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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

als Leute, die dieselben verdienen, und mehr vorräthige Myrthenkränze als vorräthige Bräute. In Paris wartet die Waare immer auf den Käufer, und wem Fortuna die Taschen gefüllt, braucht sich kaum einen Wunsch zu versagen, der durch Geld befriedigt werden kann. Der Reiche ist nirgendwo reicher als in Paris, vielleicht aber auch der Arme nirgendwo ärmer. Ein gähnender Abgrund, ja, die gähnenden Pforten der Hölle sind nicht so fürchterlich, so schrecklich, so entsetzlich wie ein gähnender Geldbeutel in Paris.

Es giebt in Paris auch viele Mädchen, die auf den Straßen Blumen feilbieten; doch befinden sich unter ihnen wenige Lilien, unter diesen Mädchen nämlich. Sie bieten, wie auch wohl in Deutschland, ihre Waare gewöhnlich den Herren an, die eine Dame am Arme führen, und sind in der Regel höchst unschüchtern. Auch giebt es ältere Frauen, die in Körben und auf Kippkarren allerlei billige Blumen feilbieten. Wie manche dieser Matronen hat nicht früher die Huldigungen der Löwen des Tages empfangen! Wie manche von ihnen ist nicht täglich von allen Seiten mit den duftigsten und prächtigsten Sträußen überhäuft worden! Aber sie hat den Fehler begangen, alt zu werden, und diesen Fehler verzeiht man in Paris am allerwenigsten. Die Waare, die sie verkauft, erinnert sie beständig daran, welch kurzes Dasein den Blüthen beschert ist.

Ich muß bei dieser Gelegenheit von einem Blumenmädchen sprechen, deren Name sich in gewissen Kreisen einer großen Popularität erfreut. Es ist dies Isabelle, die ausschließlich im Dienste des Jockeyclubs steht und in diesem höchst einträglichen Dienste ihre Zukunft nicht vergißt. Isabelle begleitet seit Jahren jedes Wettrennen mit den holden Kindern der Flora. Sie reicht den Zuschauern und Zuschauerinnen der vornehmen Welt ihre schönen duftigen Sträuße und bewahrt den schönsten und duftigsten für den Sieger, der sich durch ein ansehnliches Geldgeschenk mit ihr abfindet. Am Derby-Tage aber, an dem großen Wettrennen in Chantilly, erhält sie von dem Sieger nicht nur ein höchst erkleckliches Geldgeschenk, sondern auch einen neuen vollständigen Anzug und zwar in den Farben des Siegenden. Diesen Anzug trägt sie dann bei allen Pferderennen bis zum nächsten Derby-Tage, wo sie von einem andern Sieger auf dieselbe Weise wie von dessen Vorgänger belohnt wird. Unter dem zweiten Empire überreichte Isabelle bei den großen Rennen ihre Sträuße dem Kaiser, der Kaiserin und dem glänzenden Gefolge, sowie dem diplomatischen Corps in der kaiserlichen Loge. Ein solcher Renntag war für die Blumenspenderin ein sehr reicher Erntetag. Durch den Sturz des Kaiserreichs haben sich ihre Einkünfte zwar vermindert, indessen sind dieselben noch immer bedeutend genug. Selbst wenn die Saison der Rennen vorüber ist, während der rauhen Jahreszeit, hat sie dennoch ihre täglichen Einnahmen. Sie hält sich beständig im Gebäude des Jockeyclubs auf, bietet den Mitgliedern desselben einen kleinen Strauß oder eine Knospe dar und streicht behaglich die Gratification ein. Isabelle hat bereits das Schwabenalter erreicht oder gar zurückgelegt. Sie war, wie gesagt, auf ihre Zukunft bedacht und könnte sehr bequem von ihren Renten leben. Schon vor mehreren Jahren hat ihr Vermögen einige Frevler verleitet, während der Nacht sie in ihrer Wohnung zu überfallen, um sich ihrer Ersparnisse zu bemächtigen. Isabelle hat sich aber so tapfer gewehrt, daß es ihr gelang, die Uebelthäter den Händen der Justiz zu überliefern. Dieser Muth hat ihre Popularität noch vermehrt, welche sie mit Intelligenz ausbeutet.

Woher kommen aber die Blumen, deren die Weltstadt so viele verbraucht? Sie kommen aus der Umgegend von Paris, wo man ihnen nicht nur im Allgemeinen eine ganz besondere Pflege widmet, sondern auch gewisse Gattungen mit außerordentlicher Sorgfalt hegt. So werden in Brie-Comte-Robert fast ausschließlich Rosen gezogen, und man sieht dort wie in Persien ganze Rosenfelder. Andere Ortschaften wenden den Camelien, wiederum andere den Dahlien ihre Pflege zu. Diese Blumen werden jeden Morgen nach den Pariser Centralhallen gebracht, wo sie in dem „Pavillon des Fleurs“ von den Detailhändlern gekauft werden. Die Prachtexemplare sind sehr theuer. Eine schöne Rose kostet zwei Franken, eine Camelie drei Franken, natürlich während der rauhen Jahreszeit; denn sobald der Frühling kommt und überall Blüthen und Blumen hervorzaubert, sinken dieselben sehr im Preise, und die Pariser Blumenläden machen dann nur wenig oder gar keine Geschäfte mehr.

Es versteht sich von selbst, daß die geringere Classe der Bevölkerung nicht im Stande ist, ihrer Blumenliebe große Geldopfer zu bringen. Sie begnügt sich daher mit einigen Veilchen. Die Veilchen werden in Paris bis in den Winter hinein und schon vor dem Beginne des Frühlings feilgeboten. Das Veilchen ist die Lieblingsblume der Pariser Arbeiterclasse.

Die Blumen spielen auch in der Politik eine Rolle; und wenn einst in England die rothe und die weiße Rose, Lancaster und York, in einen langen, blutigen Kampf geriethen, so haben später in Frankreich die Lilie und das Veilchen, das Sinnbild der Unschuld und das Sinnbild der Bescheidenheit, sich ebenfalls auf’s Bitterste bekämpft. Jedermann weiß, daß die Lilie das Wappen des alten französischen Herrscherhauses ist; vielleicht wissen aber nur Wenige, warum das bescheidene Veilchen von den Bonapartisten zum Symbol ihrer Partei gewählt worden. Die Sache verhält sich folgendermaßen. Während der ersten Restauration hegten die Anhänger Napoleon’s die Hoffnung, daß der Kaiser, sobald die ersten Veilchen sprießen, die Insel Elba verlassen und nach Frankreich zurückkehren würde. Sie wagten jedoch nicht, diese Hoffnung unumwunden zu äußern, und sie nannten Napoleon nur den „Père la Violette“. Unter den vielen Gassenhauern, die damals in den Pariser Theatern und Kaffeehäusern gesungen wurden, befand sich einer, der unter dem Titel „Le Père Violette à Messieurs les chevaliers de l’Eteignoir ou les Prédictions d’un bon Luron“ (Vater Violette an die Herren Ritter vom Löschhute, oder die Prophezeiungen eines braven Kerls) besonders populär war. Männer und Frauen fingen nun an, Veilchensträuße zur Schau zu tragen und somit ihre Abneigung gegen die Bourbonen und ihre Anhänglichkeit an den gestürzten Heros öffentlich zu bekunden. Ein besonderer Umstand diente dazu, die Popularität der Veilchen zu vermehren. Mademoiselle Mars, die berühmte Schauspielerin, war eine in der Wolle gefärbte Bonapartistin, und als sie während der ersten Restauration die Rolle der Elmire in Molière’s „Tartuffe“ gab, trat sie mit einem Veilchenbouquet auf die Bretter. Ein ungeheurer Tumult brach los. Die anwesenden Royalisten verlangten, daß sie als Abbitte für die begangene Dreistigkeit „Vive le roi!“ rufe.

„Ich habe gerufen,“ erwiderte sie.

„Man hat es nicht gehört,“ schrieen die Royalisten, unter denen sich besonders viele Gardes du Corps befanden.

„Ich behaupte, daß ich gerufen habe,“ wiederholte die unerschrockene Künstlerin und sagte dann zu ihren Gefährten auf der Bühne: „Laßt uns fortfahren!“ Die Aufführung litt keine Unterbrechung mehr. Da es nun in Paris niemals ohne Witz und Wortspiel abgehen kann, so versicherte man, die Künstlerin habe nach dieser Darstellung geäußert: „Die Gardes du Corps haben nichts mit Mars gemein.“ Kurz, seit jenem Abende wurden die Veilchen das Sinnbild der bonapartistischen Partei, und wir haben gesehen, daß die Bonapartisten, welche am achtzehnten März die Gratulationsreise nach Chislehurst machten, sich vorher mit ungeheuren Veilchensträußen versehen hatten.

Man sagt von den Büchern, daß sie ihr eigenes Schicksal haben; man kann dies von den Blumen, die ihr kurzes Leben in Paris beschließen, mit ebenso großem Rechte behaupten. Die Rose, die heute im Garten des Floristen die Knospe durchbricht, weiß nicht, in welchem Strauße sie morgen prangen, an welchem Busen sie duften und welchen Zwecken sie dienen wird. Die Blumen prangen auf den Tafeln der Reichen; sie erhöhen die Pracht öffentlicher Feste; sie zieren die Wiege; sie schmücken das Grab. Die meisten werden jedoch auf den Altar der Liebe gelegt, und ich meine hier nicht blos die Liebe, welche den bleichen Mond mit verweinten Augen anschmachtet und die Nächte mit lyrischen Seufzern verbringt, sondern auch die antiplatonische. Die Pariser Theater allein consumiren Tausende und aber Tausende der herrlichsten Blumensträuße. Die Herrlichkeit dauert jedoch nicht lange, und die kostbaren Bouquets, die heute aus den Theaterlogen auf die Scene fliegen, werden schon übermorgen aus dem Fenster auf die Straße geschleudert und wandern in die Butte des Lumpensammlers. Man kann nicht schöner leben und nicht erbärmlicher sterben, als diese armen Blumen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_339.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)