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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sessel saß, mit seinen großen Augen unaufhörlich beobachten, als wenn er jeden Gedanken unter dessen Stirn entziffern wollte. Zeger hatte wirklich schöne Augen, auf die er sich nicht wenig einbildete, denn sie hatten, wie er selbst sagte, Aehnlichkeit mit den Augen des alten Fritzen. „Mein Großvater selig,“ erzählte er oft, „wenn der mich so auf seinem Knie reiten ließ und mir dabei in die Ogen sah, sagte immer: ‚Der Junge hat die ganzen Ogen von dem ollen Fritzen.‘“

Stavinsky trug stets ein großes spanisches Rohr mit einem Goldknopfe, mit dem er bei Proben bald hierhin, bald dorthin deutete, wenn etwas nicht nach seinem Sinne gemacht wurde; dabei zog sich dann seine hohe Stirn in düstere Falten, die Zeger sofort nachahmte, indem er zu irgend Jemandem, der gerade in seiner Nähe stand, sehr wichtig thuend sagte:

„Da! Das habe ich längst vorhergesehen, daß die Krelingern ihm das nicht recht macht. So was kann sie och nich; das müssen Sie einmal von meiner Tochter bei mir zu Hause sehen, die hat das weg. Ich und Stavinsky wissen gleich, wo der Hase im Pfeffer liegt. Wir kennen den Rummel. Was die dramatische Kunst anbelangt, will ich ’mal zwei Menschen, wie ich und Stavinsky, suchen, die so rinnjedrungen sind, er durch das Studium, ich durch das viele Sehen.“

Hatte Stavinsky den alten Zeger gerufen, so zog dieser sein Käppchen, ging mit dem sogenannten Trauerspielschritt gravitätisch zu dem Oberregisseur und fragte echt Berlinisch: „Wat befehlen Sie, Herr Stavinsky?“

Hatte Zeger Dienst im Vorzimmer des Generalintendanten, so zeigte er Leuten, die zum ersten Male mit ihm in Berührung kamen, seine wichtige Breitspurigkeit, ohne sie zu verletzen; vor solchen Leuten spielte er den allmächtigen Protector und that, als ginge Alles durch seine Hand. Niemandem konnte der gutmüthige alte Mann irgend etwas abschlagen, wenn es in seiner Macht lag, die an ihn gestellte Bitte zu gewähren. Dahin gehörte ganz besonders das schnelle Anmelden beim Generalintendanten. Wehe aber der Persönlichkeit, die ihm irgendwie Interesse erregte! Sie konnte sicher sein, mit der Meldung zuallerletzt an die Reihe zu kommen. Solch eine Persönlichkeit nahm er, um sich die Langeweile zu vertreiben, sofort für sich in Beschlag; sie fiel ihm zum Opfer. Mit freundlichem Lächeln reichte er so einem Opfer einen Sessel, und indem er sich diesem schmunzelnd gegenübersetzte, sagte er zu seinem Langeweilevertreiber:

„Haben Sie man Geduld! Sie kommen och an die Reihe. Der große Ludewig ist bei dem Chef drinn – der macht nich lange. Hören Sie ihn, wie er kräht? Das is ein Mensch? Was sage ich, Mensch? Ein Gott is er! So einen Künstler kann man mit der Laterne suchen – so einen findet man nicht mehr. Haben Sie ihn gestern als Franz Moor gesehen? Groß! Alle Hökerweiber auf dem Gensd’armenmarkt haben eine Gänsehaut bekommen, so schrecklich niederträchtig war er.“

„Habe den großen Devrient gestern als Franz gesehen und theile vollkommen Ihre Meinung,“ erwiderte schüchtern das Opfer und erhob sich dabei aus seinem Sessel.

Doch indem er sein Opfer schnell wieder in den Sessel drückte, sagte er: „Des is mir lieb, daß Sie derselben Ansicht sind. Bin ein oller Kunstkenner, der in seinem Leben Vieles gesehen hat.“

„Wollen Sie mich nicht dem Herrn Generalintendanten –“

„Melden?“ rief der alte Zeger. „Das versteht sich! Aber warten Sie man noch ein Bischen! Der Generalintendant loft Ihnen nich fort,“ und dabei drückte er sein Opfer, das sich abermals erhoben, wieder in den Sessel. „Zuerst müssen die vier Balletmädchen, die da am Fenster stehen und zusammen tuscheln, über Seite gebracht werden. Die Couleur kennen Sie nich. Sie wollen Zulage – kriegen sie och, denn unser alter König geht gar zu gerne in das Ballet. Das ist eine Sorte! Lasse ich die nich vor Ihnen rinn, giebt es hier einen Mordspectakel.“

Als die Mädchen in der Fensternische bei ihrer Berathung etwas allzu laut wurden, erhob sich Zeger von seinem Sessel, und voller Würde auf das vierblätterige Kleeblatt zuschreitend, rief er:

„Ruhig hier oben! Hier ist keen Balletsaal, wo Ihr dem Balletmeister Hoguet auf der Nase danzen könnt. Hier bin ich. Verstanden?“ Und sich wieder zu seinem Opfer wendend, sagte er, indem er es wieder in den Sessel drückte: „Was sagen Sie zu der Gesellschaft? Den Schlag könnte Einem die Bande an den Hals ärgern.“

Da trennte sich ein Blättchen vom Kleeblatte, hüpfte wie eine Elfe auf den Zehenspitzen gar zierlich zu dem alten Zeger, und ihm vertraulich die Schulter klopfend, sagte das Blättchen, ihn hold anlächelnd: „Papa Zegerchen thut uns nichts, der hat uns Alle viel zu lieb.“ Und damit sprang es in die Fensternische zu den Gefährten zurück.

„Na, was sagen Sie zu der Gesellschaft?“ fragte Zeger sein Opfer, es abermals in den Sessel drückend. „Schmeicheln kann die Sorte wie die Katzen.“

Da öffnete sich plötzlich die Thür des gräflichen Bureaus, und es erschien in derselben ein Mann, hell wie ein Prometheus, vom Sonnenglanze umstrahlt, dessen Kopf dichte dunkle Locken schmückten und dessen Augen, zwischen denen eine Adlernase thronte, glühende Funken zu sprühen schienen. Freundlich begrüßte er Alle, die sich im Vorzimmer befanden, und indem er dem alten Zeger vertraulich auf die Schulter klopfte, rief er:

„Na, Alter, wie habe ich Dir gestern als Franz gefallen?“

Schmunzelnd erwiderte Zeger: „Jottvoll! Das heißt: Sie waren niederträchtig – man konnte Ihre Schlechtigkeiten gar nicht mehr mit ansehen.“

„Das freut mich. Guten Morgen!“ Und damit ging der Mann mit dem Feuerblicke schnell zur Thür hinaus.

„Wissen Sie, wer das war?“ fragte er mit leuchtenden Augen sein Opfer. „Das war mein Ludewig, mein großer Ludewig Deverient. Mich fragt er jedes Mal, wie er mir gefallen habe. Auf mein Urtheil giebt er Alles. Der Ludewig is ein großer, großer Künstler. Wenn der einmal dahin geht, wo ihn keen Inspicient wieder zur Scene rufen kann, kommt so Einer nie wieder, und bei alledem ist er eine Seele von einem Menschen. So niederträchtig, wie er auf der Bühne ist, so gut ist er im Leben. Alles giebt er weg, wenn er auch selbst nichts hat.“

Da tönte die Glocke im Bureau des Chefs.

„Komm’ gleich wieder,“ ruft Zeger seinem Opfer zu und eilt in das Bureau des Generalintendanten, aus dem er sofort wieder erscheint und den Balletmädchen zuruft: „Rinn, Bande!“ Sie eilen schnell in’s Bureau des Generalintendanten. Und sich zu seinem Opfer wendend, sagte er: „Wenn die Bagage fertig ist, kommen Sie ran. Habe Sie dem Generalintendanten schon gemeldet,“ und setzte sich ihm behaglich wieder gegenüber. „Hier war das früher, noch unter Brühl’s*[1] Zeiten, ganz anders, mein lieber junger Mann. Wie Iffland noch Generaldirector war, gab es noch so eigentlich keenen königlichen Hoftheaterdiener, wie ich es gegenwärtig bin – noch lange nich; da wurden olle ausgediente Unterofficiere von der Garde mit langen Zöpfen commandirt, die etwas lesen und schreiben konnten; die mußten den Dienst besorgen. Ich bin der erste, wirklich studirte, angestellte königliche Hoftheaterdiener; dazu hat mir der Geheimerath Rust verholfen, dessen Famulus ich war, das heißt, ich barbierte ihn und leistete bei seinen Operationen allerlei Handleistungen. In seinem Hause habe ich mir die hohe Bildung zu eigen gemacht, denn da verkehrten alle großen Dichters. Im Jahre 1803 war Schiller bei Rusten zum Besuch; das war Ihnen ein lieber leutseliger Mensch! der echte Schwabe! keene Idee von Stolz. Auch Goethe kam zum Besuch – der war gerade das Gegentheil von Schillern, der reene Fürst! puh! der war stolz! Auch der Oberconsistorialrath Herder aus Weimar und Herr Wieland kamen zu Rusten. Diese ganze Dichtergesellschaft habe ich an der Nase gehabt, denn ich habe Alle barbieren müssen. Den Schiller sehe ich noch wie lebend vor mir; der hatte Ihnen ein Gesichte voller Sommersprossen, als wenn es ihm Einer aus Niederträchtigkeit mit gelbem Ocker bespritzt hätte.“

Plötzlich stürmten die vier Ballerinen mit einem „Guten Morgen, Papa Zegerchen!“ zur Thür des Bureaus und durch das Vorzimmer.

„Na nu man rinn, junger Mann! Nu sind Sie dran“ – damit schob er sein Opfer in das Bureau seines Chefs.

Zeger besaß während seiner langen Dienstzeit einen speciellen Freund, der in seiner Art ebenso originell war, wie er; dieser war der alte Hoftheaterfriseur Brenicke. Jeder Berliner von damals, der irgend wie dem Theater nahe gestanden,

  1. * Generalintendant vor Röder.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_307.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)