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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


zeichnen; alle ihre Romanhelden sind weich, verschwommen, weibisch, mehr Nerv als Muskel. Auch dies ist in der Natur ihres Geschlechtes ebenso tief begründet, wie in ihrer Begeisterung für den Autor des „Emile“. Sondert man ihre Helden genauer, so findet man in ihnen nichts weiter, als dichterische Reproductionen ihres einzigen Ideals: sie alle sind verkappte Rousseau’s, ebenso blasirt, weich und sentimental, wie schwach und feig, wo es gilt, mit der Convenienz zu brechen. Und dann ihre ebenfalls Rousseau’sche Naturschwärmerei und Gefühlsschwelgerei, worin sie sich, als echtes Weib, namentlich nach der melancholischen Seite hin, viel mehr vertiefte, als ihr Vorbild! War es eine plötzliche Erkenntniß ihres gewaltsam verleugneten inneren Wesens, daß sie nach der Juni-Revolution ernüchtert mit einem Male ihre social-politische Periode beschloß und jene berühmten Dorfnovellen schrieb, welche in ihrer rein künstlerischen Conception die geniale Frau, aber doch die Frau verriethen und ihren Namen verewigen werden, wenn längst alle jene weltstürmenden Werke, womit George Sand das meiste Aufsehen erregte, vergessen sein dürften?

Ich erwartete ein Weib, eine Hausfrau und Mutter zu sehen, zweiundsiebenzig Jahre zählte sie; ich mußte also eine Greisin finden, aber eine von jenen, die eine unverwüstliche Jugend im Herzen tragen und die nimmer rastende Feder mit der alten Energie zu führen verstehen. Für letzteres hatte ich zwei Zeugen: den Einladungsbrief, der ihre deutliche entschiedene Handschrift zeigte, und die im vergangenen Januar von ihr veröffentlichte reizende Novelle: „La Tour de Percemont“.

Ich täuschte mich nicht.

Im Aeußern der George Sand verrieth nichts die Emancipirte von einst, die Heldin der Feder, kurz den Blaustrumpf. Im Gegentheil nahm ich an ihr das ausgesprochene Bestreben wahr, so schlicht und – ich möchte fast sagen – so unbedeutend wie möglich zu scheinen. Nichts Einfacheres, Unmittelbareres und Natürlicheres. Das überraschte mich um so mehr, als ich wohl weiß, daß selbst der Schlichteste, wenn er vor seinem Biographen steht, sich unwillkürlich mehr oder weniger drapirt, aufputzt, den innern und äußern Menschen im Feiertagskittel zeigt. Von alledem fand sich bei der berühmten Schriftstellerin nicht die Spur. In einfachem, dunklem Hauskleide kam sie mir nicht als Schriftstellerin, sondern wie das Ideal einer Familienmutter vor. Gemessen, doch voller Grazie in ihren Bewegungen, ein freundliches Lächeln um den Mund, streckte sie mir ohne Umstände die Hand entgegen und lud mich zum Sitzen ein.

Es war um die Frühstücksstunde, ungefähr elf Uhr Vormittags. Um den Tisch saß die ganze Familie: ihr Sohn Maurice, der den Namen Sand angenommen hat, den seine Mutter berühmt gemacht, und seine Schwester Solange Clesinger, Beide mit ihren Ehehälften und Kindern. Auch einige Gäste saßen da, von denen ich nur den alten Hausfreund und Hausarzt Dr. Favre nennen will, der mir schon von Paris her wohl bekannt war. Er ist zugleich der Intimus von Alexander Dumas Vater, der durch ihn in das Gebiet der Physiologie eingeführt und zum Danke dafür in Dumas’ neuestem Stück „L’Etrangère“ als geistvoller Doctor Remonin auf die Bühne gebracht wurde.

Das Dejeuner war bereits vorüber, ohne daß Madame Sand, die kurz vorher aus ihrem Studirzimmer getreten, daran Theil genommen hätte. Ihr Couvert lag noch unbenützt am bestimmten Platze. Da sie bis tief in die Nacht hinein zu arbeiten pflegte, so stand sie gewöhnlich des Morgens ziemlich spät auf und traf erst gegen das Ende des Frühstücks im Speisesaal ein.

„Guten Tag, meine Kinder!“ sagte sie, nachdem sie mich willkommen geheißen. Dann reichte sie Allen die Hand und ließ sich von ihren Enkelinnen umarmen, indem sie für jedes ein herzliches Wort hatte. Während dieser Familienscene stand ich abseits und hatte reichliche Gelegenheit, die Erscheinung der berühmten Frau zu betrachten. Man sieht einen Menschen dann am besten, wenn er uns nicht sieht.

George Sand war von untersetzter Statur und vom Alter in ihren natürlichen Formen etwas beeinträchtigt, doch merkte man ihrer Haltung nicht die geringste Erschlaffung an. Man hat die wenig gewählte Bemerkung des unverbesserlichen Spötters Heine, der zeitweilig dieser Frau ziemlich nahe gestanden und eine aufrichtige Bewunderung für sie hegte, vor Jahren in Paris sehr übel aufgenommen, wonach George Sand’s Kopf einige Aehnlichkeit mit dem – Haupte eines Hammels haben sollte. So geschmacklos oder doch respectwidrig dieser echt Heine’sche Vergleich auch ist, eine gewisse Wahrheit kann ihm nicht abgesprochen werden. Daran ist vor Allem die Haarfrisur der Dichterin schuld, die ihrem Kopfe, von vorn gesehen, etwas Dreieckiges giebt. Sie trug ihr reiches Haar ein wenig nach griechischer Art: zwei leicht gewellte Strähne umrahmten die niedrige Stirn fast bis zu den Enden der Augenbrauen und verdeckten unter einem hohen, staffelförmigen Wulst die Ohren beinahe ganz. Allgemein nahm man an, daß die Dichterin, seitdem sie vom Typhus befallen war, der Natur mit falschen Haaren zur Hülfe kam. Erst der Tod bestätigte die Unrichtigkeit dieser Meinung: bei der letzten Toilette fand man den wundervollsten, mit wenigen Silberfäden gemischten natürlichen Haarschmuck und konnte nicht begreifen, welch eigenthümlicher Coquetterie halber die geniale Greisin ihn mit so vieler Sorgfalt verheimlichte. Wahrscheinlich trug auch die kräftige Nase und die unendliche Oberlippe das Ihrige zu der von Heine verkündeten Aehnlichkeit bei. Was mir am meisten in diesem Antlitz imponirte, das war die schwungvolle Zeichnung der Linien des Gesichts. Die Züge waren groß, beinahe zu männlich. Und dann diese Augen! Von der nämlichen Schwärze wie ihr Haar, hatten sie noch viel von dem inneren Feuer beibehalten, doch erschien dies in der Ruhe unendlich gemildert und verlieh dem ganzen Antlitz etwas Sinnendes, Melancholisches. Man könnte sich in ihren großen unergründlichen Augen baden, meinte einmal Théophile Gautier. Mund und Kinn waren schon vom Alter entstellt; letzteres schien klein und energielos, und der Mund mit den unfeinen Lippen mag niemals schön gewesen sein. Auf ihrem einst weißen Teint lag es jetzt wie die helle Bitumenkruste gewisser vlämischer Portraits, womit der weiße Hals und die aristokratischen Hände gewaltig im Widerspruch standen. Das Ganze athmete Ruhe, Wohlwollen, Geist.

Ich wußte von gemeinschaftlichen Freunden, daß George Sand gegen Fremde bei einer ersten Begegnung viel Schüchternheit, ja oft gänzliche Unbeholfenheit zeigte, überhaupt zu keinen Zeiten in ihrer Unterhaltung durch Witz und Geist glänzte. Bestätigt doch selbst Musset, der ihr wahrlich kein Fremder war, daß ihr Geist langsam arbeite und daß sie träge im Sprechen sei. Ich erinnerte mich jener Unterhaltung, die vor vierunddreißig Jahren Karl Gutzkow mit ihr führen wollte und in der sie ihm mehr zu errathen, als zu hören gab. Freilich war sie damals in der harten Schule des Lebens, in einer verbissenen, mißtrauischen Stimmung, während jetzt jene bewegten Stürme längst über sie hinweg gegangen und ein stiller, friedlicher Lebensabend der vielgeprüften Frau zu Theil geworden war. Gleichwohl bedauerte ich einen Augenblick beinahe, nicht dem Beispiele des vortrefflichen Beaumarchais-Biographen de Loménie gefolgt zu sein, der auf den originellen Einfall kam, sich als Schornsteinfeger bei der schüchternen Frau einzuführen, um sie weniger genirt und weniger genirend studiren zu können.

Ein alter Diener brachte auf einem Teller mehrere soeben angekommene Briefe und Zeitungen. Ein Jedes nahm seinen Theil, und das Eßzimmer wurde zum Lesecabinet. Man las und plauderte, schritt auf und ab, bildete Gruppen oder ging in den Garten.

„Entschuldigen Sie!“ sagte die Dichterin zu mir, „erst lese ich meinen Courier, sonst lege ich die Briefe beiseite und vergesse sie ganz. Ich lese alle Briefe, die mir zukommen, es sei denn, daß sie unleserlich geschrieben sind. Freunden antworte ich umgehend und Unbekannten je nach Stimmung.“

Ihr Organ klang sehr angenehm, obgleich ein wenig verschleiert. Nun sah ich, wie die weißen, fleischigen Händchen in nervöser Hast die Briefumschläge aufrissen und die träumerischen Blicke sich belebten. Sie überflog den Inhalt; ihre Art, dies zu thun, zeigte nichts von der sonst dem Alter oft eigenen Pedanterie. Bald erhob sie sich von ihrem Sitze. Wir machten plaudernd einen Gang durch den Garten und das angrenzende Dorf.

„Sie ist eine feine Horcherin,“ hat Heine einmal von ihr gesagt. Mit Recht. Während unseres Spaziergangs, wobei sie mir die Herrlichkeiten ihres Daheims zeigte, sprach sie sehr wenig, war aber ganz Ohr und beobachtete mich heimlich auf’s Schärfste. Oft sah ich, wie ihre Augen forschend minutenlang auf mir ruhten und sich selbst das gleichgültigste Wort nicht entgehen ließen; trafen sich dann zufällig unsere Blicke, so schlug

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_521.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)