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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Von dem orthodox-particularistischen Standpunkte der jesuitischen Anschauung, die mit der der Katholiken in romanischen Ländern und speciell mit der der Curie identisch ist, ist der größte Verbrecher, wenn er nur katholisch ist, vor Gott weit besser daran, als jeder Nichtkatholik; denn jener erlangt nach der ersten Absolution sofort sein Seelenheil wieder, was für diesen unmöglich ist. Es wird zwar zugegeben, daß ein Andersgläubiger, der nie etwas von der römischen Kirche gehört hat, in seinem Glauben aus besonderer Gnade Gottes selig werden kann, das ist aber nicht möglich für diejenigen, die die katholische Kirche kennen, da sie, wenn sie nur eine Spur von Wahrheiten liebe hätten, früher oder später zum Nachdenken über die in die Augen fallende Einigkeit, Heiligkeit und Allgemeinheit der Kirche bewogen werden und sich bekehren müßten.

Wie soll nun das Seelenheil der Katholiken erhalten und gefördert werden? Mit anderen Worten: Worin besteht die Seelsorge der Jesuiten?

Zuerst muß, um die Augen der Leute anzuziehen und zu blenden, der Gottesdienst recht glänzend sein. Die Kirchen der Jesuiten sind gewöhnlich mit vielen Altären und Bildern geschmückt; auf dem Hochaltare brennen an Festtagen dreißig und mehr Kerzen; von früh Morgens bis spät Abends wird fortwährend gebetet und gesungen; die Messen werden mit glänzender Assistenz, die Processionen mit zahlreicher Begleitung der Cleriker abgehalten. Zahlreiche Bruderschaften werden eingeführt, wie die Rosenkranz-, Scapulier-, Herz-Mariä-Bruderschaft. Alle diese sind mit zahlreichen Ablässen versehen und haben ihre bestimmten Feste, so daß des Gottesdienstes kein Ende ist. Auch sind mit dem Eintritte in diese Bruderschaften nach besonderen Offenbarungen außerordentliche Gnaden verbunden. So soll derjenige, der mit dem Scapulier stirbt, laut einer Offenbarung, die dem Carmeliter Simon Stock im dreizehnten Jahrhundert geschah, am nächsten Sonnabende nach seinem Tode aus dem Fegefeuer befreit werden und in den Himmel kommen. Ueberhaupt florirt unter anderen Aeußerlichkeiten ganz vorzugsweise die Heiligenverehrung. Ganze Monate werden bestimmten Heiligen gewidmet; in zahlreichen Novellen wird besonders den Heiligen der Gesellschaft der gebührende Cult erwiesen. Die Feste der Mutter Gottes und die Ordensheiligen werden mit viel größerem Pomp begangen, als die Feste Christi. Ich kann dreist sagen, daß im Innern des Ordens selbst und in den Kirchen desselben die Verehrung Gottes durch die der Heiligen vollständig erstickt wird.

Die hauptsächlichste seelsorgliche Beschäftigung der Jesuitenpatres besteht in der Abhaltung von Missionen, damit jeder Gläubige Gelegenheit erhalte, den Stand seiner Seele einer gründlichen Revision zu unterwerfen. Der Stoff der Missionspredigten im Großen und Ganzen beruht auf den Anleitungen des Ignatius zu den geistlichen Exercitien. Es wird in täglich vier bis fünf Predigten über die Bestimmung des Menschen, den Fall Adam’s, die Hölle, den Tod und das Gericht geredet. Der Zweck dieser Predigten ist die Erregung der größtmöglichsten Furcht in den Gemüthern und Anleitung zu einer Generalbeichte.

Dann wird auf Belehrung und Bekehrung des Volkes viel durch Katechisation gewirkt. Jeder Novize, der kaum nothdürftig seinen Katechismus gelernt hat und oft ein Knabe von fünfzehn Jahren ist, muß in der Kirche, der Sacristei und den Wohnhäusern älteren Leuten die Glaubenswahrheiten beibringen. Besonders werden Brautleute vor der Ehe solchen Knaben zur Katechisation überwiesen.

Gebildete Leute, besonders Weltpriester, werden dazu angehalten, sich den geistlichen Exercitien unter jesuitischer Leitung zu unterziehen. Im Verlaufe derselben wird an geeignerer Stelle das Thema von der Standeswahl erklärt und der Betrachtung überwiesen. Es geht nämlich darum, daß Derjenige, der sich noch in keinem unveränderlichen Stande befindet, wie es der Ehe- oder Ordensstand ist, sich einen solchen wähle; aber dies nicht nach eigenem Hange, sondern nach dem Willen Gottes. Man soll sich daher jedem Stande gegenüber zuerst indifferent verhalten, um jeden persönlichen Hang zu unterdrücken, und zur besseren Ermöglichung Dessen sich auf die Seite des Schwereren und dem Willen Entgegengesetzten neigen. Erst dann soll man unter Gebet und Betrachtung sich einen Stand wählen. Es ist klar, daß eine solche Betrachtung unter dem noch frischen Eindrucke der vorhergehenden Höllenbetrachtungen die geeignetste ist, dem Orden Proselyten zuzuführen, was auch die Geschichte des Ordens und für mich meine eigene Erfahrung bestätigt.




Ein Festtag des deutschen Volkes.


Was schreiben, theurer Schatte,
Wir auf Dein Mal von Erz?
Seht an den Mann, er hatte
Für unser Volk ein Herz!
     Karl Simrock.

Wieder lag es vor mir, das liebliche Schwaben mit dem Glanz seiner Thäler und der Pracht sanft aufsteigender Berge, mit seinen wohlgebauten Städten und gesegneten Dörfern! Schon hatte der Eilzug das von bewaldeten Höhen kranzartig umgebene Stuttgart passirt, und ich gedachte der Worte Ulrich von Hutten’s: „Nicht leicht hat Deutschland eine schönere Gegend als diese, das fruchtbarste Gefilde, wunderbar gutes und gesundes Klima, Berge, Wiesen, Thal, Flüsse, Quellen, Wälder, Alles auf’s Anmuthigste.“

Vorbei noch an dem Stuttgart so nahen Cannstatt, dem beliebten Bade und Sorgenfrei der Württemberger, aber auch der Engländer, das Freiligrath sich zum Musensitz erkoren und von dem man nicht mit Unrecht sagt, daß es einen fast südländischen Charakter trägt. Und vorbei noch an Eßlingen, einer der fleißigsten und bedeutendsten Fabrikstädte Süddeutschlands, reich an historischen Erinnerungen. Die Chronik berichtet hier schon Mancherlei von schwäbischem Mannesmuth; denn kernfest ist der Schwabe und, wie Uhland singt, „tapfer, wenn er ficht“. Hoch klingt aber auch das Lied von Frauenmuth, von den Weiblein des in der Nähe liegenden Schorndorfs, die dem grausamen Melac, dem Verwüster der Pfalz, mit Besen, Schaufeln und Düngergabeln die Wege wiesen, – von der edlen Jungfrau Eßlingens selber, welche dem Franzmanne zum Opfer dargebracht wurde, um ihn von der gänzlichen Zerstörung der Stadt abzuhalten.

Bei Station Plochingen theilt sich die Bahn. Nicht die Sommerfrische war es indessen, die wir im Augenblicke suchten. Im Fluge ging es nun die romantischen Höhen der schwäbischen Alb entlang dem eigentlichen Bestimmungsorte zu. Mit echt schwäbischer Herzlichkeit, wie sie diesen Volksstamm kennzeichnet, hatten mich Freunde zur Enthüllungsfeier des Uhlanddenkmals nach Tübingen eingeladen.

Die Waldkronen und Felskuppen zur Linken waren wie der Prolog zu der schönen Dichtung, welche die Musenstadt selber uns weihen wollte. In der vielbesungenen Schwabenalb, die „allenthalb blau nach der Ebene winkt“, ragt in wehmüthiger Verlassenheit, einsam aber doch groß, der Hohenstaufen, dessen zum Theil entschwundene Schönheit – von der Stammburg ist bekanntlich kaum noch ein Mauerrest übrig – Uhland in seinem Fragment „Konradin“ den deutschen Freund so rührend schildern läßt, um den unglücklichen Heldenjüngling in’s Vaterland zurückzulocken. Von Metzingen aus wird Urach bald an das große Eisennetz gekettet sein. Dann hielten wir bei dem früchtereichen Reutlingen mit der „Achalm auf dem Felsen“ – Ich aber gedachte der fröhlichen Studienzeit und eines schönen Ausfluges zu dem seitab liegenden, durch Hauff’s Dichtung verherrlichten Schloß Lichtenstein, wie seine Zinnen in der Sonne glänzten, der märchenhaft schönen Nebelhöhle, in welcher im Roman der vertriebene Herzog von Württemberg und Georg von Sturmfeder zusammentreffen.

Endlich waren wir in Tübingen angelangt. Einige Mitglieder des Uhlandcomite’s, an hochrothen Bändern mit weißen Rosetten kenntlich, waren am Bahnhofe, um ihre Ehrengäste persönlich in Empfang zu nehmen. Brave Turner und Ehrengeleitsmänner mit blauen Schleifen versahen eifrig ihr Amt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_502.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)