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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

lebensvolle Bild Hermann Heubner’s, des bewährten Malers der Thüringer Berge, bringt. Mir aber sei es gestattet, mit führendem Wort diese Saalbahnfahrt zu all den Bergen und Burgen, zu all den Städten im Thale zu begleiten, die unser Bild in anmuthiger Gruppirung vor das Auge führt. –

Das Saalthal von Großheringen bis Saalfeld, welches die Saalbahn durchzieht, ist nur der größere Theil des vorderen Saalthals, welches erst zwischen Weißenfels und Naumburg in die weite Ebene mündet, durch die dann der breiter werdende Fluß seine trüben Wellen so langweilig und ehrbar der Elbe entgegenwälzt, daß man es ihm kaum ansieht, welche eine frische Jugend voll toller Sprünge hinter ihm liegt, in der er mit allen Bäumen und Blumen des Ufers verliebt gekost, all die blauäugigen Waldkinder, Roda und Orla, Unstrut und Ilm und seinen Liebling, die schmucke Schwarza an’s Herz gedrückt und mit den Jenenser Studenten im „Paradiese“ geschwärmt hat.

Aber auch gleich nach dem Eintritt in’s Saalthal wird die Gegend freundlicher; zahlreiche Obstpflanzungen schmücken den fruchtbaren Grund; Naumburg mit seinen Rebenbergen und Landhäusern taucht auf; Freiburgs alter Wartthurm schaut herüber; die alte Schulpforta zeigt sich zur Linken, und bald ist der Anfangspunkt der Saalbahn, das unscheinbare Dörfchen Großheringen, erreicht. Hier, nicht weit von den grauen Thürmen der Rudelsburg und Saalecks, beginnt das eigentliche Saalthal; hier zweigt sich die Saalbahn von der Thüringer ab, dringt nun mühsam, zwischen steinernen Futtermauern und trotzig den Eingang wehrenden Höhen hin, in das enge Thal ein und erreicht bald darauf die erste Station, das freundliche Städtchen Camburg, welches zu beiden Seiten des Flusses am Fuße des mit einer alten Warte gekrönten Thurmberges malerisch anmuthig sich ausbreitet. Dieser Berg gewährt eine erquickende Aussicht auf den fruchtbaren Grund, das freundliche Städtchen, die grünen Bergwände und die friedlich mitten hindurch ziehende Saale.

Von hier bis zum nächsten Haltepunkte windet sich der Schienenweg auf schmalem, mittelst langer Steinbauten dem Strome abgerungenem Boden durch einfache Wiesenauen, Obstpflanzungen und Saatfelder, bis plötzlich einer der bisher das linke Ufer verengenden Bergvorsprünge zurücktritt und sich vor unseren Blicken eines der reizendsten Bilder des Saalthales aufthut. Droben auf der schroffen Kante hoch übereinandergeschichteter, steil zur Saale abfallender Kalkfelsen schauen die drei Schlösser Dornburg’s in’s breiter sich ausdehnende Thal herab, und dazwischen blühen und grünen in voller schwellender Pracht die weinumrankten Terrassen, die schattigen Laubgänge und buntfarbigen Blumenbeete des Schloßgartens, die das kahle Bergeshaupt wie mit duftigem Kranze umwinden. Und doch entfaltet das alte Städtchen nur einmal im Jahre seinen vollen, reichsten Schmuck, und nur Der kennt es in seiner ganzen feenhaften Schönheit, der es gesehen hat an einem heiteren Sommertage, wenn all seine tausend Rosen glühen und duften, wenn alle seine blühenden Glocken und Glöckchen in leisem Windhauche zittern und die alten Schlösser, wunderbar beglänzt von hellem Sonnenscheine, wie eingesponnen liegen in Schimmer und Blumen.

So kenne ich dich, so stehst du licht und unvergeßlich in meiner Erinnerung, und so grüße ich mit freudigem Herzen dich wieder, mein rosenumranktes, duftumhauchtes Dornburg.

Aber diese reichen Gaben der Natur begründen nicht allein die Anziehungskraft der drei schlichten Bergschlösser; eines derselben ist zugleich eine geweihte Stätte, ein vom Genius der deutschen Poesie verklärtes Schmerzensasyl unseres größten Dichters. Denn während das mittlere der drei Bauwerke ein erst im achtzehnten Jahrhundert erbautes Lustschloß, das unterste, nördliche dagegen ein kaiserliches Palatium ist, in welchem einst in den Tagen Kaiser Otto’s des Ersten mehrfach Reichstag gehalten wurde, suchte und fand in dem am südlichen Ende des Felsens gelegenen, unscheinbarsten Gebäude der gebeugte Goethe am Abende seines Lebens Trost für den schweren Verlust, der ihn durch den Tod seines fürstlichen Freundes, des am 14. Juli 1828 plötzlich heimgegangenen Großherzogs Karl August, getroffen hatte. Von Weimar floh er, um „jenen düsteren Functionen zu entgehen wodurch man, wie billig und schicklich, der Menge symbolisch darstellt, was sie im Augenblicke verloren hat”, zuerst nach Jena, aber auch hier, wo ihn Alles an den theuren Todten mahnte, war seines Bleibens nicht lange. Da, in jenen trüben Tagen des Schmerzes stieg vor seiner Seele das Bild des freundlichen Dornburgs empor, und eine Ahnung, daß er dort finden werde, wonach ihn so heiß verlangte, wurde laut und immer lauter in ihm, so daß er schon am 7. Juli nach dem alten Städtchen abreiste. Und der große Naturkenner hatte sich nicht getäuscht, als er von all den schönen Gegenden, die das Land seines verewigten Freundes in reicher Fülle bot, das friedliche Dornburg zum Asyle wählte. Dort in der schlichten „Bergstube” des bescheidenen Schlößchens mit den mittelalterlichen Giebeln bewährte sich an ihm die freundlichmilde, schmerzstillende Kraft des Saalthals; mit Entzücken genoß er die anmuthig-schlichte Aussicht „hinab auf die zu Dörfern versammelten, durch Gartenbeete und Baumgruppen gesonderten Wohnsitze, das hübsche Thal mit seinen flachen Wiesen, steigenden Aeckern und einer bis an die unzugänglich-steilen Waldränder sich erstreckenden Vegetation”; der Friede der ihn umgebenden Natur brachte auch den verlorenen Frieden seiner verwundeten Seele zurück, und erst als die Blätter fielen und der Herbst seine mahnenden Boten in’s stille Thal sandte, nahm er wehmüthig dankbaren Abschied von dem anmuthigen Dornburg, das ihm so schönes Gastgeschenk gegeben hatte.

Seit jenen Tagen aber hat Niemand wieder die schlichte Bergstube bewohnt; liebevolle Pietät hat sie in demselben Zustande erhaltet, wie sie einst von dem greisen Dichterfürsten verlassen wurde. Und bieten die prunklosen Zimmer mit den einfachen Möbeln dem Auge auch nicht viel, sie bleiben doch eine geweihte Stätte, über welcher ein seltsam unbeschreiblicher Zauber liegt. Es ist, als sei in den stillen Räumen ein Hauch des Friedens, wie er einst hier über das trauernde Poetenherz gekommen, zurückgeblieben, als müsse der Blick aus den rebenumrankten Fenstern hinab auf das trauliche Landschaftsbild Alles, „was uns kränket und was uns bange macht”, zur Ruhe bringen und auch den schwersten Kummer leise von der bedrückter Seele lösen. Möge darum manch Saalbahnfahrer wohlgemuth den steilen Pfad nach den alten Schlössern hinansteigen und freudig eintreten in die schlichte Bergstube des Goetheschlößchens! Dort wird er bei dem Beschließer desselben, dem altem Hofgärtner Eckell, der einst auch Goethe mit Speise und Trank gelabt hat, nicht nur freundliche Aufnahme finden, sondern sich auch manch selbsterlebte Erinnerung an seinen unvergeßlicher Gast erzählen lassen können.

Doch unterdessen ist unser Zug längt weitergeeilt und braust nun an den Felsen des Städtchens dahin und bald an einer Reihe waldgekrönter Höhen vorüber, von deren einer die zerfallener Reste der Kunitzburg auf das zu ihren Füßen hingelagerte, durch feine Eierkuchen berühmte Dörfchen Kunitz herniederschauen. Nach und nach aber tauchen schon die kahlen, seltsamen Kalksteinformen der Jenaer Berge auf; der langgestreckte Rücken des einst mit drei Burgen geschmückten Hausberges, den jetzt nur noch die Ruine des Kirchberger Schlosses, der einsam fingerartige Fuchsthurm, krönt, wird sichtbar; gegenüber hebt der Landgraf mit dem Napoleonsteine sein Haupt empor; der Jenzig senkt sich in scharfgeschwungener Linie herab; frische Jenaer Luft strömt durch das Thal und weckt mächtig alte Erinnerungen auf an jene classische Zeit Jenas, da Schiller und Goethe im kleinen Saal-Athen lebten und wirkten, aber auch an jene für den Einzelnen nicht minder classischen Tage fröhlichster, studentischer Jugendluft der urgemüthlichen Musenstadt. Da zieht sich der Philosophengang, der berühmte „Spaziergang” des gelehrten Jenas, hin, während drüben „der Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel” erglänzt; hier durch die Erlen der feuchten Wiesen, in denen die Herbstnebel sich zu phantastischen Gestalten zusammenballen, ritt einst der „Vater mit seinem Kind”, und drüben im Giebelstübchen des Gasthofs „Zur Tanne” dichtete Goethe seinen unsterblichen „Erlkönig”; da grüßt das unscheinbare Kirchlein Wenigenjenas herüber, in dem sich still und einfach „der Kosten wegen” der arme Professor Schiller trauen ließ, und dort wieder winken die schmucken „Bierdörfer”, in denen sich die „Lustigen von Weimar” kraftgenialisch amüsirien und in denen noch heute der durstige Musensohn seine fidelen „Exkneipen” hält. Und sieh, dort erscheint nun das alte, liebe Jena selbst, und mit ihm tauchen all die unvergessenen Stätten akademischer Wirksamkeit, Burgkeller und Universität, Rose und Zeise und all die ehrwürdigen Locale, wo dem Studenten leibliche und geistige Nahrung reichlich verabfolgt wird, vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_434.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)