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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


Des Lenzes Wappen.

 Mit Abbildung.

Holla, Menschlein, aufgeschaut!
Seht das Wunder wieder,
Wie der warme Himmel thaut
Auf die Welt hernieder!

5
Stand der graue Weidenstrunk

Gestern noch verdrossen, –
Heute hat vom Himmelstrunk
Selig er genossen.

Gestern fiel noch aus der Höh’

10
Manches weiße Flöckchen, –

Heute blühen, Osterschnee,
Alle deine Glöckchen.

Um die Eiche necken sich
Rings im Kreis die Veilchen,

15
Nur sie selber lächelt: Ich

Warte noch ein Weilchen!

Wie zum Strauße Flur und Hain
Bieten Perl’ um Perle:
Maßlieb, Primel, Waldröslein,

20
Birke, Ulm’ und Erle.


Holla, Menschlein! Führt heraus
Lenzeslust die Sonne,
Wird die ganze Welt ein Strauß
Sel’ger Blumenwonne.

25
Blumen, Laubwerk, Wiesengrün –

Alles bricht in Masse
Neuem Liebeleben kühn
Eine freie Gasse.

Denn, wo auch des Straußes Bild

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Uns entgegen glänze:

Frischer Liebe ist’s der Schild,
Wappen ist’s dem Lenze.

Bring’, o Strauß, dein junges Glück,
Bring’ es auch den Alten,

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Daß sie immer noch ein Stück

Lenz für sich behalten!

Drückt man mir den letzten Strauß
In die kalten Hände,
Dann erst sei mein Frühling aus

40
Und mein Lied am Ende!


 Friedrich Hofmann.




Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
1. Madame Tallien.
(Schluß.)

Die Rede wurde vom Convent den Comités des Unterrichts und der öffentlichen Wohlfahrt mit ehrenvoller Erwähnung zugesendet. Doch Therese sollte keine barmherzige Schwester werden; der Haß Robespierre’s bewahrte sie vor diesem Wirken, das sie selbst mit solcher Begeisterung gepriesen hat. Robespierre haßte die Sirenen und Circen, die verführerischen Schönheiten, die im politischen Leben eine Rolle zu spielen suchten. Hatte er doch selbst eine Manon Roland auf das Schaffot geschickt. Er haßte überdies Tallien, dem er weder seinen Ehrgeiz und seine wachsende Bedeutung, noch seine zur Schau gestellten Liebesabenteuer verzieh. Auf einen Befehl des Wohlfahrtsausschusses wurde Therese verhaftet. Sie selbst erzählt, es sei dies auf ihrem Schlosse Fontenay-aux-Roses geschehen, bei einem Feste, dem anfangs auch Robespierre beiwohnte. Sie erinnerte ihn daran, welche Rolle sie als die Göttin des Erbarmens in Bordeaux gespielt habe; er war bis zu Thränen gerührt und verhieß, daß alle Gefängnisse bald sich öffnen würden. Man träumte sich in Arkadien. Der Advocat von Arras, ein Freund der Musen, gab manches Madrigal zum Besten und sog den Duft seines Blumenbouquets ein, das er stets bei sich trug, im Wohlfahrtsausschuß wie später bei dem Feste des höchsten Wesens. Er verließ die Gesellschaft frühzeitig, indem er galant der schönen Wirthin sein Bouquet zum Abschied überreichte. Therese sprach zu Tallien: „Sieh, wie man ihn verleumdet hat – er ist der gerechteste aller Menschen!“ Man tanzte und amüsirte sich noch eine geraume Zeit – da traten plötzlich Gensd’armen in den Saal, drängten sich unter die tanzenden Frauen, stießen sie bei Seite und ergriffen Madame de Fontenay. Tallien wollte die Eindringlinge entwaffnen, doch die Uebermacht war zu groß. Der Verhaftsbefehl trug die Unterschrift Robespierre’s.

Therese wurde zuerst in das Gefängniß de la Force gebracht, wo es Tallien gelang, ihre Lage zu erleichtern, und wo er mit ihr correspondirte durch Briefe an Steine gebunden, die er von einem benachbarten Dachfenster in den Gefängnißhof warf. Dann wurde sie in das Gefängniß der Carmeliter geführt; hier bewohnte sie mit andern einen gemeinsamen Kerker. Man zerstreute sich, indem man mit dem Tode sein Spiel trieb. Man parodirte das Revolutionstribunal, ja selbst die Guillotine, und erschien dann als Gespenst im Leichentuch. Hier saß Therese zusammen mit Josephine Beauharnais, deren Gatte enthauptet worden war, weil er als General der Republik am Rhein unglücklich gewesen war. Dieses Gefängniß barg die Zukunft Frankreichs – den Sturz der Schreckensherrschaft und die Kaiserkrone.

Die Haft und Lebensgefahr der Geliebten drängten Tallien zu raschem Entschluß. Enger schlossen sich die Gegner Robespierre’s zusammen, der nach dem Feste des höchsten Wesens immer lauter des Strebens nach der Dictatur beschuldigt wurde. Eines Tages erhielt Tallien in geheimnißvoller Weise einen Dolch.

Man wußte nicht, wer ihn gebracht hatte; er fand ihn auf seinem Tische. – Er erkannte den Dolch; er war ein spanisches Erbstück von Therese Cabarrus. Es war eine stumme, aber beredte Mahnung. Der Tyrann mußte gestürzt werden – oder der Dolch war der letzte Gruß seines Opfers.

Und über Robespierre, der sich wochenlang thatlos aus dem Convent und aus den Ausschüssen ferngehalten, welcher nur bei seinen geliebten Jacobinern bisweilen die Macht seiner Beredsamkeit erprobte, welcher gerade jetzt geneigt schien, in milderen Formen die Ideale Rousseau’s zu verwirklichen, brach das Verhängniß herein. An dem gluthheißen Tage des 9. Thermidor wagte der bisher lautlose Convent den Sturm auf den Dictator. Und es war ein furchtbarer Sturm, wie ihn selten eine Versammlung von Gesetzgebern erlebt hat; denn es war der gewaltige Losbruch aller lange durch Furcht gefesselten Leidenschaften. „Nieder der Tyrann!“ erscholl es von den Bänken des Convents, als Robespierre das Wort ergreifen wollte. Tallien hatte in einer glühenden Rede ihn zu Boden geschmettert und den Dolch der Therese Cabarrus in der Hand, schwang er sich wieder auf die Tribüne mit den Worten: „Ich habe mich mit diesem Dolche bewaffnet, um den neuen Cromwell zu durchbohren, wenn der Convent nicht den Muth hat, ihn in Anklagestand zu setzen. Es geschieht; Robespierre wird verhaftet. Noch einmal schwebt Frankreichs Schicksal auf der Schneide des Schwertes; denn das Volk von Paris befreit seinen Liebling; die Commune greift zu den Waffen; die Kanonen des betrunkenen Henriot richten sich gegen den Convent. Doch die Truppen des Convents sind siegreich; Robespierre wird auf dem Stadthaus abermals gefangen genommen. Er besteigt das Schaffot.

Der Dolch der Therese Cabarrus hat seine Schuldigkeit gethan. Seit jener Zeit heißt sie „Notredame de Thermidor“, und nur ihre Feinde nannten sie, unter Anspielung auf Tallien’s Betheiligung an den Septembermorden, die er selbst stets in Abrede gestellt hatte, „Notredame de Septembre“.

Therese wurde Madame Tallien und blieb, so lange die Herrschaft der Thermidoristen dauerte, ein Jahr hindurch, die Königin von Frankreich. Kaum hatte sich dieses Land von dem Druck der Schreckensherrschaft etwas erholt, so fing es schon wieder an auf dem Vulcan zu tanzen. Noch immer war die Guillotine in voller Arbeit; denn die Reaction hat ihre Schrecken wie die Revolution – und schon eröffnete Madame Tallien ihren Salon. Es war ein bahnbrechender, ein erobernder Salon, der sich mitten hineinschob in den Schutt und die Trümmer der Schreckensherrschaft – und darin besteht seine Bedeutung. Das Reich der Künste und der Mode, der Grazie und der Musen fand seine Priesterin in jener Aristokratin, welche wie eine Armide den Schreckensmann gebändigt hatte und jetzt an seiner Seite des höchsten Ansehens genoß, so lange der Sturz Robespierre’s als ein Sieg der wahren Freiheit gefeiert wurde. Noch bei dem Jahresfest des 9. Thermidor war Tallien der Held und spielte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_240.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)