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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

den letzten Teich nicht zu oder legt ihn trocken, um saures Futter darauf zu erbauen. Bebaut die flüssige Ackerkrume rationell! Sie ist nicht weniger dankbar, als das Feld! darum: Saat in’s Wasser! Vielleicht erleben wir noch, daß die traditionellen Forellenwirthshäuser des Erzgebirges wieder in die alten Rechte ihres Ruhmes eintreten, die sie mit ihren bejammernswerthen Miniaturausgaben gegenwärtig ganz verloren haben.

Den Männern aber, welche die Natur so wacker unterstützen, ein treues erzgebirgisches Glückauf! Möge sie Euch danken mit hundertfältiger Frucht!Gampe.     


Vom Ewigen Juden.

An einem winterlichen Sonntage des Jahres 1542 bemerkten die andächtigen Besucher einer der Hauptkirchen Hamburgs während der Predigt einen Mann von auffallendem Aeußern, welcher der Kanzel gerade gegenüber stand. Trotz der strengen Winterkälte war er barfuß und trug an Kleidern nur ein Paar durchlöcherte Hosen, einen bis zu den Knieen herabreichenden mit einem Strick um die Hüften gegürteten Rock und darüber einen grauen fadenscheinigen Mantel, der bis zu den Füßen hinabreichte. Das ergraute Haar des unbedeckten Hauptes wallte in langen Strähnen auf die Schultern herab. Seine hohe mächtige Gestalt ragte weit über die Umstehenden empor. Er lauschte mit solcher Andacht den Worten des Predigers, daß seine Gestalt unbeweglich schien. Nur wenn der Name Christi von der Kanzel erscholl, verneigte er sich, kreuzte die Arme über der Brust und seufzte tief auf.

Die Erscheinung erregte Aufsehen, und man forschte ihr weiter nach. Da erfuhr man, daß der geheimnißvolle Fremde schon einige Zeit sich in Hamburg aufhalte, in Jerusalem geboren, seines Handwerks ein Schuster sei und sich nenne Ahasver. Er sei, so hieß es, ein persönlicher Zeuge der Kreuzigung Christi gewesen und seitdem am Leben geblieben. Zur Bestätigung dieser seltsamen Mähr erzählte er die Umstände, unter denen das Leiden und die Kreuzschlagung Christi vor sich gegangen, weit genauer, als die Evangelien und heiligen Geschichten. Ebenso genau kannte er die Ereignisse, welche in den nächsten Jahrhunderten nach Christi Tode im Morgenlande sich zugetragen hatten, wußte die Lebensschicksale, das Lehren und Leiden der Apostel. Er führte ein stilles und eingezogenes Leben, war in sich gekehrt und schweigsam, sprach nur, wenn man fragend in ihn drang, und nie sah man ihn lachen. Dabei redete er die Sprache fast aller Länder. Um ihn zu sehen und zu hören, kamen viele Neugierige oft aus weiter Ferne nach Hamburg. Manche luden ihn auch wohl zu sich ein. Dann bekundete er stets eine große Mäßigkeit im Essen und Trinken. Kleine Geldgeschenke nahm er gern an, vertheilte sie aber sofort unter die Armen, indem er angab, selbst nichts zu bedürfen.

Einigen, darunter namentlich dem späteren Bischof von Schleswig, Doctor der heiligen Schrift, Paulus von Fitzen[WS 1], der damals noch in Wittenberg studirte, sich aber besuchsweise bei seinen Eltern in Hamburg aufhielt, gelang es, weiter in das Geheimniß einzudringen, das den Fremden umgab. Diesem erzählte er: Er habe zur Zeit des Auftretens Christi das Schuhmacherhandwerk in Jerusalem betrieben, gleichzeitig aber viel Verkehr gehabt mit den Schriftgelehrten und Pharisäern. Mit ihnen und den Hohenpriestern habe er Jesus, den er für einen Volksverführer gehalten, verfolgt, an seiner Gefangennahme mitgewirkt und das „kreuzige“ über ihn mitgerufen. Als derselbe nun auf dem Gange zum Tode an seinem Hause vorübergekommen, habe er sein Hausgesinde zusammengerufen, damit sie sich Alle an dem Anblick des Verurtheilten laben möchten. Sein kleines Kind habe er selbst auf den Arm genommen, um ihm den Vorüberwandelnden zu zeigen. Da sei dieser unter der Last seines Kreuzes zusammengebrochen und habe sich an die Pfosten seiner, Ahasver’s, Hausthür gelehnt, um ein wenig auszuruhen. Er, Ahasver, sei aber scheltend zu ihm herangetreten und habe ihn gehen heißen. Da habe Jesus sich erhoben, ihn angesehen und also geredet: „Ich will stehen und ruhen, Du aber sollst gehen und wandern immerdar.“ Und von Stund an habe es ihn im eigenen Hause nicht mehr gelitten, er habe sein Kind hingesetzt, sei dem Zuge nachgefolgt gen Golgatha, habe die Kreuzigung mit angesehen und nicht vermocht, in die Stadt Jerusalem zurückzukehren. Ohne Weib und Kind wieder zu begrüßen, sei er ruhelos gewandert von Land zu Land. Als er nach hundert Jahren wieder nach Palästina gekommen, sei Jerusalem ein Trümmerhaufen gewesen. Inbrünstig sehne er sich nach Ruhe und Erlösung.

Dies Alles erzählt uns das Volksbuch vom Ewigen Juden, das als solches in erster Ausgabe, „gedruckt in diesem Jahre“ (1662) zu Leyden und gleichzeitig zu Bautzen erschien. Es gründet sich auf einen Bericht eines der Schüler jenes Paulus von Fitzen, des Westphalen Chrysostomus Dädalus, der diesen nach einer mündlichen Erzählung seines theologischen Lehrers bereits im Jahre hatte 1564 hatte zum Druck gelangen lassen.

Doch war Das nicht die erste schriftliche Erwähnung des wunderbaren Wanderers. Schon im dreizehnten Jahrhunderte hatte ein englischer Chronist, der Mönch Paris (Matthäus Parisiensis) in seiner historia major berichtet, daß ein armenischer Bischof die Nachricht nach England gebracht habe, in Armenien lebe ein Mann, der Jesus noch gesehen hätte. Er sei unter dem Namen Cartaphilus Pförtner des Palastes von Pontius Pilatus gewesen, habe Jesus, als er durch das Thor des Palastes gegangen, mit der Faust in den Nacken geschlagen und spottend zu ihm gesagt:

„Geh’ hin, Jesus, immer geh’ schnell! Was zögerst Du?“

Darauf habe Jesus geantwortet: „Ich gehe, und Du sollst warten, bis ich wiederkomme.“

Alle hundert Jahre befalle diesen Armenier eine unheilbare Schwäche, er liege eine Zeitlang in Ohnmacht, lebe dann aber wieder auf und komme wieder in das Alter, in welchem der Herr zur Passionszeit gestanden habe. Später sei er Christ geworden und habe in der Taufe den Namen Joseph erhalten. Er harre der Wiederkunft Jesu und damit seiner Erlösung.

Das Stillleben in dieser seiner Heimath Armenien mochte ihm später wohl nicht behagt haben; er bricht also auf und beginnt im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts als Ahasver seine Wanderung durch Europa, durch die Welt. Denn nach seinem Auftauchen in Hamburg – einige Jahre vorher auch in Böhmen – kommt er rasch nacheinander zum Vorschein in Madrid, Wien, Lübeck, Krakau, Moskau, Paris, Naumburg, Stade, Brüssel, Leipzig und München. In den Niederlanden führte er den Namen Isaak Laquedem; in Spanien bemerkte man ihn mit einer schwarzen Binde auf der Stirn, mit welcher er ein flammendes Kreuz bedeckt, das sein Gehirn ebenso rasch, als es wächst, wieder verzehrt.

So war denn die geheimnißvolle Figur des Ewigen Juden, welche den Beinamen Ahasver sich erwarb, auf einmal in der Welt. War die Sage früher da, als die sie tragende Person? Trug man sie erst auf diese über oder ist die Sage erst von der auftretenden Person erfunden worden, sei es aus egoistischem Interesse, sei es aus geistigem Wahne? Wer weiß es? Das Geheimniß aller Schöpfung liegt auch zumeist auf der Entstehung der Sagen. Aus der Bibel stammt unsere Sage nicht. Im neuen Testamente kommt nicht einmal der Name Ahasver’s, geschweige seine Geschichte, vor, im alten wenigstens die letztere nicht. Der Versuch, die Stelle im Capitel 21 des Evangeliums Johannis mit ihr in Beziehung zu bringen, nach welcher Jesus im Bezug auf seinen Lieblingsjünger geäußert haben soll: „Dieser Jünger stirbt nicht, er wird bleiben, bis ich komme,“ ist so gezwungen, daß er jedenfalls erst später gemacht worden ist, nachdem die Sage bereits entstanden war.

Es besteht vielmehr die Wahrscheinlichkeit, daß die Figur und ihr angedichtetes Schicksal eine ursprünglich geistliche Erfindung war, in der Absicht geschaffen, gegenüber dem hier und da auftauchenden Unglauben an die einstige wirkliche Existenz Jesu ein lebendiges Zeugniß zu gewinnen. Auch gehört der Fluch, der Ahasver’s Unglauben folgt, gewissermaßen in das Capitel der Erbsünde. Jedenfalls aber hat sich die Sage bald aus dem geistlichen Gewande herausgeschält. Sie drang ein in das Bewußtsein

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist Paul von Eitzen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_128.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2023)