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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

das Schattenhafte, Wesenlose überhaupt nicht, und dann bin ich auch praktisch genug, einzusehen, daß ich bei einer solchen Umgangsweise bedeutend verlieren müßte. Was alles darf man dem Lebendigen anthun! Man darf ihn bitter reizen, schmerzlich verwunden, kränken, erzürnen, und geht straflos aus, sobald er keine Injurie oder körperliche Wunde aufzuweisen vermag. Der Verstorbene dagegen trägt den Nimbus der Verklärung über der Stirn, er ist gefeit und unverletzlich, und man muß sich streng hüten, ihm Böses nachzusagen, wenn man nicht für einen sehr ungebildeten Menschen gelten will. Ich bin mithin vollkommen in meinem Rechte, wenn ich, die Bezeichnung als parteiisch verwerfend, mir eine andere wähle, und in Folge dessen besser einen Brief an ‚den Unsterblichen‘ richte. Freilich erscheint auch da mein Standpunkt gewagt und bedenklich – ich stehe gleichfalls einer Strahlenglorie gegenüber – indeß die Unsterblichkeit schließt ja menschliche Schwächen und Leidenschaften nicht aus, wie z. B. der Haß, die Rachsucht der griechischen Götter beweisen; mein unsterblicher Correspondent wäre mir dadurch näher gerückt und ich würde mich schon zu vertheidigen wissen, wenn er ja einmal in die genannten Fehler verfallen sollte.

Der erste Stein zur Basis einer künftigen Correspondenz wäre somit gelegt, aber ich zweifle sehr, daß er je einen Nachbar erhalten wird. … Haben Sie meine ‚Goldelse‘ gelesen? Diese Frage mag recht unbescheiden klingen; sie läßt sich jedoch durchaus nicht umgehen, und ich muß sogar dringend bitten, im Hinblick auf den beabsichtigten Briefwechsel das kleine Buch schleunigst zur Hand zu nehmen. Es kennzeichnet scharf und unabweisbar meinen Standpunkt in socialen Fragen, von welchem aus ich mit Luther sage: Hier stehe ich – ich kann nicht anders, oder vielmehr ich will nicht anders! Der Unsterbliche wird nach Kenntnißnahme der Tendenz nicht umhin können, mit dem Fürsten Pückler ernstlich Rücksprache zu nehmen, und wie es dann mit der bezeichneten Sympathie stehen wird, kann ich mir recht gut sagen. Zwar ziehen Sie selbst eine Scheidelinie zwischen sich und Ihrem (fürstlichen) Doppelgänger; allein die innige Verwandtschaft der beiden Naturen läßt sich nicht verleugnen, das hat der Unsterbliche am schlagendsten bewiesen, indem er mir das Bild des Fürsten schickte. …

Die Photographie macht mir sehr viel Freude; sie hängt jedoch, ihrer Ausstattung gemäß, bereits in ‚der guten Stube‘, wie die ehrlichen Thüringer sagen. Dort ist sie an ihrem Platze, und ich werde mir allsonntäglich das Vergnügen machen, die aristokratische Gestalt voll prächtiger Orden zu bewundern. Das Conterfei meines ‚unsterblichen‘ Correspondenten dagegen, dunkel gekleidet, wie ich ihn einmal flüchtig und von ferne in München gesehen, würde ich in mein kleines Arbeitszimmer über den Schreibtisch gehangen haben, an welchem nun einmal eine Widerspruchsvolle sitzt. Ich sehe die Sterne nur gern am Himmel – in dem Moment also, wo meine Augen das edle Gesicht des Unsterblichen suchen wollten, würde mich die sternbesäete Uniform der fürstlichen Photographie stets zum Widerspruch reizen, und Sie werden begreifen, daß ich Frieden haben will – an meinem Arbeitstische. …“

Pückler hatte in seinem Leben, wie reichlich der vorliegende Band zeigt, gar viele Briefe von zarter Frauenhand erhalten, darunter – wir haben das bereits oben erwähnt – zahlreiche brillante Ergüsse einer hochgesteigerten Denk- und Empfindungskraft. Wir begreifen aber, daß sich der vielumschmeichelte Mann vollständig gewonnen und bezaubert fühlte, als ihm aus den oben mitgetheilten Zeilen, die so gar nichts Absonderliches und Bedeutendes sagen wollten, nicht blos eine neue Persönlichkeit, sondern der inzwischen herangereifte Geist und Sinn eines neuerstandenen Geschlechts so ernst und haltungsvoll und doch so schlicht und gemüthreich entgegentrat. Er sagt das nicht, aber in seiner Erwiderung nennt er den halbabweisenden Brief einen „prächtigen“, der „magnetisch“ auf ihn gewirkt habe. „Erlauben Sie mir zuerst,“ schreibt er, „Sie meine geliebte und verehrte Freundin zu nennen, obgleich ich Sie noch nie gesehen, aber überzeugt bin, daß ich Sie aus Ihren lieblichen Erzählungen und auch aus Ihrer Photographie besser kennen und lieben gelernt, als durch eine oberflächliche gesellschaftliche Bekanntschaft.“ Marlitt habe ihm noch befohlen, ihre „Goldelse“ zu lesen. In Bezug darauf und auf die von der Dichterin so ernst an ihn gerichtete Gewissensfrage entgegnet er, daß sie ihn verkenne. Erstens durch große Ueberschätzung seiner sehr anspruchslosen Persönlichkeit, dann aber durch Voraussetzung eines adeligen Hochmuths, „was mich wahrhaft kränkt (aus Eitelkeit), weil ich eher auf meine philosophischen Ansichten mir etwas einbilden möchte, da mich diese von Vorurtheilen sehr frei machen, obwohl ich nicht sicher bin, daß diese Freiheit der Gesinnung in Allem so ganz Ihren Beifall finden wird.“

Inzwischen war nun aber von indiscreter Hand ein Lebensabriß Marlitt’s mit Nennung ihres wahren Namens in die Oeffentlichkeit gedrungen, und eine Freundin des Fürsten hatte ihm das betreffende Blatt geschickt. Theilnehmend fragt er, ob sie wirklich unbequem schwerhörig geworden, es gäbe ja viele Mittel dagegen, wie er an manchen Anderen erfahren habe. In Bezug auf ihren nunmehr verrathenen Namen schreibt er am Schlusse: „Ich adressire also heute direct an Fräulein Eugenie John in Arnstadt und wäre untröstlich, wenn jener beiliegende Artikel mich in den nahen April geschickt hätte. Was gäbe ich darum, wenn ich Ihre Antwort schon hätte! Haben Sie Mitleid und lassen Sie mich nicht zu lange darauf warten!“

Marlitt hatte in der That eine Antwort nicht erwartet und hielt in ihrer Entgegnung nicht mit dem Geständniß zurück, daß sie den letzten Brief des Fürsten mit einem Gemisch von Freude und – Erstaunen begrüßt. Ein vorlauter Journalartikel habe ihm bereits von ihrem früheren Leben an einem Hofe erzählt, und da habe sie ihre Ideale von männlicher Charakterstärke und Gesinnungstüchtigkeit kläglich wie Wachs zerschmelzen sehen. „Viele kamen mit geradem Rücken, aber gebückt gingen sie fast immer.“ Den Trägern aristokratischen Glanzes sei es, gegenüber dem Vergötterungs- und Unterwerfungstriebe der Menge, fast unmöglich gemacht, den rein menschlichen Standpunkt zu erkennen, geschweige zu ihm zurückzukehren; sie gebe zu, es gehören dazu außergewöhnliche Geisteskräfte, Großartigkeit der Auffassung und ein hoher Grad von Selbstverleugnung und Edelsinn. „An alle diese Eigenschaften mußte ich appelliren, wenn ein Briefwechsel zwischen Ihnen und mir zu Stande kommen sollte. … Sind Sie mir böse, daß ich an einem Erfolg gezweifelt habe?“

Lieb wäre es ihr gewesen, nur als Schriftstellerin mit dem Schriftsteller in geistigem Verkehr zu bleiben. „Nun aber,“ fährt sie fort, „wo mir ein unbekannter und sehr unberufener Biograph das Visir aufgeschlagen, müssen Sie, wohl oder übel, auch die Eugenie John mit in den Kauf nehmen. Sie wird ihnen übrigens das Leben nicht schwer machen – durch Schelten, wie Sie meinen, am allerwenigsten. Zwar bin ich bereits in ein ‚gewisses Alter‘ getreten, allein nichts liegt mir ferner, als die Sucht, zu moralisiren; auch habe ich weder Geschick noch Neigung zum Ehestiften; ich fliehe die Kaffeegesellschaften, die Medisance wie das Gift, sehe die Jugend gern fröhlich und fühle durchaus keine Sympathie für Katzen und Möpse – Sie sehen, ich bin keine von den ganz Schlimmen. Sollte mir Ihre Anschauungsweise nicht gefallen, so werde ich mir erlauben, meine Gegenansicht zu entwickeln; aber das Recht der Freundin geltend machen und schelten werde ich nur, wenn Sie zum Beispiel das Krankenzimmer zu früh verlassen und Ihre Genesung verzögern, wie Sie bereits gethan.“

Wie übrigens Pückler mit seinem Geist und mit Erinnerungen wie die seinigen in solchem Maße des Verkehrs mit der Welt bedürfe, verstehe sie nicht; er brauche ja nur zu winken, um sich die verschiedenartigsten Geister auferstehen und sich dienstbar werden zu lassen, und im Uebrigen habe seine schöpferische Kraft auch wohl um Schloß Branitz ein kleines Eden geschaffen.

„Freilich,“ so fährt der Brief dann weiter mit einer Selbsteröffnung fort, „freilich sehen Sie doch immer nur in – die Sandbüchse des heiligen römischen Reichs, und der Gedanke könnte allerdings auch für mich etwas Niederschlagendes haben. Ich brauche Bergluft, meine Denkkraft verliert die Elasticität in einer sterilen Gegend, und vorzüglich jetzt, wo ein rheumatisches Leiden mich meist an das Zimmer fesselte, könnte ich den Blick auf meine trauten Thüringer Berge nicht missen. Bei dieser Gelegenheit habe ich eine Uebertreibung meines indiscreten Biographen zu berichtigen. Es ist nicht wahr, daß man mir die Feder in die Hand geben muß, wenn ich schreiben will – in dem Fall wäre ich das beklagenswertheste Geschöpf auf Gottes Erde; denn es ist mir geradezu unmöglich, auch nur einen Federstrich in Gegenwart Anderer zu thun – nicht das geliebteste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_825.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)