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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

der Bewegung desselben durch Schieben nachhilft. Die Lamajagd macht den Schluß: vier dieser schlanken Thiere stürzen herein und werden, wie die Elephanten, quer durch den Raum wiederholt gehetzt, und daß dies in sausendem Galopp geschieht, erhöht außerordentlich den lebenswahren Eindruck. In Berlin wurden auch Strauße gejagt, ja, in Hamburg (freilich andere Exemplare) sogar von kleinen Knaben geritten.

Die Jagd ist vorüber; die Schranken schwinden; ein Corps reizender Jägerinnen tritt mit Pfeil und Bogen auf, prachtvoll, aber zugleich praktisch zur Jagd gekleidet, indem alle Kleidungsstücke möglichst eng anschließen. Unter Jagdmusik ziehen sie ein und führen uns nun auch eine Reihe reizender Tänze und Gruppirungen vor, wobei von Neuem das elektrische Licht Alles auf’s Herrlichste bestrahlt. Und alsdann folgt der Schluß, den unser heutiges Bild wiederzugeben versucht. An der Spitze des eintretenden Festzuges sehen wir die Königin auf einem die Gestalt eines radschlagenden Pfauen darstellenden „goldenen“ Wagen, der von zwei lebenden, prächtig angeschirrten Giraffen gezogen wird, deren Zügel sie selber lenkt. Hinter ihr das männliche Gefolge und die sich anschließenden Jägerinnen, sodann der kleine Elephant, welcher einen Wagen zieht, auf dem ein Mohrenfürst sitzt, umgeben von seinen Dienern, hierauf der größere Elephant mit zwei Hofdamen und zuletzt ein Kameel (jetzt ein einhöckeriges, bei der Aufnahme des Bildes ein zweihöckeriges) mit den „Kindern“ der Königin. Die Wirkung dieses den Circus mehrmals umkreisenden Zuges ist großartig, und bei der blendenden elektrischen Beleuchtung geradezu märchenhaft – kein Wunder daher, daß, wenn der Letzte des Zuges verschwunden ist, der Beifall donnernd losbricht und, so viel ich bisher in Hamburg, Berlin und Leipzig beobachtet habe, der Director Renz stets dreimal gerufen wird.

Wer bisher noch bezweifeln konnte, daß sich auch in solchen Leistungen eine geniale Thätigkeit entwickeln läßt, weil er sie für nichts weiter als Routine hielt, der wird nach Anschauung dieser Vorstellung seine Ansicht sicher berichtigen und gewiß mit uns darin übereinstimmen, daß jetzt der Circus Renz einzig in seiner Art und der Leiter desselben in seinem Berufe ein Genie ersten Ranges ist.




Die sibirische Forschungsreise des Bremer Polarvereins.


„Gruß aus Asien!“ So lautete ein Telegramm der Sibirienreisenden des Bremer Polarvereins vom 5. April aus Jekaterinburg, jener bekannten, schon am jenseitigen Abhang des Ural belegenen Bergstadt. Die Fahrt dahin von Nischni war an Strapazen reich. Der Frühling war nämlich in diesem Jahre in Rußland unberechenbar zeitig eingetreten; gleichwohl durften die Reisenden, wenn sie ihre Aufgabe, Westsibirien von der Gebirgskette des Altai bis zu der Mündung des Obi in den sechs Monaten Mai bis October zu naturwissenschaftlichen Zwecken zu bereisen, lösen wollten, nicht säumen und gemächlich warten, bis etwa die Wolga-Kama-Dampfschifffahrt eröffnet und die Wege besser wurden. So mußten sie denn gleich im Anfang, wie der Berichterstatter der russisch-deutschen Zeitung „Herold“ aus Kasan schrieb, „alle Unbilden einer Sibirienreise kennen lernen“.

Die Reisenden erfuhren von dem Augenblicke an, wo sie russischen Boden betraten, die freundlichste, ja man kann sagen eine glänzende Aufnahme. Durch Vermittelung des Präsidenten des Bremer Polarvereins, des Bremer Reichstagsabgeordneten Mosle, waren sie auf das Wärmste von den höchsten Behörden des Reichs empfohlen; ihr Gepäck passirte ohne Revision die Grenze. In Petersburg wurden die Herren dem Kaiser und dem Großfürsten-Thronfolger vorgestellt; ihnen zu Ehren hielten die geographische Gesellschaft und der Verein zur Förderung der russischen Handelsinteressen Extrasitzungen. Bei der Feststellung der Einzelheiten des Reiseplanes standen ihnen die ersten Autoritäten bei. Rußland hat bekanntlich Bedeutendes in der Geographie geleistet, und gerade in jener Sitzung der geographischen Gesellschaft war die reiche wissenschaftliche Ausbeute, welche Prczewalski[WS 1] von seiner denkwürdigen Reise durch die Mongolei mitgebracht hatte, ausgestellt. Ein specielles praktisches Interesse knüpfte sich an die Forschungen und Untersuchungen in Westsibirien, welche sich der Bremer Verein zur Aufgabe stellte, nachdem die Reichsbehörde seine Eingabe wegen Bewilligung der Mittel zu einer neuen Polarexpedition ablehnend beantwortet hatte. Der oft genannte schwedische Gelehrte Adolf[WS 2] Erik Nordenskjöld hat bekanntlich im vorigen Sommer die in früheren Jahrhunderten viel und immer vergeblich gesuchte Seefahrt von Nordeuropa nach den Polarküsten Sibiriens glücklich gefunden. Sein kleines Fahrzeug hat die Reise sogar zweimal, hin und her, glücklich zurückgelegt. Kein Wunder, daß man nun russischerseits daran denkt, diese Entdeckungsfahrt für den Seehandel auszunutzen. Freilich wird in so hohen Breiten nur immer während vier bis sechs Wochen, im Hochsommer, die Seefahrt möglich sein; immerhin bereitet das selbst zu dieser Zeit häufig eiserfüllte Karische Meer ernste Schwierigkeiten. Rußland sendet eine Expedition in diesem oder im nächsten Sommer aus, welche die Fahrbarkeit des Meeres zwischen Archangel und der Obi-Mündung gründlich untersuchen soll. Gleichzeitig wird aber auch von Gothenburg einerseits und von Jenisseisk (tief im Innern Sibiriens) andrerseits je ein Dampfer mit Gütern, jener nach der Jenissei-Mündung, dieser nach Petersburg bestimmt, den neuen Seeweg praktisch erproben. Wichtiger noch für Handel und Verkehr wäre die Eröffnung einer Seefahrt von Europa aus nach der Obi-Mündung.

Dieser mächtige Strom Westsibiriens, dessen Länge 457½ deutsche Meilen beträgt, hat, wie neulich ein Vortrag des Herrn Latkin in der russischen Handelsgesellschaft zu St. Petersburg constatirte, ein Gebiet von 58,000 Quadratmeilen mit 2½ Millionen Einwohnern. Die südlichen Theile haben eine bedeutende Kornproduction und könnten davon nach Latkin an 60 Millionen Pud jährlich abgeführt werden. Salz und Holz würden weitere wichtige Ausfuhrartikel abgeben. Die Viehzucht könnte an Fellen, Talg, Butter, Fleisch, Haaren, Wolle im Ganzen jährlich 5 Millionen Pud liefern. (Gegenwärtig concentrirt sich der Talghandel Westsibiriens für die Ausfuhr nach England in Jekaterinburg.) Endlich sind noch Fische, Leder, Häute, Pelzwaaren und Metalle zu erwähnen. Die sibirische Eisenbahn ist beschlossen; sie wird nach einer Reihe von Jahren eine stetige bequeme Landverbindung mit Sibirien schaffen, die thatsächlich jetzt nur zeitweilig, während des Winters, vorhanden ist. Hat die westsibirische Reise des Bremer Polarvereins sonach ihre nicht zu mißachtende praktische Seite, so kommt hinzu, daß in jenem ausgedehnten Gebiete die zahlreichen Vorgänger in der wissenschaftlichen Forschung, an ihrer Spitze Pallas, noch Manches zu thun übrig ließen. Finsch und Brehm und neben ihnen Graf Waldburg-Zeil werden daher sicher mit interessanten Ergebnissen von ihrer an Strapazen immerhin reichen Reise zurückkehren.

Während diese Zeilen niedergeschrieben werden, geht die Nachricht ein, daß auch die Petersburger Akademie einen Zoologen, Herrn Poljakoff vom kaiserlichen naturwissenschaftlichen Museum in St. Petersburg, zu wissenschaftlichen Forschungen in diesem Sommer nach dem Obi aussenden wird. Er soll namentlich auch der Fischfauna des Obi seine Aufmerksamkeit zuwenden. Dieser Strom ist, wie schon angedeutet, außerordentlich reich an Fischen; Anfang Mai setzen sich, wie Latkin berichtet, die Hauptarten derselben, wie der Stör, der Sterlet, die Quappe, die Nelma, der Moksun, die Zärte, der Häring, in großen Massen der Strömung entgegen in Bewegung. Mit Fischfang beschäftigen sich außer den Samojeden und Ostjäken alle russischen Uferbewohner, hauptsächlich in der Niederung des Flusses unweit der Mündung, wo eine ungeheure Menge Fische gefangen wird, wieviel läßt sich nicht genau bestimmen. Einige zählen bis zu einer Million Pud à 20 Kilo im Jahre, Andere bis zu 500,000. Die letztere Zahl ist wohl die richtigere, da aus den Obdorskischen Lande jährlich 150,000 Pud Fische verführt werden. Der Fischfang beginnt Anfang Juli und währt bis zum October. Die Fische werden theils getrocknet (von den Samojeden und Ostjäken), theils eingesalzen (von den russischen Fischern), doch ist die Art und Weise des Einsalzens eine mangelhafte. Der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Prczewealski
  2. Vorlage: Anders
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_340.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)