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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

„Ich muß,“ sagte die sinnige Frau, „den Saiten meines Gemüths jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, muß sie gleichsam wieder aufziehen, damit sie den rechten Ton und Anklang behalten. Das gelingt mir am besten in der Einsamkeit, aber nicht im Zimmer, sondern in dem stillen Schatten der freien, schönen Natur. Unterlasse ich das, dann fühle ich mich verstimmt, und das wird noch ärger im Geräusche der Welt. O, welch’ ein Segen liegt doch in dem abgeschlossenen Umgang mit uns selbst!“

Trotz dieser Neigung zu Einsamkeit und innerer Sammlung verschmähte sie keineswegs den Verkehr mit gleichgesinnten Freunden, mit ehrenwerthen Männern und Frauen, welche in Paretz stets willkommen waren. Auch nahm sie an dem Leben und selbst an den Vergnügungen ihrer Untergebenen lebhaften Antheil. Die hohe Fürstin vergaß gern ihre Hoheit und mischte sich bei passender Gelegenheit in die lustigen Tänze der jungen Bauernburschen und Mädchen. Selbst die strenge Frau Oberhofmeisterin legte zuweilen die steife Etiquette ab und ließ sich von dem Kronprinzen zu einem „Hopser“ im Freien verführen, wie der alte General von Köckeritz in einem begeisterten Briefe über seinen Aufenthalt in Paretz berichtet. Der genannte Herr, welcher sich weniger durch feinen Geist als durch biedere Gesinnung und Gemüthlichkeit auszeichnete, gehörte als Adjutant des Kronprinzen zu den Freunden des Hauses und erfreute sich der besonderen Gunst seines Gebieters. Um so mehr fiel es auf, daß der General sich stets nach aufgehobener Tafel sogleich entfernte, ohne sich an der Unterhaltung zu betheiligen. Man glaubte, daß der alte Herr sich zurückzöge, um sein ihm unentbehrliches Mittagsschläfchen zu machen, bis es der hohen Wirthin gelang, den wahren Grund seiner Abwesenheit zu entdecken. Das nächste Mal, als Köckeritz wieder vom Tische aufstand und forteilen wollte, trat ihm die Kronprinzessin mit einer gestopften – Pfeife und einem brennenden Fidibus in den Händen entgegen, indem sie mit bezaubernder Liebenswürdigkeit ihn anredete: „Heute, lieber Köckeritz, sollen Sie mir nicht wieder entschlüpfen. Sie werden bei uns Ihre gewohnte Pfeife rauchen.“

Mit besonderer Heiterkeit und ungezwungener Lust wurde in Paretz das Erntefest gefeiert. Gleich nach Tisch zogen die Arbeiter, Schnitter und Mägde nach dem Schloß unter den fröhlichen Klängen der Dorfmusik, um der Herrschaft den mit frischen Blumen und Bändern gezierten Kranz zu überreichen. Der Kronprinz trat mit seinen Gästen in ihre Mitte und hörte die an ihn gerichtete Rede der Großmagd an, worauf dieselbe den Erntekranz zu den Füßen der Herrin legte. Das Erscheinen der „gnädigen Frau von Paretz“ gab das Signal zu einem allgemeinen Vergnügen. Die Damen und Herren des Hofes drehten sich mit den flinken Dirnen und Burschen im Kreise und folgten dem Beispiel der hohen Gebieter, welche sich durch ihr freundlich herablassendes Benehmen alle Herzen gewannen. Ein nicht minder fröhliches Volksfest war der Jahrmarkt in Paretz, wo zahlreiche Besucher aus Berlin herbeiströmten. Mitten in dem Gewühl erschien die gütige Louise und vertheilte Kuchen, Pfeffernüsse und andere Kleinigkeiten an die Dorfkinder, welche sie zutraulich umringten und mit ausgestreckten Händen ihr entgegenriefen: „Mir auch, mir auch, Frau Kronprinzessin!“

Diese schönen, sonnigen Stunden und Tage wurden jedoch durch eine Reihe trüber, folgenschwerer Ereignisse unterbrochen, welche die Glücklichen in tiefe Trauer versetzten und sie an den Ernst des Lebens mahnten. Während der Vorbereitungen zum heiligen Weihnachtsfeste erkrankte Prinz Louis, der geliebte Bruder, und starb. Der herzzerreißende Abschied von dem Sterbenden und der Schmerz um diesen Verlust erschütterte den Kronprinzen so sehr, daß sein Leben in Gefahr schwebte. Wenige Wochen nach dem Begräbnisse des liebenswürdigen Prinzen folgte ihm die verwittwete Königin, die würdige Gattin Friedrich’s des Großen, Elisabeth Christine, welche von Louise wie eine Mutter geliebt wurde, und endlich am 16. November 1797 der regierende König, Friedrich Wilhelm der Zweite, der in seinem Marmorpalais zu Potsdam den Folgen seiner körperlichen und geistigen Erschöpfung erlag.

Mit schweren Sorgen und im vollen Gefühl seiner ernsten Pflichten übernahm der Kronprinz die Regierung, von den edelsten Vorsätzen und Wünschen für sein Volk beseelt. Sogleich nach seiner Thronbesteigung ließ er die Gräfin von Lichtenau verhaften und später aus Berlin verweisen. Der intriguante General von Bischofswerder, der bekannte Geisterbeschwörer, verlor seinen mächtigen Einfluß, und der Urheber des berüchtigten Religionsedictes und der theologischen Prüfungs-Commission, der pietistische Wöllner, erhielt seinen Abschied, nachdem ihm der König eigenhändig geschrieben: „Früher ist kein Religionsedict im Lande gewesen, aber gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei.“ – Trotz des Geschreies der Dunkelmänner wurde dem freisinnigen Philosophen Fichte der Aufenthalt in Berlin mit den schönen Worten gestattet: „Wenn es wahr ist, daß der Fichte mit dem lieben Gott in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott mit ihm abmachen. Mir thut es nichts.“ Den Behörden wurde die Entfernung träger, unfähiger und unredlicher Beamten empfohlen und die strengste Ordnung, Sparsamkeit und Thätigkeit zur Pflicht gemacht; eine eigene Cabinetsordre wurde erlassen, welche den damals so übermüthigen Officieren das „Brüskiren“ von Civilpersonen auf das Strengste verbot. Dagegen aber konnte der damals siebenundzwanzigjährige König, der in Folge seiner Erziehung an allzu großer Bescheidenheit litt und kein Vertrauen zu seiner eigenen Kraft besaß, sich leider nicht entschließen, vollständig mit dem alten, verrotteten System zu brechen und die charakterlosen Räthe seines verstorbenen Vaters, den Minister Haugwitz und den Cabinetsrath Lombard, zu beseitigen.

Die Königin Louise gab das herrlichste Beispiel edelster und reinster Weiblichkeit. Der König und seine Gemahlin vereinigten sich, das durch französische Einflüsse zerrüttete Familienleben am Hofe wieder herzustellen, die vornehme Liederlichkeit zu unterdrücken und durch bürgerliche Einfachheit, strenge Sittlichkeit und Zucht Allen vorzuleuchten. Auch als König blieb Friedrich Wilhelm der Dritte ein abgesagter Feind jedes Ceremoniells; im Verkehre mit seiner Gattin behielt er nach wie vor das vertrauliche „Du“ bei. Seine Brüder mußten ihn Fritz nennen, und er selbst sprach nur von „seiner Frau“, sowie sie von „ihrem Manne“, was damals für eine unerhörte Neuerung galt. Selbst in Gegenwart der Diener wurde fast ausschließlich nur die sonst verpönte deutsche Sprache gebraucht. Wie früher sah man Beide Arm in Arm zu Fuß durch die Straßen Berlins wandern. Bei einem Besuche des Christmarkts im Jahre 1797 traten sie an eine Weihnachtsbude, um Einkäufe zu machen, und als eine gewöhnliche Bürgersfrau ehrfurchtsvoll ihren Handel abbrach, um dem Herrscherpaare Platz zu machen, sagte die Königin in ihrer leutseligen Weise: „Stehen bleiben, liebe Frau! Was würden die Verkäufer sagen, wenn wir ihnen die Käufer vertreiben wollten!“ Zugleich erkundigte sie sich nach den Verhältnissen der Frau, und da Louise von ihr hörte, daß Jene auch einen Knaben von dem gleichen Alter des Kronprinzen habe, kaufte sie einige Spielsachen, welche sie der erfreuten Mutter mit den Worten überreichte: „Nehmen Sie, liebe Frau, und bescheeren Sie diese Kleinigkeiten Ihrem Kronprinzen im Namen des meinigen!“

Auf einem Balle, den die Königin besuchte, bemerkte sie eine liebenswürdige junge Dame, welche wegen ihrer bürgerlichen Herkunft von den adeligen Herren der Gesellschaft nicht zum Tanze aufgefordert wurde. Kaum entdeckte sie die Ursache dieser Zurücksetzung, so bat sie den König, mit derselben Dame zu tanzen und sie so auszuzeichnen, damit die beschämten Herren ihren Fehler wieder gut zu machen suchten. Bald darauf redete sie bei der großen Cour die junge schüchterne Frau eines Officiers an, welche auf die Frage, „Was sie für eine Geborene sei?“ in ihrer Verlegenheit die von Allen belachte Antwort gab: „Ach, Ihre Majestät! Ich bin gar keine Geborene.“

„Ei, Frau Majorin,“ erwiderte die Königin mit feinem Lächeln. „Sie haben mir naiv-satirisch geantwortet. Ich gestehe, mit dem Ausdruck: von Geburt sein, habe ich nie einen vernünftig sittlichen Begriff verbinden können, wenn damit ein angeborener Vorzug bezeichnet werden soll; denn in der Geburt sind sich alle Menschen ohne Ausnahme gleich. Allerdings ist es von hohem Werth, ermunternd und erhebend, von guter Familie zu sein und von Vorfahren und Eltern abzustammen, die sich durch Tugend und Verdienst auszeichneten, und wer wollte das nicht ehren und bewahren? Aber dies findet man Gott Lob! in allen Ständen und aus den untersten selbst sind

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_007.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)