Seite:Die Gartenlaube (1873) 119.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

die, welche den Kranken und Armen unter ihnen die liebreichste Helferin gewesen ist, hat dafür den Märtyrertod in den Flammen sterben müssen! Sollen die Sünden Anderer denn so an den Besten und Edelsten heimgesucht werden?“

„Die Vergeltung kann und wird nicht ausbleiben,“ erwiderte ich. „Die Nachricht von diesen Gräueln wird wie ein Flugfeuer durch den Staat gehen, und bald werden Truppen genug hier sein, die Mordbanden zu Paaren zu treiben.“

„Schließlich wohl,“ antwortete der Major, „aber diese wilden Teufel sind auch schnell wie der Blitz, und ehe genug Mannschaft hier sein wird, wird viel, viel Unheil angerichtet werden; Hunderte werden abgeschlachtet werden und des Gräßlichen wird mehr geschehen, als in Jahren wieder gut gemacht werden kann. Auch wir hier im Fort müssen uns auf eine Belagerung gefaßt machen; und Sie, lieber Freund, werden sich’s wohl gefallen lassen müssen, als Freiwilliger sich uns anzuschließen.“

„Sie werden mich auf meinem Posten finden,“ rief ich, indem ich die Hand des braven Majors herzlich schüttelte; „hier ist meine Hand zu treuer Waffenbrüderschaft, sei’s nun zum Siege oder zum Tode!“




Blätter und Blüthen.

Noch einmal der Fluchtversuch des Prinzen Friedrich. Zu dem „alten Familienbild, Hermann von Katte“ in Nr. 39 des Jahrg. 1872 der Gartenlaube ist ihnen vielleicht ein keiner Zusatz mit Beziehung auf den Zusammenhang des dort erzählten Fluchtversuches Friedrich’s des Großen mit dem Dorfe Steinsfurth im badischen Amtsbezirke Sinsheim nicht unangenehm. Auf Seite 635 wird die Reise des Königs mit seinem Sohne nach Süddeutschland angeführt, die Richtung über Ansbach, Ludwigsburg und dann über Mannheim nach Frankfurt angegeben und dabei gesagt: „man konnte die Stadt nicht mehr erreichen und mußte im kleinen Städtchen Sinsheim übernachten“. Hier liegt ein Irrthum hinsichtlich der Oertlichkeit vor. Die Stadt, welche nicht mehr erreicht werden konnte, war nicht Mannheim, welches eine Tagereise von Sinsheim entfernt liegt, und der Ort, wo man übernachten mußte, war nicht das Städtchen Sinsheim, sondern das Dorf Steinsfurth, welches, an der Landstraße von Heilbronn nach Mannheim gelegen, eine kleine Stunde vor Sinsheim von den Reisenden erreicht wurde, daher sie wegen eingetretener Nacht sich gezwungen sahen, in Steinsfurth zu übernachten.

Der Kronprinz hatte schon in Ansbach den Herzog, seinen Schwager, um eines seiner besten Reitpferde angeblich zu einem tüchtigen Spazierritte, eigentlich aber zu einem Fluchtversuche gebeten, was dieser, der den wahren Grund ahnte, nicht bewilligte, weshalb die Ausführung der Flucht bis zum späteren vermuthlichen Nachtquartier in Sinsheim verschoben wurde. Da aber schon in Steinsfurth übernachtet wurde, sah sich der Kronprinz gezwungen, an diesem Orte sein Fluchtvorhaben auszuführen. Die Lage schien gut geeignet; die Reisenden wurden in verschiedenen Scheunen gleich am Anfange des Ortes untergebracht; der Kronprinz schlief mit dem Obersten von Rochow und seinem Kammerdiener gemeinschaftlich in einer Scheune des Jakob Lerch und bewog den königlichen Leibpagen unter dem Vorgeben eines Liebesabenteuers, am frühen Morgen ihn still zu wecken und Pferde bereit zu halten. Dieser verfehlte in der dunkeln Scheune das Lager des Prinzen und weckte den Kammerdiener, der, über die Sache sehr verwundert, sich ruhig verhielt, um das Weitere abzuwarten. Der Kronprinz hatte den Pagen bemerkt und bekleidete sich leise, aber nicht mit der gewohnten Uniform, sondern mit einem französischen rothen Rock, den er sich auf der Reise angeschafft hatte. Kaum hatte er die Scheune verlassen, so erhob sich auch der Kammerdiener, weckte den Obersten und folgte mit diesem, der noch schnell andere Officiere geweckt hatte, dem Kronprinzen nach, den sie an einem Wagen, den Pagen mit den Pferden erwartend, trafen. Der Oberst bat denselben dringend, doch ja sogleich umzukehren und die Kleider zu wechseln, um nicht den König auf’s Höchste aufzubringen. Der Prinz, über die Störung seines Planes verzweiflungsvoll erregt, wollte zuerst die Officiere durch barsches Entgegentreten irre machen, und war schon im Begriffe, sich schnell auf eines der vom Pagen eben herbeigeführten Pferde zu schwingen, als die Officiere ihn ergriffen und trotz der Gegenwehr in die Scheune zurückführten. So war der lange gefaßte Fluchtplan gescheitert. Der Oberst erstattete am Morgen dem König Bericht über das Vorgefallene, ohne über die eigentliche Bedeutung Aufschluß geben zu können. Erst nach der Ankunft in Frankfurt erhielt der König die Meldung des Erlanger Werbe-Officiers von Katte mit dem aus Versehen an diesen statt an den Berliner Vertrauten Hermann von Katte gelangten Schreiben des Kronprinzen mit seinen Anordnungen wegen der vorhabenden Flucht und wurde so von dem wirklichen Vorhaben in Kenntniß gesetzt. Von dem weiteren Verlaufe der nun erfolgten Gefangennehmung des Kronprinzen kann ich im Hinblicke auf die Erzählung der Gartenlaube schweigen, aber über die Oertlichkeit in Steinsfurth möchte ich noch weitere Meldung machen.

Die Scheune, in welcher der Kronprinz geschlafen und von welcher aus er die Flucht versucht hat, steht mit dem anstoßenden alterthümlichen Wohnhause heute noch. In der Familie des jetzigen Besitzers hat sich die Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht mündlich fortgeerbt, daß diese Scheune, von Jakob Lerch, einem etwas älteren Zeitgenossen des Kronprinzen, erbaut worden und später der Schauplatz des oben Erzählten wurde. In der Familie vererbte sich auch die Erzählung, der König habe bei der Abreise dem Jakob Lerch ein beträchtliches Geldgeschenk gegeben mit der Aufforderung, die Scheune besser herzustellen, daß es, wenn er wiederkomme, nicht mehr hineinregne. Ja, ich weiß von Einwohnern der zwei ganz naheliegenden Orte Steinsfurth und Rohrbach, deren Quellen jedenfalls hundert Jahre zurückreichen, daß man schon in der frühesten Zeit scherzweise erzählte, wie der König oder Kronprinz zu Steinsfurth in einem Lerchenneste übernachtet habe.

Mit diesem Nachtrage zu Nr. 39 der „Gartenlaube“ wollte ich nur Kenntniß geben für weitere Kreise, daß die interessante Localität noch unverändert existirt und deren geschichtliche Bedeutung von Niemandem aus der Umgegend bezweifelt wird.

Sinsheim bei Heidelberg, im Januar 1873.

Hack, Medicinalrath.

Verkehrserleichterungen und Zeitersparnisse gehören unter die großen Tagesfragen. Seitdem wir Eisenbahnen, Telegraphie, Stenographie, Nähmaschinen, Schnellpressen etc. haben, regt sich’s allerwärts, alte, schwerfällige Formen abzuwerfen und neue Einrichtungen zu schaffen, welche, den gesteigerten Anforderungen der Gegenwart entsprechend, den Weg zu den verschiedensten Zielen ebnen und abkürzen. Daß der Umgestaltungsproceß in allen Gebieten so ungemein lebhaft geworden, ist aber die Ursache, daß vom Publicum viel Einzelnes, obwohl fast Jeder Nutzen daraus ziehen könnte, unbeachtet bleibt und eine Reihe von Jahren dazu gehört, um es allgemeiner einzubürgern. Hier nur ein Pröbchen aus dem Postgebiete.

Lange hat es gedauert, bis man sich gewöhnte, die Frankirung der Briefe nicht durch Einzahlung am Schalter, sondern durch Aufklebung von Freimarken zu bewirken. Auch der Gebrauch von Postanweisungen für kleinere Geldsendungen, sowie von offenen Correspondenzkarten für kurze Nachrichten fängt bereits an, sich weiter auszubreiten, selbst in ländlichen Kreisen. Sehr selten benutzt, ja fast ganz unbekannt im großen Publicum ist aber zur Zeit noch die seit Jahr und Tag bestehende Form dieses Vehikels mit angebogener Karte für die Antwort.

In jeder Postanstalt sind nämlich zusammengefaltete Karten zu haben, auf deren oberer, für die Adresse bestimmter, gedruckt steht:

Correspondenz-Karte.
(Rückantwort bezahlt.)
An . . . . . . . . . . . . . .
     in . . . . . . . .

darunter Gebrauchserklärung. Die Rückseite dieses Blattes dient, wie bei der einfachen Postkarte, für die Mittheilung Seitens des Absenders. Die angebogene untere Karte, „bezahlte Rückantwort“ überschrieben, kann der Letztere mit seiner eigenen Adresse versehen, um seinem Correspondenten die Mühe zu ersparen. Beide Karten, die obere wie die untere, werden jede mit einer halben Groschenmarke beklebt.

Der Hauptvortheil dieser Einrichtung liegt nicht sowohl darin, daß beiden Theilen die Mühe und das Porto zweier Briefe erspart wird, als vielmehr in dem Umstande, daß der Adressat in einer sanften, aber unwiderstehlichen Art zu einer Antwort, und zwar zu einer raschen, kurzhändigen, bewogen wird. Referent hat nicht nur selbst in dieser Weise viele glückliche Versuche gemacht mit hartnäckig säumigen Briefschreibern, von denen die Welt wimmelt, sondern auch mehrfach Bekannten, die gesprächsweise über ausbleibende Antworten verzweifelten, den Rath gegeben, jenen Modus anzuwenden, und – nicht ein einziges Mal blieb derselbe ohne Erfolg!

Die Erklärung ist einfach genug. Erstens übt schon die Neuheit der Sache einen spornenden Reiz aus. Sodann wird selbst bei einem verhärteten, mit Briefschulden aller Art belasteten Gemüthe ein Rest von Gefühl sich regen, wenn solch schmuckes Kärtchen als Bittsteller vor ihm erscheint. Das artige kleine Ding wirbt ja nur um wenige Zeilen. Der Befragte braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen, welche Form der Anrede er wählen, ob er „hochachtungsvoll“ oder „freundschaftlich ergebenst“ zeichnen soll, sondern kann, Hegel zum Trotze, den Beweis führen, daß es doch „Inhalt ohne jedwede Form“ in der Welt giebt. So wird denn flugs Bleistift und Scheere genommen, in drei Minuten ist die Sache erledigt und einem hülfsbedürftigen Nebenmenschen ein Dienst erwiesen.

Wie geht’s dagegen mit Briefen? – Hand auf’s Herz! fast Keiner von uns hat da ein ganz sauberes Gewissen. Es ist eine alte Geschichte, doch wem sie just passiret, dem reißt die Geduld entzwei und er ärgert sich (was sehr übel gethan ist), anstatt zu bedenken, daß er selber früher schon Anderen ähnliches Aergerniß gab, den Fall als Sühne zu betrachten und sich zu bessern.

Der „offenen Fragen“, politischer, socialer, confessioneller, giebt’s in der That genug, um einen erklecklichen Theil der vierzig Millionen Deutschen zu beschäftigen und zu beunruhigen. Preis und Dank also unserm unermüdlichen Stephan in Berlin, der durch seine rosenfarbigen Doppelzettel uns hilft, Hunderttausende von kleinen Fragen des Privatverkehrs aus der Welt zu schaffen.

Arthur Michelis.

Zeitungsjungen in New-York. Wer Victor Hugo’s „Les Misérables“ gelesen hat, weiß, was die Pariser Straßenjungen treiben, hat darum aber noch lange die New-Yorker Zeitungsjungen nicht kennen gelernt. In New-York ist bekanntlich eine Zeitung dem einigermaßen gebildeten Publicum ebenso unentbehrlich wie das tägliche Brod. Das Erste beim Erwachen ist ein Verlangen nach der Zeitung; diese so früh zu liefern ist nicht sehr leicht, denn Depeschen werden noch bis drei oder vier Uhr gedruckt, vor fünf Uhr kann also das Blatt die Presse nicht verlassen. Ein Zeitungsträger muß seine Assistenten haben, wovon einige die verschiedenen Zeitungen zusammenbringen und auf bereitstehende Fuhrwerke werfen;

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_119.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)