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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


am äußersten Aste des Feigenbaumes über der Charybdis, vom einäugigen Menschenfresser Polyphem und vom vorräthig eingepackten Winde. Denn diese Bilder im Bilde sind zuvor weislich abgesondert und eingefaßt worden in den goldenen Rahmen des Märchens und wir sitzen davor nicht als nüchterne Gegenwartsmenschen, sondern als die selbst fabelhaften und märchenlustigen Phäaken. Das ist das Gesetz der von Homer erfundenen Episode.

Noch zu einem Dutzend solcher Briefe allein über Homer hätte ich unterhaltenden und theilweise völlig neuen Stoff. Denn gar Vieles und Wichtiges von seiner Dichtung hat vor mir Niemand gewußt noch wissen können, weil auch ich es erst gelernt habe in derselben Schule, in der seine Kunst sich ausgebildet. In der Ausübung des Rhapsodenberufes hatte er seine Gesetze allmählich gefunden. Nur in der Ausübung des Rhapsodenberufes ist ihre Wiederentdeckung und so die im Wesentlichen endgültige Lösung der homerischen Frage möglich geworden. So wird es mir schwer, hiemit schon von Homer zu scheiden. Allein diese Briefe haben zum eigentlichen Gegenstand, den sie im nächsten erreichen und nicht mehr verlassen sollen, unser eigenes, germanisches Epos. Sie hatten daher die Epen unserer drei epischen Geschwistervölker nur in so weit in Betracht zu ziehen, als es nöthig war, um dann das unsrige erkennen zu lassen als gleichartigen Blüthenzweig auf dem vierten Hauptast desselben Baumes, als unterworfen denselben eingeborenen Gesetzen des Wachsthums und denselben Gewalten der Zerstörung, als erfüllt von derselben Triebkraft zur Erneuerung und ihrer unausbleiblich sicher nach Erfüllung ihrer ewigen Bedingungen, endlich als nur durch dieselbe Kunstpflege erziehbar zur wohlgebauten Dolde von Dauerblumen.




Blätter und Blüthen.


In der wilden Gerlos im Zillerthale. (Mit Abbildung S. 265.) Unter allen Eisenbahnstationen der Nordtyroler Bahn, auf der Route zwischen Kufstein und Innsbruck, hat der Ort Jenbach eine beneidenswerth schöne Lage. Auf halbem Wege der gedachten Strecke im reizenden Innthale findet der Tourist, mag er in die rechts- oder linksseitige Thalwand eindringen, an der Bergbahn hingegossen, landschaftliche Perlen, denen nicht leicht Gleiches zur Seite zu stellen ist. Zwei Stunden im Gebirge droben, nach Baierns Grenze zu, thront im wildromantischen Felsenkessel der unvergleichliche Achensee, während die gegenüberliegende Thalwand den Eingang zu dem trautesten Bergwinkel Tyrols, dem Zillerthal, umschließt. Vom Achensee herab hatte mich der Weg nach Jenbach zurückgeführt. Die heiße Mittagssonne dunstete auf den gegenüberliegenden Bergschroffen, während ich Kühlung im Schatten der von wilden Weinreben umrankten Veranda suchte. Ausgesprochen seltene Formen und Farben boten die Bergstürze an den drüben befindlichen Gehängen dem Auge dar; so plastisch gehoben von der dunkeln Einrahmung der üppig wuchernden Reben, daß man versucht sein könnte, in diesem Eingang zum Zillerthale eine glänzende Theaterdecoration zu sehen. Solchem Zauber von Sonnenschein und Naturbildung vermochte ich nicht zu widerstehen. Ich betrat das Thal, eine Urtype der Idylle, in seinem dem Inn zugekehrten Theile. Hier könnte man wohl glauben, die Scheitel der Berge und Felsen, welche man mit seinem Auge erreicht, zeigen die volle Höhe des Gebirges an. Oben aber, auf diesen riesigen Gestellen, breiten sich Hochebenen mit Wiesen, Gärten, schönen Dörfern und Weilern aus, rinnen Bäche und Quellen, und darüber, weit hinauf, ragen schimmernde Eishörner und Spitzen, um welche sich blumenreiche Alpentriften, sonnige Matten, tiefdunkle Wälder herumziehen. Das ist das Zillerthal. Hier hängen von den Bergen Thäler an Thäler nieder, ein ununterbrochenes Auen- und Triftennetz von der Eisregion bis zur farbigen Thalebene des Inn hinunter.

Das obere Zillerthal, welches in mehr als einem Dutzend solcher Zweigthäler verläuft, die sämmtlich ihren Anfang auf dem Hauptkamme der norischen Alpen finden, zeigt durchgehend den jähen, unwirthlich rauhen, aber auch malerisch großartigen Charakter einer wilden Hochgebirgs-und zerrissenen Gletscherwelt. Zehn- bis elftausend Fuß hoch aufgethürmte Eisspitzen schließen den ohnedies engen Horizont des Quellengebietes in steilen Linien ab. Unter diesen Thälern dürften die malerisch bedeutendsten das im Westen gelegene „Duxer“- und das östlichste, das „wilde Gerlosthal“ sein. Bei diesem concentriren sich mehr als eine Quadratmeile Fläche von Gletschern des Reichen-, wilden Gerlos- und Weikarlspitz, der Zillerplatten und andere und senden in jähen Fällen ihre überreichen Gewässer dem Hauptfluß des Thales, der Ziller, zu. Die Gewände der schroffen Gerlosschlucht sind mit Felsblöcken im dichten Waldesschmuck übersäet; rauhe eisgekrönte Felsenkare bilden den südöstlichen Hintergrund. Hier befindet sich auch der Aufstieg zu den Platten, jenem renommirten und den Touristen wohlbekannten Gebirgspasse, der hinüber in das Pinzgau zu den mächtigsten deutschen Wasserfällen der Krimler Ache führt. Unsere Abbildung zeigt einen jener malerischen Uebergänge, in denen die Menschenhand der Ungunst der Natur ein bescheidenes Plätzchen streitig gemacht und für Passagezwecke erobert hat. Der religiös-bigotte Sinn der Bewohner Tyrols hat es immer instinctiv verstanden, den von der Natur bevorzugten Stellen durch Aufstellung von Betcapellen oder Heiligenbildern einen romantischen Beigeschmack zu geben, und so finden wir denn auch hier neben dem alten baufälligen Brückengange über die tosende wilde Gerlos die unvermeidliche Betstation. Sie ist in der Form eines Golgathas für jene Gemüther hergerichtet, denen die Erhabenheit der Natur an sich nicht ausreichenden Trost gewährt.


Eine Kriegserinnerung freundlichster Art wird uns bei Gelegenheit des Geburtstages von Bismarck von einem Generalstabsarzte mitgetheilt:

„Am 17. August 1870 war der König mit seinem Gefolge auf den Höhen von Gorze, aufmerksam die Bewegungen des Feindes beobachtend. Erst am späten Nachmittage wurde das Hauptquartier in Pont à Mousson aufgesucht. Mich hatten Pflichten länger auf den Schlachtfeldern zurückgehalten, und so kam ich später als die Anderen nach Gorze.

Das Fortkommen war nicht leicht, aber zu Pferde kam ich leichter vorwärts und holte bald den im Gedränge nur langsam sich fortbewegenden Wagen des Grafen Bismarck ein. Ich ritt langsam hinter ihm her. Neben Truppen, Munitions- und Proviantcolonnen fuhren und gingen auf und neben der breiten Heerstraße zahlreiche Verwundete. Aufmerksam sah sich Bismarck nach allen Seiten um und winkte bald einem Sergeanten, der mit einem kleinen Truppe Verwundeter langsam vorwärts ging. Von Bismarck aufgefordert, in seinen Wagen zu steigen, lehnte dieser es jedoch dankend ab, da er für seine Leute sorgen müsse, bat aber den ‚Herrn Oberst‘ um Auskunft über die Officiere seines Regiments. Freundlich wurde ihm diese gegeben und schließlich eine große Handvoll Cigarren gereicht. Mt einem ‚Danke, Herr Oberst!‘ natürlich die Gabe nicht zurückweisend, trat der Verwundete zu seinen Leuten zurück.

Da ich sah, daß er jedenfalls Bismarck nicht kannte, fragte ich ihn, wer der Herr sei, mit dem er gesprochen, und erhielt sofort die Antwort: ‚Oberst so und so von die Kürassiere.‘

Nie werde ich das erstaunte Gesicht vergessen, als ich ihm sagte, daß der freundliche Geber Graf Bismarck sei.

‚Na,‘ rief er, die Cigarren betheuernd in die Höhe hebend, ‚na, die werden nicht geroocht?‘

Ob er sie wirklich nicht geraucht hat, weiß ich nicht, aber wohl sah ich, wie sich Bismarck inzwischen einen andern Verwundeten heranwinkte und mit kräftigem Arme zu sich in den Wagen hob.

Ms.

Für das Reuter-Denkmal, welches in Neubrandenburg errichtet werden soll, sind uns zugegangen: 150 Mark, gesammelt im „Deutschen Lese-Abend“ zu Bloemfontein, Oranjefreistaat, Südafrika; 27 Rubel, gesammelt bei einem fröhlichen Zusammensein der deutschen Lehrer des Wiedemann’schen Privatgymnasiums zu St. Petersburg; 3 Mark, ein nordwestlicher Deutscher.

Da wir in unserer Redaction keine Sammelstelle eröffnet haben, so sind obige Beiträge dem Haupt-Comité in Neubrandenburg übermittelt worden, und bitten wir, auch etwaige weitere Beiträge nach dort zu dirigiren.



Kleiner Briefkasten.

K. L. in Berlin. Beide Angaben sind falsch, die Wuttke’sche sowohl wie die Mosse’sche. Der Irrthum des Herrn Professor Wuttke, der in seinem Buche „Die deutschen Zeitschriften“ die Auflage der Gartenlaube mit 460,000 Exemplaren angiebt, dürfte sich durch den Umstand erklären lassen, daß eine der Probenummern unserer Zeitschrift in einer Auflage von 460,000 Exemplaren gedruckt und diese zufällige Anzahl einer Nummer als die laufende Auflage angenommen wurde. Diese Annahme ist eine falsche; die Gartenlaube hat bis jetzt noch nicht den stetigen Absatz von 460,000 Exemplaren erreicht. Ebenso unrichtig ist die Mittheilung des „Mosse’schen Zeitungskatalogs“, der die Auflage der Gartenlaube bei Gelegenheit der Anzeigen mit 300,000 verzeichnet. Augenblicklich wird unsere Zeitschrift in einer Anzahl von 382,000 Exemplaren gedruckt, eine Auflage, wie sie – wir können das nur mit Dank gegen alle Freunde unseres Blattes aussprechen – keine Zeitschrift auf dem ganzen Erdball aufzuweisen hat.

M. v. M. in H. Für Ihre Zwecke dürfte sich das sehr instructive und mit zahlreichen vortrefflichen Chrom. Lithographien ausgestattete Werk „Die fremdländischen Stubenvögel, ihre Naturgeschichte, Pflege und Zucht“ von Dr. Karl Ruß (Hannover, Rümpler) sehr gut eignen.

D. F. in Santiago (Chile). Wenden Sie sich an Fräulein Ottilie Becker in Valparaiso, Adresse: Sennor Don J. Ramon Sanchez, Calle de la Aduana, Valparaiso, Chile, oder direct an Frau Dr. Beta in Berlin S. W. Tempelhofer Ufer b, welche Pensionärinnen annimmt. Durch das Englische und Französische kann dort die Dame sich bequem verständigen und gutes Deutsch lernen. Ein schildernder, nicht zu langer Bericht über die im September zu Santiago zu eröffnende Industrie-Ausstellung wird willkommen sein (Postschiff nur den 12. jedes Monats von Hamburg).

G. B. in S. Eine Auswahl von Paul Lindau’s kritischen Arbeiten finden Sie in dessen „Gesammelten Aufsätzen“ (Berlin, Stilke), welche Ende des vorigen Jahres die Presse verlassen haben.

J. K. in M. Senden Sie ein Inserat für die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“ an G. L. Daube u. Comp. in Frankfurt am Main!

Sophie Fr. in Gr. Nicht geeignet. Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung.

B. Geben Sie uns gefälligst Ihre Adresse an, damit wir Ihnen das Eingesandte wieder zustellen können.

F. in Wien. Ungeeignet. Das Manuscript steht zu Ihrer Verfügung.

Dr. W. R–r in Wien. Artikel willkommen, wenn er den Umfang von fünf Spalten unseres Blattes nicht überschreitet.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_276.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)