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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

beteten fort, bis man endlich den Knaben, schlafend, in jene Abtheilung des Hauses tragen ließ, wo die Priester, die Schwestern und die Mutter des Kindes sich versammelt hatten. Nach einer Viertelstunde erwachte er wie aus einem tiefen Schlafe, hörte ganz gut, er, der bei achtzehn Monate ganz taub war, antwortete mit einer großen Liebenswürdigkeit und verspürt in diesem Augenblicke keine Nachwehen mehr. Er erinnert sich nicht einmal dessen mehr, was sich mit ihm zugetragen hatte.“

Der Triumph der siegenden „heiligen Kirche“ war natürlich ein ebenso großer, als – gerechter, aber doch nur ein halber, so lange der unreine Geist noch in dem Knaben Joseph hauste. Die That dieser zweiten Vertreibung war, nach dem Willen des Hochwürdigsten Herrn Bischofs von Straßburg, unserm Herrn Pfarrer vorbehalten und er vollbrachte sie am siebenundzwanzigsten October 1869, und zwar „in einer alten, der lieben Mutter Gottes gewidmeten Kirche, die auf dem Gottesacker zu Illfurth steht.“ Dorthin wurde besagten Tages in aller Frühe, trotz heftigen Sträubens, der Knabe getragen. Die vorgeschriebenen Exorcismen begannen nach der heiligen Messe. Der Herr Pfarrer erzählt den merkwürdigen Verlauf so:

„Als die Beschwörung anhob, schrie der böse Geist: ‚Ich gehe nicht, ich werde nicht gehen!‘ Der Exorcist aber fuhr fort, und je mehr er dem Teufel zusetzte, desto hartnäckiger bewies sich dieser. Endlich nach einem heftigen zweistündigen Kampfe wurde Satans Macht gebrochen. Denn als er den Befehl vernahm, zu weichen im Namen der unbefleckten Jungfrau, so schrie er verzweiflungsvoll: ‚Jetzt ist’s denn mit mir aus; ich bin überwunden, ich ziehe fort.‘ Da auf sein Verlangen, in die Schweine, Gänse etc. fahren zu dürfen, ihm geantwortet wurde: ‚Nein, in den Abgrund der Hölle fährst Du!‘ knirschte er mit den Zähnen, wüthete bei einer Viertelstunde noch im Körper des Kleinen, der sich bäumte, krümmte wie ein zertretener Wurm. Man sah, wie der böse Geist ein Glied nach dem andern zu verlassen sich anstrengte; er konnte beinahe nicht aus seiner Beute sich herauswinden. Dieses gewaltsame Scheiden des Satans vom Leibe, den er so lange bewohnte, bot allen Gegenwärtigen einen erschütternden, herzbrechenden Anblick dar.“

Auch Joseph erwacht nach der Vertreibung des Teufels wie aus einem tiefen Schlaf und weiß natürlich von allem Vorgegangenen nichts. Um so merkwürdiger ist’s, daß er, wie der Herr Pfarrer erzählt, „sittlich ganz verwandelt“ neben ihm in die Kniee sinkt, um mit allen Anwesenden „dem dreieinigen Gott und der unbefleckten, stets makellosen Jungfrau Maria den innigsten Dank für den wunderbar errungenen Sieg über die Hölle zu bringen.“

Wer nun glaubt, daß mit dem Tedeum, das am folgenden Sonntag unter dem Geläute aller Glocken abgehalten wurde, die Verherrlichung dieser Teufelsaustreibung schloß, der irrt sich. Dieser Triumph der h. Kirche soll noch weiter ausgebeutet werden; dies spricht sich aus in dem Wunsch: „daß auch in andern Bisthümern bei ähnlichen Fällen ein Exorcist aufgestellt und überdies in den Bildungsanstalten der Priester die Lehre der heiligen katholischen Kirche von dem Einwirken böser Geister, von den kirchlichen Mitteln zur Zernichtung jeglichen teuflischen Einflusses gründlicher denn je vorgetragen werde“ – und gipfelt in dem Plane: in Illfurth zu Ehren der unbefleckten Empfängniß und ihres Triumphes über den höllischen Drachen eine aus Erz gegossene Bildsäule der Madonna zu errichten, welche durch ihre Größe und Schönheit den Vorübergehenden bis in die spätesten Zeiten die Macht und Erbarmung derselben in der Befreiungsgeschichte der beiden Knaben verkünden soll.

Das ist die Geschichte dieser jüngsten Teufelsbeschwörung im Bisthum Straßburg. Wir übergeben sie, wie sie ist, dem Nachdenken unserer Leser. Nur eine Bemerkung können wir nicht unterdrücken: Wir haben so viele, viele Jahre lang vom deutschen Rheinufer Erwin’s Wunderbau in Feindesland sehen müssen, – das war unser tiefster patriotischer Schmerz. Mit welchem Herzen soll aber der Deutsche heute zum Münster emporschauen, wenn er die ewig herrlichen Hallen von solchen Priesterhänden entweiht sieht! Straßburg ist erobert, – erobere der deutsche Geist nun auch sein Münster zurück!

H. v. C.




Literaturbriefe an eine Dame.


Von Rudolf Gottschall.


XII.


Sind Sie, verehrte Freundin, einmal durch die breiten stolzen Straßen der Isarstadt gewandert, die wie ein aufgeschlagenes Buch der Kunstgeschichte vor uns liegen mit ihren hellenischen und gothischen Bauten, mit ihren Basiliken, Glyptotheken, Pinakotheken, Siegesthoren? Hier wird es uns so feierlich ernst zu Muthe; man sieht sich nach einem Professor um, der uns in aller Eile ein Collegium liest, indem er diese Bauwerke als erläuternde Illustrationen benutzt; man wundert sich, daß nicht jeder Münchner mit einer Zeichenmappe durch die Straßen wandert, und meint, man müsse lauter idealen Gesichtern mit griechischen Profilen begegnen und lauter Grazien, Musen und Madonnen, da eine solche künstlerische Atmosphäre doch nicht ohne Einfluß bleiben kann auf die Wesen, die in ihr athmen. Sie lächeln, verehrte Freundin? Sie sind gewiß in München gewesen und haben Unglück gehabt; Sie haben keine Gesichter mit akademischem Schnitt gesehen, sondern joviale Biergesichter; Sie haben die Straßen leer gefunden, wo die Prachtgebäude stehen, und ein Getümmel fröhlicher Menschen an den classischen Stätten, wo der kastalische Quell der Münchner, der edle Gerstensaft, strömt; Sie sind den Gestalten begegnet, die Sie aus den „Fliegenden Blättern“ kennen, der drallen Biermamsell, dem Falstaff in Civil und Uniform, dem oberbairischen Bauern mit den Frage- und Ausrufungszeichen im Gesicht, wenn er an den steinernen Wundern vorübergeht, dem Mönch, der diesen heidnischen Säulenordnungen keinen Blick schenkt.

Das sind Contraste, verehrte Frau, und Contraste sind ebenso lehrreich wie pikant. Es giebt ein doppeltes München, das München des Volks und das München des Königs; dort herrscht das Bier, hier herrscht die Kunst; beide berühren sich wohl, aber sie verschmelzen nicht miteinander.

Gleichwohl ist die bairische Hauptstadt eine schöne und stolze Stadt, und Niemand wird durch ihre Kunstgalerien wandern, ohne anregende und geistig befreiende Eindrücke zu erhalten. Sie kennen die Pinakothek und Glyptothek; doch Münchens Kunstschätze sind nicht mit den Staatssammlungen erschöpft; es giebt Privatgalerien, in denen sich Gemälde von höchstem Kunstwerth befinden.

Ich führe Sie zu einem deutschen Dichter. Es ist nicht Emanuel Geibel, der jetzt an den Ufern der Trave seine patriotische Harfe schlägt; es ist nicht Paul Heyse, der feine Novellist mit dem Rafaelskopf; es ist nicht Hermann Lingg, der historische Freskenmaler, der in neuester Zeit eine von mir nicht getheilte Vorliebe für die Schicksale der Vandalen an den Tag legt; noch weniger ist es Mirza Schaffy, der in einem stillen Thale Thüringens Buße thut für die kecke Fröhlichkeit seiner westöstlichen Maskerade. Vor allen Dingen aber verbannen Sie jeden Gedanken an Kotzebue’s armen Poeten und an eine Dachstube. Der Dichter, zu dem ich Sie führe, besitzt eine Gemäldegalerie, welche nicht blos einen hohen Kunstwerth, sondern auch einen hohen Geldwerth repräsentirt; ein armer Poet, der seine Dachstube mit Neu-Ruppin’schen Bilderbogen tapeziert, müßte hier in seines Nichts durchbohrendem Gefühle dastehn.

Ein freundlicher Herr empfängt uns, mit diplomatischen Formen, mit wohlwollendem Lächeln und geistreich leuchtenden Augen; er führt uns zu diesen Schätzen, er erläutert uns die Gemälde, auf welche manche königliche Galerie stolz zu sein ein volles Recht hätte. Da sind die genialen Oelgemälde von Genelli: der Raub der Europa, auf welchem Bilde der kühne Erfinder und Zeichner auch Herrschaft über das Colorit an den Tag legt; da ist Herkules und Omphale, da ist der Kampf zwischen Bacchus und Lykurgus, eine der vermessensten Compositionen kraftgenialischer Malerei; da sind Meisterstücke von Schwind, kleine Gemälde von geistreicher Erfindung und stimmungsvoller Haltung, mit dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_856.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)