zwei Stunden entfernten Jena kannte den Ort, wohin unwirthsame Wege führten, fast nur aus einem alten Liede, worin es hieß: „Knaster, den gelben, hat uns Apolda präparirt.“ So nämlich hieß der Ort. Oede und Stille lag über ihm, die nur durch das eigenthümliche Schnarren der vielen Wirkerstühle, dem Ohre nicht eben erquicklich, unterbrochen wurde. Und wenn nun gar die Nacht hereinbrach, so lagerte sich, wenn nicht gerade der „bleiche Wächter der Liebe“ am Himmel stand, tiefes Dunkel in den von keiner Laterne erhellten Straßen.

Das aber sollte anders werden mit dem Orte, und wie anders ist es geworden!

Aus dem kleinen, unbekannten Landstädtchen ist eine bedeutende, vielgenannte Fabrikstadt geworden. Neue, große Häuser, zum Theil stolze Paläste, erheben sich in ganz neuen Stadtvierteln. Die Bevölkerung ist rasch um mehr als das Doppelte gestiegen, und wenn sich Mittags und Abends die Arbeitssäle der hohen Häuser öffnen, so ziehen Tausende durch die einst menschenleeren, jetzt wohlgepflasterten und gaserleuchteten Gassen. Auf neu angelegten Straßen sucht sich die weite Umgegend der einst Verachteten allwärts zu nähern. Einer der bedeutendsten deutschen Schienenwege, die Thüringer Eisenbahn, führt knapp dort vorüber, obwohl diese Annäherung um den Preis von Menschenleben und Tausenden von Actien hat erkauft werden müssen. Stolz und hoch hebt sie ihr Haupt, die einst Verlassene.

Der aber, der zumeist diese Umwandlung geschaffen, war fast einzig jener schlichte Wandersmann mit dem Bündel auf dem Rücken. Auf der Leipziger Messe hatte sich mit seinem Geldbeutel auch der Kreis seiner Erfahrungen erweitert. Die simplen Jacken und Schlafmützen genügten ihm bald nicht mehr – den fremden Nationalitäten, welche ihm dort begegneten, gedachte er ihre bunten Kleider zu gewähren. Der Geist der Speculation kam über ihn. Er sann nach neuen Mustern in allerlei bunten, gefälligen Farben. [90] Nicht blos für die hausbackene Zweckmäßigkeit, auch für den Luxus begann er zu arbeiten, von dem er viel bessere Procente zu erwarten hatte. Seine eigene Werkstatt wurde ihm zu klein. Er ließ andere Meister noch für sich arbeiten nach seinen vorgelegten Mustern und gab ihnen nur das bunte, wollene Garn dazu. Er wurde Unternehmer und Verleger, der Strumpfwirkermeister Christian Zimmermann. Ein nebenbei getriebener Lederhandel führte dabei seinem Betriebscapitale noch manche Quelle zu. Der eigene Wirkerstuhl, an dem er Tag und Nacht fleißig gesessen, verschwand, aber bald regten sich an seiner Stelle hundert andere für ihn. Das Reff wanderte in die Rumpelkammer, dagegen führten auf der Landstraße jetzt mehr und immer mehr hoch aufgethürmten Frachtwagen die Schätze des Hauses Christian Zimmermann dem großen deutschen Stapelplatz des Welthandels zu. Und als der Meister im Jahre 1843 sich zur ewigen Ruhe hinlegte, war aus dem armen Strumpfwirker ein reicher, weithin in der Handelswelt geachteter Fabrikherr geworden. Wie weit schon damals der Vertrieb des Geschäftes ging, bezeugt folgende in der Geschichte des Hauses bewahrte Tradition.

Eines Tages stand der Chef der Handlung auf dem Parquetboden des fürstlichen Empfangszimmers im Weimarischen Schlosse, dahin gerufen, von dem ihm wohlwollenden Landesherrn das Lob seiner Tüchtigkeit zu empfangen. Der leutselige Herr muntert ihn auf, seine Fabrikate zu immer größerer Vollkommenheit zu bringen, und läßt ihm bei der Gelegenheit namentlich bunte Artikel vorzeigen, welche er für seine fürstlichen Kinder in Italien gekauft hat. Der Fabrikant von Apolda betrachtet prüfend das ihm vorgelegte Gewebe. Dann bittet er um die Erlaubniß, mit einem Messer eine faltige Kante auftrennen zu dürfen. Man gewährt die Bitte, und der erstaunte Fürst erblickte eingenäht in das Gewebe das wohlbekannte Fabrikzeichen des Hauses Zimmermann. Was er in fernen Landen als kostbare Waare mit schwerem Geld erkauft – es war das Product seines eigenen vor ihm stehenden Staatsangehörigen.

Mit dem Tode seines Gründers ging das Geschäft Christian Zimmermann’s auf seine beiden Söhne, Wilhelm und Louis, über. Die Brüder wußten dasselbe immer mehr zu erweitern und ihm seinen Weltumfang zu verleihen. Während der eine durch weite Reisen die entlegensten Geschäftsverbindungen anzuknüpfen verstand, wußte der andere das Geschäft technisch mehr zu vervollkommnen, wogegen ein als Associé herangezogener Verwandter, Wiedemann, die innere kaufmännische Leitung besorgte und ein befreundeter Rechtsanwalt vielfach rathend zur Seite stand.

Rasch nacheinander, im Sommer und zu Weihnacht des Jahres 1854, in der Blüthe der Mannesjahre, starben schon die beiden Brüder Zimmermann, nachdem ihnen fünf Jahre vorher ihr treuer Compagnon Wiedemann vorangegangen war. Fast in jedem Hause in Apolda, wo nur immer das Schnarren eines Wirkerstuhls sich hören läßt, hängen in Glas und Rahmen die zu einer Gruppe vereinigten treuen Bildnisse der beiden Brüder und ihres Geschäftsgenossen mit der schmucklos rührenden Unterschrift: „Denkmäler in den Herzen der Apoldaer“, die einzigen Erinnerungszeichen, welche sich ihre treuen Arbeiter gönnten, nachdem sie, die Hochverdienten, die Errichtung eines Denkmals aus Stein und Erz, das ihnen jene zugedacht, als ihrem einfach geraden Sinne zuwider zurückgewiesen, sich selbst aber durch vielfache milde Stiftungen, deren großartigste die Gründung und Fundirung einer Realschule, bleibende Denkmäler in der Heimath ihres Wirkens geschaffen hatten.

Obwohl den Todten keine männlichen Erben folgten, so lebte doch ihr Geist in dem Geschäfte und dieses selbst fort. In den beiden jetzigen bekannten Vertretern des Geschäfts (Wiedemann und Kräuter) findet sich wieder die wunderbare Vereinigung des technisch industriellen mit dem kaufmännischen Genius.

Indeß kam für das fast allzurasch emporgeblühte Apolda – wo natürlich außer dem Zimmermann’schen Geschäft nach und nach noch eine große Anzahl ähnlicher Verleger oder Fabrikanten entstanden waren, obschon keiner von der Bedeutung der genannten Firma – auch einmal eine kurze Zeit der Prüfung. Es war dies die bekannte von Amerika ausgehende Handelskrisis vom Jahre 1857. Da sanken viel der allzu kühn emporgewucherten Häuser plötzlich in einer Nacht zusammen. Schreck und Angst überkam die ganze Stadt – nur das Haus der Gebrüder Zimmermann und die alten mit ihm fast zu gleicher Zeit aufgewachsenen Firmen standen unerschüttert in der aufgerüttelten Sturmfluth, die sich eben so rasch legte, wie sie kam.

Fragen wir nun, welcher Art die Fabrikate sind, die Apolda’s Wollenindustrie erzeugt, so bedarf es nur eines Eintritts in den großen Mustersaal des Zimmermann’schen oder einer der andern Firmen. Hier ist es zunächst der prächtige Farbenreichthum, der den Eintretenden blendend in’s Auge fällt. In den buntesten Farben, von dem schreiendsten Roth bis zum milden Rosahauch, von dem düstern Schwarz bis zum lachenden Weiß in allen Schattirungen prangen hier die in je einer Species vertretenen Muster. Es sind deren nahezu an viertausend. Für jedes Alter, für jedes Geschlecht ist gesorgt. Von dem niedlichen schwarz- und rothgestreiften Kinderstrümpfchen, von dem rothen Röckchen und der kleinen runden Mütze des Knaben bis zu der warmen Bein- und Brustkleidung des alternden Rheumatikers, bis zu der kältescheuchenden Capuze der alten Großmama finden da ihre Vertretung. Der rohe Bauernknecht trifft seine Pudel- wie der gebildete Hausknecht seine runde Troddelmütze, der Handwerker seine bequeme Wollenjacke, wie der Mann von feinem Ton sein zartes Leibjäckchen. Die dralle Magd wird ihr Auge auf die ihre kräftige Taille im vortheilhaften Lichte zeigende Leibjacke mit dem grauweißen Besatze richten, während das Fräulein vom Hause den buntkantigen „Seelenwärmer“ mit gleichbewußter Koketterie um das schon warm genug schlagende Herz hüllt. Da liegt der reizende „Fanchon“, als lieber Substitut des unbequemen Hutes für Ball, Concert und einen raschen Abendgang, die „Schneehülle“, ihm verwandt, in der That wie aus dem feinsten Geflöck der Federn des Himmels gewoben, der kiss-me-quick (Küß mich schnell), seines gefährlichen Namens wegen von der gestrengen Mutter ebenso sehr gehaßt, wie von der Tochter gerade darum um so inniger geliebt, der Taillen- und Pulswärmer, die Halbärmel in den mannigfachsten Formen, derb und zart. Weiter in die Geheimnisse der Damenwelt einzudringen, dürfen wir nicht wagen, und doch fesseln uns jene feinen, seidenartig sich anfühlenden Halbstrümpfchen – zaubernd wirken sie auf unsere Sinne, denn wir erfuhren, daß sie ihren Weg nehmen dahin, wohin zwar die Phantasie unserer Dichter uns so schmeichelnd lockt, aber noch keines Christenmannes Fuß getreten, den Weg in’s Harem des Großsultans. Und siehe da, unserer wach gerufenen Einbildungskraft fängt es an, im ganzen Saale sich zu regen und bunt zu beleben, als wären wir mitten in einer Maskerade. Ganz fremdartige Gestalten, Croaten und Walachen in weißen, langen Mänteln, Neapolitaner mit den langen, rothen Schiffermützen, Spanier in kurzen Strümpfen, Türken im langen Kaftan, Griechen im hohen Fez, Russinnen in verbrämter Kazawaika, Polen, phlegmatische Amsterdamer, feurige Mexicaner und Brasilier treten in den Saal und hüllen sich in die für ihren Bedarf gemachten Stoffe. Vollständige Anzüge hängen an den Wänden – Alles aber, selbst die Gardinen der Fenster, ist gewirkt von dem Vließe des bekannten, dumm gescholtenen Thieres.

Die Gartenlaube wird bekanntlich gelesen, so weit die deutsche Zunge klingt,[1] der Vertrieb der Apoldaer Wollenwaaren kennt jene Sprachgrenzen nicht. Italien, Spanien, Ungarn und die Walachei, Rußland, die Türkei, Griechenland, Holland und das weite Amerika sind die außerdeutschen Exportsplätze Apolda’s.

Die Fabrikation der Waaren selbst geht ungefähr in folgender Weise vor sich. Sie beginnt nicht mit der Bearbeitung der Schafwolle, obwohl dies früher theilweis geschah. Man kauft vielmehr in Apolda die Wollengarne von den großen deutschen, englischen und französischen Garnspinnereien und läßt sie sodann im Orte selbst, in nächster Nähe und auswärts, namentlich in Berlin, färben. Die Garne werden sodann den Arbeitern zur Verarbeitung nach vorgelegten Mustern zugewogen. Die Arbeiter selbst sind der Mehrzahl nach in ihrer Wohnung auf ihren eigenen Stühlen arbeitende Strumpfwirkermeister, nur der geringere Theil arbeitet auf den Stühlen der Fabrikanten, insbesondere da, wo diese Stühle von complicirter Natur oder gar Fabrikgeheimnisse find. Das Garn wird zunächst gespult. Frauen verrichten diese ihnen von Alters her gewohnte Arbeit. Die Garnspulen werden an die Wirkerstühle befestigt, welche abspulend die Fäden dann zu einem Ganzen wirken. Von Wirkerstühlen giebt es sehr verschiedene Arten [91] und Abtheilungen, wovon auch der einfachste ziemlich complicirt in seinem Bau ist.

Es würde für den Zweck dieser Darstellung zu weit abführen, auch bei dem Mangel eigener Anschauung zu ermüdend sein, ja selbst gegen die geschäftliche Discretion verstoßen, die Construction derselben zu beschreiben. Im Wesentlichen lassen sich alle die verschiedenen Complicationen des Stuhls zurückführen auf die ursprünglichen Bewegungen des Strickens und Häkelns.

Die vier Thätigkeiten, welche die Mutter dem Kind, wenn es den ersten Strumpf stricken soll, vorlernt und welche das liebe, kleine Ding sich immer vorsagt: hineingestochen, aufgehoben, durchgezogen, abgetippt, diese vier Thätigkeiten übertragen sich auch auf den Wirkerstuhl, wenn es sich dort auch in hundertfachen Abstufungen und Complicationen wiederholt. Denn jede neue Gattung Waare erfordert einen neuen Stuhl. Der Wirkerstuhl bildet, wie beim Strickstrumpf die Finger durch die Bewegungen, durch das Aufheben und Senken vieler nebeneinander liegender Nadeln aus den einzelnen von den Spulen herabhängenden Fäden Maschenreihen, welche durch ihre Entstehung schon ineinander geschlungen sind und demnach eine zusammenhängende (gewirkte) Fläche darstellen. Die menschliche Hand reicht der Maschine nur den Faden und setzt dann zugleich mit dem tretenden Fuß den Stuhl in Thätigkeit. Bei gewissen Stühlen neuer Construction, namentlich bei den sogenannten mechanischen Stühlen, reducirt sich diese Thätigkeit fast auf nichts, oft nur auf das Drehen einer Kurbel.

Bereits ist man so weit, daß mehrere Stühle zugleich, durch breite Riemen verbunden, durch eine schwache Kraftäußerung in Thätigkeit gesetzt werden, und der Anfang zur Benützung der Dampfkraft ist damit gegeben. Für den Nichteingeweihten macht es einen wunderbaren Eindruck, wenn er z. B. vor einem „Rundstuhle“ stehend sieht, wie die zwölf oder sechzehn Garnfäden von verschiedener Farbe, welche von dem obersten Ringe aufgespult lose herabhängen, aus der in Bewegung gesetzten Maschine plötzlich, in wenig Secunden unten als bereits fertiger Longshawl oder als Puddelmütze, die nur abgeschnitten und oben zusammengeknüpft zu werden braucht, zum Vorschein kommen, wobei das Auge äußerlich nichts wahrnimmt, als eine Menge im Zickzack sich bewegender kleiner Nadeln, während das Ohr ein rasselndes, knatterndes Geräusch vernimmt. Den fertigen Strumpf, die fertige Hose oder Jacke liefert der Stuhl natürlich nicht, vielmehr nur die einzelnen Theile derselben, und Frauenhände, deren überhaupt sehr viele in Thätigkeit gesetzt sind, fügen die Stücken zu einem Ganzen. Aber auch in dieser Richtung ist man weit vorgeschritten und werden z. B. kleine Strümpfe auf einzelnen Maschinen ohne Naht bis zum Fersenstück gefertigt. Die meisten der vom Stuhle herabgekommenen Waaren werden dann noch gewaschen; die weißen Artikel, besonders Jacken und Hosen, geschwefelt und heiß erwärmt, erstere auch in hydraulischen Pressen gepreßt, letztere über hölzerne Formen gezogen, theilweis auch gerauht und appretirt, bis Alles zuletzt nochmals durch eine prüfende Frauenhand läuft (repassirt), die verbessernd und ergänzend nachhilft, hier einen Saum nähend, dort einen Besatz, Knopf und Knopfloch anfügend. Nun erst kommt es auf die Lagerräume und wird dort mit andern seiner Gattung zusammen in einem Raume sortirt, erhält Namen und Etikette und harrt nun seiner Bestimmung.

Die gewaltige Masse von Kisten, welche eigens mit deren Anfertigung beschäftigte Böttcher in dem geräumigen Hofe aufgestapelt haben, entführen die also gewonnenen Producte in die weiteste Welt. In dem geräumigen, geheimnißvoll stillen Parterresaal sitzen schweigend die zum Theil schon sehr ehrwürdigen Meister des Comptoirs und summiren die langen Zahlenreihen von Soll und Haben.

Wir sind mit unserer Betrachtung noch nicht am Ziele. Der Wirkungskreis der Apoldaer Fabrikarbeit ist noch lange nicht erschöpft. Ein ganz neues wunderbares Feld der von dort angeregten Thätigkeit müssen wir noch betreten: das ist die Hausindustrie der für die Apoldaer Fabriken arbeitenden Frauen. Das führt uns aber weit über die Bannmeile der Stadt hinaus. Zunächst in den nächstgelegenen Städten, dann aber weiter und weiter bis gen Leipzig und Halle, bis in’s Hessenland und an die Grenze des Franken- und des Voigtlandes – bis dahin erweitert sich das Fabrikweichbild Apoldas – überall regen sich fleißige Frauenhände, vom zarten Kinde bis zur greisen Matrone, im Solde der Apoldaer Fabrikanten. Wie viele es deren sind, das ist nicht zu ermitteln, am wenigsten weiß es der Fabrikant selbst, denn dieser hat es immer nur mit einzelnen Frauen, als seinen Agentinnen, zu thun, welche oft selbst wieder Unteragenten haben. Es ist wie eine geheime stillarbeitende Fabrik.

Die Agentinnen holen die Wollgarne und die Muster in Apolda und nun vertheilt sich die Arbeit in Tausende der zarten Hände. Da ist es das kleine Töchterchen, welches, nachdem es seine Schularbeiten gefertigt hat, emsig zur Häkelnadel greift, um für noch viel kleinere Bübchen und Mädchen Söckchen zu häkeln und mit deren Ertrag seine Sparbüchse zu füllen. Es reiht mit seinen zarten Fingerchen sich auch mit ein in die große Welt der Arbeit – es strickt für Apolda. Da ist die gebildete Haustochter, die ihren Schiller und Goethe vor sich liegen hat, sie will von dem heimlich Ersparten dem Papa oder einem noch heißer Geliebten ein Geburtstagsgeschenk machen – sie strickt für Apolda, zugleich mit dem Dienstmädchen, draußen in der Küche; die harten, schwieligen Hände wollen sich nicht um die glatten Filetnadeln schmiegen, aber der gewöhnliche Dienstlohn reicht nicht hin, um in den Besitz einer langersehnten Crinoline zu kommen – sie strickt für Apolda. Die junge Mutter, wie füllt sie die Stunden aus, welche sie Ruhe schaukelnd an der Wiege ihres Kindes zubringen muß? – sie strickt für Apolda, und mancher Zuckerplatz, der im Wirthschaftsgeld nicht mit berechnet ist, fällt dem lieben Schreier damit zu. Das alte Mütterchen, das da klagt und jammert, daß es doch, seit die müden Füße den Dienst versagen, zu gar nichts mehr nütze sei auf der Welt, es regt noch die knochendürren Hände und – strickt für Apolda und reiht sich so von Neuem wieder mit ein in das Reich der menschlichen Thätigkeit. Die sonst saßen und spannen in den langen thüringischen Winternächten – sie stricken jetzt für Apolda. Und es ruht gar vielfacher Segen in dieser Arbeit. Sie bietet eine theilweise Lösung der Frauenarbeitsfrage und hat vor allen andern derartigen Versuchen den unschätzbaren Werth für sich, daß sie das Weib nicht dem Kreis seiner weiblichen Pflichten entfremdet, daß sie es nicht davon abzieht, wo es allein seine gottgeweihte Heimath haben soll, von dem Heerde des Hauses. Und dann noch Eins. Bei uns ist bekanntlich nicht, wie drüben in der neuen Welt, alle Arbeit eine gleichgeachtete. Sie theilt sich noch ab nach Ständen und erzeugt den Begriff der Arbeitsscham. Auch hier hilft Apolda.

Die Pfarrer- und Beamtenwittwe, welche von ihrer kärglichen Pension nicht sich und die armen Waisen ernähren kann und doch aus den Tagen ihres Glückes nur eine feine, harter Arbeit ungewöhnte Hand errettet hat, sie sitzt vom frühen Morgen bis tief hinein in die Nacht an der Häkel- und Filetnadel, und auch die ältern Töchter helfen fleißig mit. Der Frauenhand fällt überhaupt der größte Theil der apoldaischen Fabrikarbeit zu. Ihr fällt namentlich auch anheim das Vertheilen der verschiedenen Waarenarten in den vielgegliederten Waarenspeichern, das Sortiren und Etikettiren. In den weiten Liefersälen tragen die Frauen und Mädchen, kommend und gehend, in großen gehäuften Körben die Garne fort und die Arbeiten zurück.

So ist Apolda für einen großen Theil der thüringer Frauenwelt das Mekka geworden, wohin man lohnender Arbeit willen pilgert.

Wenn wir schließlich noch erwähnen, daß nach statistischen Notizen vom Jahre 1864 in Apolda jährlich etwa 25,000 Centner wollner Garne im Durchschnittspreise von 3,750,000 Thaler verarbeitet werden und die jährlichen Arbeitslöhne in runder Summe 500,000 Thaler betragen, so geschieht dies, um damit unsere Angaben über den Umfang der Apoldaer Industrie nur zu rechtfertigen.

Auf der Weltindustrieausstellung zu London trat Apolda schon allein siegreich auf für die Ehre thüringischer Industrie, bei der kommenden zu Paris wird es einer der wichtigsten Kämpfer um den Siegespreis deutschen Gewerbfleißes werden.

Fr. Helbig.




  1. Nicht ganz richtig. Die Gartenlaube wird in allen Winkeln der entdeckten Erde, in Amerika, Afrika, Australien, selbst im innern Asien und in Nordsibirien gelesen, soweit eben auch dort die deutsche Zunge klingt.
    D. Red.