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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


noch mit erschreckten Augen das Toben der Elemente ringsumher betrachtet, beschwichtigend an die treue Brust zu drücken. Sei still, herzlieber Bub’! Dort hinten grüßen schon der altersgraue Glockenthurm und das Kloster von Deinem heimathlichen Inselchen herüber, und die herrliche Lindengruppe, unter deren vielhundertjährigem Schatten Du Dich so gern jauchzend im Grase wälzest. Nicht weit davon steht eine friedlich stille Hütte, und in der Hütte eine Wiege, und in ihr wirst Du bald ruhen, von tiefem Schlafe umfangen, und alle Deine Angst vergessen haben!

Welch eine Gegend, welch ein Leben, die zu solchen Bildern begeistern kann! Und wie viele ähnliche herrliche Schöpfungen sind nicht schon auf dieser Stätte empfangen und geboren worden! Wer kennt nicht das „Ave Maria“ von Ruben, sei es auch nur aus einem der zahllosen Stiche, Schnitte und Lichtbilder, die von ihm durch die Welt gehen? Wer nicht ein oder das andere Bild von Max Haushofer, dem Chiemseemaler vor Allen? Und in Wien im Künstlerhause hängt, von dem berühmten Norweger Hans Gude gemalt, ein Chiemseebild von solch bezaubernder Wirkung, daß ich im vorigen Jahre aus der Welt des fanatischen Preußenhasses, der mir während des Krieges, wohin ich mich in der Kaiserstadt an der blauen Donau auch wandte, überall in hellen Flammen entgegenschlug, mich oftmals zu ihm rettete und wenigstens im Geiste in diesem Eldorado der Schönheit, des Friedens und der Ruhe schwelgte, bis mich zuletzt das Heimweh nach dem See und seinen Bergen in so überwältigender Weise überfiel, daß ich krank geworden wäre, wenn ich meiner Sehnsucht nicht nachgegeben hätte. Und wer traf wenige Tage nach mir auf Frauenchiemsee ein, ohne daß wir voneinander wußten? Professor Raupp, der liebenswürdige Meister unseres schönen Bildes, mit dem und dessen Schülern zusammen ich schon im Herbst 1869 unvergeßlich schöne Wochen hier durchlebt hatte.

Ja, ja, sie kommen alle wieder, die der Nixenzauber des Chiemsees einmal fest und voll in’s Herz getroffen hat, alle diejenigen, die über die Schönheit der Natur auf häuslichen Comfort und die conventionellen Vergnügungen der Gesellschaft zu verzichten wissen. Denn mit diesen letzteren Lebensingredienzien ist es allerdings hier das ganze Jahr hindurch sehr dürftig bestellt. Seit des verstorbenen weitberühmten Dumbser’s Tode weist das Gasthausleben der Insel fast nur noch Schattenseiten auf. Bei dem für die Verhältnisse übermäßig hohen Pachtzins, den Graf Hunoltstein, Pair von Frankreich, der Eigenthümer der großen Insel „Herrenchiemsee“, von dem ihm ebenfalls zugehörigen Wirthshaus auf der Fraueninsel zu erheben pflegt, ist jeder Pächter schon von vornherein darauf angewiesen, seine Gäste zu schrauben. Tritt dann bei diesem noch gar das Bewußtsein, daß er auf der Insel als der einzige Wirth unvermeidlich ist, durch Launen und Chicanen zu Tage, wie denn z. B. der vorletzte „Gasthalter“ seinen Gästen den Nierenbraten erst dann vorzusetzen pflegte, wenn er selbst vorher erst aus ihm die Nieren herausgeschnitten und verzehrt hatte, – so kann nach dieser Richtung hin das Leben daselbst stellenweise recht ungemüthlich werden. Kommt dazu noch etwa gar eine längere Regenzeit und ist man innerlich für eine solche nicht mit einem siebenfachen Erze gegen die Langeweile gepanzert, dann bricht auf der Insel unter den Fremdlingen in der Regel die helle Verzweiflung aus, die nach spätestens drei Tagen in wilder Flucht ihr Heil zu suchen pflegt. Nur der Eingeweihte, der sich, mit den Verhältnissen vertraut, mit einem allzeit wasserdichten Shakespeare, Schopenhauer, Goethe und anderen dergleichen probaten Entoutcas vorgesehen hat, harrt, seiner Belohnung sicher, geduldig aus, denn, – wie wiederum J. V. Scheffel singt:

„als das Wetter vertoset war,
Da wiegte der See sich wie blühend;
Da lachte der Himmel rosig klar,
Die Ferne färbte sich glühend.

Am Ufer blieben die Schiffer stehn,
Aus der Zelle lauschte die Nonne:
Noch niemals spielte im Thau so schön
Der Wundergluthhauch der Sonne.

Bergelfen hatten ein Feierkleid
Gewebt um der Alpen Zinnen:
Der Hochgern blinkend und frisch beschneit,
Wie ein Freier im Hochzeitslinnen.

Der Teisenberg, die Staufen auch
Getaucht in rothschimmernde Düfte;
Eisblau, durchsichtig wie ein Hauch
Des Watzmann fernheimliche Klüfte.“ –

Kurzum, ich weiß mir trotz aller Unbequemlichkeiten keinen Ort, wo ich lieber leben und sterben möchte, als die Fraueninsel auf dem Chiemsee. Welche Ruhe, welcher Friede auf dem stillen Eilande! Kein Geräusch, als das Brausen des Windes, das Flüstern der Blätter, das Rauschen der Wellen, das Plätschern der Ruder, Glockenklang und Chorgesang der Nonnen. Still und geräuschlos gehen die freundlichen, treuherzigen Eingeborenen ihrer Arbeit nach, die sie zum größten Theil auf oder über den See führt, wohin sie auch in der Regel die Kinder mitzunehmen pflegen. Ja, es ist so still hier, daß die Hunde im Laufe der Zeit sogar das Bellen verlernen. Selbst den Schall des Fußtritts verschlingt der fast überall mit üppigem Gras bewachsene Erdboden! Das ist, ganz abgesehen von den unversiechlichen auf allen Seiten herzuströmenden malerischen Schönheiten der Insel und des sie umfluthenden Sees, ein Aufenthalt für Nervenleidende sowohl, wie für solche, die sich ungestört geistiger Arbeit hingeben wollen, wie kein zweiter. Die doppelte Leuchtkraft der Sonne am Himmel und der sie wiederspiegelnden kolossalen Wasserfläche erzeugt eine so in sich gesättigte wunschlose Seelenstimmung, daß man schier meint, hier wäre allem menschlichen Sorgen und Klagen eine unüberschreitbare Grenze gezogen, wie dies auch der Dichter unseres Mottos mit der letzten Strophe in hinlänglich bezeichnender Weise ausgesprochen hat, wenn er sagt:

„Fahr’ ab, verfluchter Plunder,
Der elend mich gemacht!“

Ja, gewiß, lieber Leser:

„Hier ist vom Weltenbauherrn
Ein Meisterstück geschehn,“

und wenn Dich die München-Salzburger Bahn an dem Chiemsee vorüberträgt, so achte es nicht für Raub an Deiner Zeit, die vielbesagte und belobte Künstlerheimstätte Frauenchiemsee zu besuchen. Nur Eines lasse Dir dabei rathen: mach’s wie ich, und gehe auch in diesem Jahre an dem Wirthshaus soviel wie möglich vorüber. Willst Du mich nach den Gründen fragen, so will ich sie Dir gern schriftlich auseinandersetzen; für die Oeffentlichkeit ist ihre Mittheilung nicht recht geeignet. Der Aufenthalt in den Privathäusern auf der Insel ist jedenfalls vorzuziehen.[1]

Arthur Müller.




Aus den Tagen des Berliner Jubels.
(Schluß.)
Franzosenkanone an Franzosenkanone. – Die demokratische Verbrüderung der Stände. – Am Anhalter Bahnhofe. – Künstlerekstase.– Der große Tag. – Auf der Tribüne. – Zweifelhafte Musikgenüsse. – Der Kaiser. – Der Vorbeimarsch. – A. F. Nr. 16. – Limonade, Bier und Selterserwasser. – Französische Officiere als Zeugen ihrer Demüthigung. – Schluß.

Der folgende Tag war eine nach innen und außen in allen Beziehungen und Dimensionen vermehrte und verbesserte Auflage des gestrigen. Jetzt schon totaler Festrausch durch die ganze Stadt; bereits feierte alle Welt. Und wie weit waren die Zurüstungen inzwischen gediehen! Offenbar hatte man sich vielfach keine Nachtruhe gegönnt. Auch vom Potsdamer Thore längs dem Thiergarten bis zum Brandenburger stand nun, in Doppelreihe aufgefahren und zum Theil schon mit Laubgewinden umkränzt, Franzosenkanone an Franzosenkanone. Wie sich diese Herbeischaffung und Aufstellung im Laufe von zehn kurzen Stunden hatte bewerkstelligen lassen, das blieb uns ein Räthsel. Das ging noch über die berühmte affengleiche Preußengeschwindigkeit! Wie durch Magierhand herangezaubert, so nahmen die schweren Feuerrohre schon am frühen Morgen in schönster Ordnung die ihnen

  1. Historisches Material über die Insel, von kundiger Hand zusammengestellt, findet der Leser in Nr. 28 des Jahrgangs 1867 der Gartenlaube.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_503.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)