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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


er sagte oft: „Ich liebe Dich nicht, weil, sondern trotzdem Du meine Schwester bist;“ denn von verwandtschaftlicher Zärtlichkeit war keine Ader in ihm. „Wie oft,“ schreibt die Schwester, „wünschte er sich ein Hidalgo zu sein, frei von Familienbanden!“

Inzwischen hatte der Vater sich angekauft – und starb wenige Jahre darauf. Franz wollte nun aus dem Militärdienste austreten und das Gut des Vaters übernehmen, mußte aber diese Idee aufgeben, da sein Vormund – unser Dichter war noch minorenn – mit Hand und Fuß gegen dieses Project war. Dies verstimmte den hochstrebenden Jüngling, der des Soldatspielens müde war, auf’s Aeußerste. Dazu kamen die kleinen Garnisonen, die ihn moralisch zu Boden drückten, da er sich durch keinen geistigen Halt, durch keinen Austausch der Ideen gehoben fühlte. Glogau, Kozmin, Krotoschin, zwei Festungen als Strafe für Duelle, Silberberg und Kosel, und endlich Posen waren die unerquickliche Reihenfolge, die ihm das Leben vielleicht unerträglich gemacht hätte, wenn nicht zum Glück die Schwester geheirathet und er eine Heimath in ihrem Hause und einen Freund in ihrem vortrefflichen Gatten gefunden hätte, der ihn aufmunterte, seine Talente auszubeuten und in der Arbeit Ersatz für manchen Verlust zu suchen.

In Schönborn, dem Gute des Schwagers, wurde jetzt jeder Urlaub verbracht; dort entstand die „Erato“, dort die Novelle „Desengaño“, und damit war der Fuß in den Steigbügel gesetzt. Gaudy’s Name wurde nun auch in weiteren Kreisen bekannt. Aber noch konnte er nicht den entscheidenden Entschluß fassen, zu dem sein Herz ihn schon so lange drängte, den Entschluß, sich ganz der Dichtkunst in die Arme zu werfen und statt des Schwertes die Lyra zu ergreifen. Da brachte ein äußeres Ereigniß die Entscheidung. In Posen, wo er damals in Garnison lag, wurde er in entsetzlicher Weise von der Cholera ergriffen und glaubte dem Tode verfallen zu sein. Wie so oft im Menschenleben große physische Krisen die Ausgangspunkte werden für neue geistige Richtungen und Entwickelungen, so auch bei Gaudy. Mit dem neu gewonnenen Leben – er meldete unterm 2. August 1831 der Schwester seine Genesung – reifte in ihm der Entschluß, den Rock des Königs abzulegen und sich ganz in den Dienst der Poesie zu geben. Er quittirte den Militärdienst. Ein Interregnum in Schönborn, wohin er gegangen war, um im Kreise der Seinen sich zu erholen, ließ die „Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen“ (Glogau, zweite Auflage, 1832), „Die Korallen (Glogau, 1834), die „Kaiserlieder“ (Leipzig, 1835) und die „Novellen“ an das Licht treten.

Durch diese Leistungen wurde Adalbert von Chamisso auf ihn aufmerksam und lud ihn nach Berlin ein, indem er ihn auf eine höchst ehrenvolle Weise aufforderte, ihn bei der Herausgabe des deutschen Musenalmanachs zu unterstützen. Gaudy leistete diesem Rufe freudig Folge, und nun endlich sah er sich in einer Lage, die ihn innerlich befriedigte und beglückte. Von Freunden, die ihm sein Talent schnell erworben hatte, umgeben, innig verehrt von Männern, wie Hitzig, Fouqué, Kugler, Neumann und Andern, und der warmen Zuneigung eines Chamisso gewiß – was blieb ihm zu wünschen übrig? Hatte er doch auch die ersten Staffeln des Ruhmes schnell erklommen. Und doch – ein Wunsch war ihm noch unerfüllt: Italien, das Land seiner Träume und Ideale, zu sehen. Auch diese Sehnsucht sollte gestillt werden: im Jahre 1835 blauete Italiens Himmel über ihm; er trank sich satt an der Schönheit römischer Kunst und führte auf den Ruinen der antiken Welt und mitten im schnell pulsirenden Leben des sinnenfrohen Südens ein Dasein, reich an den mannigfachsten Anregungen. Seine Briefe aus der damaligen Zeit athmen Frische, frohe Begeisterung für das herrliche Italien und höher gestimmte Lebensfreudigkeit. Großer Eindrücke voll, kehrte er nach Deutschland zurück. In Berlin fand er die alten Freunde wieder und lebte so recht im Vollgenusse seines Glückes. Chamisso wurde ihm immer theurer, das Verhältniß zwischen Beiden, ein immer engeres. Er wurde der vertrauteste Hausfreund des edlen Sängers. Ein bisher noch nicht gedrucktes heiteres Gedicht Gaudy’s, welches aus dieser Zeit stammt, möge hier einen Platz finden, da es ein treues Bild von Chamisso’s Studirzimmer entwirft und zugleich charakteristisch ist für die beiden Dichter. Es lautet:

Gebt Ihr mir viel gute Worte,
Um in’s Heiligthum zu späh’n.
Ei, so laß ich wohl die Pforte
Diesmal für Euch offen stehn.
Aber Freunde, schleicht auf Zehen
Hübsch manierlich, fromm und still;
Nicht ein Jeder kriegt’s zu sehen,
Der es gern durchmustern will.

Schaut Euch um im schmalen Zimmer,
Das nur Dämmerlicht erhellt
Von der Lampe mattem Schimmer,
Die noch grüner Taft umstellt!
Seht, dort hängt das Kieselmesser,
Das einst an Owaihi’s Strand
Ein gentiler Menschenfresser
Weiht als treues Freundschaftspfand.

Aus dem Rahmen blinzt verwogen
Dort Pomare’s Conterfei,
Und ein schwarzer Ebenbogen
Hängt, von Staub ergraut, dabei.
Südlands Blumen, trock’ne Blätter,
Liegen dort in langen Reih’n;
Ihre Namen wissen Götter
Oder Chamisso allein.

Weiter links ruh’n auf dem Brette
Blüthen transcendenter Art,
Oden, Stanzen, Triolette,
Schofel und fein-fein gepaart.
Deutschlands Dichterhähne krähen
Dir entgegen aus dem Fach,
Könnt Ihr sie nicht gleich verstehen,
Kauft den Musenalmanach!

Ihr dagegen, die Ihr dreister
Jetzt in die Papiere guckt,
Sprecht: Gib mir ein Lied vom Meister,
Aber nicht der Lai’n Product!
„Hand weg!“ ruf’ ich, „also habe
Ich es nicht mit Euch gemeint.
Harret der Gesammt-Ausgabe,
Die zur Ostermess’ erscheint!“

Aber in dem nächsten Zimmer
Hört Ihr einen Säugling schrei’n,
Und neugierig, wie Ihr immer,
Drängt Ihr Euch auch dort hinein.
Tretet leise, leise näher
Auf Sammtpfötchen wie die Maus!
Solchen Anblick nimmt der Späher,
Solchen selt’nen, gern nach Haus.

Seht Ihr wo ’nen Rosengarten
Frischer blühn als diesen hier?
Gärtnerin und Gärtner warten
Treulicher der holden Zier?
Wer den Blüthenkranz gesehen,
Wendet sich wohl schwerlich um
Nach Exotischem zu spähen,
Dorrend im Herbarium.

Aus Italien hatte unser Dichter, wie gesagt, eine Fülle neuer Eindrücke und Ideen mit heimgebracht. Literarische Früchte dieser Reise waren in erster Linie „Mein Römerzug“ (3 Bd., Berlin, 1836) und die humoristische Novellette „Aus dem Tagebuche eines wandernden Schneidergesellen“ (Leipzig, 1836), wie auch die „Venetianischen Novellen“ (2 Bd., Bunzlau, 1836) ihre Entstehung den unter Italiens Himmel empfangenen Anregungen verdankten.

Kaum nach Deutschland heimgekehrt, fühlte er sich wieder nach Schönborn zu der Schwester gezogen, um in ländlichem Stillleben die Masse der italienischen Eindrücke zu ordnen und zu verarbeiten. „Er arbeitete unsäglich fleißig,“ schreibt uns die Schwester, „kaum daß er zum Essen erschien, aber die Theestunde versäumte er nie, denn er trank wie ein Chinese seine zwanzig Tassen mit Wonne. Dabei las er vor – und er las wunderbar schön – oft was er den Tag über gearbeitet hatte, wobei er jede Kritik gelten ließ, öfter noch die Werke der Koryphäen der Literatur mit scharfem Eingehen und neidloser Bewunderung. Der Liebling seiner ersten Jugend war Jean Paul, den Shakespeare später verdrängte und den er so inne hatte, daß sein mächtiges Gedächtnis für jeden Fall ein Citat aus dessen Dichtungen fand. Dieses seltene Gedächtniß kam ihm überhaupt sehr zu statten und gestaltete die Fülle seiner Kenntnisse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_489.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)