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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Messe und den Bilderdienstes. Da, am Schlusse einer solchen Predigt, wagte es ein katholischer Priester, eine Messe zu beginnen. Das erregte des Volkes Wuth; ein Stein flog auf den Altar und zertrümmerte ein Bild – und nun begann ein Sturm, der sich nicht gegen Bilder allein austobte, sondern unschätzbare Denkmäler und Kunstwerke vernichtete und sich von Perth über das Land weiter und weiter verbreitete.

Nördlich von Perth, das als römische Gründung lange Zeit den stolzen Namen „Rom des Nordens“ führte, gleich jenseits des „lachsreichen“ Tayflusses, stand die alte schottische Krönungsabtei Scone. Auch dorthin wogte der Bildersturm. Seit dem neunten Jahrhundert, seit Kenneth dem Zweiten, hatte dort der Palast der Könige Schottlands gestanden. Die Stätte war ein Nationalheiligthum. Dorthin eilte nicht nur Graf Murray (James Stuart) der Halbbruder der Maria Stuart, mit seinen Cavalieren, auch John Knox, dessen Lieblingsspruch war: „Man verscheucht die Eulen nicht besser, als wenn man ihre Nester anzündet“ – trat dennoch dort den Stürmenden entgegen, und was keinem gelungen wäre im ganzen Lande, das gelang ihm: er, der die Flamme erzeugt, hatte auch die Macht, sie zu beschwören. Und diese Macht bewährte sich fortan in solchem Maße, daß 1560 der Protestantismus in Schottland die Alleinherrschaft des Glaubens errungen hatte.

John Knox hatte gleichwohl noch manchen Kampf zu bestehen; am schwersten aber traf ihn die Kunde von der Pariser Bluthochzeit. Ueber sie hielt er seine letzte Predigt und starb gleich nachher, am 24. November 1572. – Murray, der Protestant aus Intrigue gegen Maria Stuart, war schon 1569 durch Meuchelmord gefallen.

An der Stätte der alten Krönungsburg zu Scone steht jetzt ein Schloß des Grafen Mansfield. Nur der heilige Krönungsstein, Lia fail, ist gerettet; er wird in der Westminsterabtei aufbewahrt.


Ein vergessenes Grab. Den schönen Leserinnen der Gartenlaube verdient das badische Städtchen Emmendingen, jetzt Eisenbahnstation zwischen Offenburg und Freiburg, mehr als blos dem Namen nach bekannt zu sein, denn dort brachte Goethe’s Schwester Cornelia als Frau Hofräthin Schlosser die vier letzten Jahre ihres Lebens zu und ist dort gestorben und begraben.[1] Bekanntlich heirathete Cornelia nach einem „langwierigen Brautstande“ den als Volksschriftsteller bekannten badischen Hofrath und Oberamtmann der Markgrafschaft Hochburg, Johann Georg Schlosser. Die Hochzeit fand vor nächstens gerade hundert Jahren, am 1. November 1773 statt. Obwohl der Bruder gegen diese Verbindung nichts einzuwenden hatte, sah er doch ungern die geliebte Schwester von dannen ziehen. „Meine Schwester,“ schrieb er, „mußte Schlossern folgen, freilich nicht in eine Residenz, wie sie gehofft hatte, sondern an einen Ort, der ihr eine Einsamkeit, eine Einöde scheinen mußte; in eine Wohnung, zwar geräumig, amtsherrlich, stattlich, aber aller Geselligkeit entbehrend. Einige junge Frauenzimmer, mit denen sie früher Freundschaft gepflogen, folgten ihr nach, und da die Familie Gerock mit Töchtern gesegnet war, wechselten diese ab, sodaß sie wenigstens bei so vieler Entbehrung eines längst vertrauten Umganges genoß.“

Da Schlosser’s Thätigkeit durch seine Berufsgeschäfte und Studien den größten Theil des Tages über in Anspruch genommen wurde, so mochten die Befürchtungen des Bruders in Beziehung auf den neuen Aufenthaltsort der Schwester nicht unbegründet sein. Von Zeit zu Zeit, namentlich in den schönen Sommermonaten, wurde aber die „Einsamkeit“ durch die Anwesenheit lieber Freunde belebt, zu deren Beherbergung die geräumige Amtswohnung (gegenwärtig eine Bierbrauerei) Raum genug bot. Pfeffel und Lerse von Colmar, Heinse, Klinger, Lenz, Sarasin von Basel und Andere standen mit Schlosser in regem Verkehr und waren stets gerngesehene Gäste. Im Sommer 1775 kam auch der Bruder, dessen Dichterruhm damals in raschem Aufsteigen begriffen war. Mit dem Schicksal seiner Schwester hatte er sich jedoch noch nicht versöhnen können. „Aufrichtig“– schrieb er – „habe ich zu gestehen, daß ich mir, wenn ich manchmal über ihr Schicksal phantasirte, sie nicht gern als Hausfrau, wohl aber als Aebtissin, als Vorsteherin einer edeln Gemeine gar gern denken mochte. Sie besaß Alles, was ein solcher höherer Zustand verlangt; ihr fehlte, was die Welt unerläßlich fordert.“

Die gewohnte Frankfurter Geselligkeit und den Umgang mir dem Bruder mußte Cornelia freilich jetzt entbehren. Diese Entbehrung machte sich namentlich des Winters recht fühlbar, wo die Besuche ausblieben und die schöne Natur zur Ruhe gegangen war. Da der Gemahl den größten Theil des Tages auf der Kanzlei beschäftigt war, so bemächtigte sich ihrer zu solchen Zeiten oft ein Gefühl der Einsamkeit, in welches im Winter von 1776–1777 sogar Todesahnungen sich mischten. In einem Brief Cornelia’s an die Gräfin Auguste von Stolberg sind dieselben nicht zu verkennen. „Wir sind hier,“ schrieb sie, „ganz allein; auf dreißig, vierzig Meilen ist kein Mensch zu finden: meines Mannes Geschäfte erlauben ihm nur sehr wenig Zeit bei mir zuzubringen, und da schleiche ich denn ziemlich langsam durch die Welt mit einem Körper, der nirgends hin als in’s Grab taugt. – Der Winter ist mir immer unangenehm und beschwerlich; hier macht die schöne Natur unsere einzige Freude aus, und wenn die schläft, schläft Alles.“

Diese Todesahnungen sollten sich nur zu bald verwirklichen. Am 10. Mai 1777 wurde sie von ihrer zweiten Tochter, Julia, entbunden; am 8. Juni, Vormittags 11 Uhr, rief ein sanfter Tod sie ab. Goethe bezeichnete den Tag des Empfanges der Trauerbotschaft in seinem Tagebuche mit den Worten: „Brief des Todes von meiner Schwester. Dunkler, zerrissener Tag,“ und die folgenden mit: „Leiden und Thränen.“ – An seine Mutter schrieb er: „Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß mir der Tod der Schwester nur desto schmerzlicher ist, da er mich in so glücklichen Zeiten überrascht, da das Glück gegen mich sich immer gleich bezeigt. Ich kann nur menschlich fühlen, und überlasse mich der Natur, die uns heftigen Schmerz nur kurze Zeit, Trauer lange empfinden läßt. Leben Sie glücklich, sorgen Sie für des Vaters Gesundheit! Wir sind nur einmal so beisammen.“

Auf Lenz, welcher während dieser Zeit in Schlosser’s Hause anwesend war, machte der Todesfall einen so erschütternden Eindruck, daß der schon in ihm liegende Trübsinn zu vollem Wahnsinn gesteigert wurde. Man mußte ihn sogar in Ketten legen. Weil das Unglück in der Nähe zu traurig wirkte, gab ihn Schlosser in die Nachbarschaft in Aufsicht.

Die Beerdigung fand am 10. Juni auf dem Emmendinger Kirchhofe statt. Der damalige Pfarrer Bürcklin, welcher auch die Grabrede gehalten hat, schrieb folgenden Eintrag in das Kirchenbuch, welcher hier wörtlich wiedergegeben ist: „Nr. 27. Im Jahr Christi 1777 den 8ten Juni B. M. 11 Uhr starb dahier und wurde den 10ten begraben: Frau Cornelia Friderica Christina Gödin, Ehe Gemahlin Herrn Hoffrath und Land-Schreibers Johann Georg Schlosser, alt 26 Jahr 8 Monath.“ Schlosser blieb noch zehn Jahre in Emmendingen; ein Jahr nach dem Tode Cornelia’s ging er eine zweite Ehe mit Johanna Fahlmer von Frankfurt ein.

Cornelia’s Grab war eine Zeitlang das Ziel der Wallfahrt Vieler, welche dieselbe im Leben gekannt hatten und den Genius des Bruders verehrten. Auch der Letztere stand eines Tages (1778) tief bewegt vor ihrem Grabhügel. Allmählich wurden die Besuche seltener; das Grab verfiel; der Stein mit der Inschrift verschwand. Wer gegenwärtig die Grabstätte besuchen will, der hat zwar vom Stationsgebäude bis zum Kirchhofe nur wenige Schritte zu gehen, das Grab selbst aber findet er nicht. Selbst die Stelle des Grabes ist verschollen. Doch giebt es noch einige ältere Leute, welche ungefähr die Stelle wissen, wo der Stein mit der Inschrift stand. Dicht an der südlichen Umfassungsmauer, wo die Eisenbahn vorüberzieht, zehn Schritte von der westlichen Ecke des Kirchhofes, soll das Grab sich befinden.

Es ist die höchste Zeit, diese Stätte der Vergessenheit zu entreißen. Wir sind dies der Nachwelt schuldig. Denn wenn auch gegenwärtig der Antheil unserer Zeitgenossen an den Gräbern namhafter Menschen der Vergangenheit vor anderen Dingen in den Hintergrund getreten ist, so kann doch leicht wieder eine Zeit kommen, welche jene letzten Spuren aufsuchen und in Ehren halten möchte. Deshalb haben einige Mitglieder der Emmendinger Lesegesellschaft (welche von Schlosser im Jahre 1776 gegründet worden ist) sich vereinigt zu dem Zwecke, die Stelle des Grabes genau zu bestimmen und auf dieselbe einen Denkstein zu setzen, dessen Beschaffenheit von der Größe der eingehenden Beiträge abhängen wird.

Diaconus Maurer in Emmendingen.

Physiognomische Aufgaben Nr. 3.[2] (Mit Portraits, S. 410 u. S. 411.) Die beiden vorliegenden Portraits stellen ein und dieselbe Person dar. Alle unsere Leser kennen das Original und haben es schon in andern Abbildungen gesehen, die sämmtlich einer ältern Lebensperiode entnommen sind, während unsere heutigen aus den Jahren 1846 und 1856 datiren. Beide sind treu und frappant und haben doch wenige Linien der spätern. Jedenfalls zeigt der ganze Habitus des ersten Portraits ebenso sehr die Physiognomie eines lebenslustigen, weltgewandten Kaufmanns- oder Banquiersohns wie die eines vielversprechenden aristokratischen Referendars, der sicher ist, Carrière zu machen. Die noble Haltung, die weiße untadelhafte Halsbinde, der modische Frack sprechen dafür, daß sich das Original des Conterfei’s ebenso sicher auf dem Parquetboden der Banquiersalons wir in den Prachtsälen der gräflichen Schlösser zu bewegen versteht. Dabei verräth uns der dichtgeschlossene feine Mund, daß es seinem sonst lebensfrohen Eigenthümer nicht an Festigkeit fehlt und daß er auch der Rede, wenn er will, vollkommen Herr sein kann.

Zu dem zweiten, zehn Jahre später aufgenommenen Portrait tritt das Exterieur des Banquiersohnes ganz zurück und macht mehr der Erscheinung eines Comptoir- oder Bureau-Chefs Platz. Der damals offene, fast schwärmerische Blick ist verschwunden; oben am Scheitel des Kopfes tritt schon etwas Lichtung ein, und ein fast finsterer Groll brütet jetzt über diesen Augen. Nur die weiße weltmännische Cravatte von 1846 ist geblieben. Der bittere Ernst des Lebens spricht aus diesen Denkerzügen, die etwas Soldatisch-Festes und Energisches angenommen haben; die ganze Haltung aber ist eine reservirte, diplomatische geworden. Gebildete Rittergutsbesitzer, die längere Jahre bei der Cavallerie gedient und sich viel in den Salons der höchsten Schichten der Residenz bewegt haben, sehen dann und wann diesem Portrait ähnlich, aber das Auge des unsrigen hat etwas Berechnendes, fast Lauerndes, blickt aber scharf und fest auf bestimmte Ziele und hat jedenfalls mehr zu erforschen als Kartoffelfelder oder Fichtenwaldungen. Auffallend ist der Mangel jedes Ordenszeichens, das man in unserm Vaterlande doch sonst jedem großen Fabrikanten oder Regierungs-Rath in das Knopfloch wirft.

Wo das Original zu suchen, ob auf dem Comptoir eines Weltetablissements oder in dem Sitzungssaale einer hohen Behörde – wir überlassen dies dem Scharfsinn unserer Leser.


Wilhelm Bauer, unser Submarine-Ingenieur in München (Theresienstraße Nr. 69), schreibt uns, wie sehr, in seinem großen körperlichen Elend, ihm Geist und Herz erquickt werde durch die oft wahrhaft rührende Art und Weise, mit welcher die vielen Gönner und Freunde seiner Unternehmungen aus der Zeit, wo er noch rastlos schaffen konnte, ihm nun ihre Theilnahme bethätigen, nachdem sie durch die Gartenlaube von seinem fast hoffnungslosen Leidenszustande unterrichtet sind. Außer den herzlichsten Zuschriften sind ihm für seine Photographien schon nahe an neunhundert Gulden zugesandt worden, und wenn diese auch nicht hinreichen, um seinen letzten Lebenswunsch, die Ausführung des Modells seiner neuesten Motionsmaschine, zu erfüllen, so hält er doch die Hoffnung fest, dieses Ziel noch zu erreichen. – Für diesen Sommer ist er von dem Besitzer des Keinzensbades bei Partenkirchen eingeladen, dort, zweitausenddreihundert Fuß über dem Meere, als dessen Gast eine Saison zu seiner Erholung zuzubringen. Möchte die Natur ein Meisterstück ihrer Heilkraft liefern!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_414.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)