Seite:Die Gartenlaube (1876) 104.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

von Staat oder Kirche verfolgten Denker, die Spinoza, die Wolf, die Fichte, die Strauß hatten meine volle Sympathie. Jeder sage, was ihm Wahrheit dünkt! Die Wahrheit selbst sei Gott befohlen! Es giebt nur Ein Buch, das auf jeder Seite ewigen göttlichen Gehalt trägt – das ist die Welt, und es giebt nur Ein Mittel, die Wahrheit daraus zu finden – das sind zwei gesunde Augen. Aber jenes Buch ist so groß, daß Keiner es ausliest, und die Augen nehmen so verschiedene Gesichtspunkte, daß Jeder hören soll, was der Andere sieht. Von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen, ist eines der allgemeinsten Menschenrechte, und nur die freieste Ausübung dieses Rechtes bringt die menschliche Erkenntniß vorwärts.

Was geht über diese freie Lust des Forschens und Schauens?




Auch ein Jubiläum.


Erinnerung von Friedrich Hofmann.


Heute, am 1. Februar 1876, sind es fünfundzwanzig Jahre, daß Wilhelm Bauer im Kieler Hafen mit seinem ersten Brandtaucher versank, und die Schilderung dieses Ereignisses war der erste Artikel der „Gartenlaube“ über den „deutschen Erfinder“. Wir dürfen diesen „Jubiläumstag“ nicht vorübergehen lassen, ohne noch einmal des Mannes zu gedenken, für welchen die Leser dieses Blattes seit jener Zeit bis zu seinem Ende ihre Theilnahme bethätigt haben. Wilhelm Bauer ist, wie seiner Zeit alle Zeitungen berichteten, nach sechsjährigen Leiden im vorigen Jahre heimgegangen. Noch am 10. Juni 1875 hatte er sich zum Grabe seines letzten Kindes, seines Töchterchens Constanze – es würde ihr zehnter Geburtstag gewesen sein – fahren lassen. Dort weinte er sich noch einmal in den Armen seiner Gattin recht aus und verließ die Stätte mit dem Wehrufe: „Hier liegen unsere Freuden begraben!“ – Zehn Tage später, gegen die Mittagszeit des Sonntags, ahnte er bei voller Geistesklarheit seine nahe Auflösung. Auf die Frage eines Freundes nach seinem Befinden antwortete er: „Es geht gut, bald wird es zum Allerbesten gehen.“ Da schlug’s zwölf Uhr, und auf der Straße marschirte eine Regimentsmusik vorüber. Sichtlich erregt lauschte er den altbekannten Klängen; der alte Soldatengeist wachte noch einmal auf und folgte den ferner und ferner verklingenden Tönen, und mit dem Verhallen des letzten Tones war der letzte Lebensfunke Wilhelm Bauer’s verglommen.

Der vielbewegte Lebensgang des seltenen Mannes ist den Lesern der „Gartenlaube“ aus einer langen Reihe von Artikeln bekannt. Für sie bedürfte es kaum eines Rückblickes auf denselben, wenn nicht die Zeitungen bei Bauer’s Tode eine ziemlich gleichlautende biographische Skizze gebracht hätten, welche Berichtigungen und Ergänzungen nothwendig macht. Wahr erzählen alle bis zum Beginne der Hebung des Dampfschiffes „Ludwig“. Von hier an lauten die Berichte: Bauer habe bei der Ludwigshebung sich seine Gichtkrankheit zugezogen, und dann erst sei durch die „Gartenlaube“ dem deutschen Volke die Veranlassung gegeben worden, „seinem genialen Sohne eine Ehrengabe zu widmen, die ihm das Leben soviel zu versüßen vermocht, wie es bei seinem Zustande eben ging.“

Es wäre übergroße Bescheidenheit, die zu einer Fälschung der Geschichte des Lebens und der Erfindungen Wilhelm Bauer’s führte, wollten wir zu jenen Zeitungsnotizen für immer schweigen, und selbst das Mißliche, daß der Verfasser dieser „Erinnerungen“ seinen Antheil an Bauer’s Streben und Kämpfen dabei ausdrücklich mit hervorheben muß, darf ihn von der Veröffentlichung des Nachstehenden nicht abhalten.

Nicht erst, als es mit Wilhelm Bauer zu Ende ging, trat die „Gartenlaube“ für ihn ein, sondern mit ihrem Auftreten für ihn begann der zweite Abschnitt seiner Laufbahn. Der erste Lebensabschnitt Bauer’s beginnt mit dem Baue und Untergange des ersten Brandtauchers im Kieler Hafen, umfaßt die Odysseus-Fahrten des „deutschen Erfinders“ nach Wien und Triest, nach Berlin, nach London und Paris und schließlich nach Petersburg und Kronstadt, wo die Submarine ihre Erprobung feierte, und schließt mit der Heimkehr Bauer’s nach Baiern und seinen ersten Versuchen der Ludwigshebung im Bodensee.

Durch fremde, nachgewiesene Schuld stand hier sein Erfinderruf, die mit Mühen und Todesgefahren erkämpfte Errungenschaft seines Lebens, auf dem Spiele. Er mußte das Schiff heben, oder er verlor Ehre und Vertrauen für immer. – In dieser Noth befand sich Wilhelm Bauer, als ich durch Dr. L. Hauff’s Broschüre über dessen Erfindungen auf das außerordentliche Talent des verkannten und unterdrückten Mannes aufmerksam gemacht wurde. Ich veröffentlichte sofort in dem von mir damals redigirten Payne’schen „Panorama des Wissens und der Gewerbe“ mehrere Artikel mit trefflichen Stahlstich-Illustrationen über den außergewöhnlich fesselnden Gegenstand und trat dadurch mit Bauer in directe Verbindung. Auf einer Heimreise von London suchte kurz nachher Bauer mich in Leipzig auf und weihete mich in das Wesen, die bisherigen Schicksale und die mögliche Tragweite seiner Erfindungen ein. Von diesem Augenblick an wurde ich, von dem edlen Ernst und unerschöpflichen Geist Bauer’s und der Wichtigkeit seiner Ziele überzeugt und gefesselt, des Mannes Freund und Vertreter in der Presse. Aber erst als ich bald darauf (im Herbste 1861) zur ständigen Mitarbeiterschaft an der „Gartenlaube“ berufen wurde und die Redaction die Spalten derselben für die Bauer’sche Sache öffnete, konnte, bei deren schon damals sehr großem Leserkreis und der Empfänglichkeit desselben für patriotische Anregungen, ein Rettungsversuch für Bauer’s Unternehmen mit der Hoffnung auf glückliche Durchführung gewagt werden.

Nachdem die Theilnahme für die Person Bauer’s durch die Schilderung der Kieler Niederfahrt erregt und das Publicum durch eine illustrirte Darstellung über die Schiffhebungsweise Bauer’s unterrichtet war, erfolgte die Gründung des „Centralcomité für Wilhelm Bauer’s deutsches Taucherwerk“ in Leipzig. Es galt nun nicht mehr, das versunkene Schiff blos auf die billigste Weise zu heben, denn das hätte Bauer mit Hülfe der erprobten Benutzung der Fässer statt seiner Ballons und Kameele bei gesichertem Bergedampfer bewerkstelligen können: jetzt galt es, Bauer’s Apparate, die vor Allem auf Hebung versunkener Schiffe und Güter aus Meerestiefen berechnet waren, auf das Gründlichste zu erproben. Diese Erprobung war weder billig noch leicht. Sie machte trotz der glücklichen Sammlungen der „Gartenlaube“ und dem Eifer des Leipziger Comités die Hülfe von Männern nöthig, deren Namen in den Zeitungsberichten ebenfalls verschwiegen worden sind. Sie waren F. Streit, der Industrielle Moser und, in der höchsten Noth, als alle Mittel erschöpft waren, Herzog Ernst von Coburg-Gotha, welcher ein bedeutendes Capital für die Ehrenrettung der deutschen Erfindung zur Verfügung stellte. Alle belohnte am 21. Juli 1863 der glänzende, erhebende, unvergeßliche Triumphzug des gehobenen „Ludwig“, als dessen Schiffsglocke zum ersten Male nach zwei Jahren und vier Monaten wieder über die Wellen des Bodensees zu den Ufern hinübertönte.

Deutschland war leider, trotz des nationalen Festaufschwungs des Volks, damals noch nicht der Staat, in welchem ein solcher Erfolg dem Erfinder goldene Früchte hätte tragen können. Wie würde amerikanischer Unternehmungsmuth eine solche Erfindung ausgebeutet haben! Bauer selbst hatte zu bittere Erfahrungen im Auslande gemacht, um für sein Wirken wieder einen ergiebigeren Boden auswärts zu suchen, und das Gefühl der Dankbarkeit, das ihn für die ihm von der Nation zu Theil gewordene Unterstützung erfüllte, würde ihn auch ohne das rege Vaterlandsgefühl, das ihn früher mit Schmerz erst aus Deutschland scheiden ließ, als die letzte Hoffnung für die Ausführung seiner ersten Erfindung im Vaterlande verschwunden war, von einem solchen abermaligen Schritte abgehalten haben. Außerdem war es zunächst nicht der Mangel an gutem Willen, sondern ein unvorhergesehenes Zeitereigniß, woran die so allgemein gehoffte und gewünschte Verwerthung der Schiffhebung und der unterseeischen Schifffahrt für Deutschland scheiterte.

In Bremen schien die Schiffhebung feste Hand zu finden. Während aber die Unterhandlungen über eine dafür zu gründende

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_104.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)